3-wöchige USA-Journalistenprogramme 2012
Frühjahr und Herbst
RIAS USA-Frühjahrsprogramm
19. März – 6. April 2012
Zehn deutsche Journalisten in den USA: Organisiertes Programm in Washington und New York sowie für alle Teilnehmer jeweils individuelles Praktikum in amerikanischen Rundfunk- oder Fernsehstationen.
TEILNEHMERBERICHTE
Sandra Berndt, Deutsche Welle, Berlin
We are on your side
FOX 4 — in your corner! Die Ecke, um die es hier geht, liegt in South West Florida. Der Sender zum Slogan befindet sich an einer Ausfallstraße in Cape Coral, ein unscheinbarer, flacher Bau. Nur die Satelliten hinten auf dem Dach und Plakate in der Fensterfront verraten, dass hier Fernsehen gemacht wird. Und zwar von Amy Wegmann und Patrick Nolan, sie sind die Gesichter der FOX 4 News. Fernsehen in den USA funktioniert über Personalisierung, das gilt für einen Regionalsender ganz besonders. Vor allem dann, wenn er zwei starke Konkurrenzprogramme hat. Daher gibt es neben Facebook-Seiten und Twitter-Accounts sogar Amy und Patrick für den Kühlschrank, als Magnet. Darauf werben die beiden für die Prime Time News von 22 bis 23 Uhr. Eine Nachrichtenstunde mit nationalen und vor allem lokalen Geschichten. Und — natürlich — mit Werbung. Die Spots füllen 40 der 60 Minuten Sendezeit.
An diesem Montag wird die U.S.-Flagge Mittelpunkt der Mission. Gleich mehrere besorgte Zuschauer haben sich gemeldet, daher macht sich Reporterin Emily zusammen mit Kameramann und Praktikantin aus Deutschland auf den Weg. Zwei Flaggen-Zwischenfälle sind zu beklagen. Ein gedankenloser LKW-Händler in Fort Myers hat seine Werbefahne ÜBER den Stars and Stripes angebracht. Das ist in den USA verboten, ein Gesetz regelt den korrekten Umgang mit dem nationalen Symbol. Nichts darf darüber hängen. Sobald Emily ihn darauf aufmerksam macht, flaggt der Lastwagen-Verkäufer vor laufender Kamera um. Der erste Erfolg. They solve problems.
Der zweite Fall ist schwieriger. Auf dem Dach eines ehemaligen Restaurants in Cape Coral weht müde eine ausgewaschene, leicht zerfledderte U.S.-Flagge. Im Laden gegenüber rauchen einige Veteranen regelmäßig ihre Zigarren. Sie wirken beinahe verzweifelt. Der Anblick schmerzt, gesteht ein massiger, tätowierter Mann mit Vollbart. Seine Armee-Marke trägt er an einer Halskette, auf dem Kopf einen Hut in Tarnfarben. Thank you for your service, danke, dass Sie gedient haben. Ein Satz, der in den USA obligatorisch ist, er fehlt auch in diesem Interview nicht. Sie hätten schon einiges versucht, um den Eigentümer aufzufordern, die ramponierte Fahne zu ersetzen. Doch das Gebäude ist schon lange verlassen. Emily verspricht, sich zu kümmern. Dankbar winken die Veteranen dem FOX 4-Wagen hinterher.
Noch während der Fahrt telefoniert Emily. Ihre Schwiegermutter in spe hat eine Immobilienfirma, sie wird auf das Gebäude und den Eigentümer angesetzt. Zurück in der Redaktion ist der Nachrichtenchef zufrieden: In dieser Gegend wohnen viele Rentner, die Veteranen unter ihnen werden sich in der Geschichte wieder finden. Emily moderiert den Beitrag im Studio selbst an und ab, das machen hier alle Reporter. On Air kann sie allerdings noch keinen Erfolg vermelden, der ausfindig gemachte Besitzer geht nicht ans Telefon. Aber FOX 4 wird nicht locker lassen, verspricht Emily. They are fighting for me.
Nach einem Werbespot übernimmt der Wettermoderator. 1,8 Millionen Touristen kommen jedes Jahr, wegen der Strände und natürlich wegen der Everglades. Die riesige Sumpflandschaft ist das größte Naturschutzgebiet des Staates und Heimat für Flamingos, Seekühe und jede Menge Alligatoren. FOX 4 liefert das Ausflugs- und Badewetter. Derzeit ist Spring Break, Frühjahrsferien, die beste Reisezeit. Und die hält, was sie verspricht: Auch am Dienstag nur wenig Wolken bei über 80 Grad Fahrenheit (etwa 27 Grad Celsius) und Windstärke 2. Aber Florida kennt auch andere Zeiten.
An Wilma erinnert sich hier jeder. 2005 hat der Hurricane allein in dieser Ecke des Bundesstaates Milliardenschäden angerichtet. Für die Unwetter-Saison hat FOX 4 eine eigene Ecke im 360-Grad-Studio: Storm Patrol. Im Falle eines Falles liefern hier vierzehn Monitore Sturm-Daten. Doch die werden wohl erst im Sommer wieder gebraucht. Derzeit sinkt die Sonne beinahe kitschig vom klaren Himmel ins Meer, das Zuschauerfoto des Tages wird eingeblendet. Das Team im Studio schwärmt, der Wettermoderator gibt zurück an Patrick Nolan. „Gleich zeigen wir Ihnen, dass auch eine Hochzeit in schusssicheren Westen romantisch sein kann.“ Wieder Werbung.
Patrick greift zur Wasserflasche. Daneben liegt die Puderquaste. Moderatoren und Reporter schminken sich hier selbst. Ein kurzer Blick in den Kosmetikspiegel. Die Oberlippe glänzt, Patrick tupft nach. Dann geht das Rotlicht wieder an.
Ein Mann hat sich selbst ins Krankenhaus von Fort Myers eingeliefert. Die Bilder von seinem Auto zeigen Einschusslöcher. „Sobald wir mehr wissen, informieren wir sie.“ Jetzt erstmal zur nächsten Rubrik: Der „Facebook Friend of the Day“ wird vorgestellt. Auch so bindet man Zuschauer. Und füllt Programm.
Das FOX 4 Team hat 80 Mitarbeiter, in der Regel aber nur 3 Reporter für die Spätschicht. Neben den selbst gedrehten Berichten werden daher auch nationale Geschichten gesendet, das Material kommt von CNN und FOX, beide Networks sind an dem Sender beteiligt. Der berichtet jetzt über eine etwas andere Hochzeit. In Kentucky können Paare ihr Jawort mit einer Schuss-Salve besiegeln. Die frisch Vermählten lächeln glücklich in die Kamera. Heiraten im Schießstand — dieser Tag ist wirklich etwas Besonderes. Patrick schmunzelt. Jetzt noch einmal rüber zum Wetter. Dann ist es 23 Uhr, die Gesichter der wichtigsten Nachrichten-Stunde bei FOX 4 sagen Danke fürs Zuschauen. Und wenn Sie mögen, bis morgen.
Ende der Woche ist die Flaggen-Mission übrigens tatsächlich erfüllt. Auf dem Dach des ehemaligen Restaurants steht nur noch der nackte Mast, die zerfledderte Fahne ist verschwunden. Problem gelöst, dank FOX 4 — they are in your corner and on your side.
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Ariane Binder, 3Sat, Mainz
Washington
Wer nach Amerika will, muss sich erklären. Das Einreisepapier ESTA fragt, ob ich an einer ansteckenden Krankheit leide? Nein. Mal in psychologischer Behandlung gewesen? No. Drogenabhängig? Involved in espionage? Or genocide? Nein, nein, nein. Trotzdem fühle ich mich ein bisschen schuldig. Weil ich allein „Tourist“ ankreuze, also verschweige, dass ich auch als Journalist komme. Besser, als einer von zehn RIAS-Teilnehmern, die wissen wollen, was das ist, „das wahre Amerika“. Drei Wochen im Land von Obama, Tea Party und Finanzkrise liegen vor uns und das in einem Superwahljahr. Unsere kulturellen Dolmetscher: CNN und Fox, Brookings Institution und Heritage Foundation. Amerika von links und rechts betrachtet, aus der Perspektive der guten alten New York Times oder der Zukunft der schönen neuen Bloomberg-Welt. Crashkurs nennt man das.
Und der beginnt mit einem Ausflug in amerikanische Geschichte. Ein Ausflug zur National Mall, Washingtons Ehrenmeile. Jefferson, Lincoln und Roosevelt — hier haben die Helden des Landes ihren Platz gefunden. Triumphe und Niederlagen in Mahnmale gegossen: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg. Von Korea, dem vergessenen Krieg, zu Vietnam, dem Krieg, den keiner vergessen kann. Unsere Stadtführerin erklärt uns die Bilder, die sich das Land von sich selbst macht. Leider ist nicht jedes, das gut gemeint ist, auch — gut. Höhepunkt in Sachen Memorial-Kitsch: Martin Luther King als Zehnmeter-Koloss. Ein Werk, das mich sehr zum Nachdenken anregt: Warum weißer Granit für den ersten Schwarzen, der hier geehrt wird? Warum ein Bildhauer, den Mao-Zedong-Statuen berühmt machten? Und: Wie schafft man es bloß, auf diese Art 120 Millionen Euro zu verbauen? Zeit für mehr Fragen bleibt nicht, denn Jon Ebinger klopft auf die Uhr. Dabei müssen wir doch — Alles weiß! Wunderschön! — noch die Kirschblüten am Potomac bewundern. Ach, die Zeit reicht nie auf dieser Reise …Nicht im State Department, nicht im Kongress, wo wir beinahe verloren gehen im Strom derer, die wissen wollen, was das Land bewegt.
St. Petersburg
Mildes Lächeln, wenn ich in Washington meine Zwischen-Station ankündige: St. Petersburg, Florida gilt als beschauliches Rentner-Paradies. Für Aufregung sorgt allenfalls Scientology, die nebenan in Clearwater ihre Zentrale haben. Trotzdem wird mir schnell klar, warum die RIAS-Kommission die Frau von Kulturzeit hierhin schickt: Auf 240 000 Einwohner kommen sechs Museen! Neben dem Klassiker für Fine Arts und dem Florida Holocaust Museum, brüstet sich die Stadt neuerdings mit einem Dalì Museum. Kunst, die heute nicht mehr halb so spektakulär ist wie die Architektur des Museums und sein wunderbarer Garten. Das Schönste: draußen hat man Dalì pietätvoll ent-kitscht. Keine Statue mit Schubladen-Busen. Keine schmelzende Uhr nirgends.
Ehrlich gesagt, geht es hier touristisch aber weniger um Museen als um Strände. Um „St. Pete“ sind sie weiß wie Papier, fein wie Puder. Und weil das vielleicht zu gefühlig klingt, erklären mir alle, dass es sich hier um „America´s number one beaches“ handelt, also wissenschaftlich nachgewiesen: „Sehr gut.“ Sie sind in der Tat grandios schön! Leider ist nicht alles schön in St. Pete. Besser gesagt, manches Schöne ganz schön verbaut. Oder leer! Abseits von Downtown lässt die Stadt ahnen, dass Florida mittlerweile auch zu den Bundesstaaten mit den meisten Zwangsversteigerungen gehört. Wovon auch die Obdachlosen im Park neben dem Hotel zeugen.
Das andere Gesicht von Florida: Die Redaktion von Bay News 9 gewährt mir Einblicke. Es gibt eine Menge Crime. Viel Wetter und Verkehr, sehr freundliche Kollegen und ein paar journalistische Besonderheiten, die etwas anders sind als bei uns. Da veröffentlicht man etwa das Polizeifoto einer 17-jährigen, die gerade zum dritten Mal festgenommen wurde. Ihr Vergehen: „DUI — Driving under influence“ oder bekifft gefahren. Ein klarer Fall für die Verbrechergalerie. Dass man bei uns erst verurteilt werden muss, um in den News zu landen, findet die Redaktion seltsam: Die Leute wollen doch wissen, wer hier etwas anstellt! Ach so! Auch sonst zeigt man im U.S.-Fernsehen gern, was man hat: Weinende Mörder, verletzte Kriegswaise, Verkehrsunfälle …
Sagt so viel schonungsloses Bild jetzt a) mehr über die Wirklichkeit? Oder stumpft es b) ab? Ich bin eine klare b)-Kandidatin und muss mich auch von dem Mordprozess, zu dem mich Bay News schickt, erst mal erholen. Das gibt es bei uns auch. Jugendliche, die Drogen nehmen, um dann andere Jugendliche zu Tode zu quälen, in diesem Fall am Ende anzuzünden. Zum Glück muss ich die Tränen der Mutter im Gericht aber weder filmen noch senden. Rod Gramer, mein Host, hat zumindest eine historische Erklärung für den Clash of Culture in der Berichterstattung: die Amerikaner liebten „open trials“, weil die Briten früher alles, was sich in den Gerichtssälen abspielte, vor der Öffentlichkeit verbargen („closed trials“). Für mich ist es Sensationsgier. Für Rod ist es Aufklärung. Auf jeden Fall wieder was gelernt über Amerika!
Auch von dem Fall, der die Nachrichten in unserer Zeit nicht nur bei Bay News bestimmte: der Fall Trayvon Martin. Der Junge, der, einzig mit einer Skittles-Tüte bewaffnet, Hobbypolizist George Zimmermann über den Weg lief.
Die alles bestimmende Frage: hat hier einer ein schwarzes Kind kaltblütig abgeknallt oder aus Notwehr geschossen? Das ist in Florida, wo alles passierte, ja möglich.
„Stand your ground“ heißt das Gesetz, das die Rate „gerechtfertigter Tötung aus Notwehr“ locker verdoppelte. Heute sollen sich mit diesem Gesetz sogar Bandenkriminelle erfolgreich verteidigen. „Gaga,“ denke ich. Dabei halten in Florida selbst Demokraten „Stand your ground“ für ein Grundrecht (zumindest die, die mir in sechs Tagen über den Weg liefen). Die Idee, mit einer Waffe herumzuspazieren, gehört also wirklich zu Amerika! Vielleicht sehe ich aber auch nur durch meine Vorurteils-Brille, Schilder an Flughäfen oder Ground Zero — „Ab hier keine Spraydosen und Revolver“ — mit dem stillen Zusatz: „Wir bitten um ihr Verständnis“ …
Um meine Landeskunde geografisch aufzumotzen, nutze ich die Station Week auch für einen Trip nach Süden. Vorbei an Städten wie Fort Myers, die nicht anfangen und nicht aufhören. Nach jeder Tankstelle, jedem Golfplatz denkt man gleich geht’s los und dann doch immer weiter: mit Motels und McDonalds und Subway und Wendy’s.
Mit Sandra Berndt geht’s in die Everglades, dem Paradies für Alligatoren und Angler, Vogelfans und… Orchideendiebe. Womit wir schon bei den Problemen sind. Rick, unser hochmotivierter Guide, erzählt von Touristen, die rare Pflanzen stehlen, von ausgesetzten Pythons, die die Tierbestände leer fressen. „Im Norden trocknen die Sümpfe aus. Im Süden verschmutzt der Kunstdünger der Zuckerrohrplantagen das Wasser.“ Und der Mann, der das alles eigentlich schützen soll, Floridas republikanischer Gouverneur, sagt, hier könnte man doch eigentlich prima nach Öl bohren und überhaupt, wenn es nach ihm ginge: „Alle Alligatoren erschiessen!.“ Seltsamerweise krönt Rick unsere Lektion in U.S.-Ökologie am Ende selbst mit Alligator-Nuggets an Pommes und einer Fahrt auf dem Luftkissenboot: mit 80 Dezibel durchs Naturschutzgebiet. Wir schlimmen, schlimmen Öko-Touristen…
New York
Darf ich statt zwei auch zweieinhalb Seiten schreiben? Dann von Florida noch schnell nach New York. 2006 war ich schon einmal hier. Sechs Wochen im Studio RTL. Damals schwebte die Drohung eines Anschlags fast greifbar über der Stadt: Angst vor Anthrax in Briefen, vor einer schmutzigen Bombe in der U-Bahn. Diesmal sind 9/11 und der Terror kaum ein Thema. Zumindest nicht bei unseren Panels. Trayvon Martin ist es, Mitt Romneys unbeholfene Kampagne oder „Obamacare“, die umstrittene Gesundheitsreform. An Ground Zero, wo damals ein Loch klaffte, herrscht mittlerweile fast touristische Normalität. Trotzdem zeigt uns das Umfrageinstitut Gallup, dass es nicht gut bestellt ist um Amerikas guten alten Optimismus: Immer weniger U.S.-Bürger glauben, dass es die eigenen Kinder einmal besser haben werden. Das Vertrauen in die Politik: im Keller. Vor allem, was der Kongress sagt und tut, gefällt offenbar kaum einem. Ist das heute Amerika? Oder sind es seine smarten Journalisten, Politiker und Spin Doktors, die wir an den Schaltstellen in Washington und New York treffen? Dann muss man sich keine Sorgen machen. Besonders um die Frauen nicht, denn für die gibt es echte role models: RIAS präsentiert uns eine CNN-Moderatorin mit vier Kindern, eine Fox-Kollegin, die vorher Anwältin war. Von der fabelhaften Roxanne Russel, für die kein einzelnes Verb reicht, zur schlagfertigen Clinton-Sprecherin Viktoria Nuland. Und nicht zu vergessen Ally Berger natürlich, meine charmante Gastgeberin bei Bay News.
Auf dem Rückflug — der ohne Fragebogen auskommt — wirkt das Programm mit Wucht: Ich muss einfach eine bessere Journalistin werden! Definitiv! Mehr Politico lesen. Eine VJ-Ausbildung machen? Das macht auch keine Soledad O´Brien aus mir… Trotzdem: 18 Tage Amerika waren wirklich inspirierend. Tausend Dank an Jon Ebinger, Rainer Hasters und die ganze RIAS-Kommission für diese tolle Chance und viele neue Ideen!
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Bertolt Buck, ARD, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Big country with a big heart!
Oft ist es ja der letzte Eindruck, der am Ende einer Reise bleibt, vielleicht mehr Eindruck macht, als er sollte. In meinem Fall war es aber eine Erfahrung, die fast schon idealtypisch für meine Vereinigten Staaten von Amerika steht. In Stichworten: Nach drei grandiosen RIAS-Wochen bin ich auf dem Weg zum JFK Airport. Abflug Richtung Heimat in knapp drei Stunden. Nehme die Subway, will ja RIAS keine Taxi-Kosten aufbrummen. Mist! Alles nicht so einfach. Wo geht‘s hier zur Penn Station, bitte? Bin doch richtig ausgestiegen — oder? „Sorry, I don’t know!“ Kennen die New Yorker ihre eigene Stadt nicht? War mir schon die ganze Woche aufgefallen. Oder sind das alles gar keine New Yorker? Endlich Penn Station! „Excuse me, officer?“ Polizist zeigt mir den Zug Richtung JFK. OK, alles klar. Aber, Long Island Railroad? Egal, wird schon. Zug fährt. Blick auf die Uhr: noch gut zwei Stunden bis zum Abflug. Das wird doch locker reichen? Nach einer Weile Fahrkartenkontrolle. „A Subway card? That’s not a train ticket!” — Credit Card?“ – „No, only cash!” Blöd, dass ich die letzten Dollar einem Obdachlosen gegeben habe, will ich grad denken, da passiert es:
Meine Sitznachbarin, eine etwas müde aussehende Endvierzigerin, hält dem Schaffner einen Fahrausweis hin. Mit leiser Stimme sagt sie ihm, er soll meine Fahrt auf ihrer Zehner-Karte abknipsen. Darauf wird auch der Schaffner weich und drückt ein Auge zu. Wir kommen ins Gespräch — meine Wohltäterin erzählt mir, dass sie mehrfach die Woche nach Manhattan pendelt, um bei reichen New Yorkern für die Kinder zu kochen. Viel mehr als den in der Gastronomie üblichen Mindestlohn von 7,25 Dollar wird sie wohl dort auch nicht verdienen, denke ich. Trotzdem war sie bereit, für die zwölf Dollar, die ich nicht hatte, einzuspringen. Großherziges Amerika! Warum diese Anekdote stellvertretend für meinen ganzen Aufenthalt ist? Weil — egal wo ich während der RIAS-Wochen auf Kollegen und Gesprächspartner getroffen bin — immer waren sie hilfsbereit, offen, herzlich und auch ein wenig neugierig auf den German guy. Das macht das Leben schon einfacher!
„Spartanburg? Interesting!“
Ein Eindruck, der sich wie ein roter Faden auch durch meine station week in Spartanburg, South Carolina, zog. „Where are you going? Spartanburg! Interesting …“ So oder ähnlich war die Reaktion der meisten U.S.-Kollegen, die ich zuvor in Washington gesprochen hatte. Bible Belt, einer der wenigen Staaten, die bei den Vorwahlen der Republikaner an den rechtspopulistischen Newt Gingrich gingen. Besondere Kennzeichen von Spartanburg: Knapp 40.000 Einwohner, Einfallstraßen breit wie ganze Sportplätze und mehr Kirchen als Supermärkte, will man meinen. Ansonsten: ein BMW-Werk, das demnächst für 900 Millionen Dollar ausgebaut wird und Chuck Wright. Wright ist der Sheriff in Spartanburg County — im vergangenen Jahr schaffte er es bis in die Nachrichten der überregionalen Medien, als er nach einer versuchten Vergewaltigung Frauen aufrief, sich zu bewaffnen und selbst für ihren Schutz zu sorgen. „Our form of justice is not making it,“ soll er einem Fernsehsender gesagt haben.
