3-wöchige USA-Journalistenprogramme 2006
Frühjahr und Herbst
RIAS USA-Frühjahrsprogramm
11. März – 8. April 2006
Zwölf deutsche Journalisten in den USA: Programm in Washington und New York; Besuch von Journalistenschulen (University of Southern California, Los Angeles; University of Texas, Austin; University of Columbia, South Carolina; University of Colorado at Boulder); individuelles Rundfunkpraktikum.
TEILNEHMERBERICHTE
Vladimir Balzer, DeutschlandRadio Kultur
An diesem 11. März hat Washington geleuchtet. Strahlende Sonne und so warm, dass ich meine winterliche Kleidung aus Deutschland schon auf dem Rücksitz des Taxis abwerfen musste. Der Taxifahrer, ursprünglich aus Marokko und eher wortkarg, hatte sogar die Fenster geöffnet! Das war nicht Frühling, das war schon Sommer! 8 Tage später, bereits in Texas, wo meine Woche an der Uni beginnen sollte, ging es wettermäßig so weiter: Sonne, Wärme.
Ich erwähne das Wetter, weil es ein Stück von der Leichtigkeit erzählt, die in diesen vier Wochen oft herrschte. Weit weg von der heimischen Redaktion, weit weg von Deutschland. Hier in Amerika schien alles leichter, größer, naiver und — intensiver. Was für ein abgenutztes Wort, aber hier fiel es mir wieder ein: Visionen. Ein Land der Visionen. Hier wird nicht gekleckert. Ein Land, das immer von globaler Bedeutung ist: Als unsere Gruppe dort war, demonstrierten Immigranten aus aller Welt zu hunderttausenden, weil sie Teil des Landes sein wollten und nicht Illegale. Sie glauben an dieses Land.
Überhaupt, Washington! Da war das Gespräch mit David Ensor — der Mann, der bei CNN über Themen der Internationalen Sicherheit und damit auch über die Auswirkungen des Irak-Kriegs berichtet und uns mit seinen klaren Positionen zu einem der anregendsten Gespräche dieser Reise verhilft. Wir Europäer würden uns gerne hinter der guten alten Europäer-Moral verschanzen. Die Amerikaner müssten dann die Drecksarbeit machen, meint er. Endlich mal Gelegenheit zum Streit, der sonst eher selten vorkam. Amerikaner sind nun mal freundliche Menschen und bis sie mit einem Besucher ein politisches Streitgespräch beginnen, muss schon einiges auf dem Tisch liegen. Überhaupt: Fakten auf der einen und Meinung auf der anderen Seite. Eigentlich eine klare Trennlinie, gerade für Journalisten. In Deutschland bekanntlich gerne überschritten, in den USA ist sie heilige Regel. Und was in Deutschland gern als lebendige Debattenkultur verstanden wird, kann in Amerika leicht als Meinungsüberfluss gelten. Und auch wir jungen deutschen Journalisten waren nicht ganz frei davon: sich allzu schnell eine Meinung zu bilden. Hier in Amerika scheint zu gelten: erst berichten, erst interviewen, dann eine Weile nichts und dann erst kommentieren. Informationen bündeln und verbreiten — das ist oberste Priorität.
So hielt es auch Daniel, mein Gastgeber bei WKSU in Kent, Ohio, nicht weit von Cleveland. Ein Reporter für den gesamten Nordwesten des Bundesstaates, ein Mann, dessen Redaktionsbüro aus zwei fensterlosen Räumen besteht, deren Luft nur durch einen Ventilator bewegt wird. Überhaupt: Die Arbeitsbedingungen der Kollegen, in Ohio und anderswo. Sie sitzen meistens in „cubes“, also mit Sichtblenden abgetrennten Schreibtischteilen mit so um die 2qm Arbeitsfläche. Und beschweren sich nicht! Einige sagen, das sei gut für die Kommunikation untereinander, andere seufzen nur und verweisen auf die Realitäten. Doch Daniel hat von seinem Chef für die gesamte Woche frei bekommen, um mir Ohio zu erklären. Und so geht er mit mir auch zu jener Stelle auf dem Unicampus von Kent, an der am 4. Mai 1970 Polizisten der National Guard in eine Menge protestierender Studenten schossen und dabei vier von ihnen töteten. „A day that changed America.“, sagt er. Die Studenten hatten gegen den Vietnamkrieg protestiert und dieser 4. Mai und seine Folgen haben ihn vielleicht schneller beendet.
Überhaupt: Krieg. Wir sind im dritten Jahr des Irak-Krieges und die Stimmung im Lande scheint zu kippen. Einige sagen: das wird Amerikas zweites Vietnam. In Ohio ist es auch, als ich Eltern gefallener Irak-Soldaten zum Interview treffe. Die Schroeders in Cleveland haben ihren Sohn Edward verloren, als sein Konvoi auf eine Mine fuhr. Die Buryjs betrauern ihren Sohn Jesse, seitdem er in einen Schusswechsel mit noch unklarem Hergang geriet. Beide Familien haben ein gemeinsames Schicksal. Doch sie trennen Welten. Die Schroeders kämpfen für den baldigen Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak und waren schon vorher wenig begeistert vom Einsatz ihres Sohnes. Sie haben einen ernsthaften Abzugsplan vorgelegt, der inzwischen unter Abgeordneten in Washington diskutiert wird. Die Buryjs hingegen sagen: unser Sohn war Soldat, das war sein Job. Dieser Krieg sei notwendig und falls auch noch einer im Iran notwendig sein sollte, dann: bitte. Das sind sie — die Momente dieser Reise: Ich sitze auf Frau Buryis Couch. Neben sich hat sie eine Art Traueraltar für ihren Sohn aufgebaut. An der Wand hängt seine Erkennungsmarke. Als ich sie nach dem Interview frage, was ihr die viele Medienaufmerksamkeit bedeutet — denn ich bin bei weitem nicht der erste Journalist, der sie befragt, wenn auch der erste deutsche — , da sagt sie: Interviews helfen ihr darüber hinwegzukommen.
Vielleicht muß ich jetzt zurücknehmen, was ich am Anfang geschrieben habe. Das von der Leichtigkeit. Ich hatte sie aber vorher, in Texas. Eine Woche in Austin an der Uni. Seminare, u.a. eines bei der Witwe des Sicherheitsberaters von Präsident Lyndon B. Johnson, ein Baseballspiel der Unimannschaft, das einen kontemplativen Rhythmus vorgibt: Werfen, schlagen, laufen, stopp. Kurze Pause. Werfen, Schlagen … lange Pause. Und alles kommentiert von unserem sehr engagierten Gastgeber David, aus dessen ebenso engagiertem Terminplan wir uns hin und wieder rausstehlen mussten, um auch die Umgebung zu erkunden. Und das hieß: Musik hören, Country natürlich. Überall Musik in Texas! So schien es mir. Wir waren bei Gitarrencowboys und ihrer Jam-Session zu Gast, und auch sonst in nicht nur einer Live-Musik-Kneipe. Und — haben vom deutschen Kuchen von Renate gekostet, die vor Jahrzehnten nach New Braunfels gekommen ist, einem kleinen Städtchen bei Austin. Sie ist bei weitem nicht die einzige Deutsche in der Gegend, aber wahrscheinlich die mit dem besten Kuchen. Dieser riesige sonnige Staat, dieses Texas hat eine Selbstverständlichkeit wie man sie in Deutschland eigentlich nur aus Bayern kennt. Ein bisschen vom „Mir san mir.“
Und dann: New York. Es ist schon so viel über diese Stadt geschrieben worden. Und doch ist sie noch viel härter, faszinierender, schneller, höher und schöner. Nur an einem sonnigen Nachmittag im Central Park hatte ich die Ruhe, über die unglaublichen Kontraste Amerikas, aber auch über das kürzlich genossene gute Essen und das gute Gespräch bei der deutschen UNO-Vertretung nachzudenken. Und über das Treffen mit Vertretern der Ellis-Island-Foundation. Millionen von Amerikanern können sich auf Vorfahren stützen, die über Ellis Island eingewandert sind. Amerika — ein Land, das durch ganz andere Dinge zusammengehalten wird als Deutschland. Da ist wieder das abgenutzte Wort: Visionen. Was sagte dazu Deutschlands erster Nachkriegskanzler, Konrad Adenauer: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.
