2005

DUKE UNIVERSITY MEDIA FELLOWSHIPS PROGRAMM 2005

Vierwöchiges Besuchsprogramm an der Duke Universität in Durham, North Carolina, für Journalisten aus den USA und aller Welt.


TEILNEHMERBERICHTE

Antje Allroggen-Dieckmann, Deutsche Welle & DeutschlandFunk

Ich war die erste von den Fellows, die in Durham ankam. Und so meldeten sich bei mir peu à peu alle übrigen Kollegen, um sich zu erkundigen, wie weit es bis zum nächsten Supermarkt sei. Zwar hatte Laurie in jedem Apartment eine Wegbeschreibung hinterlassen, um den nächsten Grocery zu finden. Lauries Routenplaner hinterließ allerdings bei jedem der Teilnehmer viele offene Fragen. Statt eines Ausschnitts aus einer Landkarte gab es kryptisch formulierte Sätze, aus denen die Richtung, in die es gehen sollte, nicht immer folgerichtig zu schließen war. Bei meinem ersten Versuch, im Land der großen Möglichkeiten etwas Essbares aufzutreiben, landete ich mit einem unserer beiden Leihwagen, die uns RIAS zur Verfügung gestellt hatte, auf einem einsamen Friedhof.

Ohne Auto ist ein Entkommen von der Apartmentanlage „The Forest“ schier unmöglich. Zwei Versuche, mit dem Bus den Campus zu erreichen, schlugen bei mir fehl. Die Damen aus dem „Office“ (die uns Fellows, von denen immerhin drei aus der Dienstleistungsservicewüste Deutschland kamen, nicht gerade als kundenorientiertes Personal aufgefallen sind) hatten mir gesagt, dass es eine direkte Busverbindung zwischen „Forest“-Anlage und Campusgelände gebe. Dem war aber leider nicht so. Also wartete ich eine Stunde auf einen überhaupt nicht existierenden Bus und nahm schließlich einen anderen, der mich auf einer einsamen Landstraße wieder aussetzte. Selten habe ich über mein Unvermögen, mich in einem Land zu orientieren, so geflucht wie in Durham.

Selten liegen Orte der Langeweile und der Faszination so eng beieinander wie hier, in Durham. Ich unterhielt mich mit dem International-Affairs-Direktor auf dem Campus – ein selbstbewusster und weit gereister Amerikaner, der sicher zu sein schien, dass Duke schon bald mehr internationale Studierende aufweisen werde als Harvard. In der germanistischen Abteilung lernte ich einen Gastprofessor aus Deutschland kennen. Er erzählte mir von der Krise der „Humanities“ in den USA, von der auch die Germanistik in Duke betroffen sei. Selbst hier, an einer der besten U.S.-amerikanischen Universitäten, auf die man in Deutschland gerne so neidisch blickt, wenn es um die Zukunft der deutschen Hochschulen geht, scheint es gravierende Probleme zu geben: kleine geisteswissenschaftliche Fächer wie eben die Germanistik kämpfen ums Überleben und bangen um ihre zukünftigen Mittelzuweisungen. Ein Highlight meines Aufenthalts war für mich die Eröffnung des neuen Nasher-Museums. Als Fellow konnten wir problemlos an den feierlichen Eröffnungszeremonien teilnehmen. Zufälligerweise stand die Tochter Raymond Nashers, mit dessen finanzieller Hilfe das Haus entstanden war, neben uns. Sie ermöglichte ein Interview mit dem inzwischen über 80-jährigen Texaner, der zu einem der einflussreichsten Kunstsammler der Vereinigten Staaten gehört.

Abends trafen wir uns zum Barbecue mit den anderen Fellows, sinnierten über medienethische Fragen und erhielten interessante Einblicke in das journalistische Leben in Südafrika, den USA und Österreich. Ich wäre gerne länger geblieben – so viele interessante Interviews wären noch zu führen, weitere neue interkulturelle Erfahrungen zu machen gewesen. Als selbst den geselligen Barbecue-Abenden langsam die Luft ausging, lud Laurie ein letztes Mal zum gemeinsamen Abendessen ein. In einem großen mexikanischen Restaurant, am Highway nach Chapel Hill gelegen, verteilte sie große Urkunden, die die Teilnahme am Media Fellowship-Programm nun für immer dokumentieren. Ich habe viele neue Themenfelder berührt, die darauf warten, weiter bearbeitet zu werden. Duke war anregend und schön.

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Ute Brandenburger, n-tv

„Ich muss zwei Herren zugleich dienen“, sagt Weimin aus Schanghai. „Der Partei, die selten eine starre Meinung hat, und unseren Werbekunden.“ Weimin lebt das Paradox: sie leitet den einzigen Lifestyle-Fernsehsender im kommunistischen China, der kaum schriller und konsumorientierter sein könnte. Weimin sitzt in der Bibliothek des Sanford Institute, mindestens 10-tausend Kilometer entfernt von ihrem Sender, und breitet ihre gelebten Widersprüche vor uns aus.

„Ich weiß nicht, warum meine Zeitung im Wahlkampf keine richtige Meinung im Editorial zulassen will“, erzählt Hristo. In Mazedonien, wo er sonst lebt, ist die Demokratie noch jung und wenig geübt. Er hofft, an der Duke University darauf Antworten zu finden. Ob wir ihm helfen können?

„Wir kümmern uns kaum um Politik in Südafrika“, sagt Gilian. Dann berichtet sie von der Fernsehsendung „Die besten Südafrikaner“, die schon vor ihrer Erstausstrahlung zum Skandal wurde: weil die Zuschauer ehemalige Apartheidspolitiker unter die Top Ten gewählt hatten.

Im Institut laufen zwischen Capuccino-Bechern und braunen Lunchtüten die Arbeitsleben von Journalisten aus aller Welt zusammen. Und das ist spannend – die ganzen vier Wochen lang.

Der Campus ist eine behütete Welt, eine Idylle für Wissenschaftler. Die Kulisse ist englischen Eliteuniversitäten nachempfunden: viel brauner Sandstein, neogotische Zinnen und gepflegtes Grün. Das einzig Anarchische ist ein Heer kleiner bunter Windräder. Eine Studentengruppe, die bei den Uni-Wahlen kandidiert, hat sie in den Rasen gesteckt. Abgesehen davon aber geht es sehr wohlerzogen zu. Niemand würde hier auf die Idee kommen, zu rauchen oder zu trinken. Noch nicht einmal beim Jazzclub am Mittwochabend.

„Ich bin hier, um Euch den Rücken freizuhalten. Niemand erwartet, dass Ihr Artikel über die Universität schreibt oder Professoren für Beiträge interviewt.“ 15 Augenpaare schauen skeptisch. „Das wäre höchst unethisch“, sagt Laurie Bley, die Programmkoordinatorin für uns Ausländer. Dann lächelt sie und fügt an: „Was immer Ihr in Eurer Zeit hier zusätzlich zum gemeinsamen Programm erforschen wollt, ich unterstütze Euch.“

Ich erforsche in den ersten Tagen mit den anderen Fellows und dem Jeep vor allem die Umgebung – und das auch eher unfreiwillig. Häuser, Bäume und Straßenkreuzungen gleichen sich so sehr, dass jeder Weg zur Expedition wird. Entdeckungsreisen ins Innere der USA sind für mich dagegen die Gespräche im Sanford Institute.

„Ich bin Armutsreporter“, stellt sich Jason DeParle vor. Nicht über die dritte Welt, sondern mitten aus den USA berichtet der Journalist der New York Times. Fünf Jahre lang hat er Angie, Jewell und Opal begleitet, drei Cousinen, die farbig sind – und Sozialhilfeempfängerinnen. DeParle schildert, wie schwer es ihm gefallen ist, den richtigen Draht zu ihnen zu finden, und wie sie die Reform der U.S.-Sozialhilfe erlebt haben. Obwohl alle einer ungewissen Zukunft entgegensehen, ist seine Bilanz der Reform positiv.

Auch PR-Berater Barry Zorthian ist zufrieden: er war Presseoffizier der U.S. Army während des Vietnamkriegs und hat sich dafür eingesetzt, dass Journalisten unbeschränkten Zugang zur Front haben. Aus PR-Sicht ein Desaster. Zorthian aber sagt: „Ein wichtiger Schritt für die Demokratie; schade nur, dass die Journalisten nicht mehr vom Kriegführen verstanden haben.“

Ortswechsel: Die Sonne brennt heiß, als wir durch den Duke Forest laufen. „Es ist schwer, die Menschen davon zu überzeugen, etwas zu tun, wovon wahrscheinlich nur ihre Enkel etwas haben“, sagt uns Rob Jackson, Professor für Umweltforschung. Er hofft, dass ein einzigartiges Experiment beim Umdenken helfen kann. Die Bäume an diesem Ort werden einer Dosis CO2 ausgesetzt, die so groß ist wie die normale Belastung in 50 Jahren. Während einige von uns einen Messturm erklimmen, erfahren wir, warum das Experiment nur hier möglich ist: Soweit das Auge reicht, gehört der Wald zur Universität, die Forscher haben freie Hand.

Wir sind wieder zurück im Sanford-Institut: „Die meisten meiner Studenten erfahren Nachrichten von ihren Freunden.“ Das ist das Ergebnis der jüngsten Umfrage von Ellen Mickiewicz. Sie ist die Direktorin des Institutes, bei dem wir alle zu Gast sind. Ihre Schüler sind zum größten Teil Kinder aus sehr reichen Elternhäusern. Sie könnten sich jedes Medium leisten, tun es aber nicht. „Die Medien in den USA halten viele nicht mehr für glaubwürdig“, erklärt Ellen.

Tage später sitzen wir in Washington beim Direktor des unabhängigen Meinungsforschungsinstitutes PIPA (Program on International Policy Attitudes) auf dem Sofa. Steven Kull analysiert, was Politiker und Medien schon längst zu kennen glauben: Volkes Stimme. „Während des Golfkrieges haben CNN, NBC und Fox ihre Zuschauer schlecht informiert“, sagt Kull. „Wir haben herausgefunden, dass viele Amerikaner eine weniger aktive Rolle der USA als Weltpolizist wünschen.“

U.S.-Außenpolitik – im Inneren des State Department fühlt sie sich recht nüchtern an. Kahle Korridore im Souterrain führen uns zur bekannten Fernseh-Kulisse, in der die Pressekonferenzen von Condoleeza Rice stattfinden. „Machen Sie ruhig Fotos von sich am Rednerpult“, fordert uns Sheila Goode von der Pressestelle auf. Wie spektakulär kann da noch das tägliche Press Briefing im Anschluss sein?

„In den vergangenen sechs Jahren haben wir unsere Hörerzahlen um 60 Prozent gesteigert.“ Der Hunger der U.S.-Bürger nach fundiertem Journalismus sei groß, erklärt Emily Hellewell vom National Public Radio. Neben über 700 Mitarbeitern hat der Sender aber auch eine Portion Glück gehabt: Eine Millionen-Erbin vermachte NPR ihr Geld. Jetzt kann der werbefreie Sender 15 Millionen in Korrespondenten und Programm stecken. Was für ein Luxus, denke ich.