Erster Tag in der Redaktion von WSPA — der CBS-Regionalsender für Spartanburg und die umliegenden Counties. Wahlspruch: „7 on your side“ — ein Markenzeichen, das sonst vor allem ABC-affiliates als Kennung nutzen. Bürgernähe ist das A und O von Channel 7: Im Konferenzraum stehen frisch aufgeschrieben auf dem Whiteboard die Themen des Tages — und direkt darüber der allgemeingültige Kanon dieser „7 on your side“-Redaktion: Jobs, Wirtschaft, Arbeitslosigkeit, wie Steuergelder ausgegeben oder besser noch verschwendet werden, Verbraucherthemen, Probleme lösen.
Bunte Geschichten? Eher nicht, sagt Tom Colones, mein Host, etwas resigniert. Als Kameramann vermisst er die Geschichten, die auch etwas fürs Auge sind. Mit einer technischen Reichweite von mehr als 860.000 Haushalten liegt WSPA national auf Platz 37. Der Sender hat sich wacker durch die schlimmste Zeit der Wirtschaftskrise geschlagen. Besser jedenfalls als die Regionalzeitung, der Spartanburg Herald Journal: Mit ernster Miene erzählt Tom wie die meisten Redakteure beim Herald gehen mussten. Er ist froh, dass er seinen Job als Kameramann noch hat, sagt er. Garantien gibt’s keine, mit seinen 58 Jahren schon gar nicht. Immerhin: Auf seine Krankenversicherung, in die er immer eingezahlt hat, konnte er sich verlassen, als es darauf ankam — ohne sie hätte er seine Herz-Operation nie bezahlen können, sagt Tom.
Geschont wird er trotzdem nicht: Um halb sechs haben sie ihn heute aus dem Bett geklingelt — ein Unfall auf der Interstate. Das Handy ist immer an — permanente Rufbereitschaft. Die Unfallbilder sind abgedreht, Tom sorgt dafür, dass die Bilder noch in die Morgennachrichten reinkommen. Sein Rohschnitt geht unkommentiert als Video auf die Internet-Seite von WSPA. Danach muss er wieder raus. Diesmal mit Reporterin und „problem solver“ Tracey Early. „7 on your side“ im Einsatz für die Bürger: ein Zuschauer hat sich über ein Abflussrohr der Stadt beschwert. Bei Regen spült es ihm den Vorgarten weg. Tracey schaut sich den Schlamassel an, macht ein paar Aufsager, ruft den Bürgermeister an, der stellt eine Lösung in Aussicht. Ende gut — alles gut. Auf der Rückfahrt vom Dreh muss Tom gegen den Sekundenschlaf am Steuer kämpfen. Doch einmal zurück im Sender geht’s gleich in den Schnitt. Bei WSPA sind Kameraleute schon seit langem auch Cutter. Ton-Assistenten gibt es sowieso nicht. Aber mehr und mehr übernehmen nun Videojournalisten Toms Aufgaben. Recherche, Dreh, Text, Schnitt und Vertonung — alles in einer Hand. Noch sind es nur zwei junge Kolleginnen, doch der Trend geht zur „one man band“, erklärt Tom. Gut findet er das nicht, aber ändern kann er es auch nicht. In South Carolina sorgt das „right to work“ Gesetz dafür, dass Gewerkschaften kaum Einfluss nehmen können. Aber bei WSPA gibt es eh keine Gewerkschafter. Wenn er noch Zeit dazu findet, soll Tom auch noch ein paar Zeilen auf der Facebook-Seite des Senders schreiben. 18 Uhr — nach der Sendung kommt Tracey und will noch eine Änderung am Schnitt — für das Online-Video. Am Ende hat Toms Arbeitstag 12,5 Stunden. Nichts Ungewöhnliches. Morgen geht’s wieder von vorne los: „You have to feed the beast,“ grinst Tom.
Social Media? Part of the job!
WSPA-TV News Channel 7 hat gut 64.000 Fans bei Facebook. Nur zum Vergleich: Die Tagesschau kommt auf 106.000 Fans. Was lässt einen kleinen Regionalsender in den USA bei Facebook fast in der gleichen Liga spielen wie das Flagschiff der deutschen Fernsehnachrichten? Ein Teil des Erfolgs in den Sozialen Netzen lässt sich mit Gewinnspielen erklären. Immer wieder werden iPads oder LCD-Fernseher verlost, um die Facebook-Gefolgschaft auszubauen. Aber sonst ist es einfach konsequente, kontinuierliche Arbeit. Gerade von den Gesichtern des Senders wird erwartet, dass sie die sozialen Netze nutzen, um die Sendungen von WSPA zu bewerben. Kurz vor der Sendung wirft Moderatorin Amy Wood noch einen Blick auf ihr iPad. Darauf hat sie nicht nur ihren Sendeplan. Sie nutzt das iPad und ihren Blackberry, um bei Facebook und Twitter Nachrichten zu posten. Minuten vor der Sendung schreibt sie so noch einen kurzen Teaser auf eines der Themen in der Sendung. Amy bezeichnet sich auf Ihrer eigenen Webseite als „interactive news anchor“ und „social TV evangelist“. Kaum jemand ist mit einer solchen Begeisterung und Probierfreude im Web 2.0 unterwegs wie sie: „In den USA sind wir zehn Moderatoren, die das so intensiv machen wie ich.“ Amy nutzt den offiziellen Facebook-Account von WSPA, hat aber darüber hinaus eigene Accounts bei insgesamt 13 sozialen Netzwerken, wobei der Schwerpunkt ihrer Arbeit auf Twitter (20.000+ Follower) und Facebook (15.000+ Fans, 75.000+ Abonnenten) liegt. Natürlich hat sie auch noch ihren eigenen Blog. Langsam zahlt sich der Mehreinsatz aus: In diesem Jahr will WSPA die Marke von einer Million Dollar an Werbeerlösen aus dem Internet-Bereich knacken. Zum Vergleich: Der TV-Bereich wirft immer noch zwanzigmal so viel ab, aber der Anfang ist gemacht. Alle wissen, es geht um ihre Jobs.
24/7-Journalismus
Die Frage nach der „Work-life balance“ stellt man manchmal besser nicht. Bei Amy scheint es aber diese Trennung schon gar nicht mehr zu geben. „I‘m online 24/7“, bekennt Amy mit einem Lächeln — ist das manchmal vielleicht doch ein zu hoher Preis? Diesen Freitag will Amy einen Tag offline bleiben. Jedenfalls hat sie das in ihrem Blog angekündigt. Der „National Day of Unplugging“ ist zwar schon vorbei, aber laut Kampagne ist es nie zu spät für eine Auszeit: Für einen Tag kein Telefon, kein Laptop, keine Tweets, kein Posting — Amy hat es sich fest vorgenommen. Diesen Freitag. Sie hofft, dass sie es schafft, schreibt sie in ihrem Blog…
Am Ende…
sitze ich nachhaltig beeindruckt im Flieger: beeindruckt von der Energie, Initiative und Hilfsbereitschaft, die Amerikaner sich auch in Zeiten wirtschaftlicher Rückschläge nicht haben nehmen lassen. Lange Arbeitstage, nicht mal halb so viel Urlaub wie wir und trotzdem: Sie lassen sich die Freude an ihrer Arbeit und am Umgang mit Menschen nicht nehmen. Ich hoffe, ich habe davon etwas mit nach Deutschland genommen. Was ich definitiv mit im Gepäck habe, ist ein gutes Stück mehr Wissen und Einblick in die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in den USA. Etwas, das ich mir in der Intensität und Nachhaltigkeit niemals hätte anlesen können.
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Gregor Burkhardt, ZDF, Mainz
Toledo, Ohio: Wer Präsident werden will, muss hier punkten
Sonntagnachmittag auf der holprigen Interstate 75: Hinter mir liegt Detroit, vor mir ein paar Tage in Toledo / Ohio, gut eine Autostunde Richtung Süden. Eine Reise ins industrielle Herz der USA hatte mir RIAS-Mann Jon Ebinger versprochen. Als hätte es noch eines Beweises gebraucht: Fabriken und rauchende Schlote ziehen links am Auto vorbei, nur ab und zu geben sie einen kurzen Blick auf das Ostufer des Eriesee frei. Ganz bestimmt kein Ziel für Touristen. Und was soll ich hier? Es heißt, in Ohio entscheidet sich die Präsidentenwahl 2012. Mitt Romney oder Barak Obama.
Mein Gastgeber Anthony Knopps vom lokalen Fernsehsender 13abc hat mir die Telefonnummer vom lokalen Chef der Republikaner gegeben: Jon Stainbrook, schlaksiger Endvierziger, offenbar blondierte Haare, deutsche Vorfahren. Vielleicht dieselben wie Deutschlands ehemaliger Finanzminister, sage ich ihm. Er erzählt mir dafür, dass er deutsche Musik der Böhsen Onkelz mochte, bis er etwas mehr über die bei Skinheads beliebte Band herausfand.
Stainbrook führt mich durch eine muffige Lagerhalle, das örtliche Hauptquartier der Grand Old Party. Auf dem morsch wirkenden Bretterboden lagern sein Schlagzeug und die Überreste des letzten großen Wahlkampfes, blaue Schilder, die für John McCain und Sarah Palin werben. In ein paar Wochen werden sie hier Dutzende Klapptische mit noch mehr Telefonen aufstellen, um so viele Wähler wie möglich anzurufen und von ihrer Partei zu überzeugen. Schließlich gilt es einen Titel zu verteidigen. Bei der Zwischenwahl vor zwei Jahren hat es USA-weit kein anderer Ortsverband so oft klingeln lassen wie die Republikaner in Toledo, erzählt mir Stainbrook stolz. Also wird er seinen Anteil daran haben, dass Ohios Gouverneur und Generalstaatsanwalt seitdem Republikaner sind und der Senatsposten in Händen der Partei geblieben ist.
Toledo mit seinen knapp 300.000 Einwohnern ist keineswegs in Händen der Republikaner. „Das hier ist Indianerland. Du musst schießen, schießen, schießen“, ruft Stainbrook mit ausgestrecktem Zeigefinger. Für John McCain stimmten in der Arbeiterstadt gerade mal 34 Prozent, das reichte nicht gegen Obama. Denn wer Ohio gewinnen will, muss in den Großstädten Cincinatti, Cleveland, Columbus und eben Toledo zumindest punkten. So wie George W. Bush: Zwei Mal holte er rund 40 Prozent in Toledo, hatte dazu die Wähler vom Land fest hinter sich.
Ohio ist swing state, hier entscheiden die Wähler beim nächsten Mal oft anders. Darauf setzt auch Mitt Romney. Er wird in den nächsten Wochen häufiger an der Seite von Jon Stainbrook auftreten.
Doch wenn Ohio entscheidet, welche Themen entscheiden in Ohio? Obamas Gesundheitsreform? Afghanistan? Im fernen Washington hatte uns Lymari Morales vom Meinungsforschungsinstitut Gallup vor ein paar Tagen erklärt, Obamas Chance auf Wiederwahl stehe nicht schlecht. Voraussetzung: Seine Persönlichkeitswerte steigen und die Arbeitslosigkeit sinkt weiter.
Arbeitslosigkeit: Damit hatten sich wohl auch viele Kollegen von Ted Roberts schon abgefunden. 2009 war das. Der Produktionsmanager bei Jeep in Toledo erinnert sich noch gut an die tristen Monate, als das Werk stillstand. Der Mutterkonzern Chrysler hatte Insolvenz angemeldet. Doch Ted Roberts spricht lieber vom Heute und vom Morgen. Schließlich laufen die Bänder wieder — schneller als vor der Krise.
World Class Manufacturing, WCM heißt das neue Credo beim Geländewagenbauer. Es hört sich an, als regierte hier vor ein paar Monaten noch Schlamperei. Roberts kurvt im Elektromobil hin und her zwischen den Produktionsstraßen, auf denen die schweren Jeeps vom Typ Wrangler und Liberty nach und nach Form annehmen. Immer wieder hält er an, um mir zu erklären was WCM bedeutet: Weniger Funken beim Zusammenschweißen der Karosserien, das sieht nur noch halb so spektakulär aus, heißt aber auch weniger Verschleiß und Energieverbrauch. Oder: An den Fließbändern fahren die Regale mit Einzelteilen und Werkzeugen jetzt immer ein paar Meter mit dem Auto und rollen dann zurück zum nächsten. Das spart Laufwege und wertvolle Arbeitszeit.
Der Mann, der das World Class Manufacturing auch nach Toledo gebracht hat, heißt Sergio Marchione. Der smarte Chef des italienischen Fiat-Konzerns übernahm mitten in der Krise die Mehrheit bei Chrysler, kurz nachdem Präsident Obama den Detroiter Autoriesen mit Milliardenkrediten vor dem Aus bewahrt hatte. Ihr Geld hat die U.S.-Regierung nicht ganz, aber inzwischen zu einem großen Teil zurück bekommen. Und genau wie General Motors hat sich auch Chrysler wieder aufgerappelt.
Bei Jeep bauen sie inzwischen an, der Konzern investiert eine halbe Milliarde Dollar, demnächst soll ein neuer Geländewagen vom Band laufen, eine zusätzliche Schicht eingeführt werden. Dass mit dem Umbau im Sommer erst einmal ein paar hundert Arbeiter entlassen werden, scheint hier niemanden wirklich zu stören. Denn am Ende entstehen fast 1000 zusätzliche Arbeitsplätze. Der wichtigste Arbeitgeber in Toledo beschäftigt dann wieder so viele Menschen wie in den Jahren vor der großen Krise.
Freitagnachmittag auf der holprigen Interstate 75 nach Norden, zurück Richtung Flughafen Detroit, vorbei an Fabriken und rauchenden Schloten. Mir scheint, als schlage Amerikas industrielles Herz an dieser Stelle wieder schneller. Hinter mir liegt Ohio: Es heißt, dort entscheide sich die Präsidentenwahl 2012.
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Sonja Gerth, Deutschlandradio, Berlin
Grenzerfahrungen
„Hallo Peter, wir befinden uns gerade vor der Taquería El Taco Tote in der Avenida de las Américas. Wir essen hier zu Mittag und setzen einen Beitrag ab, danach machen wir uns auf in die zentrale Geschäftsstraße, um mit Ladeninhabern zu reden. Wenn wir uns bis 13.30 Uhr nicht gemeldet haben, ruf an!“
Reporterin sein für das Netzwerk „Fronteras“ der National Public Radio Stations im Südwesten der USA ist anders als das, was ich bisher kannte. Zumindest, wenn man mit Mónica Órtiz über die Grenze nach Ciudad Juárez fährt, der „Mörderhauptstadt der Welt“. Sobald sie auf der anderen Seite ist, ruft sie ihren Chef in Arizona an und berichtet ihm genau, wo wir uns befinden, mit wem wir sprechen werden, und wie viel Zeit das in Anspruch nehmen wird. Bleibt der nächste Anruf ca. eineinhalb Stunden später aus, soll er Alarm schlagen. Eine Sicherheitsmaßnahme, die in Mónicas Fall zum Glück noch nicht nötig war, die mich aber mißtrauisch durch die verstaubten Scheiben ihres alten Fords die Straßen beäugen läßt.
Hauptstadt der Mörder
Als sie jünger war, erklärt mir Mónica, ist sie wie viele Jugendliche in El Paso, Texas, an Wochenenden in die Nachtclubs von Ciudad Juárez gefahren. 80 Prozent der U.S.-Amerikaner, die entlang der Grenze wohnen, haben lateinamerikanische Wurzeln. Um über die Grenze zu kommen, muß man (zumindest von Nord nach Süd) nur den Rio Grande überqueren — auf der anderen Seite des betonierten und streng bewachten Grenzlaufs erstreckt sich die 2-Mio-Einwohnerstadt Ciudad Juárez. Und der Alkohol an junge Menschen wird hier früher ausgegeben. Doch mit dem Vergnügen ist es seit ein paar Jahren vorbei. Ciudad Juárez hat nicht nur durch die vielen Frauenmorde in den letzten 20 Jahren einen schlechten Ruf erlangt. Im Jahr 2010 stieg die Gewaltwelle so weit an, dass pro Monat 300 Morde gezählt wurden. Seitdem traut sich so gut wie kein U.S.-Amerikaner mehr über die Grenze, und das war auch der Grund für die zweifelhaften Schulterklopfer, die ich von meinen Kollegen von KRWG in Las Cruces, New Mexico, meiner Gaststation, bekommen habe. „Hey, Sonja fährt nach Juárez! Noch nicht mal ich bin dort gewesen! Warst du dort in den vergangenen Jahren mal?“ Allgemeines Kopfschütteln.
„Mutig, mutig, wir würden uns das nicht trauen. Aber hey, wenn ich mit irgendjemandem rüberfahren würde, dann mit Mónica!“
Alles wird besser…?
Nun sitzen wir also in den frostig kalt klimatisierten Gängen der Staatsanwaltschaft in Juárez und wollen herausfinden, ob die Kriminalitätsrate in den letzten Monaten tatsächlich heruntergegangen ist, so wie Mónica von ihren Quellen erfahren hat. Stimmt, Polizei und Staatsanwaltschaft machten gute Fortschritte seit der Justizreform im vergangenen Jahr, sagt der Oberstaatsanwalt. Zur Zeit zähle man nur noch 100 Morde pro Monat. Und die Aufklärungsrate sei auch nicht so schlecht, wie das gerade eine Nichtregierungsorganisation behauptet hat (nämlich nur bei knapp vier Prozent).
Gewisse Zweifel an den Zahlen des Señor González bleiben, auch als wir eine Gruppe von Bundespolizisten zu einer Art Aufklärungsstunde in eine Oberschule begleiten. Die 12 bis 15 jährigen Jugendlichen sitzen in ordentlichen Schuluniformen in der Bibliothek und folgen mehr oder weniger interessiert dem Frontalvortrag der Polizisten. Sie kennen „La Violencia“ aus eigener Erfahrung — ihr Viertel hat einen üblen Ruf, die Einsteiger in kriminelle Banden haben oftmals das gleiche Alter wie sie (oder sie sind es selbst? Wer kann das so genau sagen?). Trotzdem schockiert es mich, die Antwort der Jugendlichen auf folgende Frage zu sehen: „Wer von Euch hat schon einen Angehörigen, Freund oder Bekannten durch die Gewalt verloren?“ Fast alle Jungen und Mädchen im Raum heben die Hand. Oje, ich frage mich, wo es hingehen soll mit diesem Land, an welchem Punkt man überhaupt je anfangen könnte, etwas zu verbessern. Einen kleinen Lichtblick zum Schluß liefern immerhin die Ladenbesitzer und Ärzte, die wir besuchen. Ja, es werde ein bißchen besser in Ciudad Juárez. Es eröffnen tatsächlich wieder Geschäfte und Clubs. Ein kleiner, hoffnungsvoller Schritt.
Im Rentnerparadies
Da war die Rückkehr zu meinem Gastsender in Las Cruces, dem 350-Sonnentage-im-Jahr Rentnerparadies, doch ein Kontrastprogramm. Aber ein spannendes. Ich habe meine Station Week genauso genossen wie die informativen Wochen in Washington und New York. In Washington konnten wir offenbar als erste RIAS-Gruppe die um Wochen zu früh eingetretene Kirschblüte erleben. Die Frage „Did you see the Cherry Blossoms?“ war der Einstieg in jedes unserer Gespräche. Außerdem hat uns die Arbeitsweise der Think Tanks beeindruckt — diese sind einfach etablierter und spielen eine viel wichtigere Rolle in politischen Entscheidungsprozessen als in Deutschland.
In New York durften wir die geschichtsschwangere (und offenbar leicht asbestverseuchte — deswegen wird das Hauptgebäude ja gerade renoviert) Luft im Sitzungssaal der Vereinten Nationen einatmen. Bei jeder Feuerwehrstation fühlte ich mich an die Helden des 11. September 2001 erinnert. Zudem waren wir tief beeindruckt von den rhetorisch hoch begabten Moderatorinnen, mit denen wir über Vorwahlen, Health Care Reform und Meinungsjournalismus diskutierten. Und der Lockerheit, mit der wir On Air ins Fernsehstudio geführt wurden. Just no flash, please!
Kurzum: ein tolles Programm, das ich nur allen Radio- und Fernsehjournalisten empfehlen kann… mit einem Tipp: nehmt Euch für die langen Fußwege in Washington und New York ein zusätzliches Paar Turnschuhe mit! Eure Füße werden es euch danken!
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Katharina Jahn, Südwestrundfunk, Baden-Baden
Was treibt diese Amerikaner nur an? Diese Frage treibt mich immer noch um. Und zwar die Journalistenkollengen in den für deutsche Augen gigantischen Newsrooms: Hunderte Schreibtische in schier nichtendenwollenden Hallen, dazwischen Großbildschirme, fahrbare Kameras (damit jede neue Recherche gleich im online- oder Fernsehinterview herausgegeben werden kann) und mittendrin im ständigen “Rauschen”: hochmotivierte Kolleginnen und Kollegen, die mit jeder Faser für ihren Job zu “brennen” scheinen. Und dem höchst eloquent Ausdruck geben.