Keep the torch lit — heißt es stattdessen bei der Ellis-Island-Foundation. Lass` die Fackel brennen. Die Idee einer Neuen Welt, sie scheint noch lebendig zu sein. Eine Neue Welt, in der — zumindest in der Vorstellung — nur eins zählt: Was machst du? Und nicht: Wo kommst du her? Irgendeinen Grund muß es ja haben, dass die Emigranten dieser Welt zuerst nach Amerika wollten und nicht woanders hin.
Vier Wochen lang habe ich versucht, dieses Land zu verstehen. Einige der Fragen, die ich vor der Reise hatte, sind beantwortet worden. Viele neue Fragen sind dazu gekommen.
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Verena Bünten, Westdeutscher Rundfunk
Was ist das für ein Land, das einem im Alter von 19 erlaubt, als Soldat im Irak zu sterben, aber keine Flasche Bier zu kaufen? Vier Wochen Zeit zum Fragenstellen, Augenaufsperren, Kopfschütteln, Streunen, Staunen. Vier Wochen, um in Amerikas Innerstes zu schlüpfen, immer auf der Suche danach, mehr zu verstehen. Go on!
Washington D.C. — „We are at war“
David Ensor, Korrespondent für Investigatives bei CNN, lässt die Maske des stets lächelnden, souveränen Meisters der Selbst-PR schlagartig auf den Tisch krachen. Transatlantische Entfremdung bricht sich Bahn im schlichten Konferenzraum von CNN Washington. Nein, mit dieser „europäischen Scheinheiligkeit“ will David Ensor jetzt mal aufräumen, und zwar lautstark. „Es ist einfach, gegen den Irakkrieg zu sein, wenn jemand anders die Drecksarbeit macht.“ Der Medien-Profi dampft geradezu. Diese Nation sieht sich nach wie vor im Kriegszustand. Nicht als überforderte Besatzer ohne Plan, sondern als diejenigen, die den Kopf hinhalten für eine Sache, die getan werden muss. Menschenrechte und Guantanamo? „Das hier ist keine gute Welt und es gibt hier nicht nur gute Menschen!“ Und überhaupt: „Wer bei der NATO nicht bezahlt, soll die Klappe halten.“ Soviel Entrüstung bei einem überaus intellektuellen kosmopolitischen Amerikaner macht nachdenklich. Wir kommen an diesem Vormittag nicht mehr zueinander — dennoch einer der wahrhaftigsten Momente dieser vier Wochen.
Washington — widersprüchliches Herzstück des politischen Amerikas: Sonntags sind die Parks der Hauptstadt voll mit Schwarzen, die nicht danach aussehen, als ließe der „American Dream“ sie teilhaben. Andererseits waren die inspirierendsten Gesprächspartner meist die, die in einer Generation den Aufstieg als Einwandererkinder aus der sozial tiefsten Liga geschafft haben. Neben Top-Journalisten wie Gwen Ifill, der schwarzen Sabine Christiansen, erleben wir eindrucksvolle Begegnungen mit denen am Rande: Mit den Indianern etwa, die sich immer noch verachtet fühlen und in den Reservaten die höchste Selbstmordrate der USA aufweisen. So wollen amerikanische Kinder lieber Cowboy spielen als Indianer, denn die haben schließlich verloren. Was ist das für ein Land, in dem die Kavallerie cooler ist als Winnetou? Immerhin werden Schüler an indianischen High Schools wieder in ihren Traditionen unterrichtet. Kiowa-Frau Cinda erzählt, dass junge Indianer zur Feier des Abiturs in der Schule gemeinsam Büffel häuten — und räumt mit unseren Klischees auf: „By the way: I don’t like to camp.“
Austin/Texas — „The only men with ties are the men in coffins“
Gruene Hall, New Braunfels. Krawattenträger würden sich hier sekundenschnell als Greenhorn outen. Die etwa 400 Besucher in der ältesten Country- und Dance-Hall von Texas tragen an diesem Samstagabend Stetson, Baseballkappen und natürlich Stiefel, der Sheriff inklusive. Die von deutschen Einwanderern gegründete „Gruene Hall“ hat einen uralten groben Dielentanzboden und eine Bühne mit ölgemaltem Hintergrund. Nach meinem Fachwissen aus zahlreichen Lucky Luke-Comics müsste augenblicklich eine Truppe Cancan-Mädels Röcke und Beine zur Musik eines verstimmten Klaviers schleudern. Stattdessen tritt Fred Eaglesmith auf, ein jovialer kanadischer Country-Musiker, der gut ankommt im ländlichen Texas — auch mit seinen Sprüchen: „Ein Glück, dass Euch die Musik gefällt, denn hier in Texas werden Musiker ja erschossen. In Kanada werden Musiker höchstens harpuniert. Bei uns gibt’s nämlich keine Waffen. Warum nicht? Weil Ihr alle gottverdammten Waffen dieser Welt hier in Texas habt!“ „Yeaaah!!!“ Dieser Schrei der Begeisterung kommt aus 400 Kehlen, Fäuste und Bierflaschen werden in die Luft gereckt — kein Zweifel, der Texaner ist nicht bereit, sich entwaffnen zu lassen. Diese rustikalen Hutträger um mich herum sind die Bastion George W. Bushs, sie wollen weder mit Kerry noch mit Hilly grillen und wer bei der nächsten Wahl das Waffengesetz antastet, der wird hier vermutlich immer noch geteert und gefedert. Das Paradoxe: Der Charme des Longhorns hat mich erwischt. Ich bin dabei, mich in einen Bundesstaat zu verlieben, der vollstreckungsfreudiger Spitzenreiter in Sachen Todesstrafe ist. Das kann ich zu Hause keinem erklären, hat aber mit diesen kernigen, herzlichen Menschen zu tun.