Zurück in Durham verfliegt die Zeit: Tagungen, wunderbare selbstgekochte Dinner im Kreis der Fellows und dann das Fullframe Documentary Film Festival. Vier Tage, vier Kinos und viereckige Augen. Sogar Regisseur Martin Scorcese ist gekommen, zeigt Ausschnitte aus seinen Filmen und plaudert. „Das Wirkliche“, erzählt er, „ist für mich die Quelle der Inspiration.“

„Fettarm oder Vollmilch“ – diese Standardfrage nuschelt Rosey über den Tresen als sie Cappuccino zubereitet. Inzwischen bin ich vorbereitet und weiß, was ich darauf antworten muß, denn kaum etwas ist in den USA so kompliziert, wie das Bestellen eines Kaffees. Und während wir eines nachmittags in der Kassenschlange der Cafeteria stehen, entdecken wir es. Mitten unter all den Fotografien der Hillary Clintons, Ronald Reagans und Bush Seniors, die diese Eliteuniversität besucht haben – da hängt es. Das Bild einer kleinen Frau im blau-weißen Sari mit der Widmung: „Thank you for lunch – Mother Teresa.“

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Dr. Ulrich Brümmer, Mitteldeutscher Rundfunk Fernsehen

Vier Wochen ausklinken aus dem Redaktionsalltag und noch einmal eintauchen in das akademische Leben am Terry Sanford Institute der Duke University in Durham, North Carolina – ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

Bereits bei der Anreise in Richtung USA ist nicht zu übersehen: Dieses Land befindet sich im Krieg. Dreifache Sicherheitskontrollen schon in Deutschland. Bei der Immigration Control in Philadelphia, meinem Umsteigeflughafen, wird es noch deutlicher: Fingerabdrücke abnehmen, digitales Foto und endlose Schlangen. Dazu ein gelangweilter und mürrischer Einwanderungsbeamter, der zu verstehen gibt: So richtig willkommen bist Du hier nicht, Fremder. Du könntest ja ein Terrorist sein. Es hat sich eine Menge geändert, seit ich das letzte Mal in den USA war.

Dieser erste Eindruck relativiert sich recht schnell in Raleigh-Durham. Eric, der Fahrer eines von der Universtität gecharterten Minibus-Unternehmens, steht nicht nur am vereinbarten Ort, sondern ist auch noch bestens informiert über die politischen Verhältnisse in Deutschland und diskutiert mit mir die Bundestagswahlen. Anschließend bekomme ich noch eine Einführung in die akademische Landschaft des alten Südstaates North Carolina: Im „Research Triangle“ zwischen Raleigh, Durham und Chapel Hill sei die Akademikerdichte so hoch, dass man auch von ihm einen Ph.D., einen Doktorgrad der Philosophie, verlangt habe, damit er den Van fahren dürfe. Ob Eric nun am Ende wirklich einen Ph.D. hat (man weiss ja nie!), habe ich bis heute nicht erfahren.

Abgesetzt werde ich nicht, wie ich geglaubt hatte, mitten auf dem Campus, sondern in der Apartmentanlage „The Forest“ . Das alte, von manchen Fellows in früheren Berichten in einer Art Hassliebe beschriebene heruntergekommene Campus Arms, existiert nicht mehr. Wir wohnen in einer recht ordentlichen Anlage mit Pool, in der man allerdings ohne Auto vollkommen aufgeschmissen ist. So sind wir täglich mit unseren geräumigen SUVs (Sport Utilitiy Vehicle) in einer multikulturellen Fahrgemeinschaft zur Universität gekommen. Grosses Glück: Es waren nur nette Fellows dabei, und die Gruppendynamik in unserer Kleingruppe der Vier-Wochen-Fellows war positiv: Zwei deutsche Kolleginnen, ein Österreicher, ein Südafrikaner und ein Amerikaner. Die abendlichen informellen Diskussionen am Barbecue-Platz unserer Apartmentanlage über Gott und die (Medien-)Welt waren hochinteressant.

Das Fellow-Programm lässt trotz einiger obligatorischer Veranstaltungen (zum Beispiel die „Media Challenges“ über das deutsche, österreichische, südafrikanische, koreanische, vietnamesische, russische und ukrainische Mediensystem) jede Menge Freiraum. Man kann reguläre Vorlesungen besuchen, platzt dort allerdings mitten im Semester hinein und geht nach vier Wochen schon wieder. Ich habe mich vor allem auf die „Distinguished Speakers“ konzentriert, die am Sanford Institute for Public Policy, an der Duke Law School und an der Fuqua Business School Vorträge hielten und wertvolle Denkanstöße und Literaturhinweise gaben: Zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende von United Parcel Service in Sachen Globalisierung, die frühere Generalbundesanwältin Janet Reno und ein Assistant Secretary of Defense aus der Reagan-Administration, der – obwohl selbst ein Falke – überrraschend hart mit der Irak-Politik von Präsident George Bush junior ins Gericht ging.

Der Campus der privaten Duke University (etwa 40.000 U.S.-Dollar Studiengebühren pro Jahr) sieht auf den ersten Blick alt aus, ist aber erst in den zwanziger Jahren entstanden. Auch jetzt noch wird ständig gebaut. Architektonisch betrachtet sieht das Gelände aus wie ein neugotisches akademisches Disneyland für Kinder reicher Eltern. Die gute Fee des Media-Fellowship-Programms ist Laurie Bley. Bisher glaubte ich immer, das Elektrizitätsnetz der USA habe nur 110 Volt Spannung. Doch als Laurie auftauchte, wusste ich sofort: Die Amerikaner haben mindestens 220 Volt. Laurie steht ständig unter Strom und schafft es, in einem Satz drei Gedankengänge zu beginnen.

Unbedingt empfehlenswert: Mindestens ein Tag an der University of North Carolina at Chapel Hill. Am dortigen Institut für Journalismus und Massenkommunikation ist Professor Robert Stevenson (nicht verwandt mit dem gleichnamigen Autor der „Schatzinsel“ ) ein liebenswürdiger, gut informierter Ansprechpartner, der als Gastprofessor nicht nur in München, Mainz und Dresden gelehrt hat, sondern anscheinend auf der ganzen Welt zu Hause ist. Die Studenten produzieren dort ein wöchentliches Nachrichten-Magazin für das Regionalfernsehen und ein Radioprogramm. Der professionelle Standard und die Zahl der Moderatoren und On-Air-Reporter sind gleichermassen erstaunlich hoch.

Mein Fazit des Programms:
Es hat sich gelohnt, die Anregungen sind vielfältig, die Professoren leicht zugänglich, die Studenten freundlich und unkompliziert. Ich hoffe, ein Programm wie dieses oder etwas ähnliches gibt es noch lange.

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Iris Gast, N24/ SAT.1

In the Forest

Im „goldenen Briefkasten“ soll er liegen, der Schlüssel für mein Apartment. Mitten im Forest. Lauries Beschreibung klingt ein wenig nach Schatzsuche. Inklusive Happy End — der Schlüssel ist nicht nur dort, wo er sein soll — das Apartment ist auch noch riesig! Den begehbaren Kleiderschrank nehme ich gedanklich sofort mit nach München und im Kühlschrank ist mehr Platz als in mancher Studentenbude — leider ist das gute Ding noch leer. Der Magen knurrt, das Begrüßungsgeschenk der deutschen Kollegin Nea (Getränk und Cookies) kommt wie gerufen. Zusammen mit Keksen und Infomappe sinke ich auf das Bett, realisiere so langsam: Ich bin da!

Zwischen Ledersesseln und Jogginghosen

So viel Freiheit und Spielraum die vier Wochen an der Duke University auch bieten, EINE Konstante gibt es auf jeden Fall: In Durham regnet es immer montags. Kein Wunder also, dass Laurie bei unserem ersten Treffen mit einem Regenschirm bewaffnet ist. Im Gegensatz zu uns. Im Gänsemarsch geht es über den Campus – und die ersten Eindrücke, sie könnten vielfältiger und verwirrender nicht sein. Edle Ledersessel vor offenen Kaminen, Studenten, die permanent Joggingklamotten zu tragen scheinen, eine Bibliothek mit traumhaften alten Büchern, eine Architektur, die so gar nicht nach North Carolina passen will — und eine Zeltstadt! Mein Gott, warten die etwa alle darauf, hier ein Zimmer zu bekommen? Laurie lacht. Nein, in Duke bleiben die „echten Kerle“ auch bei Minusgraden draußen in ihren Zelten — Schlange stehen für Basketballtickets! Nicht nur tage-, sondern wochenlang. So lang, dass die Zeltstadt schon einen eigenen Namen hat! Ob das die Fans in Deutschland auch für Karten des FC Bayern machen würden…?

Mix it!

Liegt es an der Finesse des Architekten oder etwa am nicht vorhandenen weiblichen Orientierungssinn: Welche der verwinkelten Treppen im Terry Sandford Institut am schnellsten in unser Office führt, habe ich auch nach vier Wochen noch nicht raus. Erleichtert stelle ich fest, dass es den anderen auch nicht besser geht.

„Die anderen“ — das ist neben den deutschen Kolleginnen Nea und Renate eine bunt gemixte Truppe aus Asiaten, Europäern und Steve, unserem amerikanischen Quotenmann. Spätestens bei den „Media Challenges“ werden die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen deutlich: Hyen aus Vietnam kämpft ständig gegen Zensur und Bespitzelung und produziert Artikel oft genug nur für die Tonne, Dong-Chae vollführt in Korea stetig einen Drahtseilakt, wenn es um freie Meinungsäußerung geht, und Hristo aus Mazedonien kämpft gerade mit neuen Gesellschaftern und einem Zeitungswesen, das im Umbruch ist. Die eigenen beruflichen „challenges“ bekommen plötzlich eine ganz andere Gewichtung und ich denke mir: was geht es uns in Deutschland doch gut.

Zwischen Kriegsreportern und Kippstühlen

Wer die Wahl hat, hat bekanntlich auch die Qual. Und so dauert es einige Tassen Kaffee, bis ich mir endlich meinen „Wunsch-Stundenplan“ zusammengebastelt habe. Ich starte mit einem Seminar von Susan Tifft – und bin begeistert! Ich gebe zu, die wunderbaren ergonomisch geformten Kippstühle tragen durchaus ihren Teil dazu bei. In der Umgebung debattiert und diskutiert die kleine, überschaubare Gruppe gerne darüber, wer die Fäden hinter den Medienunternehmen zieht. Ich denke an überfüllte Hörsäle in Deutschland, in denen es meist reicht, sich von den Monologen der Dozenten berieseln zu lassen. Welch ein Kontrast! Wahrscheinlich sind die hohen Studiengebühren an der Duke mit ein Grund für den nicht zu übersehenden Ehrgeiz der Studenten. Namhafte Referenten geben sich jedenfalls an dieser Uni die Klinke in die Hand. Highlights waren definitiv die Vorträge und Gespräche mit dem Friedensbotschafter Dennis Ross und dem Kriegsreporter Chris Hedges.

Das Rätsel von Route Number 6

Wenn es (neben dem Montags-Regen) etwas Zuverlässiges in Durham gibt, dann ist es die Unzuverlässigkeit von Route Number 6. Route Number 6 ist die Buslinie, die eigentlich vom Forest direkt zum Institut fahren sollte – leider war ein „eigentlich“ in diesem Satz. Nach fünf Versuchen – die im übrigen punktemäßig alle an Number 6 gingen – habe ich zwar den Kampf mit dem Bus aufgegeben, aber immerhin einiges gelernt: Route Number 6 stoppt bei jeder Fahrt an anderer Stelle, nur leider nie da, wo man es gerne hätte; sie fährt auch abends, nur leider nicht zu uns und genaue Fahrpläne sucht man (verständlicherweise) vergebens. Was mich jedoch fasziniert hat, ist die wirklich überwältigende Hilfsbereitschaft der Mitfahrenden. Auch wenn sie oft überhaupt keine Ahnung hatten, wie sie mich meinem gewünschten Ziel näher bringen konnten — allein die Gespräche waren so manche Bus-Odyssee wert!