TV-Morning Show moderieren, Kinder abholen (vier sind es, was aber halb so wild sei, mit Zwillingen gehe das ja schneller), und dann auf zum nächsten Termin für den nächsten Dokumentarfilm. Dazwischen plaudert die Kollegin entspannt mit uns und erzählt noch schnell, wie sie den Fall des in Florida erschossenen schwarzen Teenagers Trayvon Martin beurteilt. Meinung — oder, so kann man es auch sagen, eine “Haltung” — scheint hier überhaupt sehr gefragt — gerade auch im Nachrichtenjournalismus. Das Publikum schaltet selbst um zur Konkurrenz, wenn es eine andere Meinung hören will. Zwei Quellen, alle Beteiligten zu Wort kommen lassen und sich persönlich auf keinen Fall festlegen? “Old school” — europäisch eben!
Überhaupt verarbeiten die Kollegen hier eine unglaubliche Flut von Informationen — nicht nur, aber vor allem über Twitter und ähnliche Tools. To win the news cycle, das ist das Ziel, erklärt uns ein Politikredakteur von Politico in Washington. Nicht jeden Morgen, nein, jede Minute. 24 Stunden am Tag. Bei Politico höchst erfolgreich. Das Rezept: “We care very deeply.”
Genauso unermüdlich ist dann auch meine wunderbare Gastgeberin in der station week: Morning Show im Country Radio KKNU-FM in Eugene, Oregon, dann ein Interview aufzeichnen, und schon der nächste Termin. Ein Gesundheitszentrum für Nicht-Versicherte, in dem Ärzte und Studenten ihre Zeit spenden. Ob es etwas ändert, wenn der Supreme Court Präsident Obamas Gesundheitsreform für verfassungsgemäß erklärt? Nein, sagt die Leiterin, wir werden immer Patienten haben, die durchs Netz fallen. Das Gebäude hat die hochmoderne Privatklinik am Ort bezahlt: fürs Image, aus Menschenfreundlichkeit, oder damit der Emergency Room entlastet wird? Erste Nothilfe bekommt auch, wer nicht zahlen kann — allerdings auch nicht mehr.
Beim Register Guard, der Zeitung von Eugene, ist heute eine “flag story” Thema: Eine Schule hat die Schüler Flaggen ihrer Herkunftsländer an die Wand malen lassen. Das Problem für einige Anwohner: Die U.S. Flagge ist in der falschen Ecke und zu klein geraten, die mexikanische zu groß. Auf der Internetseite des Register Guard kommentiert die halbe Stadt die Artikel dazu!
Auch Einkaufen ist ein Erlebnis in Eugene (in Washington auch gern die “Volksrepublik” genannt): In manchem Supermarkt gibt es nur Bio und Vollkorn (in Papiertüten), Bäcker backen vegane Torten (mit Kokosmilch!). Die nächste Überraschung kostet genau 20 Dollar: Ein Strafzettel im Parkhaus. Die grüne Farbe rund um meinen Stellplatz war kein Designelement sondern hieß: hier parken nur Elektroautos. “Tolle Sache, oder?,” strahlt mich die freundliche Kassiererin im Rathaus an.
Nach Portland, in die größte Stadt Oregons, fahren wir mit dem Zug, eine der wenigen Zug-Pendlerstrecken in den USA. Die Waggons sind etwas älter (in Spanien ausrangiert), aber haben gratis Wifi. Beim Abendessen mit Journalistenkollegen geht es wieder um den Trayvon-Martin Fall. Das “stand your ground”-Gesetz aus Florida verstehen sie hier nicht. Trotzdem: Vier Menschen gerieten in Portland dieses Jahr schon ins Polizeifeuer, weil sie eine Waffe hatten — oder gehabt haben könnten. Bei Drogen geht es weniger streng zu: Ob Rückenweh oder andere Beschwerden — beim Hausarzt gibt’s in Oregon die Marihuana-Karte.
Dann geht es nach New York — und noch einmal um Meinungsbildung. Bei der UNO, bei Fox, CNN, der New York Times und Bloomberg — zwei der beeindruckendsten Gebäude in denen Arbeits- und Freizeit verschmelzen (sollen?) — und dem American Jewish Comittee. Just an dem Tag, an dem Günther Grass seinen israelkritischen Brief in den Medien platziert hat. Eine hochspannende Diskussion mit einem beeindruckenden Gesprächspartner.
Was bleibt? Die Faszination vor einer solchen Arbeitsmoral, eine Menge Überraschungen und: ein plötzlich sehr viel aktiveres Twitter-Account.
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Christiane Justus-Bahrdt, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Als ich nach Paonia kam, war John Wayne schon da. Und auch Charles Bronson hätte hier aus einem Saloon spazieren können. Alles in der Hauptstraße des 1000-Einwohner-Dorfes in Western Colorado erinnert an eine Filmkulisse, auch wenn hier nie ein Streifen gedreht wurde. Im Hintergrund die schneebedeckten Spitzen der Rocky Mountains — und ihnen zur Ehre trägt auch die Radio-Station den Namen Mountain Grown Public Radio.
John Waynes Konterfei hängt im Schaufenster gleich neben der kleinen Radio-Station. Mein Host Ariana hatte mir schon per Mail angekündigt, dass es die beste Zeit für einen Besuch wäre, denn gerade sei richtig was los im Sender: der Spring Pledge Drive, eine riesige Geldsammelaktion. Die öffentlichen Sender müssen sich in Amerika zu einem Drittel über Spenden finanzieren — in einer so kleinen Radio-Station heisst das: Freiwillige aus dem Ort setzen sich ans Spendentelefon, Fans des Senders bringen auch schon mal einen 50-Dollar-Schein persönlich vorbei und alle Moderatoren überlegen sich besondere Aktionen, um die Hörer zum Spenden zu bewegen. Ariana, die im vergangenen Jahr mit RIAS zwei Wochen in Deutschland war, hatte mich gebeten, mit ihr gemeinsam die Morgensendung zu moderieren — damit ich vom deutschen System der Rundfunkgebühren berichten konnte. Das hat offensichtlich gewirkt: allein in dieser 90-Minuten-Show kamen 1000 Dollar zusammen. Und für mich war’s witzig, auf englisch „on air“ zu sein. Die Spendenbereitschaft der doch übersichtlichen Hörerschaft hat mich wirklich beeindruckt: am Ende der Woche waren 40000 Dollar im Topf.
Die Radio-Station, ein Dreh- und Angelpunkt im gesellschaftlichen Leben Paonias, bildet eine richtige Community. Nicht nur die Räume werden auch öffentlich genutzt, sondern DJs aus dem Ort moderieren die zahlreichen Musiksendungen, alles ist demokratisch organisiert. Die Nachrichtensendung allerdings macht Ariana ganz alleine. Sie ist die einzige ‚richtige’ Journalistin im Sender. Im kleinen Ort gibt es davon mehrere — denn hier haben auch die High Country News ihren Sitz. Kein kleines Lokalblatt — eine siebenköpfige Redaktion stellt hier alle 14 Tage ein Hochglanz-Umweltmagazin her. Den Autoren hat mich Ariana bei einem Bier aus der dorfeigenen Brauerei vorgestellt — ein wirklich leckeres Bier gibt es hier übrigens, weil das Wasser aus den Bergen so sauber ist. Andere Journalisten und Dorfbewohner lernte ich bei einem extra für mich organisierten Abendessen bei Freunden kennen. In der Mitte von Nirgendwo Diskussionen über Bio-Anbau, Ressourcen-Schonung und Wasserqualität — dem Klischee vom ignoranten, Energie verschwendenden Amerikaner zum Trotz. Die meisten Leute, die ich getroffen habe, waren schon mal in Europa, einige in den Alpen wandern, andere die Loire-Schlösser besichtigen, nach Berlin wollen sie alle.
Auch in Paonia dreht sich viel um die Präsidentschaftswahlen — die Öko-Bewegten setzen weiter auf Obama, obwohl sie viel mehr von ihm erwartet hatten. Bei anderen im Dorf stehen Werbeschilder für Rick Santorum vor dem Hauseingang. Als ich mit einer Bewohnerin ins Gespräch komme, sagt sie mir, dass es ihr vor allem um den christlich-religiösen Hintergrund bei Santorum gehen würde. Kein Wunder in einem Ort, der es mit der Anzahl seiner Kirchen schon mal ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft haben soll. Schon damals gab es siebzehn Kirchen auf einige wenige Hundert Einwohner.
Bei meiner Reise durch Colorado, einem Land mit soviel Weite und so viel Einsamkeit, habe ich bei Country-Music aus dem Radio auch einen Eindruck vom lonesome cowboy bekommen können, bei dem die Unabhängigkeit von allem über allem steht: seine Solidaridität endet am Zaun seiner Ranch. Ein Republikaner kann hier nicht erzkonservativ genug sein, um auf Stimmenfang zu gehen. Der TV-Sender Fox News, der mit dem Slogan ‚Fair and balanced’ wirbt, ist auch hier bei vielen die Nummer 1. Damit kämpft unter anderem auch CBS, wo ich zwei Tage bei den Regionalnachrichten mitlaufen konnte bei meinem dortigen Host Amanda.
In Washington konnten wir uns einen eigenen Eindruck von Fox News machen. Aber selbst nach dem beeindruckenden Gespräch mit der Fox-Anchorfrau Shannon Bream, die äußerlich barbiegleich und rhetorisch auf den Punkt über ihre journalistische Ausgewogenheit sprach, überzeugt mich der Senderslogan nicht so richtig.
Washington. Das Weiße Haus, Capitol Hill, das State Departement: schon tausendmal haben wir es im Fernsehen gesehen, doch was passiert eigentlich hinter den Kulissen? — jetzt wissen wir es. Zumindest annährend. Dabei zu sein, wie die Sprecherin von Außenministerin Clinton, Victoria Nuland , nach dem offiziellen Presse-Briefing noch ein „Unter 3“ in einer Ecke des Raumes abhält, weil sie nicht immer allen anwesenden Journalisten traut — das war überraschend. Danach hat sie uns alle für sehr schön befunden — weil wir ja beim Rundfunk arbeiten — ein professionelles Augenzwinkern. Sie hat eine Diplomatenausbildung gemacht. Anders als der Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, den wir in New York kennenlernen konnten. Er hat für Reuters geschrieben, aus Ost-Berlin zur Wendezeit berichtet, bevor er die Seite wechselte und über die OSZE zur UN kam. Auf deutsch gibt er uns einen Eindruck von Ban Ki Moons Disziplin und Persönlichkeit, während gleich nebenan auf einer Pressekonferenz über die Syrien-Roadmap von Vorgänger Kofi Annan informiert wird.
Die Woche in New York, die Stadt, die nicht schläft. Wenn ich mich während der ersten zwei Wochen nur ab und an gefragt habe, wie die Amerikaner ohne viel Urlaub soviel Engagement und Motivation für ihre Jobs an den Tag legen — hab ich in New York gar nicht mehr gefragt, sondern nur noch gestaunt: bei CNN, Bloomberg TV und der New York Times. Daran, einen MBA zu machen, weil Fernsehmachen nun mal in erster Linie Geldmachen bedeutet, hatte ich noch nicht gedacht — hier scheint es im quirligen „business“ ziemlich normal.
Zurück zu John Wayne — zwischen ganz vielen Macho-Sprüchen hat er einmal auch etwas Weises gesagt: „Tomorrow hopes that we have learned something from yesterday.“ Was wir durch das RIAS-Programm alles lernen, aufsaugen, erleben konnten, lässt sich in diesen wenigen Zeilen nur andeuten. Es hat meinen Blick auf das Land und seine Leute deutlich erweitert. Vielen Dank! Und nach Colorado fahre ich bestimmt nochmal in meinem Leben, zum Skifahren, zum Wandern und allein schon um mir meinen Cowboy-Hut abzuholen.
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Daniel Pontzen, ZDF, Mainz
Sozialisten und Barbies
Den American Way of Life und das Streben nach Glück zu verstehen, ist nicht immer einfach — manchmal aber bekommt man sogar ein Stück davon ab
Es fehlt nur noch diese eine Karte zum totalen Glück, aber soweit wird es ja wohl kaum kommen, es wäre ein zu kitschiges Ende für diesen ohnehin schon genial — unrealistisch genial — verlaufenen Abend. Den Herz-Buben müsste der Dealer noch umdrehen, dann hätte ich einen Straight-Flush, eine Straße in einer Farbe. Beim Texas Hold’Em, der gängigsten Poker-Spielart, passiert das statistisch etwa einmal in 3200 Spielen. Ich fand, dass nun ein guter Zeitpunkt dafür gekommen war.
Begonnen hatte dieser Poker-Abend fünf Stunden und ein Turnier vorher. Ich hatte mich erstmals zu so einer Veranstaltung angemeldet, 60 Dollar Einsatz, 30 Teilnehmer, sprich: überschaubares Risiko für einen Hobbyspieler, der gewöhnlich nicht in Las Vegas pokert, sondern rund um Mainz-Bretzenheim. Irgendwie aber war es dann konsequent gut gelaufen an diesem Abend: Am Ende des ersten Turniers war ich einer von drei verbliebenen Spielern, sodass der kleine, untersetzte Turnierchef, der ständig zwischen den Tischen umherwuselte, den beiden anderen und mir eine stattliche Auszahlung machte.
„Care for another tournament?“, hatte er dann beim Aushändigen der Dollarscheine gefragt. Das neue Turnier habe gerade erst begonnen, außerdem sei das heute doch nun wirklich mein Tag. Und eines, erklärte er, müsse ich in Vegas verstehen: „Sleep is optional.“
Las Vegas ist nicht die USA, aber wenn man die USA in relativ kurzer Zeit verstehen will, ist Las Vegas kein schlechter Ort dafür, weil die Stadt eine Art hochkonzentrierte Miniaturausgabe der Staaten ist: In dem Land, zu dessen Grundprinzipien Konsum, das Nebeneinander von Arm und Reich sowie das vage Versprechen zählen, dass es jeder zum großen Glück schaffen kann, ist Las Vegas jene Stadt, in der sich all das auf kleinem Raum potenziert: Während sich am Poker-Tisch sämtliche Charaktere der Gesellschaft versammeln, artet rundherum Konsum in Verschwendung aus, Obdachlose kauern auf bunt blinkenden Hängebrücken, unter denen strafraumgroße Limousinen hindurchfegen, und in den abgedunkelten Casinosälen tauschen die Menschen Dollar in Hoffnung ein, verfügbar an jeder Ecke, bar oder auf Kreditkarte.
Doch wie spiegelt sich all das im Journalismus, in der Politik wider? Genau darum geht es wohl beim RIAS-Programm: einzutauchen in den American way of life, um interkulturellen Austausch, um gegenseitiges Verstehen und auch, ganz praktisch, um einen Vergleich der Arbeitsweisen deutscher und U.S.-amerikanischer Journalisten. Mir werden am Ende unter anderem drei Dinge besonders in Erinnerung bleiben: die Helme, das Produkt und die Tatsache, dass jede neue Begegnung einen Lerneffekt birgt.
Die Helme. Eine große Rolle spielt in den USA die Verpackung. Das gilt für alles, für Corn-Flakes-Kartons, für Fernsehsendungen, für Menschen. Gerade wer einen Job im Spannungsfeld von Medien und Politik hat, ist nicht nur Arbeitnehmer, sondern gleichzeitig sein eigener Marketing-Chef. Dazu zählt das Aussehen, zumal beim Fernsehen, bei dem es eine noch größere Rolle spielt als in Deutschland. Zu erkennen war das nicht nur an den Moderatoren, aber an ihnen naturgemäß besonders, vor allem an ihren Helmen: betonhart zusammengesprayten Haar-Arrangements, die manchem Träger auch bei mittelschweren Verkehrsunfällen wertvolle Dienste erwiesen hätten. Besonders beeindruckte mich in dieser Hinsicht die Nachrichten-Moderatorin von Channel 3 in Las Vegas, die auch während der Sendung jede noch so kurze Gelegenheit dazu nutzte, ihren besonders monströsen Helm zu kontrollieren, dank des hierfür stets griffbereit liegenden Spiegels, den sie selbst kurz vor ihren Moderationen offenbar aus praktischen Gründen nicht etwa unter dem Tisch verstaute, sondern immer nur gerade so aus dem Erfassungsbereich der Kamera schob.
Mit ähnlicher Akkuratesse widmete sich die Wetter-Ansagerin bei Channel 15 den Aussichten ihrer Zuschauer. Ihre Kleidungs-, Ausschnitt- und Schminkauswahl hätten ihr fraglos auch in manch anderem Etablissement der Stadt Beschäftigung garantiert, ernsten Anlass zur Sorge bereiteten indes die Absätze ihrer Schuhe, bei jedem Schritt fürchtete ich, sie würde über eines der am Boden liegenden Kabel stolpern, was unweigerlich ein Verrutschen ihrer sorgsam hochgeschnallten Oberweite nach sich gezogen hätte. Eine Performance, die in Deutschland schon aus Gründen der Arbeits- und Sendesicherheit weder TÜV noch Schlussredakteur toleriert hätten.
Der Fehlschluss, dass all das zu Lasten der journalistischen Qualität gehen müsse, lag nahe, erst recht, als wir uns bei FOX News in Washington einfanden — jenem Fernsehsender, der durch seine bemerkenswert krawallfreudigen Kommentatoren national Erfolg und international Empörung erlangt hat — und plötzlich Barbie das Zimmer betrat. Formal betrachtet hieß Barbie Shannon, in Wahrheit aber muss sie die fleischgewordene Vorlage der U.S.-amerikanischen Plastik-Puppe gewesen sein, daran konnte kein Zweifel bestehen: groß, vollendetes American-Beauty-Gesicht, Helm in blond. (Die umgehende Wikipedia-Recherche eines Kollegen ergab, dass sie die erste Schönheitskönigin war, die Miss-Wettbewerbe in gleich zwei amerikanischen Staaten gewonnen hatte.) Hinein stolzierte sie also in den Besprechungsraum, und vermutlich waren nicht wenige wie ich fest entschlossen, sich nun eine Reihe von Vorurteilen bestätigen zu lassen. Es wurde dann allerdings immer stiller im Raum, je länger Shannon sprach, über ‚Obamacare’ etwa, jene vom Präsidenten auf den Weg gebrachte Gesundheitsgesetzgebung, die aus europäischer Sicht Minimalschutz bedeutet, von den konservativen Kommentatoren bei FOX News indes abwechselnd als Beleg für kommunistische oder aber gleich nationalsozialistische Umtriebe des African American Obama herangezogen werden. Penibel wog dagegen Barbie alias Shannon Vor- und Nachteile jener Gesetzgebung ab, argumentierte einfühlsam und machte klar, dass sie sich als Nachrichtenmoderatorin keineswegs der Ideologie-geleiteten Herangehensweise der Kommentatoren ihres Senders bediene — was schon damit zusammenhänge, wie sie sehr beiläufig erwähnte, dass sie früher als Anwältin gearbeitet habe und sich daher lieber an die Fakten halte.
Ich hielt mich fortan an das Faktum, nachdem ich mich auf seltsame Art ertappt fühlte, dass es durchaus Sinn ergibt, genauer hinzuhören, bevor es daran geht, Qualität und Macher des amerikanischen Journalismus zu bewerten. Und dass, nebenbei, gutes Aussehen kein Beweis für Einfältigkeit sein muss.
Das Produkt. Äußerst gewöhnungsbedürftig bleibt auch nach drei Wochen die Schnelllebigkeit des Nachrichtengeschäfts. Wer sich in deutschen Fernsehredaktionen über die internet-getriebene Erhöhung der Schlagzahl beschwert, sollte sich einen Eindruck von der Arbeitsweise der Kollegen in den USA machen. Längst hat sich Nachrichtenjournalismus hier nicht nur online, sondern auch im Fernsehen zum Hochfrequenzhandel gewandelt; der Zuschauer wird in einer Geschwindigkeit durch die Sendung gepeitscht, dass ihm keine Sekunde zum Umschalten bleibt. Alles. Geht. Rast. Los. Wer dasvergleichsweise behagliche Nachrichten-Deutschland gewöhnt ist oder sogar mag, wird Mühe haben sich anzufreunden mit jenen halbstündigen News-Shows, bei denen man wegen ständiger Werbeunterbrechungen und Teaser bis zum Ende das Gefühl hat, dass die Sendung noch gar nicht richtig begonnen hat.
Erheblich beigetragen zur Beschleunigung des politmedialen Kreislaufs hat eine Publikation, die es in dieser Art in Deutschland noch nicht gibt: Politico, ein Internet-Portal, das jede noch so kleine Windung jedes Nachrichtenthemas veröffentlicht, ob inhaltlicher oder personeller Art, größerer oder mikroskopischer Relevanz, damit die Konkurrenz zum immer schnelleren Reagieren zwingt und sich im Ergebnis in kurzer Zeit als eine der meist beachteten Institionen der U.S.-amerikanischen Medienlandschaft etabliert hat.
Auffällig war bei den Politico-Mitarbeitern genau wie bei allen anderen in dem Metier Beschäftigten, dass sie ihr Wirken im Gegensatz zu deutschen Journalisten weniger als Werk denn viel mehr als Produkt verstehen. Und kaum einer unserer Gesprächspartner — egal ob er oder sie im Dienste einer politischen Talkshow, Morning-Show oder eines Internet-Anbieters stand — vergaß zu erwähnen, dass ihr product jeweils marktführend sei, dass man den Morning gewinne, den Nachmittag oder den Abend, je nachdem welchen Markt es für sie gerade zu gewinnen galt.