Grand Rapids/Michigan — „Don’t beg or sound desperate“
„Halten Sie einen Moment inne und sagen sie Danke. Mein Kollege verrät ihnen, wie es geht.“ „Genau, Fred, bei uns kann man jetzt für 75 Dollar Mitglied werden — und die rote WGVU-Kuscheldecke gibt’s dazu.“ „Oh, ja genau, was ist das für eine tolle Decke, Kevan?“, „Die ist wirklich kuschelig, ich habe sie meinem Vater geschenkt…“ Nein, das hier ist kein amerikanischer Shopping-Kanal, der Heizdecken unters Volk bringt. Es ist öffentlich-rechtlicher Rundfunk in seiner schwärzesten Stunde: „Pledge Drive“ bei meiner Station WGVU TV and Radio. Grand Rapids, Michigan ist von Texas aus gesehen Yankeeland am anderen Ende der USA, ach was, der Galaxie. WGVU TV and Radio scheint vom deutschen öffentlich-rechtlichen System etwa genauso weit entfernt. Der Sender, bei dem dreieinhalb Redakteure/Moderatoren täglich darum ringen, regionale Programmfenster flächig zu füllen, verschleißt sich in einem Dauerkampf ums Geld. 65 Prozent des Budgets müssen selbst aufgebracht werden, der Rest kommt aus Zuschüssen von der Träger-Universität und durch Werbung. Zweimal jährlich also heisst es Pledge Drive — das ganze Elend des Spendensammelns on air. „You get a beeeautiful WGVU-mug…“
Das Wochenziel prangt auf einem handgeschriebenen Zettel über dem Mikrofon: 50.000 Dollar müssen her. Am dritten Tag sind gerade mal 3.000 Dollar eingegangen. Dabei verwendet der Moderator ein Viertel der Sendezeit für Spendenaufrufe. Die Lage ist verzweifelt, der Sprecher darf sich aber auf gar keinen Fall so anhören. „Don’t beg or sound desperate. Everyone wants to back a winner, not a looser“ heisst es im telefonbuchdicken Anleitungsordner für den sendereigenen Pledge Drive. Dieser Ordner dient dem ermatteten Spendenjäger am Mikro als Quelle der Inspiration: Etwa 500 vorformulierte Moderationsbeispiele umfassen die ganze Klaviatur des Beitragsbuhlens von Anrühren („Public Radio – your trusted companion in the car“) bis zur Drohgebärde („Life without Public Radio“). Als ich den WGVU-Kollegen von unserer Senderfinanzierung in Germany erzähle, bekommen sie diesen irren Blick und bekunden spontanes Einwanderungsbegehren. Ich gratuliere mir selbst zu meiner Geburt in einem gelobten Land, in dem Rundfunkgebühren wie Manna vom Himmel regnen. Noch.
New York — „Treating people with respect even if they are nuts …
… is a good thing“, meint Greg. Der ehemalige Medien-Dozent braucht diese Lebensdevise, denn er hat bewusst mit dem öffentlichen U.S.-Fernsehen gebrochen. Er produziert Brooklyns offenen Kanal und zeigt uns, wie weit Toleranz in den USA gehen kann — weit hinter „A chat with Glenda“ und meine persönliche Schmerzgrenze. Berufene Rentnerinnen wie Glenda können beim Brooklyn Community Television schädelsprengend-schlechte Video-Kassetten einreichen, die ausgestrahlt werden müssen. Egal, ob sexuelle Obszönitäten oder Aufruf zu Rassismus und Gewalt, im freien Amerika hat zunächst einmal jeder Bürger das einklagbare Recht, seine Botschaft im Community TV zu senden. Wie kann es angehen, dass im öffentlichen U.S.-Fernsehen jedes Schimpfwort mit einem „Beep“ getilgt wird und Janet Jacksons Brustwarze einen nationalen Herzstillstand auslöst, während für den offenen Kanal im nicht frei zu empfangenen Cable TV keinerlei Regeln des guten Geschmacks gelten? Oh Du widersprüchliches Amerika.
Fazit: Kulturschock kickt
Betende Studenten bei Starbucks, die sich anschließend jedes Wochenende bis zum Exzess besaufen. „Be safe“ — eine Abschiedsfloskel, die die allgegenwärtige Angst der Menschen verrät. Amerikaner, die sich bei mir vehement für ihren Präsidenten entschuldigen, aber dennoch nicht wählen gehen. Manche Fragezeichen über meinem Kopf werden wohl niemals weichen, aber die Irritation macht den Reiz aus.
Ich habe die USA als ein schön-schreckliches Land der Möglichkeiten erlebt: Sie bieten immer noch viele Möglichkeiten zum Aufstieg für aufstrebende Benachteiligte und gleichzeitig alle Möglichkeiten zum Absturz für Menschen ohne Krankenversicherung. Ich beneide die Amerikaner um ihre Flexibilität, Integrationskraft, zupackende Dynamik und Eigenverantwortung und beneide sie gleichzeitig nicht um den täglichen Kampf, ihren Job zu behalten.
In den vier Rias-Wochen habe ich unglaublich viele einnehmende Menschen getroffen, teils hoch gebildete, teils gut geerdete Amerikaner. Durch die Gespräche mit ihnen konnte ich vieles besser verstehen, z.B. dass es nicht einfach ist zu reisen, wenn zwei Wochen Jahresurlaub am Stück genommen eine massive Auseinandersetzung mit dem Chef bedeuten. Reist man aber zu ihnen, selbst in entlegene texanische Winkel, sind mir die Amerikaner mit einer Offenheit und Herzlichkeit begegnet, die sie derzeit andersherum in Europa wahrscheinlich nicht annähernd erfahren würden.
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Rita Knauft, Mitteldeutscher Rundfunk
Dass die USA ein Land der Gegensätze sind, war mir vage in Erinnerung von meinem einjährigen Highschool-Aufenthalt in Columbus, Ohio — der allerdings zehn Jahre zurück liegt. Dennoch war ich sehr verblüfft, wie sehr dies — vielleicht besonders unter der Regierung Bush — weiterhin zutrifft. So konnte ich auf jeder meiner einwöchigen Stationen immer wieder die Probe aufs Exempel machen. Die vier Abschnitte — Politik, journalistische Theorie, journalistische Praxis und wieder Politik — ergänzten sich gegenseitig in einer fruchtbaren Weise, wie ich sie auf einer touristischen Reise wohl nicht kennen gelernt hätte. Dafür bin ich insbesondere Jon Ebinger dankbar, der ein wirklich anspruchsvolles Programm für uns zwölf Journalisten zusammengestellt hatte.
Washington, D.C.
Sehr behutsam begann der professionelle Teil unserer Reise. Einen ersten individuellen Abend zum Treffen aller Teilnehmer und am Sonntag ging es ganz allmählich mit einer Stadtrundfahrt los. Gelegenheit, die Hauptstadt der Vereinigten Staaten und die Gruppe kennen zu lernen. Dass abends einem Teil der Gruppe noch George W. Bush über den Weg fuhr und zuwinkte, ist sicherlich auch auf Jons hervorragendes Organisationstalent zurückzuführen. Ab Montag begann der professionelle Teil: Mit Journalisten (sehr beeindruckend und aufgeschlossen: die schwarze politische Moderatorin Gwen Ifill von PBS), think tanks, Politikern, Lobbyisten, Instituten und Medienbeobachtern (ebenfalls absolut imponierend: der Ombudsman von NPR, Jeff Dvorkin) im Herzen der Hauptstadt der mächtigsten Nation der Welt ins Gespräch zu kommen und daraus tatsächlich inhaltlich Neues mitzunehmen, Erkenntnisse zu gewinnen, eigene Erfahrungen zu relativieren — das war extrem lehrreich und effektiv. Dabei waren die Diskussionen insofern aufschlussreich, als sie auch eigene vorgeprägte Eindrücke aus der U.S.-amerikanischen Sicht heraus sehr relativiert haben — hier erinnere ich mich besonders an die Diskussion mit David Easter von CNN, der glaubhaft und authentisch seine Sicht der Dinge auf das angebliche europäische Unwissen über CIA-Geheimtransporte von Häftlingen schilderte. Die Woche war eine sehr intensive Erfahrung mit interessanten Gesprächen (u.a. beim Dinner mit U.S.-Journalisten, die „embedded journalism“ im Irak als völlig unproblematisch ansahen) und Eindrücken von der Schaltzentrale der Macht, deren Schattenseiten jedoch nicht ausgespart wurden.