Oops, they did it again

Apropos Gespräche. Klar, dass sich bei unserem Aufenthalt vieles um die Wiederwahl von George W. Bush drehte. Laurie erzählt Augen rollend, dass sie sich nach dem Ergebnis erst einmal zwei Wochen krank gemeldet hat und sogar kurz ans Auswandern dachte. Und David, den wir bei Voice of America kennenlernen, erklärt uns: „Wenn ich im Sommer zu Euch nach Deutschland komme, sage ich, ich bin Kanadier — ich will mich doch nicht laufend rechtfertigen!“ Wie groß, denke ich, muss der Frust sein? Und WER, vor allen Dingen, hat Bush denn bitte wiedergewählt, wenn es in der Öffentlichkeit zumindest alle, die wir treffen, abstreiten? Unsere deutschen Korrespondenten, mit denen wir in Washington zusammenkommen, sehen das ganze etwas differenzierter. Neben der Tour durch das ARD High-Tech-Studio nimmt sich Tom Buhrow viel Zeit, um mit uns über Gott und die Welt zu philosophieren und mein N24-Kollege Stefan Strothe bietet uns vom Studiodach aus den definitiv besten Ausblick aufs Weiße Haus.

Die Taxler und die Snow Emergency

Auch wenn Kurse und Kontakte an der Duke wirklich exzellent sind: Der (etwas längere) Abstecher nach Washington hat sich mehr als gelohnt! Der Terminplan – prall gefüllt mit hoch interessanten Meetings und Museen. Nicht eingeplant war allerdings der Snow Emergency. Obwohl – was heißt hier eigentlich „Emergency“? Als Wahlmünchner steht man kopfschüttelnd daneben, wenn die Stadt wegen ein paar harmloser weißer Flocken (das würde in Bayern nicht einmal als „leichter Schneefall“ durchgehen!) in Chaos stürzt. In den Straßen herrscht plötzlich Parkverbot – schließlich muß man ja die Emergency Route frei halten, Kneipen und Cafes schließen oder machen gar nicht erst auf – und Taxler, ja Taxler dürfen plötzlich ganz legal das Doppelte des Fahrpreises berechnen. Es herrscht schließlich Snow Emergency. Ja dann…

Einmal Duke, immer Duke?

Wir sind zurück in Duke, die Abreise naht. Und Laurie? Die gerät wieder einmal ins Schwärmen. Eine Internetseite plant sie, nur für die Media Fellows, die Dukies – schließlich gäbe es ja weltweit schon mehr als 600 von „uns“. Da wäre es doch höchste Zeit für eine Plattform. Und so ein Netzwerk wäre doch sicherlich hilfreich.

Wie hilfreich, das erlebe ich kurz nach meiner Ankunft in Deutschland. Kurzfristig muß ich nach China, doch wo und wie ich mein Material überspielen kann, das bereitet ernsthafte Probleme. Zwei kurze emails an „meine“ Dukies und Asienexperten David und Weimin – und sofort habe ich die richtigen Ansprechpartner. Duke öffnet also wirklich Türen – und irgendwie ist es doch auch schön zu wissen, dass sie überall dort draußen sind – die Dukies.

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Dr. Susanne Glass, Bayerischer Rundfunk

In meinem ersten Brief nach Europa war ich skeptisch. „Wir wohnen hier in einer Appartmentanlage namens ‚The Forest’ „, habe ich nach einer Woche Duke-Universität an meine Freunde zu Hause gemailt. „Und das könnt Ihr wörtlich nehmen. Ich sitze praktisch mitten im Wald. Holzhäuschen. Nachts zirpen die Grillen. Alles sehr idyllisch. Aber keine Spur von Studentenleben. Die Uni, der nächste Supermarkt, nette Kneipen – alles kann man von hier aus nur mit dem Auto erreichen. Mir fehlt die Bewegung.“ Und dann habe ich noch über eine Meldung in der Lokalzeitung gewitzelt, wonach ein amerikanischer Forscher herausgefunden hat, dass schlankere Menschen ein erfüllteres Sexualleben haben. Zum Beweis hatte der Experte im Zeitungsinterview eine ehemals 300 Pfund schwere Frau angeführt, die mit jetzt „nur noch 270 Pfund ihren Ehemann sehr glücklich macht“.

Im Lauf der vier Wochen hat sich der Tonfall meiner Berichte aber verändert. In dem letzten Brief am Tag vor meiner Abreise bin ich sehr wehmütig. Denn ich möchte gar nicht mehr weg aus meinem inspirierenden Unterschlupf im Wald. „Einer herrlichen Rückzugsmöglichkeit zum Lesen, Schreiben, Nachdenken, wo jetzt im Herbst die Bäume so fantastisch rot oder gelb strahlen, als wären sie von Innen beleuchtet.“ Ich schwärme von der wunderbar organisierten Duke-Universität, ihren netten und extrem motivierten Studenten und deren rauschenden Partys. Ich bin begeistert von den vielen anregenden Begegnungen mit Politikern, Professoren, Publizisten und vor allem den „normalen“ Menschen, weil die oft den nachhaltigsten Eindruck bei mir hinterlassen haben. Und ich vermisse schon im Voraus das fröhliche „have a nice day“ der höflichen, aufgeschlossenen (und ich meine eben gerade nicht oberflächlichen) Amerikaner, weil ich weiss, dass mich diesbezüglich zu Hause oft nur ein „hm, grm, na tschüss dann“ erwartet.

Das sind lediglich – sehr verkürzt – die subjektiven Eindrücke einer 35jährigen Journalistin, die bis dato alle Kontinente außer dem amerikanischen bereist hatte. Aber sie zeigen: Zwischen meinem ersten Brief an die Freunde und dem letzten ist viel passiert. Unsere kleine Gruppe (Kalay aus Johannesburg, Christina aus dem nahen Washington, Franz aus Wien sowie die drei Deutschen Ralf, Frank und ich) haben gelernt, uns auf dem riesigen Uni-Campus zurecht zu finden. Toll war, dass unsere famose Betreuerin Laurie Bley gleich drei Autos organisiert hatte, so dass wir alle genügend mobil waren und niemand im Wald vereinsamen musste. Dem großartigen Engagement von Laurie für „ihre Media-Fellows“ haben wir auch das dichte, abwechslungsreiche Programm zu verdanken. Jede Woche gab es Fixpunkte, allen voran die Diskussionen über die besonderen Herausforderungen des Journalistenberufes in unseren jeweiligen Ländern. An einem Abend haben wir gemeinsam eine Dokumentation über das Massaker in Ruanda gesehen, an einem anderen sind wir zur State Fair nach Raleigh Durham (was sich als überdimensionales Münchner Oktoberfest ohne Alkohol entpuppte). Wir haben eine Konferenz mit Wirtschaftsbossen besucht und eine andere mit chinesischen Medienleuten. Wir haben auf einem Seminar mit der ABC-Producerin Robbie Gordon über Sinn und Unsinn versteckter Kameras diskutiert. Und schließlich haben wir die Gespräche mit diversen amerikanischen Journalisten und Publizisten genossen, die wir beim Lunch alles fragen konnten, was uns an ihrer Arbeit und Amerika im Besonderen und Allgemeinen schon immer interessiert hat.

Wir hatten also eine sehr gute Organisation und manchmal hatten wir auch einfach Glück. So gab zum Beispiel der begnadete Entertainer und frühere amerikanische Außenminister Colin Powell genau während unserer Zeit an der Duke-Universität – anläßlich der Eröffnung eines neuen Gebäudes – eine wirklich beeindruckende Kostprobe seiner außerordentlichen rethorischen Fähigkeiten zum besten. Getreu dem Motto: Wenn sich das Publikum vor Lachen schüttelt, kann es keine fiesen Fragen stellen.

Laurie hat uns auch dabei geholfen, Wochenendausflüge in die Berge und ans Meer zu organisieren. (Und wenn einer von uns gesagt hätte, er wolle von Durham aus gerne mal zum Mond fliegen – Laurie hätte ebenfalls ihr Bestes versucht.) Ein absoluter Höhepunkt des Programms war unser fünftägiger Trip nach Washington. Auch hier hatten wir Glück. Hillary Clinton, Madeleine Albright und Wesley Clark gaben sich und damit auch uns bei einer Menschenrechtskonferenz in der renommierten Georgetown Universität die Ehre. Und nicht zu vergessen: Wir hatten natürlich auch wieder eine super Organisatorin: Laurie brachte uns ins Pentagon, zur Washington Post, zum National Public Radio und in die ehrwürdigen Hallen des National Press Club, wo gerade (Glück!) zum Lunch mit Joseph Wilson geladen wurde, also dem Ehemann der vom Staat entarnten CIA-Agentin Valerie Plame.

Vor, während und nach unserem „offiziellen Programm“ blieb aber zum Glück noch genügend Zeit, die jede(r) für sich nutzen konnte. Also individuelles Sightseeing in Washington sowie diverse Seminare je nach Geschmack an der Duke-Universität. Ersteres ist nicht schwierig, denn es gibt in dieser faszinierenden Stadt einige ‚musts’ (Weißes Haus, Kapitol, das Holocaust-Museum, die diversen Memorials, Georgetown). Zweiteres schon. Denn das Seminarverzeichnis der Duke-Universität ist zwar auch faszinierend, aber es erschlägt einen mit seiner Vielfalt. Einen Überblick zu bekommen und eine Auswahl zu treffen, fiel uns allen sehr schwer. Letztlich haben wir uns ausnahmslos für Seminare zu den Themen angemeldet, mit denen wir ohnehin in Studium und/oder Job zu tun hatten. Keine(r) hat plötzlich sein Interesse für die Biochemie oder ausgefallene Musikinstrumente entdeckt. Die Möglichkeit dazu hätten wir in diesen vier Wochen gehabt. Waren wir also alle besonders pflichtversessen oder können wir nur einfach nicht richtig abschalten? Schwierige Frage. Sicher ist aber, ein wirklich anspruchsvolles Seminar zu thematischem Neuland hätte in diesen vier Wochen nicht viel Sinn gemacht. Dazu war die Zeit zu kurz und das übrige Programm zu dicht. Aber um den amerikanischen Studienalltag an einer exklusiven Universität kennenzulernen, um Wissen aufzufrischen und zu vertiefen, dazu waren die Seminare, die wir besucht haben, ideal.

Eine ganz persönliche Lektion in Lebenserfahrung habe ich von meiner neuen Freundin Elisabeth aus Durham erhalten. Elisabeth hat in meinem Lebenslauf, den sie von Laurie bekommen hatte, gelesen, dass ich in ihrer alten Heimat Österreich lebe und Balkan-Korrespondentin bin. Also hat sie mir eine Mail geschrieben und mich zu ihrer Balkan-Tanzgruppe eingeladen. Warum? Weil sie wohl wieder etwas deutsch sprechen wollte. Aber in erster Linie, weil sie Ausländern ihre Wahlheimat näher bringen will. Elisabeth spricht (mindestens) sechs Sprachen, auf ihrem Auto prangt ein „War is not the answer“-Aufkleber, sie kennt sämtliche Neuerscheinungen im Kino und auf dem Buchmarkt, ist in diversen NGOs aktiv, und wenn ich nach unseren anstrengenden Volkstanzabenden schon längst in meinem Wald geschlafen habe, hat mir Elisabeth noch spät in der Nacht Mails geschrieben, mit Vorschlägen, welche Vorträge an der Uni interessant für mich sein könnten. Warum ich so ausführlich von Elisabeth schwärme? Weil die Dame 81 Jahre alt ist! Und ich sie für ihre Agilität und Aufgeschlossenheit rückhaltlos bewundere. (Das mag hoffentlich auch die Indiskretion bezüglich des Alters verzeihen.)