Ein derart freundliches Selbstverständnis war auch bei der Heritage-Foundation zu besichtigen, jenem konservativen Think Tank, der seine Positionen zu aktuellen Themen stets von seinen konservativen Grundwerten ableite, wie uns der Pressesprecher im einschüchternd pompös ausgestatteten Konferenzraum erklärte. Das product der Foundation, führte er weiter aus, sei research, wissenschaftliche Studien also zu aktuellen Fragen. Bei uns warf das die Frage auf, wie häufig man denn von den Ergebnissen der eigenen Research überrascht werde, wenn man seine Positionen jeweils von den konservativen Grundwerten ableite. Entspannt hob der Pressesprecher seinen Kaffee-Styropor-Becher vom Mahagonitisch, nahm einen Schluck und entgegnete erfrischend ironiefrei, dass das nicht allzu oft vorkomme.
Die Begegnungen. Dass Lobbyarbeit in den USA ein Genre ist, das im Gegensatz zu Europa weniger auf Diskretion denn auf offensive Überzeugungsarbeit ausgerichtet ist, zählte zu den Erkenntnissen dieser Treffen, wie auch die vielen persönlichen Begegnungen zum besseren Verständnis zweier oft ähnlicher, aber eben doch auch oft unterschiedlicher Kulturen beitrugen. Manchmal hatte das primär sprachliche Gründe — etwa als ein Gruppenmitglied bei der nächtlichen Suche nach dem New Yorker Nachtclub „Boom-Boom Room“ zufällig ausgewählte Passanten mit der Frage behelligte, wo denn nun der „Gang-Bang Room“ sei. Das (vermutlich) irrtümliche Vertauschen der Vokale führte bei den Befragten zu einiger Irritation, die jedoch jeweils mit freundlichem Lächeln überspielt wurde.
Freundlichkeit stellte sich mit zunehmender Dauer des Trips als das U.S.-amerikanische Leitmotiv heraus. Die Menschen dort finden Sätze, die einem ein gutes Gefühl geben, auch wenn sie inhaltlich wenig Anlass dazu geben. Ein in ein breites Lächeln eingebettetes „Nice to meet you“ etwa kann — so zeigte sich je häufiger man im Vorbeilaufen wildfremden Menschen vorgestellt wurde — in aller Regel getrost übersetzen werden mit: „Sorry, aber ich habe im Moment wirklich überhaupt keine Zeit.“ Zieht man analog bei „Oh, I am not sure, whether you are completely right about that” die diplomatischen Girlanden ab, bleibt auch nicht viel mehr als die Kernbotschaft, wonach man von der betreffenden Sache leider überhaupt keine Ahnung habe.
Man kann diese amerikanische Freundlichkeit oberflächlich finden, das schon. Man kann sie aber durchaus auch angenehmer finden als grundehrliche deutsche Unfreundlichkeit.
Manchmal lagen gegenseitige Verständnisschwierigkeiten auch in der unterschiedlichen politischen Sozialisation begründet und ließen sich daher nicht mal eben so ausräumen. Etwa als uns in einer Kneipe in China-Town ein Taxifahrer aus Manhattan mit großem Nachdruck erklärte, dass die Wahl des Sozialisten Obama nun wirklich das schlimmste gewesen sei, was dem Land je passiert sei. Der Hinweis darauf, dass man in Deutschland unter Sozialismus geschichtsbedingt etwas anderes verstehe, rang ihm ein höfliches Lächeln ab, das allerdings keinen Zweifel daran ließ, dass er sich des Besitzes der besseren Meinung gewiss war: „Früher haben die Investment-Banker drei Autos gekauft, im Taxi 100 Dollar Trinkgeld gegeben und sich mehrere Ferienhäuser gleichzeitig gekauft.“ Für ihn war das offenbar die höchste Form von Gerechtigkeit, es habe schließlich der Wirtschaft gut getan und sei daher letztlich jedem zugute gekommen. Nun aber sei es mit all dem vorbei, für sehr lange Zeit zumindest, sein Land stehe am Abgrund. Immerhin reichte es für ihn später noch zu einem Steak mit Bratkartoffeln, trotz Obama.
Dem Reiz sinnfreier Dekadenz konnte sich auch die RIAS-Gruppe nicht gänzlich entziehen, so zog sie es eines Abends nach dem Besuch einer sehr angesagten Manhattaner Roof-Top-Bar vor, die gut zehn Blocks zum Hotel, die man nicht nur als Sozialist durchaus hätte zu Fuß zurücklegen können, kurzerhand in einer Stretch-Limo zu bewältigen, um sich anschließend davor fotografieren zu lassen. Der Klimawandel war sehr weit weg in diesem Moment.
Apropos Klimawandel. Ständiger Begleiter unseres Trips war ein frischer Frühlingwind, der es mir ermöglichte, am Ende doch noch meinen ganz persönlichen Frieden mit den Helmen zu schließen.
In Las Vegas war es besonders windig, weshalb ich mich — gestählt durch die neue Erkenntnis, dass Haar niemals störend durchs Gesicht wehen muss — mit einer Dose Spray ausstattete und meine Frisur, den prominenten Vorbildern gleich, kompromisslos fixierte.
So auch an jenem Poker-Abend, an dem ich bei Dämmerung ins Golden Nugget stolziert war. Nun lief in diesem traditionsreichen Casino-Hotel also das zweite Turnier, eine Glückssträhne hatte mich wieder an den Final Table gebracht, und als ich Dame und Neun in Herz zugeteilt bekam und der Dealer der Reihe nach Pik-König, Karo-Acht, Herz-Zehn und Herz-König aufdeckte, erhöhte sich schlagartig mein Puls, was ich mühsam zu kaschieren versuchte. Der Herz-Bube würde mir nun einen Straight-Flush bescheren — jene Kombination, an der der mir gegenüber sitzende gut genährte Texaner mit Kinnbart und Baseball-Kappe eben erst um Haaresbreite vorbeigerauscht war (was ihn dazu veranlasste, seither sämtliche Schimpfworte vorzutragen, die ihm nach dem Verzehr von anderthalb Dutzend Flaschen Miller-Lite noch zur Verfügung standen).
The German, wie ich am Tisch liebevoll genannt wurde, hatte mehr Glück. Herz-Bube.
Ich erinnere mich nicht mehr, wie lange ich danach durch das Labyrinth blinkender Spielautomaten geirrt bin, ich weiß nur noch, dass es sich nicht wie gehen anfühlte, sondern wie schweben. Es war eine sehr kleine Variante des American Dream, aber in jenem Moment war ich mir sicher, dass sie genau das gemeint hatten, die Gründungsvater der USA, damals, mit dem pursuit of happiness.
Als ich dann doch herausfand aus dem Casino, wehte wieder dieser angenehm frische Wind. Der Himmel war schwarz, alles blinkte. Der Helm saß wunderbar.
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Kathrin Schmid, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Die USA sind ein großes Rätsel! — Immer Optimismus, immer Aufbruch – und das in einer Zeit, in der wirtschaftlich und politisch nichts vorangeht:
Während unseres Besuchs wird Obamas Gesundheitsreform im Congress zerrissen. Die Republikaner drehen sich nur noch um die Frage, ob sie einen ehemaligen Hedgefonds-Manager zum Präsidenten machen wollen. Oder doch lieber einen radikalen Prediger? Oder den einst unbeliebtesten Politiker des Landes?
All das tritt plötzlich sogar noch in den Hintergrund, denn Amerika führt leidenschaftlich eine neue Rassen-Debatte. Keine Nachrichtensendung ohne den „Trayvon Martin-Case“. Einige Sender bestreiten gut die Hälfte ihres Programms mit der Geschichte rund um den schwarzen Jugendlichen, der im Kapuzenpulli Süßigkeiten kaufen geht und auf dem Rückweg einem selbsternannten Nachbarschafts-Sheriff begegnet. War es Notwehr oder Fremdenhass? CNN zumindest sieht in dem Tod von Trayvon Martin einen Vorfall, der eine Dynamik entfalten könnte, vergleichbar mit dem „Fall Rosa Parks“. Mehr als 55 Jahre, nachdem die später legendäre Bürgerrechtlerin sich weigerte, ihren Sitzplatz im Bus für einen Weißen zu räumen.
Na dann, willkommen in den USA, im Frühjahr 2012! — Das kann ja heiter werden!
Beziehungsweise hätte werden können… Wenn da nicht die vielen großartigen Begegnungen gewesen wären — mit Gastgebern, Interviewpartnern, Reiseleitern und Kollegen. Dank ihnen sehen unsere drei Wochen so wunderbar anders aus. Und strotzen vor Erfolgsgeschichten:
Etwa bei allen RIAS-Fellows — von Fox und Fox News, über CNN, MSNBC bis Bloomberg News — die uns herzlich in ihren Redaktionen empfangen und spannenden Gesprächspartnern vorstellen. Ausnahmslos jeder kann uns glaubhaft vermitteln, dass sein Sender der beste, der Redaktionsalltag der spannendste und das Team das kollegialste und motivierteste der Welt ist. Beeindruckend!
Und überhaupt sind alle so weit vorne dabei, im Netz… Etwa bei der privaten Washingtoner news station WTOP. Dort begrüßt uns der Chefreporter von zu Hause aus, zugeschaltet per Skype-Videokonferenz. Und erklärt, wie er seine Radiobeiträge nur noch auf iPad und iPhone produziert.
Ähnlich beim seriösen Wortprogramm des Bostoner Radiosenders WBUR, einem Mitglied des öffentlichen National Public Radio-Netzwerks. Das Programm permanent auf Facebook zu begleiten, ist für die Kollegen dort ein alter Hut. Insofern feilen sie bereits an der nächsten Stufe: Twitter. Alle Redakteure sollen selbstverständlich ihre Hörer täglich mit Tweets füttern und gleichzeitig von dem Kurznachrichtendienst profitieren. Als weitere, häufig schnellere, „Nachrichten-Agentur“.
Die deutsche Hospitantin kann in dieser Woche nur staunen, sich endlich mal einen Account anlegen, und lernen. Etwa wenn externe Berater den Redakteuren erklären, wie sie über Twitter systematisch Geschichten recherchieren. Fazit des Social Media-Trainers: „Twitter tells you what the Zeitgeist is!“.Die WBUR-Redaktion scheint überzeugt. Ich teilweise.
Nichtsdestotrotz bin ich nach den drei RIAS-Wochen von zwei Gedanken völlig überzeugt: die USA machen in so vielen Bereichen vor, „what the Zeitgeist is“. Und, etwas von dem erfrischenden Optimismus und der Begeisterung für die kleinen Erfolgsgeschichten mitnehmen — das wird auch meinen Redaktionsalltag zu Hause bereichern!
Tausend Dank an Jon Ebinger, Rainer Hasters und das gesamte RIAS-Team für diese großartige Zeit.
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Anette van Koeverden, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Ich jogge — regelmäßig. Und — welch glückliche Fügung — ich habe eine der schönsten Laufstrecken in Hamburg, nämlich an der Elbe entlang.
Seit RIAS kenne ich eine noch bessere: Am White House vorbei, zum Washington Memorial und von dort die Mall lang zum Capitol. Blühen dann noch die Kirschbäume, kommt man sich vor wie im Film.
Ähnlich filmreif war auch die tägliche Pressekonferenz im State Departement, quasi direkt in Hillary’s Schatten. Ein Ende ist bei dieser Pressekonferenz nicht vorgegeben — natürlich nicht. Denn wenn es um nichts Geringeres als die Welt geht, kann man sich nicht auf zwei oder drei Stunden begrenzen. Da muss die Weltmacht genau überlegen, denn schließlich kann schon ein falsches Wort der Sprecherin, die hier ein rigides Regiment führt, eine weltweite Krise heraufbeschwören. Als Deutsche Austauschjournalisten saßen wir natürlich in der letzten Reihe. Nur die Spitze der Nahrungskette sitzt vorne. Das sind Agenturen und die amerikanischen Medien. Erst danach kommt die ausländische Presse, für die es übrigens auch keine Exklusivinformationen gibt. Gespräche off the record nur für Amerikaner ist die Devise.
Weniger Exklusivinformationen, dafür aber jede Menge Daten hält das Forschungsinstitut Gallup Survey bereit. Dort scheint man auf alles eine Antwort zu finden. Sogar auf die Frage, ob Obama wiedergewählt wird. Gut möglich, laut Gallup, denn die Beliebtheitskurve von Obama läuft ziemlich genau an der von Reagan entlang. Darauf wäre außer einem Computer auch niemand gekommen. Und Reagan wurde mit diesen Werten wiedergewählt. Demnach sieht es für Obama nicht schlecht aus, meint Gallup.
Aber RIAS war nicht nur Weltpolitik, Mr. President, Washington und New York. RIAS war auch das pralle Leben. Mich schickte man nach Greenville, South Carolina. Direkt in den „Bible Belt”. Auf der Fahrt nach New Bern wurde mir das sehr bewusst. Immer, wenn nur drei Häuser zusammen standen, gab es mit Sicherheit eine Kirche dazu.
Quasi mittendrin in New Bern sitzt der Lokalsender WCTI12. Wobei die Goldgräberzeiten des amerikanischen Fernsehens hier vorbei sind: Die Studios etwas mitgenommen. Es gibt auch keine Maske. In einer winzig kleinen Kabine müssen sich die Moderatoren selber schminken. Mini-Tische für die Reporter, die alle höchstens 20 Jahre alt waren. Aber als Kollegen erste Sahne. Typisch amerikanisch. Beherzt und offen nahmen sie mich auf und drückten mir Mikro oder die Kamera in die Hand. „Ach, du hast noch keine Filme geschnitten. Kein Problem, zeigen wir Dir.“ Das nenne ich mal mutig.
Der beste Auftrag war eine Reportage über das alte Kino in New Bern, das wieder aufgerüscht wurde. Ich war mit Tori Shaw unterwegs, um alles zu filmen. Tori arbeitet normalerweise allein: Drehen, interviewen, stand up, schneiden. Eben alles. An dem Tag nicht, ich war ihr Assi. Wir sprachen mit dem Verein, der Geld sammelt von Sponsoren. Damit können neue Teppiche verlegt und der komplette Innenraum erneuert werden. Das Dach ist schon saniert und das alles, weil eine Filmpremiere stattfinden soll. Und zwar vom Film „The Lucky One“. Wird ein Riesending. Der Grund, warum das Ganze in New Bern stattfinden soll, ist sehr einfach. Geschrieben wurde die Geschichte nämlich von Nicholas Sparks und der wohnt dort. Wie die Amerikaner ticken, wurde mir dann sehr klar beim Interview mit zwei Ladies, die die Geschicke des Vereins für das Kino leiten.
Freiwillig gibt jeder Geld, vom Staat oder der Stadt verordnet, ist das für Amerikaner der absolute Eingriff in die Freiheit. Interessanter Ansatz, den wir als Europäer gar nicht so nachempfinden können. Aber genau an diesem Punkt habe ich zum ersten Mal richtig verstanden, welches Problem viele Amerikaner mit der Obamacare haben. Eine staatlich organisierte Abgabe für eine andere Gesundheitspolitik, ist für uns absolut sinnig, nicht so für die Amerikaner. Einen Solidargedanken gibt es in dem Sinne nicht. Aber wer viel Geld hat, gibt es dann auch wieder in die Gemeinschaft, aber nur freiwillig.
Als ich mich darüber mit meiner Kollegin Tori unterhielt, entfuhr ihr ein deutsches „Ach, du lieber Gott“. Denn Toris Großmutter stammt aus Berlin. Hat im zweiten Weltkrieg einen amerikanischen Soldaten kennen gelernt und ihn geheiratet. Tori nennt sie deshalb Oma und nicht Grandma oder Granny. Und von dieser Oma stammt das legendäre „Ach, du lieber Gott.”
Es waren viele Eindrücke, die mich in den drei RIAS Wochen geprägt haben, viele Erfahrungen, die noch nachwirken. Danke RIAS für diese Möglichkeit.
RIAS USA-Herbstprogramm
29. Oktober – 16. November 2012
12 deutsche Journalisten in den USA zur Zeit der amerikanischen Präsidentschaftswahlen: Organisiertes Programm in Washington und New York sowie für alle Teilnehmer jeweils individuelles Praktikum in amerikanischen Rundfunk- oder Fernsehstationen.
TEILNEHMERBERICHTE
Jan Philipp Burgard, Zweites Deutsches Fernsehen, Berlin
„Das Beste kommt noch“
Als ich auf einer Wahlparty im Swing State Florida vor dem Fernseher die Siegesrede des Präsidenten erwartete und immer wieder das noch leere Rednerpult eingeblendet wurde, ging ich ins Internet, um mir das am Pult befestigte Siegel des Präsidenten genauer anzuschauen. Darauf hält der Weißkopfseeadler einen Olivenzweig und ein Pfeilbündel. So wird die Bereitschaft zum Frieden, aber auch zum Kampf symbolisiert. Darüber ist ein Wahlspruch zu lesen: „E Pluribus Unum – Aus Vielen Eines“.
Schon 2010 hatte ich in Texas Vertreter der Tea Party getroffen, die keinen Hehl daraus machten, dass sie Obama erschießen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten. Bei Demonstrationen in Washington habe ich Plakate gesehen, auf denen Obama in eine Reihe mit Hitler und Stalin gestellt wurde. Und als der Hurricane „Sandy“ uns zwang, zwei Tage unser Hotel in Washington nicht zu verlassen, verfolgten wir im Fernsehen mit einem gewissen Entsetzen Hunderte TV-Spots, in denen die Republikaner Obama als Vaterlandsverräter, Versager und Lügner darstellten. „Früher attackierten sich Republikaner und Demokraten bei Debatten im Kongress auch schon sehr hart. Trotzdem gingen sie danach gemeinsam zum Abendessen und waren an einem Kompromiss interessiert“, erzählte uns der Pressedirektor des Senates, Mike Mastrian. „Heute ist das undenkbar. Die verfeindeten Lager sprechen nur noch miteinander, wenn es unbedingt sein muss.“
Es liegt nahe, die Ursache dafür allein bei den Republikanern zu suchen, die, getrieben von der schrillen Tea-Party-Bewegung, die historisch bedeutsame Gesundheitsreform des Präsidenten als Sozialismus brandmarkten und im Kongress von Beginn an Obamas Politik grundsätzlich blockierten, um seine Wiederwahl zu verhindern. Seine politischen Gegner stellten sogar die Legitimität des Präsidenten infrage, bis Obama sich gezwungen sah, der Öffentlichkeit seine Geburtsurkunde aus Hawaii zu präsentieren.
Doch auch Obama trägt offenbar Verantwortung dafür, dass sich Demokraten und Republikaner derart zerstritten gegenüberstehen, wie wir in zahlreichen Hintergrundgesprächen mit Journalisten von CNN, FOX, NBC und New York Times erfuhren. Selbst engste Berater hatten Obama davor gewarnt, die Gesundheitsreform sofort ins Zentrum seiner ersten Amtszeit zu stellen, weil sie sich mit ihrem sozialstaatlichen Ansatz gegen alles richtet, was den Republikanern heilig ist. Außerdem traf der Präsident im Umgang mit seinen Gegnern nicht immer den richtigen Ton. Während es Bill Clinton mit seiner kumpelhaften Art beim Bier gelang, Vertreter des ihm ebenso feindlich gegenüberstehenden Repräsentantenhauses bei der Ehre zu packen, war sich Obama meistens zu fein für die Niederungen des Parteiengezänks.
An der verfahrenen Machtarchitektur in Washington hat sich auch nach Obamas überraschend deutlichem Sieg gegen Mitt Romney nichts geändert, denn die Republikaner haben ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verteidigt. Obama muss also einen anderen Weg finden, um in einer der schwersten Wirtschaftskrisen seit dem Zweiten Weltkrieg endlich handlungsfähiger zu werden.
Die Aussichten sind nicht allzu gut, dass die Republikaner jetzt ihre Blockadepolitik aufgeben und plötzlich zum Wohle des Landes konstruktiv mit dem Präsidenten zusammenarbeiten. Es muss nicht gleich Gott sein, der die Rede Mitt Romneys nach seiner Niederlage erhört. Es würde schon reichen, wenn die republikanischen Parteifreunde zuhörten. Romney sagte: „Dies ist eine Zeit großer Herausforderungen für Amerika und ich bete, dass der Präsident unsere Nation erfolgreich führen wird.“
Aus Obamas Siegesrede wird mir ein Satz immer in Erinnerung bleiben: „Heute Nacht, in dieser Wahl, habt ihr, das amerikanische Volk, uns daran erinnert, dass — obwohl der Weg hart und unsere Reise lang war — wir wieder aufgestanden sind, uns zurückgekämpft haben. Und wir wissen, tief in unseren Herzen: Das Beste kommt noch für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Vor dem Hintergrund gigantischer Probleme wie Massenarbeitslosigkeit, Armut und Staatsverschuldung muss gerade deutschen Beobachtern dieser Satz wie Zweckoptimismus vorkommen. Doch unsere RIAS-Gruppe konnte Amerikaner in den unterschiedlichsten Staaten erleben. Amerikaner, die sich nicht ihrem Schicksal fügen, sondern zutiefst an die Selbstheilungs- und Erneuerungskräfte ihres Landes glauben, wenn sie sich etwa sofort an den Wiederaufbau ihrer Stadt machen, nachdem ein Hurricane darüber hinweggefegt ist. So habe auch ich keinen Zweifel — „das Beste kommt noch für die Vereinigten Staaten von Amerika“.