University of Southern California, Los Angeles
Als ich erfuhr, dass ich zur L.A.-Gruppe gehören sollte, war ich sehr erfreut; im Nachhinein mit den Schilderungen der übrigen Gruppenmitglieder versorgt, wäre aber jede der Universitätsstädte interessant gewesen. Nach einer Flugreise über den gesamten Kontinent — immer noch im selben Land! — und über drei Zeitzonen hinweg kamen drei junge Frauen in Los Angeles an. Dort konnten wir theoretische Erkenntnisse aus der Washington-Woche — die Dominanz der „Minderheit“ Latinos — am eigenen Leib erfahren. Die spanische Muttersprache bzw. langjährige Mexiko-Korrespondententätigkeit meiner beiden mitreisenden Kolleginnen halfen sichtlich über viele Schwellen, sei es beim Autoverleih, im Waschsalon oder an der Hotelrezeption. Im Vergleich zu Los Angeles wirkt die U.S.-Hauptstadt beschaulich. L.A. ist ein Moloch mit tollen, teuren Ecken: neben Beverly Hills, Bel Air ganz bestimmt das Getty Museum. Das Kommunikationsinstitut an der USC wiederum zeigte einen weiteren Gegensatz der USA: Wer Geld hat, studiert an Schulen, die Studios haben, die mit mittelgroßen Fernseh- oder Radiostationen in Deutschland locker mithalten können. Die Betreuung an der USC war hervorragend. Zahlreiche renommierte Professoren kümmerten sich um uns und zeigten großes Interesse an Diskussionen mit uns — ein wirklich fruchtbarer Austausch. Hier, in Kalifornien, war auch wenig vom Bush-Amerika zu spüren. Eher hatten wir den Eindruck auf der Podiumsdiskussion, bei der wir die guest speakers waren, dass sich Studenten und Professoren für den schlechten Eindruck, den U.S.-Präsident Bush ihrer Einschätzung nach in Europa hinterlassen hat, regelrecht entschuldigen wollten. Und für uns blieb die Erkenntnis: Liberalität und Toleranz auf beeindruckendem Niveau, wie es in Deutschland leider nicht selbstverständlich ist. Dies liegt nicht notwendigerweise am Reichtum dieses Bundesstaates, sondern an einer wirklich unterschiedlichen Diskussions- und politischen Kultur. Zudem durften wir zu unserer großen Überraschung feststellen, dass Gouverneur Arnold Schwarzenegger, dessen Name in seinem Heimatland Österreich wegen Unterzeichnens von Todesurteilen vom heimischen Stadion entfernt wurde, in den USA als geradezu „linker“ Republikaner gilt, dem durchaus Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur eingeräumt werden.
Bend, Oregon
Nach dieser sonnigen und inspirierenden Woche trennten sich auch die Wege der Kleingruppen. Für mich war es ein recht kurzer Flug — ich reiste einen Staat weiter nördlich, nach Oregon, den in seiner Gesetzgebung liberalsten Bundesstaat der USA. Hier ist Sterbehilfe legal ebenso wie Marihuana-Konsum zur Schmerztherapie — und es gibt keine Mehrwertsteuer. Bend ist nach der L.A.-Erfahrung eine Erholung. Nach dem immensen Verkehr am Flughafen L.A., wo selbst zwischen Autoverleih-Stationen und Gates Busse pendeln müssen, ist der kleine, beschauliche Flugplatz ein Refugium. Mein freundlicher, germanophiler Gastgeber Lee Anderson holt mich ab — und ist sofort erkennbar, einfach weil es nur ein Gate gibt und nicht mal ein Dutzend Leute unterwegs sind. Bend ist ein Ort zum Angeln, Skifahren und Golf spielen, das war mir schon in Kalifornien gesagt worden, aber dass es so idyllisch ist, hatte ich nicht erwartet. Mein Hotelappartement mit Balkon hatte nicht nur Aussicht auf Wald und Fluss (in L.A. schaute ich aus der 9. Etage auf eine Schnellstraße), wir waren auch am Skihang und im Wald laufen. Ein Naturparadies, das zunehmend Ziel der Schickeria wird. Und ich besuchte den dortigen Lokalsender KTVZ. Alle der jungen, netten, frisch graduierten, attraktiven
Nachrichtenredakteurinnen machen dort alles: recherchieren, reportern, fahren, schalten, Kamera, Ton, Schnitt, texten, mischen, moderieren… sehr beeindruckend und praxisnah. Dass sich das Beitragsthema einer der Reporterinnen, die ich begleitete, an einem Vormittag dreimal komplett änderte, brachte sie nicht aus der Ruhe. Die Recherche ist folglich nicht besonders tiefgehend, aber für ein Durchschnittsalter von 22 Jahren leisten die Redaktionsmitglieder anständige Arbeit. Dieser Sender ist quasi eine bezahlte Praxisstation für College-Absolventen, die irgendwann zu CNN oder FOX wechseln. Lee, mein Betreuer, kümmerte sich sehr freundlich um mich, sprach viel Deutsch, stellte mir jeden Abend ein anderes wirklich nettes Restaurant vor, in das er immer nette Kollegen dazu lud, und zeigte mir im Internet das Münchner Hotel, in das er sich während der Fußball-WM einquartiert.
New York City
Den Preis für den kurzen Flug zwischen den beiden Einzelstationen zahlte ich beim Rückflug nach New York, wo sich die ganze RIAS-Mannschaft wieder traf. Früh 4h30 aufstehen und zweimal umsteigen, wobei eine Fluggesellschaft selbst bei einem Umsteigeaufenthalt von 15 Minuten partout nicht die Anschlussfluggates für den Flug einer anderen Airline herausfinden kann, das war eine anstrengende Reise zurück in den Ostteil des Kontinents — selbstverständlich mit verpasstem Flug. Einmal in New York angekommen, entschädigte the big apple für vieles, selbst für die am ersten Abend in einer Kneipe mit toller Live-Musik gestohlene Handtasche mit sämtlichen Papieren, Kreditkarten, Mobiltelefon etc. Wenigstens ermöglichte die nächtliche Polizeianzeige aufschlussreiche Eindrücke von einer Polizeistation in Manhattan, ein Gespräch mit einem sehr freundlichen Detective — und eine Fahrt zurück zum Hotel im Polizeiwagen! Welche Polizei hat schon als Slogan „Professionalism, Respect, Courtesy“? Ich konnte dieses Motto live erleben, als mein persönlicher Detective mich in den nächsten Tagen im Hotel anrief und mir versicherte, dass sie die Sache im Auge behielten. Doch auch abgesehen davon war New York beeindruckend. Tolle Termine hatte Jon wieder organisiert (und dass wir George Clooney, Antonio Banderas, Donald Rumsfeld und Sarah Jessica Parker begegneten, geht sicher auch auf sein Konto), aber auch für sich genommen war New York das Highlight der Reise. Der Gospel-Gottesdienst in Harlem, die Schwulenbar in der Christopher Street, Laufen im Central Park, die leere World-Trade-Center-Fläche inmitten enger HochhaU.S.-Bebauung, Wall Street — das alles ist New York, einfach imposant. Und selbst in dieser Millionenstadt wird man freundlich von interessierten fremden U-Bahn-Passagieren angesprochen, stehen einem hilfsbereite Passanten zur Seite und fragen wissbegierige Kamerateams nach der Angemessenheit eines 9/11-Kinofilms.