Übrigens war es in unseren Wald-Appartments nicht immer so ruhig, wie das mein bisheriger Bericht vielleicht suggeriert hat. Unsere Gruppe hatte dort viel Spass und sehr interessante Diskussionen. Dank Kalays Kochtalent und großzügiger Bewirtung. Und dank Lauries Talent, aus ihren Gesprächspartnern schon am ersten Abend lange verborgene Kindheitserinnerungen herauszuholen. („Tell us the 3 most important wisdoms your mother told you!“)

Alles in allem: Die vier Wochen an der Duke-Universität in Durham habe ich als ein großartiges Geschenk empfunden, für das ich der Rias-Kommission und insbesondere Rainer Hasters sehr dankbar bin. Einen ganzen Monat ohne permanenten Arbeitsdruck und Handyklingeln. Zeit um nachzudenken, Dinge zu hinterfragen, neue Anregungen zu bekommen. Und last but not least: Endlich die USA von Innen kennenzulernen und dabei Tag für Tag (oder wie in meinem Fall: mit jedem weiteren Brief nach Europa) Vorurteile durch reale Erfahrungen zu ersetzen.

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Ralf Geißler, Mitteldeutscher Rundfunk

Da hatte ich also monatelang abends auf meinem Sofa gesessen und von Amerika geträumt. Seit ich im Mai 2004 von einem halbjährigen Praktikum aus Kalifornien zurückgekehrt war, verspürte ich regelmäßig Fernweh. Neben meiner Couch stapelten sich Reiseführer, über meinem Bett hing eine riesengroße Landkarte der USA, ich studierte täglich die Internetseiten der „New York Times“ und als eines Tages der Umschlag mit Absender „Duke University“ im Briefkasten lag, wusste ich: Es geht bald los. Ostküste. Studentenleben in Durham. Vier Wochen Indian Summer dank der Unterstützung der RIAS Kommission.

Die Abreise gestaltete sich allerdings schwieriger als gedacht. Wegen Nebels in München strich Lufthansa meinen Abflug, und so erreichte ich mein Ziel mit satten 24 Stunden Verspätung. Am 16. Oktober 2005 stolperte ich abends am Airport Raleigh/Durham nach langer Reise ein wenig erschöpft aus dem Flieger. Der erste Eindruck: waldreiche Gegend, mildes Klima, flaches Land.

Die Duke University hatte mich mit fünf anderen Media Fellows in einer kleinen Apartment-Siedlung untergebracht. Sie trug den Namen „The Forest“ und lag, wie ein Teilnehmer meinte, „in the middle of nowhere“, in einem dichten Wald. Ich fand die Ruhe und Abgeschiedenheit aber sehr angenehm. Und da jeweils zwei Teilnehmern ein Auto zur Verfügung stand, kam man auch recht unkompliziert von dort weg und war nach knapp zehn Minuten Fahrt auf dem Campus.

Das offizielle Programm begann am Morgen nach meiner Ankunft. Programmleiterin Laurie Bley begrüßte uns in der Universität und gab zunächst eine Campus-Tour. Es ging vorbei an der riesigen Universitäts-Kirche im gotischen Stil, der großen Bibliothek (die zu meinem Erstaunen sogar ein Abonnement der deutschen taz hatte), den Wohn- und Seminargebäuden für die Studenten und schließlich über zahlreiche Grünflächen wieder zurück zum Terry Sanford Institut für Public Policy, wo wir die kommenden vier Wochen einen Großteil unserer Zeit verbringen würden.

Laurie hatte ein kleines Programm zusammengestellt: Vorträge, Luncheons, Lesungen. Darüber hinaus waren wir eingeladen, uns entweder ausgiebig zu erholen – indem wir die Cafés in Chapel Hill, das Fitness-Studio der Uni und die Parkanlagen des Campus erkunden – oder wir konnten an jeder beliebigen Veranstaltung des Instituts teilnehmen. Ich entschied mich für ein Seminar über investigatives Recherchieren bei Susan Tift und für einen Workshop über Hörfunkdokumentationen bei John Biewen. Beide Kurse waren allerdings für Anfänger ausgelegt. Ich (28) kam mir beim Betreten des Seminarraumes zwischen den 18- bis 22-Jährigen Studienanfängern tatsächlich ein wenig alt vor.

Aber das dauerte nicht lange. Beide Dozenten gaben sich große Mühe, mich einzubinden, stellten Fragen und freuten sich über meine deutsche Sicht auf die Dinge. Bei John Biewen gab es am Ende sogar eine Geschenk: Er überreichte mir das von ihm produzierte Feature über die U.S.-Armee „Married to the Military“. Die Klassen waren nicht nur viel kleiner, als ich das aus Deutschland kannte, sondern die Studenten beteiligten sich auch viel reger an der Seminardiskussion.

Mindestens einmal wöchentlich trafen wir Media Fellows auf Stipendiaten, die ein Jahr oder mehr in Durham verbrachten. Insgesamt kamen wir aus acht verschiedenen Ländern und erzählten uns gegenseitig über unsere größten Herausforderungen. Huyen Vu aus Vietnam sprach über die Zensur in ihrem Land, Hwan Joo Kim vom süd-koreanischen Fernsehen beklagte die massive Konkurrenz durch neue Medien und Sergey Malakhovets aus Russland berichtete, wie sich das Mediensystem seit der Machtübernahme durch Präsident Putin gewandelt habe. Dann waren da noch Kaley Maistry aus Südafrika, Fortuna Haxhikadrija aus dem Kosovo, Franz Schellhorn aus Österreich und natürlich die beiden deutschen Kollegen. Wir waren eine bunte Truppe. Und alle Diskussionen, die wir am Tag nicht beendet hatten, setzten wir am Abend in unseren Apartments bei einem gemeinsamen Essen oder in einem Restaurant fort.

Zudem hatte Laurie regelmäßig Gastredner für uns organisiert. Besonderen Eindruck hinterließ bei mir Bob Sullivan von MSNBC, der über Identitätsklau in den USA sprach, und Robbie Gordon, die über den Einsatz von versteckten Kameras bei der investigativen Recherche berichtete. Gordon spielte uns zwei ihrer Dokumentarfilme vor, die sie für ABC gedreht hatte. Ein Film zeigte das Elend in einem Wohnheim für Behinderte, der andere dokumentierte die Probleme einer amerikanischen Mutter bei der Erziehung ihrer beiden Söhne.

Das Material war jeweils über mehrere Wochen mit versteckten Kameras zusammengetragen worden. Ich war der Meinung, dass Gordon ihre Recherchemethode ein wenig überreizt und die versteckte Kamera auch eingesetzt hatte, wo es vielleicht gar nicht nötig gewesen wäre. Wir hatten eine interessante Diskussion.

Höhepunkt der Reise war zweifellos unser Vier-Tages-Ausflug nach Washington. Wir besuchten den National Press Club, erkundeten die Washington Post, erhielten eine Führung durch das Pentagon, lauschten Vorträgen von Hillary Clinton und Madeleine Albright an der Georgetown University und waren beim National Public Radio. Dort gab uns Ombudsmann Geoffrey Dvorkin einen amüsanten Einblick in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk der USA, dem es dank einer Erbschaft der McDonald-Witwe Joan Kroc gerade ausgesprochen gut geht.

Zurück in Durham erlebten wir, wie aufgeregt eine ganze Universität sein kann, wenn der ehemalige Außenminister zu Besuch kommt. Hunderte Studenten hatten sich angestellt, um Colin Powell in der Sporthalle von Duke reden zu hören. Viele warteten vergeblich, weil nicht genügend Plätze frei waren. Ich kam irgendwie rechtzeitig rein. Powell hüpfte mit seinen 68 Jahren direkt vor mir die Treppe zum Podium hinauf und hat den 1.200 Zuhörern aus seinem Leben erzählt. Freie Rede, neunzig Minuten. Alles drin von „Meine Karriere“ über „Krieg im Irak“ bis die „Nebenwirkungen der U.S.-Sicherheitspolitik“. Nach der Veranstaltung hat er einigen Media-Fellows die Hand geschüttelt. Von mir wollte er wissen, was Joschka Fischer so treibe. Ich hatte natürlich keine Ahnung. „Heiraten und Joggen“ habe ich geantwortet. Das fand er komisch.

Wenige Tage später war meine Zeit in Durham schon zu Ende. Ich bin dann noch nach Florida und New York geflogen – jeweils für eine Woche. Meine Zeit in den USA gehörte sicher zu den aufregendsten und schönsten Erlebnissen der vergangenen Jahre. Das ist hauptsächlich Laurie Bley zu verdanken, die sich für uns mit aller Kraft engagiert hat. Und ich danke der RIAS Berlin Kommission für die Finanzierung des Projekts. Jetzt sitze ich – eine Woche nach meiner Rückkehr – wieder in Leipzig mit meinem Laptop auf der Couch. Im Schlafzimmer hängt die große Amerika-Karte und ich habe schon wieder Fernweh.

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Andrea Lueg, Deutschlandfunk

Gerade davon, daß Durham, North Carolina, nicht der Nabel der Welt ist, nicht so schillernd wie New York, nicht so lässig wie San Francisco, ohne den Südstaaten-Charme von New Orleans oder das Ally-McBeal-Ambiente von Boston, versprach ich mir einen Blick hinter die Kulissen des ganz normalen Amerika. Schon die Fahrt vom Flughafen zum „Forest“, dem Apartment Block, der für die nächsten vier Wochen unser Zuhause sein würde, brachte ein paar Einblicke. Eric, der freundliche Fahrer, erzählte mir von dem Ort Kerry, wo die meisten Angestellten leben, die im Research Triangle arbeiten. In dem in den 50er Jahren eingerichteten Wissenspool der Universitäten in Raleigh/Durham/Chapel Hill werden wissenschafltiche Erkenntnisse für Unternehmen nutzbar gemacht und das Wissen aus den drei renommierten Hochschulen der Gegend in die Wirtschaft transferiert. „Die Dichte an Doktortiteln ist dort höher als sonst irgendwo in den USA,“ erzählte Eric, „aber irgendwie ist dort alles zu ordentlich und abgezirkelt. Kein richtiges Leben“ meint er. Eric und seine Frau bereiten sich so langsam auf den Ruhestand vor, noch ein paar Jahre, dann soll Schluß sein mit der Arbeit und bis dahin heißt es, ein geeignetes Plätzchen zu finden. Auch dafür ist die Gegend bekannt: viele Rentner zieht es hierher, das Klima ist mild, die Preise für Häuser nicht so hoch wie etwa in Florida. Wir plaudern noch ein bißchen über das Bildungssystem in den USA, bis ich schließlich vor 1207 stehe, meinem Apartment.

Am nächsten Tag, Sonntag, ist es Zeit die Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen, eine bunte Gruppe von Journalisten aus Südafrika, Mazedonien, Vietnam, China, Österreich, Frankreich, dem Irak, den USA, Südkorea und Deutschland. Auf der Suche nach einem geeigneten Frühstücksplatz üben wir uns in dem, was uns in den nächsten Wochen beständig begleiten wird: U-Turns. Immer mal wieder innezuhalten und die Richtung zu wechseln, das war nicht nur auf der Straße nötig, um zum Erfolg zu kommen. Es half auch, Unbekanntes zu ergründen oder liebgewonnene Stereotype zu überdenken.