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Fanny Facsar, Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz
Wo Fox draufsteht, ist nicht immer Fox News drin
„Fox News ist der Medienfeind Nummer 1 in den USA!.” Solche Aussagen gehörten zur Grundausbildung während meines CNN-Volontariats in Atlanta vor zehn Jahren. Das ist nicht ungewöhnlich vor dem Hintergrund, dass Fox News und CNN miteinander in Konkurrenz stehen. Und bei dem Kampf um Quote gewinnen fast immer die Nachrichten von Fox News, obwohl das Image des Senders nicht zu den Besten gehört. Parteiisch, manipulierend, republikanisch, Verdreher von Fakten — „Fox News bedeutet Fixed News.” sagen Kritiker. Gleichzeitig ist er der beliebteste Nachrichtensender in den USA.
Als ich erfuhr, dass ich im Rahmen von RIAS eine Woche als Austauschreporterin beim Lokalsender Fox Charlotte im U.S.-Bundestaat North Carolina arbeiten werde, einem Partnersender von Fox News, waren die Erwartungen entsprechend gefärbt. Vor meiner Abreise habe ich über den Sender recherchiert und die Google-Treffer waren alarmierend: „Nachrichten-Chef von Fox Charlotte wegen Diebstahl festgenommen” — „Zwei Redakteure schlagen sich im Newsroom krankenhausreif.” Das schien zum bekannten Klischee von Fox News zu passen.
Es ist der 5. November, der Tag vor der U.S.-Präsidentschaftswahl. Ken White, Nachrichtendirektor von Fox Charlotte, empfängt mich in seinem Büro. Seit zwölf Jahren leitet er den Sender. Er liebt die Rolling Stones, die „Simpsons” und Nascar. „Meine Kollegen beschreiben mich als fleißig, Alphatier, gnadenlos, unersättlich.” sagt er selbst und lacht, „Ich sei angeblich so wie der Chef aus meiner Lieblingsserie ‘The Office’. Doch ich hoffe, nicht ganz so schlimm.” Viel Zeit für Smalltalk bleibt indes nicht, denn die Redaktionskonferenz beginnt und eine Handvoll Reporter plus Moderatoren strömen in sein Büro. Konferenzen sind eine interessante Momentaufnahme über die Verhältnisse in einem Sender, so auch hier.
„Sollten Journalisten bei der Präsidentschaftswahl wählen dürfen?” wirft ein Reporter als Themenvorschlag in die Runde und prompt entsteht eine lebhafte Diskussion darüber, wie viel politische Meinung in Nachrichtensendungen vertretbar ist. Das hätte ich bei einem Partnersender von Fox News nicht erwartet. In einem Lokalsender herrschen offenbar andere Regeln, als im Flaggschiff.
„Die Redaktion muss sich nicht Fox News verantworten, sondern nur ihrem eigenem Programm.” sagt Ken White. Und dieses besteht aus Lokalnachrichten und muss Quote machen. Fox Charlotte trägt den Namen Fox lediglich als Namenszusatz, weil der Sender Fox News bezahlt, um die nationalen Nachrichten als Rahmenprogramm auszustrahlen. Und dieses Geschäft geht auf: Viele Fox News-Zuschauer bleiben dran und machen Fox Charlotte zum meistgesehenen Lokalsender der Stadt.
Auf die Meinungsmache von Fox News kann Fox Charlotte verzichten. Es zählen nur die Fakten. Deshalb hat der Redaktionsleiter seinen Nachrichtenjournalisten verboten bei „The Edge” aufzutreten, einer Sendung, die darauf baut, über Regionalthemen des Tages zu debattieren. Für diese Rolle wurden kurzerhand zwei Radio-Moderatoren engagiert, sie machen jetzt eben auch Fernsehen. Ob das funktioniert, weiß White noch nicht, aber ausprobieren ist hier die Devise. Die Quote entscheidet. Typisch amerikanisch eben.
Und so ist es am nächsten Tag kein großes Thema, wie der Sieg von Romney oder Obama analysiert werden soll, sondern vielmehr: Wie lange die Wahl dauert? Die meisten fürchten nämlich eine internationale Blamage für die USA, wenn sich das Wahldesaster von 2000 wiederholt. Als die ersten „Exit Polls” aus Florida ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden Kontrahenten zeigen, werden alte Erinnerungen wach. Doch plötzlich geht alles ganz schnell und die Wahl ist entschieden. Florida interessiert jetzt keinen mehr.
Manch einer in der Redaktion lächelt verwegen über Obamas Sieg, andere halten sich lieber ganz zurück. Politische Meinung hat in einer Nachrichtenredaktion nichts verloren, nur die Fakten zählen, scheint hier das Maxime. Und es entsteht der Eindruck, dass die Journalisten damit ganz glücklich sind. Vielleicht hatte White auch deshalb kaum Bedenken, als ich um seine Erlaubnis bat einen Beitrag über die Wahlnacht bei Fox Charlotte für das „ZDF spezial: Amerika hat gewählt” zu drehen. Denn dort, wo Fox drauf steht, ist eben nicht immer Fox News drin. Danke RIAS, dass ich das hautnah erfahren durfte.
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Sebastian Filipowski, Westdeutscher Rundfunk, Köln
We hate Sandy! We ? Obama!
Stormy Stormy… eigentlich wollten wir doch nur die U.S.-Wahlen live erleben. Auf den Hurricane „Sandy“ hätte, glaube ich, jeder von uns verzichten können. Aber gut: Jetzt war Sandy nun mal da und damit wurde der Start in unsere RIAS-Zeit ordentlich durcheinander gewirbelt.
Geplünderte Supermärkte, gespenstische Stille in D.C. und ein lahmgelegtes ÖPNV-System. So sah die Begrüßung im politischen Zentrum Amerikas aus — zumindest derjenigen, die es überhaupt nach Washington geschafft haben. Fast die Hälfte von uns war zu Beginn der RIAS-Zeit noch „stuck“ in Germany.
Trotzdem musste es losgehen, denn schließlich wurde uns schon langweilig im Hotelzimmer. Im Regen und bei gefühlten minus zehn Grad ging es dann im „Notprogramm“ durch D.C. — und schon jetzt war klar, dass das eine spannende Truppe ist, die da vom RIAS-Team zusammengestellt wurde. Thumbs up!
Genauso für den Termin bei CNN in Washington. That’s how you do news! 400 Mitarbeiter allein in Washington, D.C. — 4.000 Mitarbeiter weltweit. Allein der Gang durch die CNN-Dependance in der Hauptstadt hat meine Kinnlade runterklappen lassen: Hier werden Nachrichten noch mit Leidenschaft gemacht. Keine zermürbenden Budget-Diskussionen, mit denen wir uns in Deutschland meist mehr beschäftigen müssen als mit den eigentlichen Nachrichten.
Und das sollte uns nicht nur bei CNN begegnen, sondern auch bei NBC News, Bloomberg, ABC News, NPR und all den Medieneinrichtungen, die wir besucht haben. Überall die gleiche Aussage: „News is our buisness, that’s where we spend our money. This is what we do.“ Awesome!
Was wir aber auch lernen mussten: neutral Nachrichten im Tagesschau-Stil verkaufen sich in den USA nur schlecht. Das muss vor allem der Kabelsender CNN spüren, dessen Einschaltquote sich in den USA seit einigen Jahren im freien Fall befindet. News mit Haltung hingegen sind gefragt wie nie: Fox News und msnbc heißen die großen Quotengewinner der Cable-News-Networks in den letzten Jahren. Ihr Erfolgsrezept: Meinungsmache on air — am liebsten zur Prime Time.
Und deshalb kann ich jetzt ganz opinion-driven subjektiv schreiben: Danke U.S.-Amerika, dass ihr gewählt habt. Danke für eure Obama-Wahl, die ganz im Sinne Europas und Deutschlands war.
Kurz vor der Wahl müssen die Umfragewerte aus Deutschland niederschmetternd für Präsidentschaftskandidat Mitt Romney gewesen sein: Nur sechs Prozent der Deutschen würden ihn wählen. Mehr als 80 Prozent sind für den amtierenden Präsidenten Barack Obama. Aber wieso?
Ich bin mir sicher, dass viele Deutsche ein negatives Republican-Bild dank George W. Bush haben: Der Mann, der in den Jahren 2001 bis 2009 der mächtigste Mann der Welt war. Der Mann, der den „War on Terror“ angezettelt hat. Der Mann, der Amerika ohne große Gegenmaßnahmen hat immer tiefer in die Finanzkrise fallen lassen. Der Mann, der beim Hurricane Katrina viel zu spät reagiert hat. Der Mann, der selbst durch peinliche Geschichten aus der Jugend peinlich auffiel.
Obama hingegen ist Mister Obamacare. Obama hat den Krieg im Irak beendet. Obama ist offen für die gleichgeschlechtliche Ehe. Obama kennt die Welt. Und Obama kennt sogar Europa. Für ihn wäre es ein Leichtes, die Wählerstimmen in Europa einzukassieren.
Aber wir haben nicht gewählt! Amerika hat gewählt! Und dank der RIAS Berlin Kommission sind wir live dabei gewesen: Bei Wahlkampf-Auftritten der Kandidaten, beim Kreuzchen-Machen der Amerikaner und bei der Stimmauszählung.
Ich hätte schon stutzig werden sollen, als am Vortag vor der Wahl ein CNN-Reporter ganz opinion-driven im Fernsehen beschrieben hat, wie hinterwäldlerisch in den USA gewählt wird. „Even Brazil is more advanced.“ Leider war ich noch nie in Brasilien, so dass ich diese Aussage leider nicht verifizieren kann. Aber nach den Erlebnissen vom 06. November 2012 würde ich diesem Reporter wahrscheinlich ohne weiteres Recht geben.
In Ohio beispielsweise habe ich gesehen, wie Menschen über drei Stunden bei Temperaturen um den Gefrierpunkt anstehen mussten, um zu wählen. Die Wahlkabinen sind für jedermann einsehbar — geheime Wahl scheint ein Fremdwort zu sein. Und sollten alle „Election Booths“ voll sein, tut es zur Not auch ein Klemmbrett. Das Motto lautet: Hauptsache nicht mehr warten und endlich wählen.
Wenn man schon mal da ist, dann wird auch praktischerweise nicht nur für den U.S.-Präsidenten abgestimmt, sondern auch gleich für neue Mitglieder des House of Representatives, Judges, über neue Steuern und so brisante Themen wie „Darf Copley’s Mini Supermarkt auch Bier verkaufen?“ Hier muss jeder selbst Prioritäten setzen, welche Wahl ihm wichtiger ist.
Bei so viel (belanglosen) Entscheidungen ist es kein Wunder, dass es gefühlt ewig dauert, bis die ersten Hochrechnungen vermelden, wer Amerika demnächst regieren darf.
Letztendlich ist das Rennen zwischen Obama und Romney dann doch nicht so eng geworden, wie von den Think Tanks der Democrats oder Republicans erwartet. Obama hat das Electoral Vote haushoch mit 332:206 gewonnen.
Trotzdem fand ich es spannend an diesem Abend ein bisschen Election Luft schnuppern zu dürfen. Wie kommen diese Ergebnisse zustande, über die wir alle vier Jahre in Deutschland berichten?
Und ich bin beeindruckt mit welchem Idealismus Amerika wählen geht. Ich bin beeindruckt, dass es den Bürgern nichts ausmacht mehrere Stunden in der Kälte auszuharren, um ihre Stimme abzugeben. Ich bin beeindruckt, wie sehr sich Bürger mit Ihrer Wahl auseinander setzen. Und ich bin beeindruckt, mit welchem Stolz in den USA gewählt wird.
Danke Amerika für eure Wahl.
Danke RIAS, dass ich mit dabei sein durfte.
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Julia Gölsdorf, ZDF, HR, n-tv, Frankfurt/Mainz
Geldprobleme bei CNN sind Luxus bei uns…
Drei Wochen RIAS-Stipendium in den USA, da macht es Sinn, ein paar Tage dran zu hängen — oder besser davor. Das Problem: Hurrikane Sandy ist im Anmarsch und Washington gleicht einer Geisterstadt. Die Straßen: Leer, Menschen: Fehlanzeige, Geschäfte: Geschlossen. Was bleibt, ist das Fernsehprogramm, Weltuntergangsstimmung bei CNN. „Wenn Sie oberhalb der 11. Etage wohnen, bringen Sie sich in Sicherheit“, erklärt eine der Moderatorinnen. Mein Hotelzimmer liegt im 14. Stock. Skeptisch blicke ich aus dem Fenster. Regen, leere Straßen, nur von Sandy keine Spur. Ich wage es nach draußen, Dinner mit unserem RTL-Korrespondenten. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland läuft Sandy mittlerweile in der 24-Stunden-Schleife. Unser Korri nippt entspannt an seinem Rotweinglas, während er der nächsten Frage lauscht, die er — zwischen Steak und Kartoffel-Gratin per Telefon beantwortet. Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Zu Recht — Washington bleibt nahezu unberührt von Sandy — ein Glück! Ganz anders in New York — dort werden die Menschen hart getroffen vom Sturm — was Präsident Obama die Gelegenheit gibt, sich als echter Krisenmanager zu präsentieren. Ein Umstand, der — ein wenig zu meiner Verwunderung — von den amerikanischen Medien überaus hochgelobt wird. Ja, Obama kümmert sich, vor allem aber zeigt er sich medienwirksam in der Krisenregion und findet einen neuen Best-Buddy in New Jerseys Gouverneur Chris Christie. Sagt das etwas über die Amerikaner aus? Vermutlich nicht, diese Wahlkampfstrategie hat auch schon die Deutschen begeistert und in Zeiten der großen Flut Gerhard Schröder einen Wahlsieg beschert. Es gibt aber etwas, das ist anders, im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Die Begeisterung der Menschen für Politiker. Wir besuchen eine Wahlkampfveranstaltung der Demokraten in Bristow, Virginia. Um 19 Uhr sollen die Türen öffnen, gegen 22:30 Uhr soll Ex-Präsident Clinton sprechen, danach Barack Obama. Als wir gut zwei Stunden vor Einlass die Veranstaltung erreichen, haben sich bereits Tausende in eine lange Schlange eingereiht, stundenlang harren sie in eisiger Kälte aus, um ihren Präsidenten zu sehen. Wir mischen uns unter die Leute und verwickeln den einen oder anderen in ein Gespräch, um die Wartezeit zu überbrücken. „Oh — Ihr kommt aus Deutschland? Ich komme auch gerade aus Wien,“ „Deutschland, Ihr habt vier Wochen Urlaub im Jahr und eine Krankenversicherung. Ich will auch Sozialismus“ oder „Deutschland? Ich liebe die Beatles,“ sind nur einige der Kommentare, die uns erreichen. Selten so gelacht. Aber wir wollen nicht ungerecht sein, vermutlich hätte der eine oder andere Deutsche auch nicht gewusst, dass die Band Nickelback aus Kanada und nicht aus den USA stammt oder dass Austin in Texas liegt. Apropos Texas — zusammen mit Tagesschau-Kollege Michail Paweletz geht es genau dorthin, um zu sehen, wie das amerikanische Lokalfernsehen funktioniert. Unser Host Robert, der beim Sender KXAN, dem Marktführer der Region, arbeitet, nimmt uns mit ins Studio, wo die halbstündige Abend-Show stattfindet. Zusammen mit Co-Anchor Leslie, einem Kollegen vom Sport und einem Wetter-Moderator werden die Zuschauer auf den neuesten Stand gebracht. Beeindruckend — die Sendung wird von einem einzigen Mann gefahren, der hinter einem kleinen Schreibtisch sitzt, per Touchscreen die Filme abfährt, drei Roboterkameras bedient, zwischendurch noch aufsteht, um die Deko umzubauen und zu allem Überfluss auch noch den Teleprompter dreht. Respekt für diese One-Man-Show! Den Wahlabend verbringen wir bei der direkten Konkurrenz, KVUE, einem abc-affiliate. Auch hier zeigen sich Unterschiede zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Umgang mit dem Fernsehen. Wir begleiten einen Politikreporter am Tag vor der Wahl. Er führt diverse Interviews mit den unterschiedlichsten Menschen, ob Politik-Professor oder Behörden-Angestellte: Sich im Fernsehen zu präsentieren — das können die Amerikaner. Nahezu druckreif sitzen die Antworten, kurz, knapp, prägnant, immer freundlich und vor allem eloquent und begeistert. Dieser Anspruch würde so manchen deutschen Interviewpartner in die Knie zwingen. Insgesamt ist die Berichterstattung flott, eloquent, nah dran an den Menschen und immer parallel in den sozialen Netzwerken. Hier ein kurzer Aufsager als Teaser für facebook, da ein schneller Kommentar für twitter, der Zuschauer ist immer dabei.
Überraschend die Berichterstattung am Tag nach der Wahl. Obama als alter und neuer Präsident, mit Sicherheit der Aufmacher in Deutschland. Anders bei KVUE. Es ist ein Darrel Royal, der es auf Platz 1 der Topthemen schafft. Der ehemalige Football-Spieler und legendäre Trainer der Longhorns ist verstorben. Die nationale Politik ist passé, interessant ist, was vor der Haustür passiert.
In New York folgt dann das große Fernsehen: Beim Nachrichtensender CNN. Wir besuchen die Morgensendung „starting point“, die Idee: Eine Moderatorin empfängt unterschiedliche Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft und diskutiert mit ihnen über die Themen des Tages. Ein spannendes Konzept, das Meinung zulässt — auch bei der Moderatorin der Sendung, Soledad O´Brien, die neben ihrer täglichen Sendung, für die sie um drei Uhr früh im Sender erscheinen muss, noch eben vier Kinder großzieht, Reportagen dreht, Charityevents beiwohnt und täglich ins Fitness-Studio geht. Eine echte Powerfrau, die zwar schon 46 ist, aber locker aussieht wie Mitte dreißig. Erfrischend ist der Umgang mit Nachrichten, kein bißchen spießig, locker, aber top vorbereitet, informativ, aber nicht langweilig und gut gelaunt präsentiert die Moderatorin die News. Es gibt wenig Tabus, alle Themen kommen auf den Tisch, auch in großer Runde. Und interessant ist die Offenheit der Amerikaner. Der Aufruf an die Zuschauer, sich beim Wählen fotografieren zu lassen und die Bilder an den Sender zu schicken, mit der Angabe, warum sie welche Partei gewählt haben, würde in Deutschland sicher nicht funktionieren. Bei CNN war die Aktion ein voller Erfolg. Neidisch macht die vorhandene Manpower, allein für die zweistündige Frühsendung arbeitet ein 30-köpfiges Team. Für jeden Teilbereich, ob Wirtschaft, Politik, Bildung, Erziehung, Umwelt, Terror oder Wetter gibt es ein eigenes Ressort mit einem Stab von Mitarbeitern. Mal zum Vergleich: Der New Yorker Außensitz von CNN (das headoffice ist in Atlanta) ist zehnmal so groß, wie der gesamte Hauptsitz von n-tv. War CNN nicht auch wirtschaftlich angeschlagen? Nun ja — hier denkt man in einer ganz anderen Größenordnung!
Insgesamt drei spannende Wochen mit etlichen interessanten Terminen, bei den think tanks, bei npr, der UN, den unterschiedlichsten Sendern, der Jewish Community und vielen anderen, die dazu anregen, die eigenen, manchmal festgefahrenen Meinungen zu überdenken, sich neu aufzustellen und einiges an Motivation, Spaß an der Arbeit und Kreativität mit nach Hause zu nehmen.
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Kristina Kaiser, Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz
Präsident Obama: Wahl gewonnen — Heldenimage verloren
Das RIAS-Programm begann im wahrsten Sinne des Wortes stürmisch. Wegen Hurrikan Sandy wurde mein Flug gestrichen und gleich um mehrere Tage verschoben. Alle Flughäfen an der U.S.-Ostküste mussten bis auf Weiteres den Flugbetrieb einstellen. Niemand wusste genau, wo Sandy auf Land treffen und wie schlimm es Washington tatsächlich treffen würde. Dienstagnacht erreichte das Zentrum des Sturms im Süden New Jerseys das Festland. Sandy verursachte an der Küste und in New York Überschwemmungen, Stromausfälle und schwere Schäden. Washington blieb größtenteils verschont und der Flugverkehr lief wieder an. Und so verbrachte ich unzählige Stunden in der Warteschleife der Lufthansa, um meinen Flug doch noch auf einen früheren Zeitpunkt umzubuchen. Alle Flüge waren wegen tausender gestrandeter Passagiere weltweit völlig überbucht. Ich erreichte schließlich mit zwei Tagen Verspätung Washington. War bei meinem Abflug noch Hurrikan Sandy das beherrschende Thema, so änderte sich das in Washington schlagartig. Nur noch sechs Tage bis zu Präsidentschaftswahl und damit waren auch die Wahl und die Amtszeit von Präsident Obama das Top Thema bei allen Terminen. Alle erwarteten einen sehr knappen Wahlausgang und eine lange Wahlnacht, an deren Ende möglicherweise noch kein klares Ergebnis steht.
Wahlluft an der Basis schnupperte ich dann bei meiner Praxisstation in San Antonio im U.S.-Bundesstaat Texas. Auch wenn San Antonio im Vergleich zum restlichen Bundsstaat sehr liberal eingestellt ist, war dennoch klar, dass die Wahl nicht hier entschieden wird. Ein sicheres Land für die Republikaner, von Wahlkampf war nicht viel zu spüren. Wegen der Ausläufer von Hurrikan Sandy waren sogar viele Plakate und Aufsteller zur Sicherheit weggeräumt worden. Alle schauten auf die Swingstates. Die Kandidaten warben dort bis zur letzten Minute um jede Stimme.