Zurück in Deutschland vermisst man so einiges: die Freundlichkeit, Gelassenheit, Höflichkeit der Amerikaner — und betrachtet viele politische Ereignisse aus einer neuen Perspektive.
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Ana Plasencia, Deutsche Welle TV
Berlin – London – Washington: Indisches Huhn mit Reis und… Raspberry Pie
Emoción, intriga, dolor de barriga…was soviel heißt wie… „Spannung, Neugier und Bauchweh“. Wir sind kurz vor dem Abheben. Das Flugzeug beschleunigt und meine Hände sind feucht. Flugangst nennen das die Experten. Ich nenne es Respekt vor dem Fliegen. Klingt weniger dramatisch. Ich versuche zu verdrängen, dass ich allein im nächsten Monat insgesamt acht Mal fliegen muss. Was ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahne ist, dass in nur einer Woche Washington insgesamt zwanzig Termine auf der Agenda stehen. Da ist die Fliegerei nichts dagegen.
Rückblickend kann ich aber sagen, dass sich jeder dieser Termine gelohnt hat. Ich hätte die eine oder andere Tour etwas kürzer gestaltet und dafür zum Beispiel lieber länger mit dem äußerst selbstbewussten Reporter David Ensor von CNN diskutiert, denn er vertrat Ansichten über Guantanamo, die in Deutschland für einen Eklat sorgen würden. Weniger kontrovers, aber genauso informativ, waren die Termine bei Al Jazeera, beim Bürgermeister von Washington DC, beim Außenministerium oder beim Pew Forum on Religion and Public Life, wo wir über den außerordentlich großen Einfluss von Religion in Gesellschaft und Politik der USA erfahren haben. Nach einer Studie der politisch unabhängigen Organisation erklären 60 Prozent der U.S.-Amerikaner, dass Religion für sie sehr wichtig sei. In Deutschland sind es gerade mal 20 Prozent.
God bless Germany… klingt auch nicht so überzeugend wie God bless America… oder?
Washington – Dallas – Los Angeles: Multigrain Bagel mit Ei, Schinken und Tomaten und… Cranberry Muffin
In den Flügen innerhalb der Vereinigten Staaten muss man sich das Essen selbst besorgen. Auch gut — Hauptsache sicher ankommen. Das sind wir auch, wir drei beach girls: Britta, Rita und ich. Allerdings mit fünf Stunden Verspätung und ohne Koffer. Am nächsten Tag war alles schon wieder vergessen, dank der herzlichen Begrüßung von Stella Lopez, einer Mitarbeiterin der Annenberg School of Communications, unserem zweiten Zuhause für diese Woche.
Die meisten Studenten des Elite-Instituts wissen nicht, wie privilegiert sie eigentlich sind. Mit 40.000 Dollar Studiengebühren pro Jahr kann man sich auch Unglaubliches leisten. Die Uni hat einen eigenen Sender. Mit allem was dazu gehört: Studios, Schnittplätze, Regieräume oder Redaktionsräume. Ach so — und unterrichtet werden die Studenten oft von Star-Journalisten.
Die wohlhabende Uni und ihre Protagonisten waren aber nur ein Teil dieser faszinierenden Woche in L.A. Hollywood, Santa Monica (was für eine Promenade!), Beverly Hills oder das Getty Museum standen auch auf dem Programm, und ich konnte mir wirklich keine besseren Abenteuerpartnerinnen als Britta und Rita vorstellen, um diese pulsierende Stadt zu erkunden.
Los Angeles – Dallas: Panini mit Schinken und Käse und…Banana Nut Muffin
Die meisten der in den USA lebenden 40 Millionen Hispanics (die 14 Prozent der gesamten Einwohnerzahl ausmachen) sind mexikanischer Herkunft. Und viele leben in Texas. Während meiner TV-Woche in Dallas rede ich nur selten Englisch (übrigens, ich bin Spanierin). Auch die meisten Journalisten, die bei dem hispanischen Sender Telemundo-Dallas arbeiten, kommen aus Mexiko — mit Ausnahme des Wettermoderators, Ariel. Er ist Kubaner und fühlt sich inmitten des TexMex etwas verloren.
Mexikanische Wurzeln haben auch die meisten Schüler, die während meines Aufenthaltes in Dallas mehrmals auf den Straßen unterwegs sind, um gegen die Verschärfung des Immigrationsgesetztes zu demonstrieren. In diesen Tagen gibt es Protestaktionen im ganzen Land. Viele der Teilnehmer sind so genannte undocumented immigrants. Sie besitzen keinen Pass — obwohl sie in den USA geboren sind und besser englisch als spanisch können. Ihre Eltern dagegen, vor rund zwanzig Jahren in das Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ gekommen, beherrschen Wort und Schrift in Englisch längst nicht so gut. Sie sind aber auch ohne Zweifel ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftsmotors. Viele Unternehmer würden ohne einen einzigen Mitarbeiter dastehen, wenn die papierlosen Migranten das Land verlassen müssten.
Telemundo berichtet ausführlich über das Thema. Aber nicht bis zum Exzess, wie es in Deutschland wohl der Fall wäre. Nach nur zwei Tagen ändert man den Aufmacher im Noticiero 39. Nachrichten über gefährliche Typen, die sich mitsamt Knarre im Haus verschanzen, verkaufen sich eben auch gut. Selbst wenn eine Spezialeinheit der Polizei das Haus filmreif stürmt und dann doch niemanden vorfindet, gibt es die big story.
Dallas — New York: Vegetarische Fajitas und…no dessert
Viele Tex Mex-„Köstlichkeiten“ später befinde ich mich im Landeanflug auf die Stadt der Städte: New York. Und irgendwie habe ich die Angst — Verzeihung — den Respekt vor dem Fliegen vergessen. Die Freude auf diese Metropole ist einfach stärker. Schon ein kurzer Blick aus dem Flugzeug verrät, dass auch dies eine unvergessliche Woche sein wird.
Das war sie auch. Und nicht nur, weil die Stadt einfach einmalig ist. Einzigartig sind auch die Termine, die Jon für uns vorbereitet hat: Angefangen bei dem für uns Europäer völlig unkonventionellen Gottesdienst in einer Baptisten-Kirche in Harlem, über den Tag, den wir in Brooklyn verbrachten, den Besuch bei den Vereinten Nationen, oder den Abend bei der Daily Show mit John Stewart, um nur einige Termine zu nennen. Apropos! Jeder Amerikaner (und damit meine ich auch die Hispanics!), dem ich mit Stolz erzählte, dass wir bei John Stewart zu Gast sein würden, ist vor Neid erblasst. Einige versuchen seit Ewigkeiten an Karten ranzukommen…und warten noch heute darauf.
New York – London – Berlin: Chinesisches Huhn mit Reis und… eine Art Tiramisu
Irgendwie hat es British Airways mit der asiatischen Küche… Aber, auch in diesem Flug schmeckt es mir. Mit jedem Bissen freue ich mich auf das „alte Europa“. Aber, ich schmecke auch viele der unvergesslichen Momente dieser Reise — noch heute. Mmmmmh…Köstlich!
RIAS USA-Herbstprogramm
1. – 28. Oktober 2006
Zwölf deutsche Journalisten in den USA. Programm in Washington DC und New York; Besuch von Journalistenschulen (Brigham Young University, Provo, Utah; University of Indiana, Bloomington; University of South Carolina, Columbia; oder University of Georgia, Athens); individuelles Rundfunkpraktikum.