An diesem Tag begann, was für mich das Kostbarste am Duke-Fellowship ist: der Austausch und die Diskussionen mit den Kollegen aus aller Welt. Zum Teil fanden die in den Challenges-Sitzungen statt: einer oder mehrere KollegInnen berichteten von der Arbeit in ihrer Heimat und den Herausforderungen für den Journalismus dort. Nachdem uns Huyen Vu von ihrer Arbeit unter der vietnamesischen Zensur und Omar Fekeiki von den Bedingungen für einen Journalisten in Bagdad erzählte, Weimin Jiang beschrieben hatte, wie geschmeidig eine Journalistin in Shanghai sein muß und Hristo Ivanovski von seiner Zeitung in Mazedonien berichtete, kamen wir Deutschen uns mit unserer Präsentation über Probleme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks fast banal vor. Doch dank des Interesses der ausländischen KollegInnen entspann sich rasch eine Diskussion: wie, gebührenfinanziertes Fernsehen und Radio? Und das ist kein Staatsfunk? Und die Deutschen sind bereit, über 200 Euro im Jahr dafür zu zahlen? Warum dürfen die trotzdem Werbung senden? Ist das keine Wettbewerbsverzerrung? Ihr habt Radiofeatures von einer halben oder gar einer ganzen Stunde?

Die Challenges-Sitzungen gingen weit über das Thema Arbeitsbedingungen in den jeweiligen Ländern hinaus; ethische Fragen gehörten ebenso dazu wie viele gesellschaftliche Probleme. Aber wir profitierten auch von dem profunden Fachwissen unserer KollegInnen. Allen Cooperman zum Beispiel, bei der Washington Post für den Bereich Religion zuständig, eröffnete mir völlig neue Einblicke in den Zusammenhang von Politik und Religion in den USA. Stephen Smith, Afrika-Redakteur bei Le Monde in Paris, brachte mir einen Kontinent näher, den ich kaum kannte. Michael Tennesen schreibt als Freelancer und Buchautor über Natur- und Umweltschutzthemen, erzählte von Falken, Walen und Haien und nahm uns mit ins Primatenzentrum der Duke-University. Peder Zane, der beim örtlichen Raleigh News and Observer arbeitet, brachte uns mit dem Ombudsman der Zeitung zusammen, eine noch relativ neue Einrichtung bei U.S.-amerikanischen Printmedien, die dadurch ihre zum Teil etwas angeschlagene Glaubwürdigkeit bei ihren Lesern wiederherstellen möchten. Beim anschließenden Barbecue in Peders Garten konnte dann weiterdiskutiert werden.

Überhaupt bot die Duke-University, eine Elite-Hochschule, deren Einrichtungen kaum Wünsche offenließen, die Chance interessante Gesprächspartner zu treffen. Jason DeParle ist mir zum Beispiel im Gedächtnis geblieben. Fünf Jahre lang begleitete er drei Sozialhilfeempfängerinnen mit ihren insgesamt zehn Kindern in Milwaukee, Wisconsin und erzählt damit auch eine Geschichte über Sozialhilfe in den USA. (Jason DeParle: „American Dream: Three Women, Ten Kids and a Nations’s Drive to End Welfare“ ). Vor über zehn Jahren hatte der damalige Präsidentsschaftskandidat aufgerufen, die „Sozialhilfe, wie wir sie kennen“ (welfare as we know it) zu beenden. Was die später durchgesetzten entsprechenden Gesetze für die Betroffenen bedeuten, zeigt De Parle eindrucksvoll und ohne ideologische Scheuklappen. Dabei stellt er die Geschichte schwarzer Armut und der Sozialhilfegesetzgebung in den USA in einen interessanten Zusammenhang.

Mit William Raspberry, einem der wenigen Schwarzen an der Duke University, konnten wir über Stereotype in der Nachrichtenberichterstattung über Afro-Amerikaner diskutieren, aber auch über deren Selbstbild und die Gefahr, als Schwarzer in den USA von vornherein eine schlechte Behandlung zu antizipieren.

Ein interessanter Kontrast zur Duke University mit ihrer neogotischen Architektur und recht elitärem Ambiente war ein Besuch bei der University of North Carolina im nahe gelegenen Chapel Hill. Eine öffentliche Hochschule, die in den Rankings ganz oben mithalten kann und in den letzten Jahren von ihren Alumni 8 Milliarden Dollar Spenden eingeworben hat. Professor Robert Stevenson vom dortigen Fachbereich Journalismus hatte uns eingeladen. Seinen Studenten konnten wir über unsere Medien erzählen und ihren Fragen Rede und Anwort stehen.

Ein Ausflug nach Washington brachte uns nicht nur einige Tage „Großstadtluft“, sondern auch Besuche bei der Washington Post, bei der Voice of America und National Public Radio, dem einzigen nicht-privaten Rundfunksender der USA, der sich zum überwiegenden Teil aus Spenden finanziert, sowie ein briefing im International Press Center. Ein weiteres Highlight in Washington war ein Treffen mit Steve Kull, dem Direktor des Center on Policy Attitudes, dessen Program on International Policy Attitudes nationale und internationale Umfragen zu politischen Einstellungen durchführt.

Das Full Frame Documentary Film Festival in Durham schließlich zeigte erstklassige Dokumentarfilme und bot die Gelegenheit mit Regisseuren zu diskutieren. Der Eröffnungsfilm hatte die Arbeit von sechs Kriegsreporterinnen zum Thema; andere Filme, die mich beeindruckt haben, waren zum Beispiel „The Last Cowboy“ über den harten Alltag eines der letzten Cowboys in Porcupine, South Dakota oder „The Ritchie Boys“, in dem der deutsche Regisseur Christian Bauer die Geschichte einer geheimen Einheit der U.S.-Army während des zweiten Weltkrieges erzählt. Sie bestand vorwiegend aus jungen Deutschen, zum Teil Juden, die nach ihrer Flucht vor den Nazis in den USA eine neue Heimat gefundend hatten. Im Camp Ritchie in Maryland wurden sie in psychologischer Kriegführung ausgebildet und gingen für die U.S.-Army zurück nach Deutschland, um den Gegner auszuforschen, zu verunsichern, zu demoralisieren und schießlich zur Kapitulation zu bringen, denn keiner kannte die Deutschen so gut wie sie. Besonders gefreut hat mich, daß dieser Film nach unserer Rückkehr auch im deutschen Fernsehen gezeigt wurde.

Um das offizielle, ausgesprochen interessante Programm herum gab es viele gute Gruppenerfahrungen: gemeinsame Abendessen, Einkaufstouren in den Supermarkt, ein wunderbares Wochenende in einem Strandhaus und einen Ausflug in die Berge North Carolinas sowie viele Cappuccinos in der Cafeteria des Sanford Institutes, um nur die Highlights zu nennen. Der Aufenthalt im nicht so schillernden North Carolina hat mich bereichert und mir viele neue Einblicke und Eindrücke über ein Amerika gebracht, das ich so noch nicht kannte. Und hoffentlich ein Netzwerk von KollegInnen aus aller Welt. Zumindest lese ich jetzt die Nachrichten aus China, aus Vietnam oder Irak immer mit dem Bild der Kollegen in meinem Kopf. Danke allen Teilnehmern, danke Laurie Bley, die alles möglich machte, was möglich war, und ihrer Kollegin Lynn Furges.

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Cornelia Matzen, Norddeutscher Rundfunk

Viel Nahrung für Seele und Geist

Im Rückblick scheint mir die Zeit in Durham wie ein großes Reservoir an Ideen, Anregungen, guten Gesprächen, unvergessenen Begegnungen. Ein Reservoir, auf das ich glücklicherweise immer wieder zurückgreifen kann, ein großer Fundus. Hier nur die wichtigsten Erlebnisse und Eindrücke, es waren viel, viel mehr!

Die Gespräche mit Claudia Koonz. Ich sah im Vorlesungsverzeichnis, dass Claudia an der Duke lehrt. Sie gehört für mich zu den ganz Großen unter den HistorikerInnen. Sie hat unter anderem zu Frauen im Nationalsozialismus geforscht. Meine Promotion befasst sich mit der Geschichte deutschsprachiger Journalistinnen, Schwerpunkt NS-Zeit, Exil. Ich schrieb Claudia eine schüchterne E-Mail, hängte einen wissenschaftlichen Aufsatz von mir als Attachement an diese vorsichtige Anfrage, ob sie vielleicht Zeit hätte, sich mit mir zu treffen. Der Aufsatz sollte Beleg dafür sein, dass ich es ernst meine mit der Forschung – ohne diesen Beleg wäre es mir noch abwegiger erschienen, dass eine berühmte Professorin sich in ihrem Forschungssemester mit einer unbekannten deutschen Journalistin und Ex-Geschichtsstudentin trifft. Ganz anders: Prompt kam die Antwort. Sie freue sich, dass ich mich melde, mailte Claudia noch am selben Tag, ob ich Lust hätte, in das Café im Buchladen in Durhams „City“ zu kommen? Und außerdem finde am Wochenende an der Fakultät der „Women Studies“ eine Konferenz zu „Gender und Rassismus“ statt. Ob ich schon angemeldet sei?

Die Expertinnen auf der Konferenz berichteten über Friedensbewegungen in Israel und in den palästinensischen Gebieten, über die Rolle von Frauen im guatemaltekischen Bürgerkrieg, über Frauen als Kleinwaffenschmugglerinnen, Engagement in den Vereinten Nationen – höchst anregend, viele potenzielle Interviewpartnerinnen für meine Arbeit zu Hause, gemischtes Publikum, das heißt auch zahlreiche männliche Teilnehmer. Und ich bekam gleich den nächsten Tipp: Joan W. Scott komme nach Durham, ich könne ja versuchen, noch einen Platz in ihrem Workshop zu bekommen. Ich hatte Glück und lernte eine der weltweit berühmtesten Feministinnen kennen. Mit der Kopftuch-Debatte in Europa befasste sie sich gerade – eine echte Bereicherung für mich, aus der Perspektive U.S.-amerikanischer Wissenschaft ein in Deutschland und Frankreich so aktuelles Thema wahrzunehmen.

Mit Claudia Koonz sprach ich zwei Tage später im Buchladen-Café bei Milchkaffee und Brownie auch über die feministische Forschung, die offene intellektuelle Atmosphäre, das selbstverständliche Networking und darüber, dass die meisten hochkarätigen Wissenschaftlerinnen in Deutschland keine Chancen haben – viele gehen in die USA.

Große weite Welt, das Reich der Tellerwäscherkarrieren, Bush-Land – die USA mag ja für viele Vieles sein. Für mich ist sie seit der RIAS-Zeit an der Duke University die Neuentdeckung des Feminismus, der Women und Gender Studies.

Claudia Koonz’ lockere Art, ohne jeden Dünkel zu sein, begegnete uns Duke Fellows überall. Der Duke-Professor und Drehbuchautor Ariel Dorfman kam spontan zu einem Videoabend zu uns ins Appartement. Unser makedonischer Kollege hatte ihn spontan morgens per Mail eingeladen: Dorfman ist Fan des Films „Before the Rain“ des makedonischen Regisseurs Milcho Manchevski. Wir diskutierten über den Film, Ariel Dorfmans neues Stück „Purgatory“, die Funktion von Rehearsals (nämlich die Möglichkeit des Autors, das Stück nach der ersten Publikumsreaktion noch zu verändern oder eventuell zu kürzen, falls notwendig) und und und. Oder das Gespräch mit Chris Hedges, dem Autor von „War is a Force that gives us Meaning“, an der Uni im benachbarten Chapel Hill – selten habe ich jemanden so offen über seine politische Haltung und seine Erfahrungen nach dem Publizieren eines umstrittenen Buches reden hören. Mit seinem aktuellen Projekt hielt er auch nicht hinterm Berg: Die Welt der Neocons will er analysieren – spannend, brisant, kritisch und trotzdem bestimmt ein Lesegenuss, denn der ehemalige „New York Times“-Kriegsreporter schreibt ein wunderbares Englisch.