„Fox San Antonio“ Moderatorin Yami Virgin erhielt fast stündlich Anrufe von Obamas Wahlkampfteam, weil ihr Handy noch im Swingstate Virginia angemeldet war. Sie arbeitete gerade an einer spannenden, investigativen Story über eine mögliche Wahlmanipulation bei der „Midterm Election 2010“. Durch einen Tipp war sie auf mögliche Unregelmäßigkeiten bei den Registrierungsformularen aufmerksam gemacht worden. Sie beantragte Akteneinsicht und wertete etwa 20 Registrierungsformulare aus. Die Rücksendeadresse war auffälligerweise jeweils ein alter Friedhof in San Antonio. Ein Experte für Hand- und Unterschriften hatte bereits bestätigt, dass fast alle Formulare von derselben Person ausgefüllt worden waren. Die Verwalterin des Friedhofs äußerte sich dazu nicht, aber einige der betroffenen Wähler waren schnell für ein Interview bereit. Keiner von ihnen hatte das Formular ausgefüllt, geschweige denn gewählt. Fassungslos forderten sie Aufklärung. Eine brisante Story, die es am Abend vor der großen Wahl auch endlich auf den Schirm schaffte. Doch trotz der Brisanz und des Aufregerpotenzials war der Beitrag nicht im Aufmacherbereich der Sendung. Die Story war in der Mitte der lokalen Nachrichtensendung eher „versteckt“. Eine für mich völlig neue Erfahrung. Politik spielte hier nur eine untergeordnete Rolle. Sex- , Kriminalität-, Drogen-, Prostitutions- und Wettergeschichten waren fast immer die Top-Themen. Das Interesse an der Wahl war nicht besonders groß.
Am Wahltag war es natürlich das Thema des Tages, aber da zur Sendezeit noch kein Ergebnis vorlag, wurde nur zu den verschiedenen Wahlparties geschaltet. Wir hatten den Auftrag über Schwierigkeiten und Unregelmäßigkeiten an den Wahlstationen zu berichten. Da gab es einige, beispielsweise stürzten Computer direkt nach der Stimmabgabe ab. Zudem bildeten sich an den Wahllokalen lange Schlangen. Viele hatten zur offiziellen Schließung ihre Stimme noch nicht abgegeben. Die Wahlleiterin veranlasste jedoch, dass alle, die rechtzeitig vor Ort waren, auch noch wählen durften. Das alles war für „Fox News at 9“ nicht wirklich spannend, die Story flog aus der Sendung.
Den Abend verbrachte ich schließlich bei der lokal viel wichtigeren Wahlparty des amtierenden Sheriffs von Bexar County Amadeo Ortiz. Alle warteten dort auf die Ergebnisse der Sheriff- und der Präsidentschaftswahl. Doch der Demokrat Ortiz verlor den erbitterten Wahlkampf gegen die Republikanerin Susan Pamerleau und dementsprechend war die Partystimmung gedämpft, es gab nur leise Gespräche an den Stehtischen. Eher nebenbei verfolgten sie bei CNN die Wahlberichterstattung. Völlig überraschend war dann auch schon kurz nach 22.00 Uhr klar, dass Präsident Obama die Wiederwahl geschafft hat. Es folgte nur ein kurzer Applaus, richtige Feierstimmung gab es nicht. Viele verließen die Veranstaltung zügig, weil sie, wie sie sagten, am nächsten Tag zur Arbeit müssen. Kaum einer wollte bis zu Obamas Rede warten. Meine Gespräche mit ihnen zeigten, dass viele hier zwar Obama gewählt hatten, aber nicht weil Obama ihr Held ist. Sie haben demokratisch gewählt, weil sie Romney verhindern wollten. Sie sind enttäuscht von Obama und wollen mit seiner Politik nichts zu tun haben. Auch auf der richtigen Demokratenparty wartete kaum einer bis zur Siegsrede. Schon gegen 23.00 Uhr war es dort fast leer. Keine Jubelbilder und keine Latinos mit Freudentränen in den Augen wie wir sie noch 2008 gesehen haben. Obamas Wandel ist ausgeblieben. Viele sagen, wir können eben nicht alles und jeden unterstützen. Der alte und neue Präsident ist hier ein entzauberter Held, der seine Wähler enttäuscht hat. Ein Bild, das wir im Ausland so anders erleben. Dort wird Obama weiter als Held gefeiert.
Keine Euphorie in San Antonio — dementsprechend ist die Wahl auch kaum noch Thema der lokalen Berichterstattung am nächsten Tag. Stattdessen ist die erste Frau als Sheriff von Bexar County das große Redethema.
Am Mittwoche treffe ich sogar eine Gruppe Latinos, die diesmal Romney gewählt haben, weil sie Obama nicht mehr trauen. Sie haben Angst, vor massiven Steuern, sie haben Angst ihre Freiheit und Selbstbestimmung zu verlieren. Ich erlebe in San Antonio eine Präsidentschaftswahl, wie ich sie nicht erwartet habe.
Ziemlich schnell war ich wieder bei den Alltagsproblemen und Themen der Menschen angelangt. In den letzten Tagen traf ich unter anderem die Polizei Gang Unit, eine verurteilte Prostituierte, die mit den Folgen ihrer Straftaten zu kämpfen hat oder eine Frau mit Brustkrebs, die um ihren Job kämpft, um ihre Chemotherapien bezahlen zu können.
Es war für mich eine sehr aufregende Zeit, da ich ein Amerika erlebt habe, das ich so noch nicht kannte und nicht erwartet hatte. Ich erhielt speziell in San Antonio einen einmaligen Einblick in das Leben aller gesellschaftlichen Schichten — eine Erfahrung, die ich aus der Ferne so nie hätte haben können. Vielen Dank an RIAS für diesen Austausch und die Möglichkeit die Präsidentschaftswahl sowie die Stimmung in dieser Zeit hautnah miterleben zu können.
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Katharina Kroll, Deutsche Welle TV, Berlin
VOTE VOTE VOTE — Der Schlachtruf der Demokraten hallt durch die Nacht. 20.000 Menschen sind zum Community College of Aurora in Denver gekommen. Seit den frühen Morgenstunden haben sie sich angestellt — kilometerlange Menschenschlangen rund um Straßenblocks. Sie alle wollen Barack Obama live erleben bei einem seiner letzten Wahlkampfauftritte. Unter den Wartenden auch zwei Studenten aus Los Angeles. Freiwillige Helfer, die im Swing State Colorado in den letzten Stunden vor der Wahl noch von Haustür zu Haustür gehen. Hier wird um jeden Wähler gekämpft. Auf eigene Kosten sind sie nach Denver geflogen, zu wichtig sei diese Wahl, als das sie untätig bleiben könnten, sagen sie. Um kurz vor 23 h ist es endlich so weit: Obama kommt mit schnellen Schritten, breitem Lächeln auf die Bühne. Jubel. Seine Stimme ist schon angeschlagen. „ Are you ready to go vote?“ Es ist sein vierter Auftritt allein an diesem Sonntag vor der Wahl. Kalt ist es in der Stadt, die genau eine Seemeile über dem Meeresspiegel liegt. Viele hier haben bereits gewählt — „early voting“ ist überall möglich. In Denver kann der Wähler sogar in einem Partyzelt seine Stimmzettel einwerfen, einem Partyzelt, das mitten auf einer Strasse aufgebaut ist. Bequem, einfach, schnell. Es erinnert an Mc Donalds Drive In. In der letzten Nachrichtensendung von KCTV, CBS, Channel 4 in Denver vor der Wahl geht es um die Gerüchte über Manipulationen bei der Stimmauszählung. Die hat schon längst begonnen, bevor überhaupt Wahltag ist. Das Fernsehteam kann in einer riesigen Lagerhalle drehen, wo die Briefumschläge geöffnet und sortiert werden. Eine Wahlstimmenzählmaschine schafft 400 Wahlzettel in einer Minute. Transparenz ist das Gebot der Wahlleiter. Hier will sich niemand nachsagen lassen, dass etwas nicht in Ordnung ist. Zumal alle ein knappes Ergebnis erwarten. In der Redaktion sind die Journalisten heilfroh, wenn die Wahl endlich vorbei ist. Der Wahlkampf gehe schon viel zu lange mit den immergleichen Argumenten, es sei längst alles gesagt. Und obwohl die großen Sender, wie CBS, mit den Werbespots der Parteien viel Geld verdienen — die Nachrichtenmacher können die Spots nicht mehr sehen und die immergleiche Aufforderung hören: VOTE VOTE VOTE.
JOBS JOBS JOBS — Auch das ein Schlachtruf der Demokraten in der eiskalten Nacht von Aurora. Die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz ist überall zu spüren. Eine große Verunsicherung gibt es selbst bei den Obama-Anhängern: Schafft der Präsident im Falle einer zweiten Amtszeit wirklich die Wende? Ob Taxifahrer, Hotelangestellte, Verkäufer oder Techniker — sie alle quält die Sorge um die amerikanische Wirtschaft. Dieses eine große Thema bestimmt den Wahlkampf. Und die Enttäuschung über das, was Obama in der amerikanischen Wirtschaft erreicht hat, ist überall greifbar. Unsicherheit statt Siegesgewissheit überwiegt deshalb auch bei seinen treuesten Anhängern. Die Verehrung für Präsident Obama — wie sie in Europa und vor allem in Deutschland immer wieder beschreiben wird — sie ist in Denver deutlich gedämpfter. Mitt Romney wird hier ernst genommen. Die Wahl entscheidet sich für viele Menschen an der Frage: Geht es mir auch künftig mit Obama besser, oder brauchen wir einen radikalen Neuanfang in der Wirtschaft? Traue ich eher Romney oder doch Obama zu, das Wirtschaftswachstum zu sichern? In der Medienbranche, in den vielen Fernsehanstalten und den Gesprächen mit den Redakteuren wird deutlich: Hier kann sich keiner auf seinem Job ausruhen. Der Konkurrenzkampf ist erbittert. Die Sender überbieten sich, wer zuerst eine Nachricht über Twitter oder Facebook verbreitet. Lange bevor der Nachrichtenfilm dazu über den Sender geht, wird die Geschichte über die Neuen Meiden verbreitet. Die Redakteure sind gezwungen, immer wieder neue Wege in ihrem Job zu gehen: Aufnahmen für die Internet-Nachrichten mit dem i phone, viele Live-Elemente in den Nachrichten. Es geht wenig schematisch zu, es wird viel ausprobiert. In diesem Land zählen vor allem: JOBS JOBS JOBS.
FOUR MORE YEARS — Die Twitterbotschaft von Präsident Obama geht um die Welt. Und sie wird auch direkt herumgereicht — auf den Smartphones bei der Wahlparty der Demokraten im Hilton Hotel in Downtown Denver in der Nacht des 6. November. Mit Sprechchören rufen sie im Rhythmus: Four more years. Die Stimmung ist euphorisch. Die Wiederwahl von Obama steht überraschend schnell fest. Die Freude muss raus. Einander wildfremde Menschen umarmen sich. Was aber heißt das für die Welt außerhalb Amerikas? Was die Außenpolitik angeht, weiß das niemand zu beantworten. Nahost, Syrien, Arabischer Frühling, transatlantisches Verhältnis, Beziehung zu China — das alles hat im Wahlkampf keine Rolle gespielt. Das scheint nur eine kleine Gruppe von Menschen in den USA wirklich zu interessieren. Die Deutschen, sagt etwa David Harris vom American Jewish Commitee in New York, die Obama so besonders innig verehren, würden oft nicht verstehen, warum er diese Zuwendung nicht erwidere. Aber: Obama sei „post European“. Als Sohn eines afrikanischen Vaters und einer Kindheit in Indonesien richte sich sein Blick eben nicht zuerst nach Europa. Und: Obama sei “post sentimental”. Er habe einen durch und durch rationalen Politikansatz. Obama suche nach Lösungen, die Realpolitik stehe im Vordergrund. „What can Europe do for me“ — das sei sein Ansatz. Für Präsident Bush etwa habe das transatlantische Verhältnis immer auch noch eine sentimentale Komponente gehabt.
Wie aber wird Obama im eigenen Land Politik machen können? An der George Mason University in Washington sagt Professor Jerry Mayer von der School of Public Policy, dass die Tea Party das politische Klima in den USA vergiftet habe. Sie habe im Kongress unter den Abgeordneten und Senatoren der Republikaner eine Stimmung der Angst erzeugt. Wer auch nur ein einziges Mal mit Präsident Obama abgestimmt hat, wurde öffentlich angeprangert, bloßgestellt und seine Wiederaufstellung konnte er vergessen. Die Mobilisierungskraft der Tea Party innerhalb der Republikaner war einfach zu groß. Die Schnittmenge, die es unter Demokraten und Republikanern traditionell immer gegeben habe, die konnte zuletzt nicht mehr zum Tragen kommen. Stillstand sei die Folge gewesen. Jetzt aber — nach der gescheiterten Wahl — müssten sich die Republikaner eine neue Strategie einfallen lassen. Davon ist auch John Hudak vom Think Tank Brookings in Washington überzeugt. Totale Blockade — das habe sich für die Republikaner nicht ausgezahlt. Seine Vorhersage ist, dass es wieder mehr Kooperation geben wird — zwischen Demokraten und Republikanern. Auf jeden Fall steht fest, sie werden spannend — die kommenden FOUR MORE YEARS.
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Anna Osius, Westdeutscher Rundfunk, Köln
Im Auge des Hurrikans
Sandy ist da! Es schüttet und stürmt, das Wasser steht auf den Straßen, die Bäume biegen sich und brechen im Wind. Angesichts der Aggressivität von Wirbelsturm „Sandy“ ist die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den Medien und Köpfen der Leute kurzzeitig ausgeblendet. Stattdessen lassen die Amerikaner ihre Badewannen vollaufen (Reservewasser), kramen die Petroleumlampen und Kerzen hervor, in den Nachrichten laufen Durchsagen: „Vergessen Sie ihr Haustier nicht — denken Sie an einen Hundefutter-Vorrat!“ Ausnahmezustand im Supermarkt: Hamsterkäufe, lange Schlangen, leergefegte Regale. Wildfremde Menschen wünschen sich „Good luck“, an der Käsetheke murmelt der Verkäufer beschwörend „Hey, das Leben geht weiter“ — überzeugt klingt das nicht. Viele rechnen auch in Washington mit der absoluten Katastrophe aus amerikanischer Perspektive: Einem Stromausfall für mehrere Tage — kein Wunder angesichts des katastrophalen Überland-Stromnetzes. Und so quartieren sich die Nachbarn ein, weil ihr Haus keinen Notstrom hat, die Gas-Kocher sind ausgepackt. Im Coffeeshop protzt eine alte Dame, sie habe einen Generator für den Kühlschrank — und erntet dafür neidische Blicke. Denn eines sei somit auch im Auge des Wirbelsturms gesichert, sagt sie: Immer frische Eiswürfel.
Auf nach Ohio!
„As Ohio goes, so goes the nation“ — so lautet das amerikanische Sprichwort, das wohl nicht treffender beschreiben könnte, wie wichtig der Swingstate Ohio für den Wahlausgang ist. Kein Republikaner ist je Präsident geworden, ohne in Ohio zu gewinnen. Das weiß Mitt Romney — und gibt sich deshalb alle Mühe, dort noch zu punkten. Der Staat ist ähnlich gespalten wie die Nation: Der Norden sehr demokratisch, der Süden streng republikanisch. Die ökonomische Krise hat Ohio besonders hat getroffen. Viele Menschen sind arbeitslos und entsprechend frustriert. Schafft es Obama dennoch, das Blatt zu wenden? Er wird es versuchen — unter anderem mit einer Wahlkampf-Rede in Cincinnati. Da bin ich dabei!
Obama kämpft
Die Menschenschlange sieht man schon von weitem. Bestimmt einen Kilometer lang, bis runter auf die Hauptstrasse von Cincinnati, stehen die Menschen an, um Präsident Obama zu sehen. Um seine letzte große Rede hier im Swingstate Ohio zu hören, in „swingest swingstate“ von allen, wie man hier sagt. Amerika schaut auf Ohio in diesen Tagen, in diesem Staat soll sich die Präsidentschaftswahl entscheiden. Vor genau vier Jahren war Obama das letzte Mal hier, an der Universität von Cincinnati, im Süden Ohios. Er hat am letzten Sonntag vor der Wahl eine Rede gehalten, die die Menschen gepackt hat, die sie mitgerissen hat — und die ihn ins Weiße Haus gebracht hat: Das traditionelle Republikaner-Land im Süden Ohios wählte auf einmal demokratisch, der Norden tat es sowieso — Obama gewann den Swingstate. Genau so will er es jetzt wieder machen. Wieder mit einer großen Rede, wieder mit begeisterten Massen. Eine von hunderten Reden, die er in diesen Tagen im ganzen Land hält. Nur hier ist es eben besonders wichtig.
Die Halle ist bis auf den letzten Platz besetzt — rund 15.000 Menschen. Stevie Wonder singt als Vorprogramm. Die Massen feiern, kaufen Popcorn und Cola, große Bildschirme verkünden „Forward“ — weiter — das Motto dieser Obama-Kampagne. Es soll weiter gehen. Eine dicke afroamerikanische Mutter wedelt sich mit einem Obama-Plakat Luft zu. Ein älterer Jude mit Kippa auf dem Kopf vertieft sich in ein Buch. Ein asiatisches Kind schwenkt gelangweilt eine U.S.-Flagge. Stevie Wonder lässt seinen letzten Song zu enden grölen. Das Warten nimmt kein Ende. Sprechchöre heizen die Massen an: „Fired up and ready to go“, schreien sie. Die Halle bebt. Ein greiser Pastor betet das Vater-unser vor — Hand auf Herz. Dann erklingt die Nationalhymne. Wieder Hand aufs Herz. Auf Hälfte hat der Sänger einen Frosch im Hals. Kurze Stille. Stevie Wonder schleicht aus der Halle. „Seid ihr bereit?“ schreien die Cheerleader, die letzen eilen mit Cola-XXL-Bechern auf ihre Plätze. Ungeduld macht sich breit. Warten auf den Präsidenten, auf den ehemaligen Hoffnungsträger, der grau geworden ist, nicht nur auf dem Kopf. Als er kommt, gehen die ersten.
Eigentlich ist alles wie früher — zumindest wenn man in die ersten Reihen schaut: Begeisterte Gesichter, Mädchen kreischen, alte Männer weinen. Ein Meer aus blauen Obama-Schildern. Lautstarker Jubel. Wie vor vier Jahren. Die Unentschlossenen sitzen weiter hinten. Sie wollen zuhören, aber das gelingt ihnen nicht. Obama setzt gerade zu seiner Rede an, da unterbricht ihn ein gellender Schrei. Ein Mann brüllt gegen den Präsidenten an, mit aller Kraft, aller Wut. Ein Republikaner hat sich eingeschlichen. Er schreit so laut, dass man Obama nicht mehr folgen kann. Die Massen rufen „Shut up“, „Bringt ihn raus“, alle drehen sich um. Der Mann schreit. Der Präsident ist irritiert. Er lacht verlegen, schweigt kurz. Man sieht, dass er überlegt, wie er sich verhalten soll. Das Schlimmste passiert: Die Kameras und Mikrophone wenden sich von ihm ab. Sie zeigen den schreienden Mann, der jetzt von der Polizei gepackt wird, der sich an die Absperrung klammert, der schreit wie am Spieß. 10.000 Menschen schauen zu. Und vorne auf der Bühne redet der Präsident, der Mann, auf den sie alle so gewartet haben. Keiner hört ihm mehr zu. Für einen Moment hat Obama alles verloren: Die Aufmerksamkeit, die Inhalte, die Glaubwürdigkeit. Der Präsident ist auf einmal sehr klein da vorne auf seiner Bühne, hinter den großen Schildern mit „weiter so“. Sie tragen den schreienden Republikaner aus der Halle. Obama redet einfach weiter. Er spricht von „Change“, lässt es genauso klingen wie vor vier Jahren. Jetzt klingt es irgendwie hohl. „Wo denn?“ ruft irgendwer aus der Menge. „Wo ist denn der Wandel?“ Obama beginnt, sich zu rechtfertigen. Dass auch Michelle manchmal nicht mit ihm zufrieden sei. Er selbst mit sich auch nicht. Aber dass er sage, was er denkt — und denke, was er sagt. Es klingt beschwörend. „Geht wählen“, ruft er. Über der Bühne fallen die Großleinwände aus, die blaue „Forward“-Projektion fängt an zu flackern, wird grau. Weitere Besucher verlassen die Halle. Die anderen hat sich der Präsident langsam zurück erobert, mit seiner Rethorik, seinen Appellen an bessere Zeiten. Die vielen Afroamerikaner in den Rängen nicken anerkennend, klatschen ihm zu. Ein kurzes „God bless you all“, ein paar Hände schütteln, einmal winken — dann ist Obama verschwunden. Es ist fast 22 Uhr, heute Abend muss er noch eine Rede halten, mehrere Flugstunden weiter westlich in Colorado. Durch die Zeitverschiebung schafft er es dort vielleicht noch vor Mitternacht auf die Bühne. In Ohio fegen sie derweil die letzten „Change“ und „Forward“-Plakate zusammen. Ein Polizei-Beamter gähnt gelangweilt. Das Kind mit der U.S.-Flagge ist eingeschlafen. „Er schafft das noch mal“, sagt ein alter Afroamerikaner und nickt. „Meine Stimme hat er. Wir sind uns eben ähnlich.“ Er zeigt auf seinen Kopf. Auch er hat graue Haare.