TEILNEHMERBERICHTE
Nicole Bölhoff, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Mit einem Koffer voller Vorurteile angereist, mit zwei Koffern voller Fragen zurückgekehrt. Was sind die USA nur für ein Land?
Vier spannende Wochen — so viel steht fest — liegen hinter mir. Einmal quer durch den Kontinent gereist. Und doch nur einen Bruchteil dieses riesigen Landes gesehen. Wenn es für das RIAS-Programm überhaupt eine Hitliste geben kann, dann rangiert meine Woche in Utah ganz weit oben. Provo, die kleine Universitätsstadt in Utah — ein Paradies für konservative Familienpolitiker. Überall wimmelt es von Kindern, die Supermärkte erinnern eher an Spielplätze als an Einkaufszentren. In jedem Restaurant stehen mindestens 20 Kinderstühle, 18 davon meistens besetzt. Jeder zweite an der Uni ist verheiratet und viele dieser Ehepaare haben mindestens schon ein Kind, gerne auch mehr. Die Religion der Mormonen macht’s möglich. Familie steht über allem. Ehen werden nicht geschlossen, bis dass der Tod sie scheidet, sondern für die Ewigkeit. Sex vor der Ehe ist genau wie Kaffee, Tee, Alkohol und Rauchen streng verboten. Der Ratschlag eines mormonischen Universitätsprofessors an seine Studenten für’s Dating vor der Ehe lautet denn auch „Don’t get into the horizontal“, und ist durchaus ernst gemeint. Wer nämlich eine der oben genannten Regeln bricht, der fliegt ohne Wenn und Aber von der prestigeträchtigen Brigham Young Universität.
Und so hat sich mir Amerika in den vier Wochen überall präsentiert:
Ein Land voll mit Widersprüchen. Gerade deswegen war das RIAS-Programm wohl auch so spannend. Denn das eine, das einzig wahre Amerika, wird man auch nach Jahren nicht finden!
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Norbert Hansen, Rundfunk Berlin Brandenburg, Berlin
Nun, wo soll ich anfangen? Im Bryce Canyon Nationalpark in Utah, wo mir bei diesem Anblick der Mund offen stand? Beim Kongress-Zentrum der Mormonen in Salt Lake City, dessen technische Ausstattung viele Hauptabteilungsleiter „Sendetechnik“ vor Neid erblassen ließen (und nicht nur die)? Beim Football-Spiel in Lansing/Michigan, als sich die Marchingbands der Michigan State University und der Ohio State University mit ihren je rund 300 Mitgliedern ein musikalisches Gefecht auf höchstem Niveau und größter Professionalität lieferten? Im „Situation Room“ bei CNN in Washington D.C. ? Im State Department? Bei einem der vielen Meetings und Diskussionen in D.C. oder NY? In der Hoboken High School/New Jersey, die von zwei Polizisten bewacht wird? Oder beim beeindruckenden Gottesdienst einer Baptistengemeinde in Harlem?
Die vier Wochen Aufenthalt in den USA waren so vielfältig, so unterschiedlich und aufregend, dass ich so kurz nach der Fahrt längst nicht alle Eindrücke verarbeitet habe und ich dazu noch eine ganze Weile brauchen werde. Und es fällt mir schwer, eine Sache herauszuheben: es gab viele, viele Highlights und Besonderheiten. Da ich vor dem RIAS-Programm schon einige Male in Washington D.C. und New York City war, habe ich mich besonders auf meine Hospitanz in Michigan und meinen Universitätsaufenthalt in Utah gefreut. Denn: Washington D.C. und New York sind zweifelsohne großartig; ich denke aber, sie haben selbst in den USA eine Sonderstellung — D.C. als Regierungsstadt und NY als Schmelztiegel. Also: Wo ist das „normale“ Amerika? Wo sind die typischen Amerikaner? Vielleicht in Michigan oder Utah? Ich war gespannt!
Lansing — die Hauptstadt von Michigan, zwischen Detroit und Lake Michigan
“Hey. How are you doin´?” Mein Host Dave Akerly holte mich am Flughafen von Lansing ab. Er ist Anchor bei WLNS, einer Lokalstation von CBS, und moderiert jeden Abend um 6 Uhr und um 11 Uhr je eine halbe Stunde lang die Nachrichtensendung. Dank seiner perfekten Vorbereitung mit unzähligen Landkarten und Hinweisen — wie ich zum Sender komme, wo ich rund um die Uhr einkaufen kann und wo die schönste Laufstrecke ist — fand ich mich sehr schnell zurecht. Und irgendwie hatte ich den Eindruck: Hier leben normale Amerikaner — willkommen auf dem „grass roots level“. Außerdem war der Oktober eine spannende Zeit, so kurz vor den Kongresswahlen. In D.C. haben wir oft darüber gesprochen, doch nun an der Basis habe ich dann wieder einen ganz anderen Eindruck bekommen.
Ich begleitete eine Reporterin und ihren Kameramann (Tonleute gibt es nicht) zu einer Debatte in die Aula einer Highschool von Howell — das liegt eine halbe Autostunde östlich von Lansing. Dort präsentierten sich Amtsinhaber und Herausforderer für das Repräsentantenhaus und den Senat von Michigan State und für das Repräsentantenhaus in Washington. Ich war von der Veranstaltung überrascht, sie kam mir vor wie ein TV-Duell. Die Kandidaten hatten je 90 Sekunden, um sich vorzustellen. Dann mussten Sie Fragen der Zuschauer beantworten. „Sind Sie dafür oder dagegen, dass die Evolutionstheorie in der Schule unterrichtet wird?“, „Was wollen Sie gegen die Erderwärmung tun?“, „Was halten Sie von Hybridfahrzeugen?“.
Die Kandidaten hatten jeweils eine Minute Zeit für die Antwort und mussten Farbe bekennen. Sie konnten gar nicht groß herumzureden. Und die Zuschauer wussten dann, wer wofür steht. Ich hatte den Eindruck, dass die Demokratie an dieser Stelle direkter funktioniert als in Deutschland. Und so ähnlich fand das einen Tag später auch in Southfield bei Detroit statt. Dort war es aber eine reine Kampagne des republikanischen Herausforderers Michael Bouchard für den US Senat mit Senator John McCain (Bouchard konnte sich übrigens nicht am 7. November gegen die demokratische Amtsinhaberin durchsetzen). Auch dort stellten sich beide den zum Teil scharfen Fragen der Zuschauer.
Einen Tag später bekam ich ein ganz anderes Stück amerikanischen Gesellschaftslebens mit: bei einer Gerichtsverhandlung in Lansing. Ein Ehepaar hatte eines ihrer Kinder — einen siebenjährigen Adoptivsohn — mit Wunden am Kopf, verursacht durch einen Hammer, anscheinend verbluten lassen. Die Frau beschuldigte ihren Mann und umgekehrt. An diesem Tag trat der Gatte das erste Mal in den Zeugenstand. Eine Kamera durfte alles filmen, so nah wie der Kameramann es wollte. Einen Stock tiefer saßen sämtliche Medienvertreter, schnitten die Bilder oder schrieben alles mit. Später machten die Reporter dann ihre Live-Aufsager mit Bericht für die Nachrichtensendungen, inklusive Bilder der Angeklagten und aller Einzelheiten der Aussagen ihres Mannes. Wer in den USA etwas verbrochen hat — so mein Eindruck — der kann sehr schnell an den medialen Pranger gestellt werden, selbst wenn noch nichts bewiesen ist.