Wir hatten fast zu wenig Zeit für die Seminare an der Duke. Aber wir haben die wenige Zeit genutzt. Die Unterrichtsmethoden waren allein schon den Besuch der Unisitzungen wert. Zum Beispiel: Detaillierte Fragen zum Thema mussten vorbereitet werden und jede und jeder musste damit rechnen, sie beantworten zu müssen, denn die einzelnen Fragen verteilte die Dozentin an einzelne Studenten und Studentinnen im Hörsaal. Oder in einem anderen Seminar: Hörspiele waren von Arbeitsgruppen als Ratespiele aufbereitet worden – der Ort, um den es ging, durfte in der Geschichte nicht genannt werden – das Plenum war spitze, wir Ausländerinnen hatten keinen Hauch einer Idee, wie die richtige Lösung lauten könnte, aber wir hatten Spaß. Wenig Kontakt hatten wir zu den Studierenden, ich denke, weil sie zum allergrößten Teil viel jünger sind als die meisten Fellows.

Die Bibliothek – ein Traum. Überblick über den weltweiten Buch- und Aufsatzbestand (tatsächlich: alles was je zu einem Thema oder von einer Person erschienen ist), ein Filmarchiv, das keinen Wunsch offen ließ, Öffnungszeiten rund um die Uhr. Neben den Kursen an der Uni und den Lesungen und Vorträgen gab es auch sonst genug Nahrung für Seele und Geist: Jeden Mittwoch eine Jazzsession, exzellente Yoga-Kurse, Joggen um den Golfplatz etc.

Der Ausflug nach Washington ist ja schon oft von anderen Fellows beschrieben worden. Das Highlight unseres Trips war der Besuch bei Voice of America. Unser Gastgeber David Patrician lud uns dann noch in den National Press Club ein, ein sehr gediegener Ort. Beim Billard waren wir uns nicht ganz einig über die Regeln – das einzige interkulturelle Missverständnis des Abends, das die respektablen Persönlichkeiten in den breiten Ledersesseln gerne mit uns diskutierten.

Im Vergleich zu Washington ist Durham natürlich ein Dorf. Ein Dorf mit einer riesengroßen Uni, einem erstklassigen Gourmet-Bioladen, einem entzückenden Buchladen und ein paar wirklich ganz netten Kneipen und einigen hervorragenden Restaurants.
Manchmal habe ich Heimweh nach Durham.

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Frank Nufer-Hessenland, DeutschlandRadio Berlin

Ich bin nach Durham, North Carolina gefahren, um zu arbeiten. Duke University ist eine Elite-Uni, wie es sie in Deutschland einfach nicht gibt. Zur Zeit steht sie auf Platz 13 im internationalen Ranking der Universitäten. Und das ist durchaus berechtigt. Duke ist ausgestattet mit einer unglaublich gut und aktuell bestückten Bibliothek, einem Zeitungen- und Zeitschriftenarchiv und dem Zugang zu über 100 Datenbanken, die in Deutschland weder die Funkhäuser noch an sich gut bestückte Einrichtungen wie bspw. die Bibliothek des Deutschen Bundestags haben. Mit einem Laptop kann man sich überall auf dem Campus ins Internet und in die Datenbanken einloggen und recherchieren. Die Handapparate der einzelnen Kurse stehen komplett einsehbar (passwortgeschützt) im Internet. Dukes Forschung in der Medizin ist Weltspitze und kann sich in der Politik mehr als sehen lassen. Colin Powell schaute vorbei und einige herausragende Diplomaten aus der Clinton Administration unterrichten dort.

Duke ist also ein idealer Platz, um für längerfristige Reportageprojekte Hintergrundmaterial und auch Interview-O-töne zu sammeln, wenn man seine Recherchen dort fokussieren und sich für eine Zeit in den Uni-Betrieb einklinken kann. Ein Monat ist dafür kurz, aber ausreichend, wenn man vorbereitet ist. Es bietet sich z.B. in der Vorbereitung an, eine Liste mit dem Vorlesungsverzeichnis, den Professorenbios sowie dem Stipendienprogramm vor Reiseantritt zu bekommen, um planen und überhaupt einschätzen zu können, was dort recherchierbar ist, wieviel Zeit für persönliche Projekte vorhanden ist.

Was die Einführung in das Unileben angeht, bekamen wir am ersten Tag einen guten Intranetkurs. Dann waren wir mehr oder weniger alleingelassen. Ich hätte mir gewünscht, spätestens nach drei bis vier Tagen Bibliothek und Handapparate zu nutzen und die Kurse zu wissen, in die ich gehen kann. Es hat jedoch eine ganze Woche und viel Nachfragen bei der Betreuerin benötigt, bis wir z.B. endlich so weit waren, die Bibliothek mit ihren Datenbanken zu nutzen. Zugang zu Kursen außerhalb des DeWitt Wallace Center for Public Policy war leider recht schwierig, die amerikanische Bürokratie ist manchmal beachtlich. Die Professoren meiner ausgewählten Kurse zu Ressourcenpolitik und Krisengebieten waren z.B. nicht an der Teilnahme von Gästen interessiert, verlangten ‘Tuition’ (Semestergebühr von mehreren tausend Dollar!), stellten sich quer, waren nicht über das Stipendien-Programm des Dewitt Wallace Centers for Media and Democracy informiert. Dabei hätte eine Teilnahme und vor allem ein Einblick in den online-gestellten Handapparat einen interessierten Journalisten im Handumdrehen auf den aktuellen Stand der politischen Diskussion in Amerika gebracht, wäre damit sehr interessant gewesen!

Ein Hinweis vielleicht noch für diejenigen, die in Zukunft ebenfalls das Radiostudio von Duke benutzen wollen, um einen Radiobeitrag zu produzieren: Es wird auf CoolEdit produziert. ISDN-Leitungen nach Deutschland funktionieren in guter Studioqualität. O-ton-Einspielungen sind jedoch total verbrummt wegen einer altersschwachen Soundkarte. Die Produktion eines 4-min.-Beitrages dauerte trotz Hilfe eines heroisch-einsatzbereiten Technikers aufgrund der nicht enden wollenden technischen Probleme am Ende 11 Stunden! Man sollte in den kommenden Jahren unbedingt nachfragen, ob die Technik ersetzt wurde.

Loben möchte ich ausdrücklich das Berliner Büro der RIAS-Kommission und Herrn Hasters, die eigentlich bei allem z.B. bei der Flugbuchung auch kurzfristig extrem hilfsbereit und freundlich waren. Man merkt dem Team an, wie sehr sie interessiert sind, deutsche Journalisten nach Amerika zu bringen und den kulturellen Kontakt herzustellen. Das muss man auch mal sagen.

Die Idee eines solchen Stipendiums ist hervorragend, denn Duke ist es definitiv wert, was seine Ressourcen angeht! Wenn man sie in Zukunft frühzeitiger und professionell nutzen kann, mag diese Kritik, die mir nicht leicht fiel, einen Beitrag zum Positiven geleistet haben.

Herausgekommen sind bei mir unter dem Strich trotz einiger bürokratischer Schwierigkeiten sehr interessante Recherchen und einige Beiträge, die in der ARD gut gelaufen sind. Ohne RIAS wäre das so nicht möglich gewesen. Dafür vielen Dank!

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Tanja Reinhard, Westdeutscher Rundfunk

Vier Wochen Ausnahmezustand

Etwas nervös und ziemlich ungeschickt versuche ich den Schlüssel im Schloss herumzudrehen. Ich ruckele, nichts klappt. Die Tür bleibt einfach zu. Und das mitten in der Nacht, mitten im Wald, nach drei Flügen inklusive Wartezeit. Ich bin todmüde und gleichzeitig aufgekratzt. Der erste Eindruck: Es ist still hier. Die Appartementhäuser um mich herum liegen im Dunkeln, der Forest schläft. Nur ich nicht. Endlich, die Tür springt auf; nach endlosen Sekunden finde ich auch den Lichtschalter. Und was ich dann sehe, gefällt mir. Eine richtige kleine Wohnung. Mit Küche, Riesenkühlschrank und einem Esstisch für sechs Leute. Noch sieht alles etwas verwaist aus, aber schon drei Tage später werden sich an diesem Platz die meisten von uns Fellows die Bäuche mit Nudeln voll schlagen.

Auf dem Wohnzimmertisch finde ich die aktuelle Mappe, die uns Laurie hingelegt hat. Ich überfliege das Programm für die nächsten vier Wochen. Dann gehe ich ins Bett und mich überfallen noch einmal viele Fragen: Was erwarten die Dozenten von mir, werde ich mich zurecht finden, und vor allem – wer sind wohl all die anderen Fellows, werden wir eine gute Gruppe sein?

Hier sind die Antworten:
Wir waren die beste Gruppe, die ich mir vorstellen kann. Wir waren alle vom ersten Tag an unzertrennlich. Fast jeden Abend haben wir zusammen gekocht. Unvergesslich das echt chinesische seven step Menü von Weimin aus Shanghai. Oder der vietnamesische Abend, den uns Huyen beschert hat. Die zig Packungen Nudeln, die gekauft und vertilgt wurden. An diesen Abenden haben wir uns gut kennen gelernt. Da haben wir das vertieft, was wir am Tag an der Uni erfahren und erlebt haben.

Das Programm war einfach gut. Ein wichtiger Baustein dabei ist, dass sich die Fellows mit ihrer Arbeit – die sie als Journalisten in ihrem Heimatland machen – vorstellen. Da war zum Beispiel Omar. Er lebt in Bagdad, ist dort geboren und arbeitet als Special Correspondent für die Washington Post. Jeder Tag dort ist für ihn Überleben. Niemand in seiner Strasse weiß, dass er für eine amerikanische Zeitung arbeitet – es könnte ihn sein Leben kosten. Aber wie lebt man so ganz normal in Bagdad? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Omar hat uns viel erzählt, hat viele Fotos aus seiner Heimat gezeigt – sein Zuhause, seine Familie, sein Büro, seine Freunde und Kollegen. Viel hat er erzählt vom Leben im Kriegszustand. Von den ständigen Bombenanschlägen, davon, dass er nur mit kugelsicherer Weste aus dem Haus geht. Und trotzdem, Omar ist ein Mensch voller Lebensfreude, ein ziemlich lustiger Typ und vor allem ein hilfsbereiter Mensch, der gut zuhören kann. Und dann haben wir auch noch Jackie Spinner kennen gelernt. Die amerikanische Journalistin, die die vergangenen neun Monate in Bagdad verbracht hat, mit Omar zusammen Geschichten und Interviews im Irak hinterher gejagt ist. Jetzt sehe ich all die schrecklichen Nachrichten, die uns täglich aus dem Irak erreichen, anders – und immer suche ich in den Nachrichtenbildern nach Omar, der vielleicht auch für die Washington Post am Tatortrand steht und mitschreibt oder Fragen stellt.

Fast jeden Tag denke ich auch an Huyen, unsere Kollegin und Freundin aus Vietnam. Sie arbeitet in Hanoi bei einer Zeitung, die auf Englisch erscheint. Jeder Artikel, jede Zeile, die sie schreibt, wird mehrfach von irgendwelchen Regierungsleuten gelesen und korrigiert. Damit auch ja nichts „Falsches“ nach Außen dringt. Alles muss regierungskonform sein. Wer aufmuckt, verliert sofort seinen Job. Und trotzdem hat sich Huyen ihre eigene Meinung bewahren können und ihre Tricks und Wege gefunden, viele der Sanktionen zu umgehen. Für das Stipendium in den USA hat sie eben den englischen Text etwas anders übersetzt.