Nacht der Entscheidung
Eindrücke einer spannenden Wahl-Nacht: Die jungen Schwarzen in einem der ärmsten Viertel der Stadt, die sonst arbeitslos auf der Strassen herumlungern — und jetzt gebannt auf den Fernseher starren. „Wir sind verloren, falls Romney gewinnt“, sagt einer der drei. „Der will unsere Förderprogramme und Sozialhilfe kürzen. Ohne Obama kommen wir nie von der Straße weg!“
Die weiße Mormonin, die stolz in einem Radiointerview verkündet, sie liebe Mitt Romney, er sei ein Glaubensbruder. Trotzdem habe sie diesmal für Obama gestimmt: „Gott hat mir gesagt: Jeder hat eine zweite Chance verdient.“
Der junge sympathische Manager, der sich einfach nur Sorgen um seinen Job macht — und deshalb Mitt Romney gewählt hat. „Obama kann das mit der Wirtschaft einfach nicht“, sagt er. „Sorry!“
Der dicke Weiße in der Sportsbar, der entsetzt ist, wie herunterkommen seine Stadt wirkt und hinter vorgehaltener Hand sagt: „Ich will wieder einen Weißen im Weißen Haus!“
Der afroamerikanische Taxifahrer, der als einziger in seinem Bekanntenkreis für Romney gestimmt hat, weil er Angst hat, dass sich die USA unter Obama zu einem Wohlfahrtsstaat entwickeln.
Und die dunkelhäutige alte Dame, die mühsamen Schrittes vom Wahllokal durch ein schäbiges Viertel nach Hause geht. Auf ihrem Rollator steht ein gerahmtes Schild mit den Worten: „Danke Gott, dass ich diesen Tag noch erleben durfte — und zum zweiten Mal einen schwarzen Präsidenten wählen durfte!“ Sie ist 97 Jahre alt.
Die Wahl ist entschieden. Zurück zum Alltag
Die Tage danach — ein Land hat Wahl-Kater. Der alte Präsident ist der neue. Die letzten Demokraten johlen morgens noch fröhlich in den Straßen — und machen sich dann schnell nach Hause, um kurz darauf mit Sonnenbrille zur Arbeit zu gehen. Der Alltag kommt zurück. Aus den Vorgärten verschwinden die Wahlplakate — vor allem die für Mitt Romney, als hätte es ihn nie gegeben. Die amerikanischen Vorortsiedlungen sehen wieder normal aus. Das Fernsehen überträgt wieder Sport statt Breaking News. Im Supermarkt beglückwünschen sich zwei wildfremde Afroamerikaner, dass es „unser Barack“ noch mal geschafft hat. Der Busfahrer ist froh, dass der ganze Rummel vorbei ist — und die Fahrgäste nicken. „Ich kann die Republikaner sowieso nicht leiden“, sagt er. Irgendwie scheint das Land heute nur noch aus Demokraten zu bestehen. Einzig der Taxifahrer, der gestern vor der Wahl noch laut für Mitt Romney geworben hatte, ist heute ein bisschen kleinlaut. „Shit happens“, murmelt er und zuckt mit den Schultern.
In einem aber sind sich alle einig: Die größte Herausforderung für die amerikanische Politik steht noch bevor. „Wenn sich die Demokraten und die Republikaner nicht endlich zusammenraufen und unser Land gemeinsam nach vorne bringen, verlieren wir weitere vier Jahre“, sagt einer. Die Blockadehaltung der Republikaner im Kongress dürfe auf keinen Fall so weiter gehen. „Es muss endlich wieder um unser Land gehen.“ Das ist, was Amerika wirklich braucht nach dieser Wahl: Zusammenarbeit.
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Michail Paweletz, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
E Pluribus Unum — Aus vielen Eines
Das war sie also, meine große RIAS-Reise, USA satt. Ein Jahr habe ich mich auf diese Wochen gefreut, habe Bücher gewälzt, Statistiken gelesen, die New-York-Times abonniert, Conventions, Debates und Polit-Magazine via Internet verfolgt.
Das Highlight sind natürlich die anstehenden Wahlen, die auch im fernen Deutschland traditionell zum medialen Großereignis werden. Ich denke, es steht einiges auf dem Spiel. Was würde ein republikanischer Präsident im Jahr 2012 für uns bedeuten: Neue Kriege, die nächste Ära instabiler Märkte dank neuer Investitionsblasen? Nicht von ungefähr kam ein Startschuss der Tea-Party-Bewegung von einem Börsenreporter live auf CNBC. Und ich freue mich besonders auf Gespräche mit den Konservativen, um das für mich fremde Denken hautnah zu erleben, doch es kommt anders, erst einmal.
Es ist der große Auftritt von Sandy. Mein Flug wird wie viele tausend andere gestrichen. Also verbringe ich die nächsten zwei Tage und Nächte mit Gershwins „Rhapsody in Blue“ in den Warteschleifen von United Airlines. Und da ist er, der erste Unterschied zwischen uns deutschen Pessimisten und den Amerikanern. „We will find a solution, don’t worry, it’s possible“ ist das Credo der U.S.-Callagents von United. Und sie behalten recht. Mit einem der ersten Flüge nach dem großen Sturm lande ich abends in Washington, gerade noch rechtzeitig für einen spannenden nächsten Tag.
Auf dem Programm stehen Think-Tanks. Ich rechne mit rhetorisch virtuosen Gesprächspartnern, erwarte endlich mehr als das verbale „Wahlkampf-Lametta“. Wir starten mit Brookings, einer Institution, die der USA Experte Josef Braml als einen politisch nicht festgelegten akademischen und renommierten Think-Tank bezeichnet. John Hudak begrüßt uns in einem nüchternen Bürogebäude. Er ist Anfang 40, sein flaumiger Vollbart macht ihn etwas älter. John ist unter anderem Spezialist für Wahlen, also genau der richtige für unsere Frage nach dem möglichen Gewinner. Es folgt eine lange Antwort. Was mich dabei am meisten überrascht: John ist sich relativ sicher, dass Obama die Swing-States und damit auch die Wahl gewinnt. Er erzählt vom Wahlkampf-Netzwerk, mit dessen Aufbau Obama direkt nach der Wahl 2008 begonnen hat. Ganz gezielt in den Key-States. In Ohio, und diese Wahl wird in Ohio entschieden, glaubten 52% der Wähler, dass es wirtschaftlich aufwärts geht. Schön und gut, denke ich, aber wieso schreibt der Rest der Welt, von einer engen Wahl, — „Sicher ist noch gar nichts“ titelt unser ARD-Wahlexperte. Hierfür hat John Hudak eine simple Theorie: Die Medien bräuchten die Geschichte vom Kampf. Ich bleibe skeptisch. Recherchieren wir Journalisten wirklich so schlecht, blasen unsere Kollegen einen schon längst entschiedenen Kampf zum Kopf an Kopf-Rennen auf oder haben wir die Distanz verloren?
Einige Stunden später: Endlich bekomme ich die Welt der Republikaner zu Gesicht. Wir betreten das “Parthenon des konservativen Metropolis” (New York Times), die Heritage-Foundation. Der Konferenzraum ist tapeziert mit Fotos neo-konservativer Politiker. Die Stars sind Margaret Thatcher, Reagan und die Bushs. Eine Seite des Raumes ist eine Bücherwand. Das Herzstück: Eine vierbändige Ausgabe mit dem Titel „Leadership for America“, der Autor ist Edwin Feulner, der aus der Heritage-Foundation das gemacht hat, was sie heute ist, das „Powerhouse konservativer Ideen“, so bezeichnet sich die Heritage selbst.
Wir nehmen Platz im grauen und bequemen Leder-Clubsessel am riesigen Eichentisch. Der verstaubte Begriff „Herrenzimmer“ geht mir durch den Kopf und ich fühle mich zufrieden und erhaben wie das Icon der Grand-Old-Party, ein gemütlicher Elefant. Unser Gegenüber, Matt Streit, wirkt wie das kalkulierte Gegenteil, wendig und smart. Bei früheren Besuchen der RIAS-Gruppe soll es in diesem Raum schon des Öfteren gekracht haben. Aber bei uns ist nicht nur alles sehr friedlich sondern auch sehr freundlich. Auf die Frage, warum die meisten Europäer Obama wählen würden antwortet Matt charmant und undogmatisch: „It’s a different culture.“ Dann geht es natürlich um Obama und die Wahl. Matt erklärt, warum der jetzige Präsident versagt hat. Schade, ich kenne die folgenden Wortbausteine fast auswendig aus den Reden von Romney, Ryan oder Ed Gillespie. Zeit nachzuhaken. Ich frage nach einem Thema, bei dem die Republikaner bei dieser Wahl einen Standpunkt aus den 50ger Jahren vertreten, Abtreibung. „Warum glauben Sie, haben Frauen eine Abtreibung?“ Matt ist irritiert. Er wisse nicht, was die Frage solle, ob ich das „privat“ meine. Ich wiederhole die Frage. Es folgen einige Sekunden Stille und dann kommt die Antwort. „I really don’t know.“ Und mir dämmert, dass Mitt Romneys Statement, 47% der Amerikaner könnte er sowieso nicht erreichen, nicht aus dem luftleeren Raum kommt. Selbst diese Vordenker der Republikaner bewegen sich anscheinend in einem geschlossenen System. Dialog, nicht vorgesehen. Ob die Konservativen mit dieser Haltung unschlüssige Wähler in den Swing-States erreichen? Übrigens, am nächsten Tag lädt die Heritage-Foundation per Twitter zu einer Google-Groups-Diskussion über das Thema „war on women ?“ ein.
Eine Woche später, 1500 Meilen weiter im Süd-Westen. Der Herbst in Washington ist Geschichte, ich bin mit einer Kollegin von N-TV zu Gast im sommerlichen Texas, in der Hauptstadt Austin. Es ist eine demokratische Insel in einem ultra-konservativen Bundesstaat, dem Bayern der USA. Beim Welcome-Dinner mit unseren Hosts loten wir das Minenfeld der politischen Präferenzen mit größter Vorsicht aus, aber man winkt lächelnd ab. Anders als ich es von Journalisten kurz vor einer Wahl erwarte, wird über Politik nicht ein Wort gesprochen.
Das Gleiche bei den Meetings in den nächsten Tagen in den Redaktionen unserer Gastgeber, bei Abendessen oder den Treffen zum Lunch. Seltsam, dieses Schweigen im Land der „freedom of speech“, ist es der Versuch, keine Wunden aufzureißen?
Es ist der 6. November. Heute wird der Präsident gewählt, ein langer, zäher Wahlkampf geht zu Ende. Wir sind mit einem Cabrio bei angenehmen 27 Grad auf dem Weg zum ehrwürdigen Driskill Hotel. In der ersten Etage sind in jedem der Festsäle Monitore aufgebaut. Und da sind sie, echte Obama-Fans, geschmückt mit unzähligen Badges, der Präsident lächelt mir siegessicher von dutzenden T-Shirts zu. Meine Königin der Fans ist eine hochgewachsene, beseelt lächelnde Schönheit, im blonden Haar den Strahlenkranz der Freiheitsstatue aus blaurotem Plastik. Leuchtendes Selbstbewusstsein. Doch wenn man genau hinschaut, flackert in ihren Augen nicht nur Begeisterung, sondern auch die Angst, es könnte für ihren Präsidenten dieses mal nicht reichen.
Immer mehr Menschen treffen ein. Es wird langsam voll, enger und nervöser. Und dann, dann geht alles sehr schnell. Es ist noch nicht einmal 22:30, da kommt sie, die Nachricht: „President Obama is reelected.“ Der Saal tobt, schreit Freude und Erleichterung nach einem Jahr Ungewissheit heraus. Und selbst ich fühle wie eine Spannung von mir abfällt. Endlich, die Wahl ist vorbei. Der Präsident ist der alte, Romney ist Geschichte, das war’s.
Darrell Royal, ein Name, den ich noch nie gehört habe, sorgt einen Tag später für den Aufmacher in allen Medien der Stadt. Austin steht unter Schock und Trauer. Fassungslosigkeit. Er ist tot, ein Footballcoach, der 1963, 1969 und 1970 den nationalen Titel für Austin gewonnen hat, in der „Studentenliga“. Eine Anchor-Frau hat mit den Tränen zu kämpfen, on-air. Gesegnete 88 Jahre ist Royal geworden. Der Tower der University-Of-Texas wird in gedämpft, orangenes Licht getaucht. Ach ja, die Wahl, der große Kultur-Kampf zwischen den zwei Gesichtern Amerikas, der ist längst vergessen. Und eigenartig, aber die Menschen wirken in ihrer gemeinsamen Trauer um den Trainer wie versöhnt.
Bleibt die Frage, wie sich ein nationaler Konsens in diesem politisch tief zerstrittenen Land herstellen lässt. Vielleicht hat John Hudak von Brookings ja auch diesmal Recht. Er setzt auf kleine Schritte, ein Ende der Blockade-Politik, auf einsichtige Politiker. „The grown-ups will take over“, das sind seine Worte.
Ich fühle mich nach fast 3 Wochen Amerika auch ein Stück mehr „grown-up“. Nein, ich habe kein genaueres Bild der United States bekommen. Ich weiß jetzt, dass es dieses eine Bild nicht gibt. Aber die unzähligen Begegnungen und großartigen Momente haben mir für dieses vielschichtige Land ein besseres Gefühl gegeben.
E pluribus unum.
Lieber RIAS, tausend Dank, for having an awesome time.
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Daniela Schulz, WDR, RTL, Köln
Is this the way to Amarillo? Mein Oklahoma-Diary
Chautauqua Avenue, Tecumseh Street, Rambling Oaks Drive, Ed Noble Parkway. Ich mag diese Straßennamen! Immer wenn ich meinen Automatik-Nissan über den breiten Asphalt lenke, vorbei an Taco-Bell-Shops, Waffle Houses, rot verklinkerten Vorstadt-Villen und herbstlich leuchtenden Alleen, fühlt es sich an, als hätte ich mich gerade in irgendeine amerikanische Teenie-Komödie gebeamt und Stifler, Michelle und Co würden gleich um die Ecke kommen. Kenne ich alles! Aus dem Kino!
Am besten merken kann ich mir die „Lindsey Street“, wegen der Skifahrerin, Lindsey Vonn. Und diese Straße nehme ich jeden Tag, denn sie führt mich direkt zum Gaylord College of Journalism and Mass Communication an der University of Oklahoma in Norman. Hier verbringe ich meine station week. Hier, im Land des Öls und der Tornados.
Ich hatte keine genaue Vorstellung von Oklahoma, nur so eine Idee, dass es ein weites flaches Land mit endlosen Feldern sein muss, über das die Twister jagen und alles verwüsten, was sich ihnen in den Weg stellt. Ich wusste, dass hier alle Romney wählen und sich Obama nicht mal die Mühe macht, herzukommen. Und dass irgendwo weiter im Westen Amarillo liegt, diese Stadt, die Tony Christie seit Jahrzehnten in seinem Schlager besingt.
Und dann lande ich plötzlich nach mehrstündigem Flug und Umstieg in Chicago auf dem Will Rogers World Airport (betone „Welt“-Flughafen) und bin mittendrin in diesem Flyover Country, das optisch die Form einer Bratpfanne hat und das viele Amerikaner selbst noch nie besucht haben. Wenn ich zuvor erzählte, dass ich nach Oklahoma reise, löste das bei den meisten jedenfalls ein irritiertes Kreischen aus. „Oklahoma? Oh, my god…”
Zum Glück übertreiben die Amerikaner gerne. Ich kann nur für mich festhalten: Die Tage in Norman sind das Beste, was mir passieren konnte! Ich habe mit Ken Fischer einen wunderbaren Host, der sich sehr um mich kümmert und der einen tollen Plan für mich erarbeitet hat. Man merkt, wie wichtig es ihm ist, dass ich mich wohlfühle und von dieser Woche profitiere. Beides tue ich!
Hello Kitty loves Oklahoma
Am ersten Tag ist Schnuppern am College angesagt. Ich darf den Studenten aus Kens Klasse von meinem Arbeitsalltag in Deutschland berichten und eigene Filme zeigen. Sie selbst produzieren an der Universität mit der „OU Nightly“ Show ein tägliches Nachrichtenmagazin. Dazu verfügt die Uni über ein Studio, eine vollwertig ausgestattete Regie, eine Redaktion mit zig Avid-Arbeitsplätzen, Kamera-Ausgabe und und und. Es gibt eine Schaltmöglichkeit in die Redaktion, eine eigene Wand für die Wettermoderation, geschnitten werden die Filme an den Computer-Arbeitsplätzen — .mancher Sender in Deutschland wäre froh, so eine Infrastruktur zu haben. Die Studenten rotieren. Jeder darf jeden Tag etwas anderes machen: Mal ist man Producer, mal Kamerafrau, mal Anchor, mal Regisseur.
Nach der Sendung gibt es im Studio eine Besprechung, bei der Tacheles geredet wird. Was ist gut gelaufen? Was war Mist? Danach eilen alle weiter zur nächsten Produktion: Denn einmal pro Woche wird am College abends auch das „Sooner Sports Pad“ aufgezeichnet. Die wöchentliche Sportsendung, ausgestrahlt auf Fox Sports, in enger Kooperation mit dem Sender. Fox liefert zum Beispiel die HD Kameras und eine professionelle Moderatorin. Für den Rest sorgen die Studenten. Sponsor ist Pizza Hut. Der liefert natürlich auch das Catering an diesem Abend.
Die Oklahoma Sooners sind das Football-Team der Universität. Das Stadion liegt auf dem Campus, bietet Platz für 80.000 Menschen und ist so etwas wie das Epizentrum in Norman. Alles dreht sich hier um Football, was sich auch in den Campuswear-Läden wiederspiegelt: Sooner-Logos und die Farben rot-weiß überall. Ich greife nach einem Turnbeutel: „Hello Kitty loves Oklahoma“, steht darauf. War ja klar, dass die Katze vor nichts Halt macht. Ich frage mich, wie das bei uns zu Hause ankäme: „Hello Kitty loves 1. FC Köln“?… Naja!
Am Tag der U.S.-Wahl fahre ich mit zwei Studentinnen raus zu einem polling place, um für die Nightly Show noch ein paar Bilder zu drehen. Die Menschen stehen Schlange, hunderte Füße haben sich quasi einmal ums Gebäude gewickelt. Als wir das Stativ aufbauen, spricht mich ein Typ mit Cowboyhut an: Nie im Leben hätte er bei einer Wahl so einen Andrang erlebt. Ich finde seine Aufregung fast beruhigend. In Deutschland würde sich kein Mensch Stunden in eine Schlange stellen, nur um zu wählen. Wir haben den Auftrag bekommen, einen Demokraten zu finden und zu interviewen. Doch Fehlanzeige! Wir filmen stattdessen ein paar bumper stickers.
In der Wahlsendung abends darf ich selbst Studiogast sein und über die deutsche Perspektive auf die U.S.-Wahl sprechen. Außer mir ist noch eine mazedonische Journalistin dabei. Wir sind am College die einzigen Europäer. Das Ergebnis wird spätabends bekannt. CNN ist einer der ersten Sender, die es vermelden. Doch hier in Norman fuchteln fast alle ständig auf ihren Handys herum. Bevor es via Fernsehen verkündet wurde, hatten sie schon per Twitter erfahren, dass Obama die Wahl gewonnen hat.
Kiss Cam und Co
Ken hat für mich Besuche bei örtlichen Fernsehsendern in Oklahoma City organisiert. Ich fahre zu News 9, einem CBS Affiliate, nehme an der Morgenkonferenz teil und begleite Reporterin Abby zu einem O-Ton-Dreh. Abby erinnert optisch an ein klassisches Cheerleader-Girl, ihr Alter ist kaum zu schätzen. Aber sie hat bereits eine beachtliche VJ-Karriere hinter sich: Crime, Gerichtsgeschichten und Sport sind ihr Ding. Anchor war sie auch schon mal, klar. Irgendwie gehört das hier immer dazu. Aufstiegschancen? Im amerikanischen Fernsehmarkt gering.
Auch bei OETA bin ich zu Gast, einem örtlichen Network. Wie in fast allen Redaktionen, die ich bislang gesehen habe, wird auch hier ohne Tageslicht gearbeitet. Wir zeichnen einen Polit-Talk auf. Und mir wird nach und nach immer deutlicher, wie viel besser die Bedingungen für uns Fernsehjournalisten in Deutschland sind.
Highlight der Woche aber ist für mich das NBA-Spiel zwischen Oklahoma Thunder und den Detroit Pistons. Weil ich selbst über Sport berichte und noch nie bei einem NBA-Game war, wird ein Traum für mich wahr. Durch die Chesapeake Arena in Oklahoma City ziehen Hot-Dog-Dämpfe. Zusätzlich zum Spiel und in den Pausen gibt es Dauerbespaßung aus Limbo-Dance-Einlagen, diversen Fan-Spielchen, Kiss Cam und Co. Oklahoma gewinnt die Partie und mir gehen die stundenlangen „Defense“-Rufe nicht mehr aus dem Ohr.