„Man steht morgens auf und denkt, wo kriege ich Geld her um meine Familie durch den Tag zu bringen“, das hat Akaki Gogichaishvili aus Georgien gesagt. Gastredner bei der Konferenz für „Media Regulation, Censorship und the Potential for Corruption“, bei uns im Institut. Als er über das Fernsehen darüber berichtete, wie korrupt die Regierung ist, hat er Morddrohungen bekommen, ein Familienmitglied wurde entführt, sein Büro zerstört.

Bedingungen, unter denen viele unserer Kollegen weltweit arbeiten. Natürlich weiß ich das. Ich habe oft gehört von verschleppten, entführten, verletzten, inhaftierten oder getöteten Journalisten auf der Welt. Mit Bedauern nehme ich diese Nachrichten auf. Aber ich habe sie dann auch schnell wieder vergessen. Das ist jetzt anders. Jetzt haben diese Journalisten für mich ein Gesicht. Und ich weiß, es kann sie jeden Tag treffen, wortwörtlich. Und trotzdem arbeiten sie – und das gerne. Es wird meine Arbeit beim WDR nicht direkt beeinflussen. Aber die Haltung zu meiner Arbeit. Ich blicke einfach noch mal anders auf meine Routine im tagesaktuellen Geschäft und beim Drehen der Reportagen. Auch wenn ich nicht im Kugelhagel stehe, habe ich eine große Verantwortung, vor allem den Menschen gegenüber, über die ich berichte. Schließlich erwarten sie von mir allen Einsatz, den ich bringen kann, das ist mein Job.

Viel habe ich mit nach Hause genommen von dieser Reise. Viele Denkanstöße. Auch habe ich jetzt verstanden, warum George Bush die Wahl gewonnen hat. Alan Cooperman hat es erklärt. Alan war ebenfalls Fellow, arbeitet bei der Washington Post als Religionsexperte. Und er hat uns ganz genau aufgedröselt, wie Bush die amerikanischen Christen hinter sich bekommen hat. Wie mit dieser religiösen Haltung Wahlkampf gemacht wurde. Grandios erklärt. Überhaupt, welche Rolle Religion und Kirchen in Amerika spielen. Er hat uns erklärt, dass 40% aller Amerikaner nicht an die Evolution glauben, sondern an die Schöpfungsgeschichte. Da bekommt man plötzlich einen anderen Blick auf dieses riesige Land und seine Menschen. Und es wird einem etwas mulmig.

Wir haben viele tolle Leute sprechen können. Das Programm und Laurie haben es uns ermöglicht und alles sorgfältig vorbereitet. Jason deParle zum Beispiel. Senior Writer der New York Times. Hat gerade sein neuestes Buch geschrieben über das amerikanische Wohlfahrtssystem, drei schwarze Frauen und ihre zehn Kinder in Milwaukee. Sehr beeindruckend der Mann. William Raspberry hat uns erklärt, warum Schwarze in Amerika immer noch benachteiligt sind.

Unvergesslich natürlich auch unser Trip nach Washington. Fünf Tage Informationen noch und nöcher. Wir haben ein State Department Press Briefing mitgemacht, die Washington Post besucht und durften dort mit dem Chefredakteur sprechen. Sehr beeindruckt hat mich das Treffen mit Steven Kull vom „Program on International Policy Attitudes“, eine Art Meinungsforschungsinstitut. Das National Public Radio und Voice of America standen unter anderem auch noch auf der Liste. Leider konnte uns Alan (der Religionsexperte) sein Washington nicht mehr zeigen, denn er war inzwischen nach Rom geflogen, um über den Tod des Papstes und die Neuwahl zu berichten. Trotzdem haben wir seine Restaurantvorschläge beherzigt und waren jeden Abend klasse essen.

Letztendlich könnte ich über jeden Tag einen Roman schreiben. Und ich könnte über jeden Fellow unserer Gruppe einen Roman schreiben. Alle haben Spuren bei mir hinterlassen. Oft fallen mir zwischendurch wieder irgendwelche Sprüche ein oder Kommentare oder kuriose Situationen, dann muss ich mich jetzt noch kaputtlachen. Viel haben sie mir gegeben – meine Kollegen aus aller Welt. Ich hoffe, dass sie alle unversehrt bleiben. Denn ich möchte sie wieder sehen und dann genauso viel Spaß haben wie im Frühling 2005.

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Ute Walter, Deutsche Welle TV

„Das kann ja heiter werden“, denke ich, als die Maschine drei Stunden nach der geplanten Abflugzeit immer noch auf dem Rollfeld in Berlin-Tegel steht. Nach drei weiteren Stunden ist der Defekt behoben. Endlich geht’s los – erst Richtung New York, dann weiter nach Raleigh/Durham.

Gleich bei der Ankunft in Durham – der nächste Schreck: Eric, der Fahrer bringt mich zum „Forest“. Das ist eine Holzhaus-Siedlung mitten im Wald. Es gibt einen Pool, einen Tennisplatz und ein Fitness-Studio – aber keinen Lebensmittelladen.

Meine „Schockstarre“ löst sich jedoch schnell. Denn: Die anderen fünf Fellows im „Forest“ entpuppen sich als sehr nette Zeitgenossen. Sie haben sogar schon das nächste Einkaufszentrum ausfindig gemacht. Die Autoschlüssel wandern von einem Neuankömmling zum anderen. Das Carsharing funktioniert von Anfang an perfekt. Das ist auch notwendig, denn Parken ist auf dem Universitätsgelände trotz Parkkarte ein Abenteuer.

Das Programm: „Das kann ja heiter werden“

Auf den ersten Blick wirkt der Zeitplan recht luftig und mir drängt sich die Frage auf: „Was soll ich nur in der ganzen freien Zeit anstellen?“ Doch nach einem halben Tag im Intranet der Universität ist klar: Langeweile wird nicht aufkommen. Vom nächsten Tag an stehen auf meinem Programm: Vorlesungen zum Thema Internationale Beziehungen, rechtspolitische Vorträge und Musik.

Internationale Beziehungen

Professor Joseph Grieco lehrt Internationale Beziehungen. Im Hörsaal sitzen rund 100 Studentinnen und Studenten so um die 20 Jahre alt. Grieco gibt einen Überblick über die Ereignisse in Europa in der Zeit von 1850 bis 1950. In zwei Unterrichtseinheiten ist das „Jahrhundert“ abgearbeitet. Die Begründungen für seine Thesen und weitere Literatur sind im Intranet am sogenannten Blackboard zu finden, heißt es am Ende der Veranstaltung. Nur, dazu bekomme ich als Gasthörer leider keinen Zugang.

Rechtspolitische Vorträge: Namen sind an der Duke Universität wichtig und werden gepflegt. So wird die ehemalige U.S.-Justizministerin Janet Reno ausführlich zu ihrem Leben befragt. Zu aktuellen Fragen, wie zum Beispiel der Ernennung des neuen Obersten Richters am Supreme Court, John G. Roberts, nimmt sie jedoch nicht Stellung.

Wie beeinflusst die Rechtsprechung Politik, oder anders gefragt, darf der Supreme Court mit seinen Entscheidungen Politik machen? Dazu äußert sich Paul Newby, gerade erst gewähltes Mitglied des Supreme Courts of North Carolina. Er vertritt die Ansicht, dass sich die Richter nicht in die Politik einmischen sollten und nur über das zu entscheiden hätten, was ihnen zur Entscheidung vorgelegt wurde. Vor dem Hintergrund der jüngsten politischen Debatte um die Besetzung des höchsten U.S.-Gerichts eine für mich nur schwer nachvollziehbare Haltung. Newby aber zieht diese konsequent durch, zumindest bei dieser Veranstaltung. Denn zu der Frage, ob denn der Umgang mit den Gefangenen auf Guantanamo Bay rechtens sei, bezieht er keine Position – jedenfalls nicht öffentlich.

Meine übrige freie Zeit verbringe ich mit meinem Hobby: der Musik. In den Vorlesungen von Professor Larry Todd erfahre ich Interessantes zu europäischen Komponisten des 19. Jahrhunderts und deren Zeit. Außerdem probe ich im Chapel Choir eifrig mit an Händels Messias. Leider kann ich an den Klassen zur Amerikanischen Literatur, die ich mir zu Hause schon herausgesucht habe, nicht teilnehmen. Im Klassenraum sei kein Platz für mehr als 15 Studenten, so die Begründung. Wirklich schade.

Die erste Woche – die Woche der Diskussionen

In den ersten anderthalb Wochen treffen wir Media Fellows uns fast täglich zur Mittagszeit. Reihum berichten wir über die Situation der Medien in unseren Heimatländern. Am Ende haben wir über die Herausforderungen der Medien in den USA, Korea, Vietnam, Österreich, der Ukraine, in Russland und in Südafrika diskutiert. Betrachtet man die Bedingungen der Medien in Vietnam (Zensur) und Südafrika (nach der Apartheid/Rassismus) dann zerbröseln unsere Probleme in Deutschland glatt zu Staub.

Letztendlich geht es bei allen Systemen aber um die Frage: stimmt der Satz, wer die Musik bezahlt, bestimmt auch, was gespielt wird. Oder anders ausgedrückt: wie viel eigenen Kopf muss / kann sich ein Journalist leisten, um seine Leser / Zuschauer / Zuhörer möglichst umfassend zu informieren.

Insgesamt bekommt das Programm einen Südafrika-Schwerpunkt. Gleich zu Beginn hält der ehemalige U.S.-Botschafter in Südafrika, James A. Joseph, einen Vortrag über „Ethik and Leadership in South Africa“. Die eigentlichen Probleme des Landes verpackt der ehemalige Botschafter diplomatisch geschickt. Sehr direkt und offen spricht dagegen der Schwarzafrikaner William Gumede die Probleme in seinem Heimatland an. Er hat im Frühjahr ein Buch über die „Verfehlungen des ANC“ herausgebracht. Die Kritik hören die jetzigen Machthaber gar nicht gerne und machen dem Autor das Leben schwer.

Die zweite Woche – Besuch in Washington D.C.

Die Zeit für den Ausflug nach Washington ist gut gewählt. Als wir Richtung U.S.-Hauptstadt aufbrechen, halten der IWF und die Weltbank dort gerade ihre Jahrestagung ab. Doch leider sind wir alle als Touristen ins Land eingereist und können uns deshalb nicht offiziell zu den IWF- und Weltbank-Pressekonferenzen akkreditieren. Und dann hält sich auch noch U.S.-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld nicht an die Gepflogenheiten. Er tritt schon einen Tag früher als üblich vor die Presse. Pech gehabt – am Ende bekommen wir also keinen „Big Shot“ zu Gesicht.

Dafür bekommen wir sonst allerhand geboten: Zum Beispiel eine Rede des Neo-Republikaners Tony Blankley. Er bezeichnet Deutschland als „das Ausbildungsland für islamische Terroristen“. Europa werde bald schon von den „Islamisten“ überrannt, wenn es sich nicht endlich wieder zum Christentum bekenne. Seine Argumentation ist wirr und holzschnittartig. Offensichtlich war Blankley noch nie in Europa. Aber er hat seine Anhänger und wird sicher ein gutes Geschäft mit seinem Buch machen.

Es gibt jedoch auch andere Stimmen in Washington, zum Beispiel die von Cindy Sheehan, der Mutter eines im Irakkrieg gefallenen U.S.-Soldaten. Sie hat mit ihren Anhängern rund 100.000 Menschen (so die offiziellen Angaben) auf die Straße gebracht. In der Innenstadt von Washington fordern die Demonstranten U.S.-Präsident Bush auf, den Krieg im Irak zu beenden. Im Fernsehen findet diese Veranstaltung dann ein sehr zwiespältiges Echo. Während der Dokumentationskanal C-Span die Demonstration sehr ausführlich zeigt, gibt es auf den anderen Kanälen wie CNN, Fox und MS-NBC nur kurze Ausschnitte zu sehen. In einer Nachrichtensendung wird sogar der Demonstration von rund 100-Kriegsbefürwortern mehr Sendezeit eingeräumt als der großen Anti-Kriegsdemo.

„Die haben auch keine Geheimrezepte“ – das ist mein Fazit nach unseren Besuchen im Foreign Press Center, beim National Public Radio und bei der Washington Post. Unser Gastgeber bei der Washington Post präsentiert uns stolz seine Quellen: Leider sind die Fakten über Deutschland nicht mehr ganz aktuell. Eberhard Diepgen wird in seiner „Quelle“ immer noch als Regierender Bürgermeister von Berlin geführt. Und das nach drei Jahren Amtszeit von Klaus Wowereit.

Die dritte Woche – die Woche der Tagungen

Zwei Tage lang diskutieren Insider zum Thema „Podcasting“ und unter anderem die Frage, ob und wie die neue Technik die Arbeit von Radio-Journalisten verändert. Eine sehr spezielle Fragestellung. Kaum ist die eine Konferenz zu Ende, beginnt die nächste. Das Thema diesmal: „American Footprint on the World Wide Web“ – klingt spannend. Aber – selbst unsere Muttersprachler strecken die Waffen, verstehen die Argumentation der acht Professoren am Tisch nicht mehr. Da liegt mein Nichtverstehen also nicht an mangelnden Sprachkenntnissen.

Die letzte Woche – die Woche der Gespräche

Arthur Spengler unterrichtet an der Duke Universität „Ethik und Medien“. Drei von uns stellen sich den Fragen der Studenten. Aber auch die interessiert letztlich nur: „wer hat welchen Einfluss auf die Berichterstattung“. Ein Besuch bei der Universität North Carolina in Chapel Hill: Am letzten Tag des Programms wird es noch mal richtig interessant. Robert Stevenson von der benachbarten University of North Carolina hat uns eingeladen, seine Klasse zu besuchen. Er lehrt das Fach „Journalismus und Massenkommunikation“ – hier geht es vor allem um das Erlernen von journalistischem Handwerk.
Die Studenten betreiben ein eigenes Fernseh- und Hörfunkstudio, arbeiten aber auch in den Bereichen Schnitt, Kamera, Grafikdesign und Zeitung. Für Professor Stevenson stellt sich die Frage, wie lange die einzelnen Fächer noch getrennt unterrichtet werden können. Denn die Medienunternehmen verkleinern ihre Teams und Journalisten bedienen die Technik selbst. Im Gegensatz zur Duke Universität sind die Studenten in Chapel Hill an unseren praktischen Erfahrungen interessiert.

Mein Fazit

Das Programm war interessant. Vor allem, weil ich einen kleinen Einblick in die Struktur der amerikanischen Gesellschaft bekommen habe. Es gibt eine Menge ungeschriebene Regeln. Wer die nicht kennt und beachtet, kann ganz schön böse stolpern.
Die intensivsten Diskussionen fanden während unserer abendlichen Essensrunden statt – also im privaten Kreis. Dann taute sogar der amerikanische Kollege auf und bezog Position. Heftig diskutiert wurde über die Formulierung „War on Terror“ oder die politisch gewollte Bevorzugung bisher benachteiligter Bevölkerungsgruppen in den USA. Auf dem Campus – so mein Eindruck – diskutieren die „höheren Töchter und Söhne“ aus der weißen beziehungsweise asiatischen Oberschicht lieber nicht über Politik. Wer öffentlich unbequeme Fragen stellt, erlebt, wie das Auditorium gefriert und ein gerade noch eloquenter Redner zu einem eloquenten Schweiger mutiert.

Ich habe interessante, nette Kollegen kennen gelernt, mit denen ich sicher in Kontakt bleiben werde. Alles in allem: Ja, „es ist heiter geworden“ — im wahrsten Sinne des Wortes.

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Renate Werner, Westdeutscher Rundfunk

Mittagsschlaf im Ledersofa

Die Kombination aus Flughafen-Abholservice, Appartment, Mietwagen und organisiertem Programm hörte sich an, als ob ein Urlaub im Robinson Club auf mich warten würde. Was ich niemals vermutet hätte: es kam viel besser.

Es sind die ersten Eindrücke, die lebendig bleiben, die Ankunft im Appartment und der neugierige Blick in den riesigen Kühlschrank, das prüfende Wippen in den ergonomischen Schreibtischstühlen, die in den Seminarräumen der Duke Universität u-förmig aufgereiht sind, der Anblick schlafender Studenten, die ihre Flip-Flop-Füße von sich strecken und sich in Ledersofas im Treppenhaus räkeln. Das erste Treffen mit den anderen Media-Fellows aus Vietnam, Südkorea, Mazedonien, Deutschland und Washington.

Universitärer Geist bläst den Redaktionsalltag aus dem Kopf

In der ersten Woche sind alle damit beschäftigt, die neu gewonnene Freiheit zu strukturieren: Seminarplan zusammenstellen, Kurse finden und sich vornehmen, das riesige Sportangebot zu nutzen. Media-Fellows dürfen an allen Veranstaltungen der Duke University teilnehmen, und schon am ersten Tag fallen wir drei Deutsche in das Seminar „Who owns the Press“ ein. Vier Stunden im rückenfreundlichen Schalensitz. Da wussten wir noch nicht, dass sich die Gewissensfragen erst nach ein paar Tagen stellen: Soll ich den medienkritischen Vortrag des Kriegsreporters Chris Hedges besuchen oder doch lieber die empfohlene Strecke um den Golfplatz joggen? Hedges lässt sich ja noch mit einem Pilateskurs kombinieren. Einen Tag später funktioniert die Verkettung von „Media Reforms in China“ und „Press and Public Relation“ aber nur, indem ich mich aus den chinesischen Medienreformen vor Ende hinausstehle. Ein Glück, dass manche Veranstaltungen ausser Konkurrenz sind! Und dass es die riesige Bibliothek gibt, in der ich mich stundenlang im Duft der Bücher zurückziehen kann.

In Durham lebt, arbeitet und diskutiert eine Bildungselite. Zeit ist Geld, so wirkt zumindest das geschäftige Campusleben – und inspiriert zum Mithalten: Vier Wochen stille ich meinen Wissensdurst über amerikanische Medien und Demokratie, versuche mir Grundkenntnisse in koreanisch beizubringen, beschäftige mich mit „Gender and Ethnic Conflict“ , verfolge Diskussionen über Probleme amerikanischer Schulen und vertiefe mich erneut in Argumente zum Thema „Kopftuchstreit“ . Und erlebe kostbare Momente, in denen ich plötzlich über den Diskurswandel in der Filmtheorie diskutiere (und damit das Thema meiner Magisterarbeit weiterführe – vielleicht zum ersten Mal nach vielen Jahren Berufstätigkeit).

Zeit stirbt nie. Der Kreis ist nicht rund

„Challenges“ heißen die Treffen, in denen alle Fellows über ihre beruflichen Herausforderungen berichten. Das sind meine Lieblingsstunden: Pressefreiheit in Vietnam, Leben und Arbeiten in Mazedonien oder Südkorea. Ich erfahre z.B., dass Huyen aus Vietnam die Zusage für ihr Stipendium nur bekommen hat, weil sie die Briefe aus den USA für ihre Redaktion selbst übersetzte und dabei „entschärfte“ .

Mit den anderen Fellows entwickelt sich eine ganz besondere Dynamik. Wir gehen nicht nur zusammen aus, sondern entdecken eine gemeinsame Leidenschaft für Filme. Einen Abend kommt sogar Regisseur Ariel Dorfman zum mazedonischen Filmabend hinzu. Das Filmzitat „Time never dies. The circle is not round“ wird unter uns Fellows zum geflügelten Wort für alle Dinge, deren Wahrheitsgehalt anfechtbar ist. Steve Reiss, Redakteur der Washington Post, hat es tatsächlich geschafft, in den vier Wochen vierzig Spielfilme anzuschauen. Das war allerdings auch sein Ziel für die Zeit in Durham.

Kritzegrüne Bluescreens und Zeltstudios

In Washington weht ein anderer Wind: Schon der erste Taxifahrer diskutiert mit uns über Bundeskanzler Schröder und den Irakkrieg. Zahlreiche JournalistInnen, mit denen wir während der fünf Tage Washingtonausflug verabredet sind, führen uns durch Redaktionsräume und Studios wie die von Voice of America, National Public Radio oder dem Foreign Press Center. Wir erfahren, dass das Initiationsritual jedes neuen Redakteurs bei der Washington Post ein Bubenstreich ist: Die netten Kolleginnen und Kollegen verheimlichen eine reglementierte Sitzordnung bei der Redaktionskonferenz und fiebern darauf hin, dass der unwissende den falschen Platz einnimmt und reglementiert wird. Das Ritual ist so alt wie die grünen Polstersessel im Konferenzraum.

Grün ist auch der neue Bluescreen im ARD Studio, den uns Tom Buhrow vorführt; nur einen Knopfdruck später und wir stehen alle vor dem Weissen Haus. Ganz anders der Kollege Stefan Strothe von Sat1, der mit uns über eine Feuerleiter aufs Dach des Gebäudes klettert, wo sich in einem weissen Zelt ein kleines Studio für Live-Aufsager befindet. Obwohl es windet und wir zwangsläufig eine Diskussion über Höhenangst führen, täuscht nichts darüber hinweg: Im Hintergrund steht das echte Weisse Haus. Dort kommen wir leider nicht rein, dafür aber ins State Department. Condoleeza Rice ist gerade in Deutschland, so spricht ihr Vertreter zur Presse.

Washington vergeht wie im Flug und nachdem wir zurückgekehrt sind, rast auch die letzte Woche Durham dahin. Ich habe ein ganzes Buch vollgeschrieben, habe über Themen, Medien und Gesellschaftsphänomene nicht nur nachgedacht, sondern sie auch weiterentwickelt. Universitätsluft tut gut.

Helfen Sie uns!

Ich verlängere das Stipendium um drei private Wochen in New York, die dann doch „dienstlich“ werden. Nun weiß ich auch, welches Korrespondentenbüro die aufregendste Aussicht auf Manhattan hat, welcher deutsche Fernsehsender nach den Wahlen von Amerika erst mal keine Themen aus USA mehr senden wollte, bei wem es im Sommer am heissesten wird und wer in Eile auch schon mal von der Brüstung vor dem Fenster aus Live-Aufsager sendet. Ein paar Tage arbeite ich beim amerikanischen Medienkritiker Danny Schechter mit. Meine Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Mediensystem gipfelt in einer Diskussion über die italienische Kriegsreporterin Giuliana Sgrena, die von amerikanischen Soldaten beschossen wurde, und der ironischen Tatsache, dass der Aufmacher jeder amerikanischen Nachrichtensendung seit Wochen die sterbende Terry Schiavo ist. Was das eher selbstkritische Thema Giuliana Sgrena völlig verdrängt hat. Danny Schechter bekräftigt: pure Absicht!

Das Ende vom Lied: Ein aufgewühlter Schechter, der mich bittet, als deutsche Journalistin zu helfen, die amerikanische Demokratie zu erhalten. Und allen meinen KollegInnen von ihm auszurichten: „Helfen Sie uns!“ Ein bescheidener Auftrag, den mir der Medienkritiker da mit nach Hause gibt. Und plötzlich kommt er wieder, der Gedanke an den Robinson-Club. Ganz kurz hätte ich vielleicht doch lieber eine kleine, leichte Muschel in der Reisetasche.