Ich bin richtig traurig, als ich mein Auto nach einer Woche abgeben muss. Nicht nur, weil ein Klimaschock auf mich wartet. In New York werden die Temperaturen um den Gefrierpunkt liegen, während es hier in Oklahoma tagsüber noch deutlich über 20 Grad warm ist. Ich hatte mich fast an Norman gewöhnt! Ich bin nicht mehr an den Autobahnausfahrten vorbeigesegelt, ich wusste, wo es auf dem Campus den besten Kaffee gibt. Und: Ich hatte akzeptiert, dass die Amerikaner große Probleme haben, meinen Vornamen auszusprechen. Dänn-jella?? In Manhattan kaufe ich erst mal ein „I“. Für Dänni.
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Marie von Mallinckrodt, Bayerisches Fernsehen, München
„Wir müssen warten, bis alle Stimmen ausgezählt sind.“
Um kurz vor Mitternacht steht ihnen der Schock noch ins Gesicht geschrieben. Nur wenige Republikaner sind übriggeblieben, mit hängenden Schultern. Das Licht im festlichen Ballsaal des Hyatt-Hotels in Tampa, Florida, ist gedimmt. Eine Dame in schwarzem Kostüm räumt halbvolle Sektgläser von den verlassenen Stehtischen ab. Im Hintergrund läuft der republikanisch-orientierte Sender FOX-News — ohne Ton. Vor wenigen Minuten wurde der Demokrat Barack Obama zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten wiedergewählt. Vorbei der Moment, auf den nicht nur die republikanischen Partygäste hier an der Westküste Floridas gespannt gewartet hatten, sondern auch die gesamte Weltöffentlichkeit. Der Moment kam so plötzlich daher, dass die Republikaner die Realität noch nicht wahrhaben wollen: „Wir müssen warten, bis alle Stimmen ausgezählt sind, noch ist nicht klar, wer unser nächster Präsident sein wird,” sagt mir ein junger Unternehmer, offensichtlich in diesem Moment bar jeder Vernunft. Er glaubt noch an einen Wechsel, an Mitt Romney, an den, der aus seiner Sicht, der Einzige sei, der die Wirtschaft wieder ankurbeln könne. Er redet noch von laufenden Auszählungsverfahren in Ohio und Florida, während selbst die anwesenden Kameraleute ihr Equipment längst eingepackt haben.
Als wir zwölf RIAS-Stipendiaten wenige Tagen vor den Präsidentschaftswahlen in Washington ankamen, standen alle Zeichen auf ungewiss, kaum einer traute sich eine echte Prognose. Weder Journalisten, noch Politiker und Politikexperten, mit denen wir sprechen konnten. Zu spüren war, dass Barack Obama seinen Heiligenschein verloren hatte, dass das Land in einer tiefen, wirtschaftlichen Krise steckt, aus dem auch der mit so viel Schwung angetretene Obama es in den letzten vier Jahren nicht retten konnte. Und zu spüren war auch, dass der amtierende Präsident bei weitem nicht die Sympathie der Menschen genießt, wie etwa hierzulande in Deutschland. Denn er scheint selbst manchen Demokraten zu sozial, gar zu „sozialistisch“, in einem Land, dass sich definiert über seinen Freiheitsbegriff — und über die Eigenverantwortung: „Ask not what your country can do for you, ask what you can do for your country.“
Dass das nicht nur ein alter Demokraten-Spruch von John F. Kennedy ist, erlebe ich in Florida, in St. Petersburg. Unterwegs mit dem Team des Senders Bay News 9 sehe ich unzählige, freiwillige Helfer, Familien mit Kleinkindern, die vor den Wahlbüros stehen, um zu werben, die von Haustür zu Haustür laufen, um noch den letzten Wähler hervorzulocken. Und dann — die vielen verunsicherten Wähler. Wähler, die wegen überfüllter Wahllokale noch immer in der Schlange warten, als Obamas Wiederwahl schon längst bekannt gegeben wurde. Wähler, bei denen der Wahlcomputer nicht funktioniert. Am Folgetag werden diese höchst undemokratischen Zustände nicht wirklich kritisiert, sie lösen im Gespräch höchstens ein Achselzucken aus. Kritik an der Regierung und deren Verwaltungen und Behörden scheint nicht Sprache der Amerikaner zu sein.
Dieses Phänomen erklären mir Journalisten von einer alten, floridianischen Zeitung — einer der wenigen, die noch in Familienbesitz ist — die „Tampa Bay Times“. Selbst die Demokraten würden nicht uneingeschränkt hinter den neuen sozialstaatlichen Ansätzen Obamas stehen, er ernte dafür viel Kritik aus den eigenen Reihen. Denn das gehe gewissermaßen, so Redaktionsleiter Bill Duryea, gegen den ganzen Stolz der Amerikaner — nämlich für sich selbst sorgen zu können, in allen Bereichen. Ich denke an Deutschland und die Diskussion über staatliche Subventionen für Bügel- und Putzhilfen Zuhause. Dazwischen liegt ein ganzer Ozean.
Die Amerikaner müssen sich beim Hausputz eher durch selbstorganisierte Nachbarschaftsinitiativen helfen. An einem Morgen laufe ich durch die vom Hurrikan Sandy betroffene Brooklyn-Gegend „Red Hook“. Vor den Häusern, in denen noch Einiges zu richten ist, wie etwa Wasser aus den Kellern zu pumpen, versammeln sich spontane Bürgertreffs. Sie sind da, um zu helfen, eine selbstverständliche Sache. Wenn es drauf ankommt, hilft man sich gegenseitig, lamentiert nicht lange rum und fragt vor allem nicht nach dem Staat.
Das amerikanische Leben scheint „Trial and Error” zu sein, Probieren geht über Studieren. Das lernen wir bei der New York Times. Deren kürzlich verstorbener Verleger Sulzberger soll wohl vor einiger Zeit gesagt haben, dass es die gedruckte Zeitung irgendwann nicht mehr geben wird. Als Folge: es wird Neues ausprobiert — und Rücksicht auf mögliche Fehler. Aus denen lernt man. Die Videojournalisten der New York Times sind innovativer und ideenreicher als es bei sämtlichen Fernsehanstalten der Fall ist und in der Print-Redaktion gibt es sogar ein kleines „Fernsehstudio“ — für Moderationen und Aufsager. Twitter ist bei allen amerikanischen Redaktionen, die wir besuchen dürfen, Bestandteil der Veröffentlichungen. Ehe eine Story gedruckt wird, wird sie in Teilen vorab über den Twitter-Kanal gejagt. Fernseh-Moderatoren integrieren Tweets, noch während die Sendung läuft. Mehr als 6 Millionen Twitter-Follower zählt die New York Times, die verkaufte Auflage erreicht nicht einmal eine Million. Trends aus den USA, die für uns deutsche Journalisten spannend und lehrreich sind.
Überraschend ist auch die Sicht des American Jewish Comittee auf Barack Obama und Deutschland in Sachen Israel. Obama, so Geschäftsführer David Harris, sei nicht der Präsident, den wir Deutschen so vor Augen hätten. Er sei ein Post-Europäer und ein Post-Sentimantalist. Sein Blick gehe noch weniger gen Europa als bei anderen Präsidenten zuvor. Außerdem — das war ein klares Signal an uns deutsche Journalisten — unsere Regierung sei zu pazifistisch. Indirekt wird mehr Unterstützung für Israel verlangt. Ein diskutierwürdiges Thema. Leider reicht die Zeit nicht, um noch mehr in die Tiefe zu gehen. Dieses Gefühl gibt es oft. Drei so intensive und spannende RIAS-Wochen gehen eben unglaublich schnell vorbei, zu schnell.
Vor dem Weißen Haus ist derzeit eine Baustelle. Davor ein Schild mit der Aufschrift: „hard hat area”. Sprich, wer da rein will, braucht eine gute Schutzkleidung. Auch wenn wir nicht im Weißen Haus waren, so hat man doch das Gefühl nach diesen drei Wahlwochen das Land sehr viel besser kennengelernt zu haben. Dank RIAS und dank all den interessanten Gesprächspartnern, innerhalb unserer Zwölfer-Gruppe und außerhalb.
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Hero Warrings, RTL, n-tv, Berlin
„So, you are from Germany.“
Mehr als 50 Millionen U.S.-Amerikaner haben deutsche Vorfahren. Das Bild von Deutschland war in den USA nach 1945 geprägt vom Schrecken der Nazi-Herrschaft während des zweiten Weltkriegs. Erst in den letzten Jahren hat sich in den USA das Bild vom „hässlichen Deutschen“ hin zum coolen Deutschen gewandelt. Den gut gepflegten Klischees ist ein offener Umgang mit den „Germans“ gewichen. Eine Erfahrung, die auch ich während meiner drei Wochen zwischen Ost- und Westküste machen konnte.
Acht Jahre liegt mein letzter Besuch in den USA zurück. Das erste Mal war ich 1985 über den Atlantik geflogen. Bei meinen ersten Aufenthalten in South Carolina, New York oder Los Angeles wurde ich als Deutscher von Amerikanern auch schon mal mit einem scherzhaften „Heil Hitler“ begrüßt, verbunden mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter. Ich konnte nicht drüber lachen. Außer Autobahn, Hitler und Heidi Klum wussten viele Amerikaner nichts über die Bundesrepublik.
Heute ist das anders. Viele Amerikaner haben den Namen Bastian Schweinsteiger schon mal gehört, sie wissen wie die deutsche Bundeskanzlerin heißt, bewundern die Tugenden von Dirk Nowitzki und staunen, dass wir Deutschen Barack Obama lieben. Und hinzu kommt die Welle der Sympathie durch die Fußball Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Die Wahrnehmung von „Germany“ in den USA ist heute eine andere. Früher war sie geprägt von Hollywood-Filmen, in denen Deutsche entweder böse oder vertrottelt dargestellt wurden.
Chris Pollok ist Deutscher und lebt seit mehr als 20 Jahren in den USA. Wenn er von US-Amerikanern auf seinen Akzent angesprochen wurde, sagte er auch schon mal „ich komme aus der Schweiz“. Pollok wollte sich nicht als Deutscher zu erkennen geben, weil ihn die Diskussionen, die damit verbunden waren, nervten. Heute steht der Mitbesitzer des Restaurants „Bier International“ in Harlem zu seiner deutschen Herkunft. Die Situation habe sich geändert. Deutschland und Deutsche gelten in den Vereinigten Staaten neuerdings als cool und sympathisch.
Das konnte ich auch im Gespräch mit Dana Wagner erfahren. Dana ist Star-Moderator bei NBC in Las Vegas. Seine Eltern kamen aus Garmisch Patenkirchen. Doch Dana hat nie Deutsch gelernt. Als er und seine Frau Kim vor einigen Jahren durch Deutschland reisen, wird ihr Bild neu gemalt. Sie sind begeistert, wie in Dresden die zerstörte Frauenkirche wieder aufgebaut wurde, sie besuchen angesagte Restaurants und Läden („and not expensive“) in Berlin und genießen die entspannte Atmosphäre der Biergärten in Bayern. Und immer wieder ist es vor allem Berlin, das vor allem junge Amerikaner begeistert. Die pulsierende Metropole, in der vor allem amerikanische Jugendliche bis in die Morgenstunden mit hunderten anderen Jugendlichen abhängen und Bier aus dem Kiosk um die Ecke in einer warmen Sommernacht trinken wollen. In den USA undenkbar.
Auch Dean ist jetzt Deutschland-Fan. Als ich in der Abteilung Sportbekleidung des Kaufhauses Macy’s in New York stehe, bedient mich ein junger Mann namens Dean. Als er hört, dass ich aus Berlin komme, fängt er gleich an sein Deutsch an mir auszuprobieren. Er hat keine Verwandtschaft in oder aus Deutschland. Als der vielleicht 24jährige Mann die Wahl hatte, in einem Land in Europa ein Jahr zu verbringen, sagte er direkt: Deutschland. Dean hatte viele positive Dinge über das Land gehört. Auch ein Grund nach „Germany“ zu reisen: Viele Jugendliche dort können gut Englisch sprechen. Dean war dann als Schüler für zwölf Monate in einer Gastfamilie in Nürnberg und fährt seitdem jedes Jahr zurück. Er sei überrascht gewesen, dass die Deutschen doch ganz locker drauf waren. Jetzt ist er Fan deutscher Rockbands, er liebt die bayerische Küche und er ist erstaunt gewesen, dass die Deutschen so viel über Amerika wissen.
Und so sind die Erfahrungen mit vielen Menschen, die ich in den USA traf, sehr positiv, wenn es um das Thema Deutschland ging. Dabei handelte es sich nicht um gängige Höflichkeiten. Das Interesse war ehrlich und die Kommentare aufrichtig.
Auch der U.S.-Präsident interessiert sich für Deutschland, insbesondere für das Ausbildungssystem. So hat Barack Obama in einer „State of the Union” Ansprache den deutschen Großkonzern Siemens als beispielhaft gelobt, wenn es um die Qualifikation von Mitarbeitern geht.
Obama mag der erste „pazifische Präsident“ sein, der erste amerikanische Präsident, der mit Europa nicht ganz so viel verbindet wie sein Vorgänger Bill Clinton, der sogar mal in Deutschland eine Zeit lang wohnte. Präsident Obama mag ein unsentimentales Verhältnis zu Europa haben. Doch das deutsch-amerikanische Verhältnis ist und bleibt ein ganz besonderes. Deutschland ist als treibende und verlässliche Kraft in Europa für den Chef im Weißen Haus die wichtigste Adresse im Westen. Auch die deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen funktionieren gut. Die Direkt-Investitionen amerikanischer Firmen in Deutschland sind weiterhin hoch oder so wie das Engagement deutscher Firmen in den USA.
Amerika und Deutschland haben sich immer gegenseitig befruchtet. Beide verbinden viele gemeinsame Ideale und Wertvorstellungen. Als die Einwanderer im 18. Jahrhundert ihre politischen, demokratischen Wunschvorstellungen von Bremerhaven nach mit nach Ellis Island mitbrachten, setzen sie sie dort um. Werte, die heute als amerikanisch gelten, sind oft ursprünglich europäische Werte. Das gilt heute so wie damals. Und Deutschland wäre nicht das Land, was es heute ist, wenn nicht die USA nach 1945 Demokratie und Freiheit nach Deutschland „exportiert“ hätten.
Deutsche und Amerikaner sind sich im Kern ähnlicher als es viele Skeptiker gerne hätten. Die alten Klischees verschwinden und weichen immer mehr persönlichen Erfahrungen. Und so ist es gut, dass beide Seiten erkannt haben, dass sie mehr verbindet als sie trennt. Deutsche haben sich schon immer für Amerika interessiert. So ist es doch gut, dass Amerikaner Deutschland noch einmal neu entdecken und sehen, dass das Deutschland von heute mehr bietet als Heidi Klum, Krankenversicherung und Autobahnen.
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Franziska Weber, Mitteldeutscher Rundfunk, Leipzig
„Cincideutsch?“ So die Begrüßung in Cincinnati, Ohio. Meine Praxisstation zusammen mit Kollegin Anna vom WDR. Cincinnati gehört zu den drei amerikanischen Städten mit dem größten Anteil deutschstämmiger Einwohner, über 40 Prozent. Wir treffen Mitglieder vom Verein „Cincideutsch“ im „Mecklenburg Gardens“, Olaf aus Lübeck schwärmt vom Leben in Cincinnati und vom aktuellen Projekt, einen kleinen deutschen Weihnachtsmarkt in der City zu veranstalten. Unser Host Laure, ehemalige preisgekrönte Journalistin, jetzt Lokalpolitikerin, hat ein Herz für Weihnachtsmärkte und unterstützt die Liebhaber der deutschen Traditionen. Eine Facette einer Stadt, von der ich bisher kaum etwas gehört hatte.
Als ich erfuhr, es geht zur station week nach Ohio, schien das wenig aufregend. Doch dann, in den letzten Wochen vor der U.S.-Präsidentschaftswahl, wurde klar: Ohio ist der entscheidende Swing State, eine Miniatur-Ausgabe der USA. Im Norden stehen Autofabriken und Stahlwerke, dort haben die Demokraten die Oberhand. Der Osten ist armes Farmland, seine Bewohner stimmen überwiegend republikanisch, ebenso im Süden, der in den frommen „Bible Belt“ überleitet. In den Städten gibt es viele Wechselwähler, die besonders leidenschaftlich umworben werden.
Barack Obama und Mitt Romney verbringen also viel Zeit in Ohio — und das ist unser Glück: Zwei Tage vor der Wahl erwischen wir den U.S.-Präsidenten an der Universität von Cincinnati bei einem Wahlkampfauftritt. Zusammen mit fast fünfzehntausend Menschen warten wir in der Halle, sehen überall die blauen „Forward“-Plakate, hören Stevie Wonder, die Nationalhymne, Sprechchöre, es dauert, bis der Präsident endlich ans Rednerpult kommt. Mit heiserer Stimme beschwört er die Zuhörer, überwiegend Schwarze, ihm noch mal vier Jahre zu geben, auf jeden Fall wählen zu gehen. Die meisten jubeln ihm zu, wenn auch verhaltener als 2008. Ich bin mittendrin und lasse mich anstecken von der Stimmung…Ganz klar einer der Höhepunkte auf dieser RIAS-Reise, für den ich mich nach der Woche in Washington mit vielen politischen Hintergrundinformationen gut gerüstet fühle. Die Diskussionen bei den think tanks Brookings Institution und Heritage Foundation über Wählerstrukturen und Strategien waren lehrreich und boten viel Konkretes. Aber auch die Begegnung mit der Politico-Redakteurin, die seit Jahren über Obama berichtet und ihn uns als „loner, no glamorous“ und als „reader“ beschreibt, war sehr interessant.
Zwei Tage nach Obamas Auftritt dann der Tag der Entscheidung: Wir fahren mit unserem Host Ann, der Radioreporterin eines Lokalsenders, zu verschiedenen Polling Stations, befragen Leute, die gerade gewählt haben. Es herrscht reges Treiben, viele wollen ihre Stimme abgeben und nehmen dafür auch längere Wartezeiten in Kauf. Zwei junge Schwarze sagen, sie wissen, wie schnell man bedürftig werde — und es sei klar, dass nur Obama sich um diese Menschen kümmere. Auch wenn sie vieles an dieser Regierung nicht mögen. Ein Taxifahrer mit afrikanischen Wurzeln erzählt uns genau das Gegenteil — er ist für Romney, weil er Angst davor hat, dass sich seine Landsleute in der sozialen Hängematte ausruhen, während er Nacht für Nacht schuftet.
Am Abend schauen wir beim Board of Election vorbei, beobachten das Auszählen der Wahlzettel, sehen nervöse Kamerateams. Dann geht es weiter zur Republikaner-Party, viele ältere weiße Männer, es läuft Fox-News, die Stimmung eher verhalten. Gerade rechtzeitig wechseln wir in die Bar, wo die Demokraten nervös, aber trotzdem gut gelaunt auf das Ergebnis warten. Ein Treffer: Noch vor Mitternacht verkündet CNN, dass der Präsident wiedergewählt ist. Um uns herum flippen alle aus, wildfremde Menschen liegen sich in den Armen, eine obdachlose Frau kommt herein und feiert mit, zwei Männer küssen sich.
Was für ein Abend! Der Präsident hat es also noch einmal geschafft, und schon geht mir wieder durch den Kopf, was wir alles über the fiscal cliff gehört haben, dass Obama einen schweren Stand hat und sich unbedingt bis Jahresende mit den Republikanern einigen muss, um den Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. Andernfalls könnte eine Serie von automatischen Steuererhöhungen die Wirtschaft in die Rezession treiben.
Nach der Wahl gönnen uns unsere Hosts in Cincinnati eine Atempause, wir erkunden die Stadt und den Ohio-River, entdecken den Vorläufer der Brooklyn Bridge, erbaut von Johann August Röbling. Die richtige Einstimmung auf New York, unsere letzte Station.
Die United Nations stehen am ersten Tag auf dem Programm, eine geführte Tour hinter den Kulissen — und vor allem ein sehr interessantes Treffen mit dem gut aufgelegten Sprecher von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon. Starke Momente auch beim Gespräch mit dem Direktor des American Jewish Comittee und bei der New York Times, die nicht mehr nur auf Textreportagen, sondern auf richtig gute Video-Beiträge setzt. Beeindruckend der Besuch der CNN morning show mit einer taffen Moderatorin, die sich nach der Sendung sogar noch Zeit für unsere Fragen nimmt.
Und dann ist da noch diese Sache mit facebook, twitter und Co, die in den U.S.-Redaktionen überlebenswichtig scheinen und mich nachdenklich machen. Moderatoren und Reporter posten regelmäßig Dinge aus ihrem Privatleben, recherchieren Geschichten über Twitter. Zwar wird auch bei uns im Sender social media immer wichtiger — aber noch längst nicht mit dieser Selbstverständlichkeit.
Viel zu schnell ist das Programm dann zu Ende. Drei Wochen, in denen ich die USA so intensiv kennenlernen konnte, wie es einem normalen Touristen kaum möglich ist. Eine unvergessliche Erfahrung, Menschen exklusiv zu treffen, die einem sonst nicht über den Weg laufen, politische Hintergründe aus erster Hand zu erfahren, bei Newsroom-Besuchen das amerikanische Mediensystem besser zu verstehen. Eine volle Dosis Amerika… Danke an RIAS für eine tolle Zeit!