Einen Einblick in amerikanische Lebensläufe bekam ich in Ann Arbor, genauer gesagt auf dem Campus der Michigan University. RIAS-Fellow Paul Junge wollte mir und Markus Preiß seine Uni zeigen — eine der besseren in den USA, wie mir scheint. Er selber hat den Beruf des TV-Journalisten an den Nagel gehängt und macht nun dort sein Master of Business (40 000 $ Studiengebühr pro Jahr). Ihm waren die Aufstiegschancen zu gering. Nun will er Investmentbanker werden. Den Beruf komplett zu wechseln scheint in den USA viel mehr verbreitet zu sein als in Deutschland. Und es ist wohl auch wesentlich einfacher. Zwei Kommilitonen von Paul haben einen ganz anderen Background. Eine Inderin mit indisch-amerikanischem Akzent kam als Immigrantin und über die Buchhaltung zum MBA; und ein Deutscher aus dem Saarland, der über seine deutsche Firma bei einem Automobilzulieferer in Michigan gearbeitet hat. Doch weil es den Big Three (GM, Ford, Crycler) auch nicht so gut geht, erschien ihm ein MBA die bessere Wahl. Nicht zu vergessen die beiden 19-jährigen Mädchen, die beide deutsch lernen und mal ein wenig Konversation üben wollten; und die nach Kanada fahren, wenn sie mal richtig feiern (und das ein oder andere Bier trinken) wollen.
„It´s a big deal, you know?“ Den Höhepunkt meiner Woche in Lansing erlebte ich am letzten Tag — ein Football-Match zweier Mannschaften der Big Ten: Ohio State University gegen Michigan State University. Von den Regeln habe ich nur ein paar wenige verstanden und ich glaube, das Spiel ist mehr unterbrochen als dass es läuft — was wohl auch an den Werbeunterbrechungen im TV liegt. Viel spannender für mich war das „Drumherum“ der 65 000 Zuschauer.
Vor dem Spiel trifft man sich, um den Marchingbands beim Warmspielen zuzuschauen, ein paar Steaks auf den Grill zu legen oder „Tailgating“ zu betreiben, sprich: die Klappe beim SUV runterklappen, Essen und Trinken auspacken und mit den Nachbarn auf dem Parkplatz quatschen. Dave dachte, ich sollte diese amerikanische Form des „Vorglühens“ auch einmal am eigenen Leibe miterleben und holte im Parkhaus ein paar Dosen Bitburger Pils aus der Kühlbox. „Bitte ein Bit — right?“ MSU hat übrigens mit 38 zu 7 verloren, doch für die meisten war das Spiel eh nur Nebensache. Anschließend gab es dann noch ein paar Bier beim Oktoberfest mit Schuhplattlern, Schneewalzer und Baumstammsägen…
Provo — Universitätsstadt in Utah, eine Autostunde südlich von Salt Lake City
…was es in Utah so nicht gab: keine Schuhplattler und weniger Bier. Nur ein alkoholisches Getränk, wenn man nichts isst und wenn, dann zuerst das eine austrinken, bevor man ein weiteres bekommen darf („Sorry, it´s Utah law!“). Nun ja, die Mormonen haben Utah im Griff! Besonders Provo; dort gehören ca. 85 Prozent der Church of Jesus Christ the Latter Day Saints an. Und es war spannend zu sehen, welchen Einfluss die Religion und die daraus entspringenden Regeln und Überzeugungen auf das gesellschaftliche Leben dort haben: kein Alkohol, kein Sex vor der Ehe, die Familie ist das größte Gut genauso wie Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft. In den Bars stoßen fast alle mit Limonade an, der Großteil der Studentinnen und Studenten (zwischen 19 und 24 Jahren) der Brigham Young University ist verheiratet, im Schnitt bekommt eine Frau in Utah 3,5 Kinder und die Kirche hat ein eigenes Sozialsystem aufgebaut, mit Farmen, Fabriken und dergleichen. Außerdem scheint die Kirche der Mormonen sehr viel Geld zu haben, denn die technische Ausstattung war auf dem absolut neusten Stand. Sowohl die Fakultät der Journalistenausbildung, an der unser Host Allen Palmer unterrichtet, als auch das Konferenzzentrum in Salt Lake City, aus dem das Haupttreffen der Kirche in alle Welt live übertragen und in 58 Sprachen übersetzt wird. Auf den ersten Blick scheint das Leben bei den Mormonen sehr schön und harmonisch zu sein. Aber wer nicht genau auf Linie dieser wertekonservativen Gemeinschaft liegt, der bekommt dort meiner Meinung nach Probleme.
Die Landschaft in Utah ist beeindruckend. Und so möchte ich die dreitägige Autofahrt zu einigen Nationalparks mit Nicole und Conny nicht missen. Unglaubliche Gesteinsformationen, die man gesehen haben muss. Schon komisch, was die Natur bisweilen hervorbringt: Arches Nationalpark, Goblin Valley und Bryce Canyon Nationalpark — unglaublich schön. Und: der Tempomat muss in Utah erfunden worden sein.
Nun, was bleibt?
In den USA leben so viele verschiedene Menschen in so verschiedenen Regionen mit so verschiedenen Lebenswegen und Hintergründen — den typischen Amerikaner jedenfalls habe ich nicht getroffen (hatte auch nicht wirklich damit gerechnet). Und trotz der Vielfalt und zum Teil völliger Gegensätze scheint das Land eines zu einen: ein gesunder Patriotismus. Die USA sind weit mehr als ihre Regierung, was meiner Meinung nach in der Berichterstattung bisweilen vergessen wird. Und deshalb sollte man das Land auch nicht nur auf seine Regierung reduzieren. Trotz oder gerade wegen seiner Vormachtstellung in der Welt. Die Menschen sind zum überwiegenden Teil unglaublich freundlich. Ich finde, ich muss das Land unbedingt weiter erforschen.
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Heinz Neno Kampmann, Phoenix, Bonn
Surprises — eine Reise voller Überraschungen
„Do we know each other?” „Yes, we met 13 years ago in Berlin!”
Kevin Grieves, unser host und Organisator und Doktorand an der Universität Bloomington in Indiana, und ich hatten 1993 für das private IA-Fernsehen in Berlin gearbeitet und trafen uns nun im Mittleren Westen in einer kleinen Universitätsstadt wieder. Es sollte nicht die einzige Überraschung bleiben. Die Wiedersehensfreude war groß und es gab einiges zu erzählen über seinen weiteren Berufsweg in den Vereinigten Staaten und meine Fernseherfahrungen in Deutschland. Wir waren also mittendrin im Thema: die deutsche und die amerikanische Medienwelt. Ethnozentrismus spielt meines Erachtens beim Agenda-Setting in den USA eine größere Rolle als in deutschen Medien, die zwar auch das Prinzip der räumlichen Nähe beherzigen, aber immer auch Themen aus Europa, Übersee und Asien behandeln. In den Vorlesungen erörterten die Studenten mit uns einige Gründe. Bei einem so großen und vielfältigen Land wie den USA, das sich über mehrere Zeit- und Klimazonen ausdehnt und nur von zwei Nachbarstaaten umrahmt wird, gibt es genügend inneramerikanische Themen. Mit Kurznachrichten zu den Atomversuchen Nordkoreas und der Situation im Irak ist das Weltgeschehen bündig erklärt.
Ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem, das immerhin auf Wunsch der Amerikaner in Nachkriegsdeutschland installiert wurde, spielt in den USA fast keine Rolle. Quotenträchtig sind die großen kommerziellen Nachrichtensendungen, deren Betrachten aufgrund der vielen Werbeunterbrechungen einem Deutschen schon ein gehöriges Maß an Geduld abfordert. Ähnliches gilt auch beim Einschalten des Radios. Nach fast jedem Lied, und die meisten Sender spielen nur amerikanischen Rock, ein Werbebreak. Welch ein Segen, dass es das Public Network Radio (PNR) gibt, vergleichbar mit WDR 5 und dem Deutschlandradio. Chuck, der auf dem Campus eine Fernsehstation betreibt, teilt meine Vorliebe für PNR. Er war es, der uns kurzentschlossen zu einer Pressekonferenz des Afro-Amerikaners Barack Obama in Indianapolis mitnahm. Laut Nachrichtenmagazin „Time“ ein möglicher Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Seine charismatische Ausstrahlung und Rhetorik sowie sein Politikstil machen ihn zum Hoffnungsträger für Weiße und Farbige gleichermaßen. Auf der Autofahrt zurück berichtete PNR auch gleich über den Werbeauftritt des talentierten Jungpolitikers.
In den USA darf alles eine Spur größer sein. Leicht zu erkennen an der kleinsten Kategorie von Mietwagen, die bei uns eher der oberen Mittelklasse entsprechen würde. Große Autos — großer Verbrauch. Bei einem Benzinpreis von ca. 2,50 $ pro Gallone (ca. 4 Liter) kein wirkliches Thema, möchte man meinen. Aber auch in den USA kennt die Entwicklung des Benzinpreises seit Jahren nur eine Richtung. Grund genug für Jann Tracey, seit 12 Jahren Lokalreporterin für News 2 Colorado (KWGN-TV) und meine Gastgeberin in Denver, ihren schnuckeligen, fast 500 PS-starken, silberfarbenen Corvette-Sportwagen öfter in der Garage zu lassen und lieber den danebenstehenden Honda zu nutzen. Jann und ihr Freund Ed Fillmer, ebenfalls RIAS-Fellow, begeisterten mich mit ihrer Liebe zu Deutschland, ihrer Gastfreundschaft und ihrem Wesen. Dank des Host-Doppelpacks habe ich nicht nur die Lokalfernsehstation, sondern auch Eds Auftraggeber wie den High-Definition-Chanel und NBC kennengelernt.
Jann und Ed sind das Gegenteil des Klischee-Amerikaners: sportlich, naturverbunden, reflektiert, ernährungs- und umweltbewusst. Sehr zu meinem Gefallen, denn mit Eds geliehenem Mountainbike erkundete ich die Gegend in der Nähe meines Hotels, das Szene- und In-Viertel „Cherrycreek“ und das Zentrum Denvers. Dass die Menschen hier und in der nahen Unistadt Boulder so relaxt sind, mag an den rund 300 Sonnentagen im Jahr mit europäischen Luftfeuchtigkeitswerten und an der unbeschreiblichen Landschaft mit den Rocky Mountains in Sichtweite liegen. Obligatorisch ein Ausflug dorthin, vorbei an Stephen Kings/Stanley Kubricks „Shining“-Hotel, bis oberhalb der Vegetationsgrenze, hinein ins erste Schneevergnügen dieses Jahres. Ein sich anbahnender Schneesturm machte den Besuch der Rockys zu einem Naturspektakel ersten Ranges. Klar, dass Jann und Ed, die neben Hiking und Biking auch Skiing mögen, nie wieder aus Denver wegmöchten. Dass sie aber New York gar nicht ausstehen können, hatte mich verwundert. Unsere Gruppe hatte dort in der letzten Programmwoche reichlich Termine und sehr viel Spaß.
Für mich ist „Big Apple“ nach wie vor eine faszinierende Stadt, selbst wenn sie sich im Laufe der vergangenen 15 Jahre und erst recht nach 9/11 verändert hat. Lebenskünstler, Punks und Kreative kann man vereinzelt noch am St. Marks Place (8th Street) sehen, ansonsten beherrschen auch im East Village Aktenkofferträger das Bild. Nobelrestaurants und topsanierte Altbauten beeindrucken durch Schönheit und Preis. Ein guter Freund, der seit dem sechsten Lebensjahr hier lebt, nennt New York nur noch Real Estate. Und davon konnte auch Demokrat Marty Markowitz, Brooklyn Borough President, ein Liedchen singen. Er berichtete von seit Jahren explodierenden Mietpreisen. Die Sozialstruktur verändert sich, viele Alteingesessene müssen wegziehen und Immobilienmakler machen gute Geschäfte. Auch beim Brooklyn Community Access Television, ein offener Kanal mit vier (!) verschiedenen Programmen und einer technischen Einrichtung, die einer öffentlich-rechtlichen Anstalt würdig wäre, ist dies ein Thema. Greg Sutton, Executive Producer, berichtete von einem in den Medien totgeschwiegenen großen Immobilienvorhaben, bei dem Korruption und Geldwäsche eine Rolle spielen. Nur der Nachbarschaftskanal nahm sich dieses Themas an. In den Räumen am Rockwell Place kann man übrigens für 90 Dollar eine Schnellausbildung am Avid-Schnittplatz bekommen.
Der Besuch der Hoboken High School in New Jersey war ein absoluter Höhepunkt dieses Programms. Die Diskussion mit den aufgeweckten 16-jährigen brachte uns neue Erkenntnisse über ihre Einstellung zu Politik, Umwelt und Ausbildung. Rachel Grygiel, ihre Lehrerin, war einst wie unser New York- und Washington-Organisator Jon Ebinger beim Fernsehsender ABC beschäftigt und wechselte nach Bestehen eines Auswahltests in den Lehrerberuf. Und das ist wieder so eine Überraschung: In der amerikanischen Berufswelt überzeugt man nicht alleine durch Zeugnisse und Scheine, sondern durch Willen, Einsatzkraft und persönlichen Erfolg. Diskriminierung aufgrund des Alters ist in Amerika verboten, wie ein anderes Beispiel aus unserer ersten Programmwoche in Washington zeigt. Im Foreign Service Institute, dem Ausbildungszentrum für den (amerikanischen) Auswärtigen Dienst kann es durchaus sein, dass man einem 50-jährigen Chemiker begegnet, der gerade erst seine Ausbildung zum Diplomaten angefangen hat. Die Altersbeschränkung liegt bei 59 Jahren (bei uns 32 Jahre).
Bei einem unserer letzten offiziellen Meetings beim CBS-Fernsehsender in New York dann wieder so eine „surprising“ Begegnung. Wir wollen gerade das Gebäude betreten, als der Dekan der journalistischen Fakultät der IU, der uns in Bloomington so herzlich empfangen und mit einem Dinner verwöhnt hatte, hinaus möchte. Auch hier wieder ein großes Hallo. Kleine Welt der Medien, möchte man sagen. Ich wünsche mir für die Zukunft weitere überraschende Begegnungen, die erst durch das mannigfaltige und von Jon so wunderbar organisierte RIAS-Programm möglich wurden.
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Winnie Heescher, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Mist! „Dead End“. Das gelbe Strassenschild am Stadtrand von Milwaukee ist unerbittlich: Hier geht es nicht weiter. Ich habe mich total verfahren. Kein Wunder: Die Gedanken waren ganz woanders. Mein Koffer ist nicht mit mir von Washington nach Milwaukee, sondern nach Pittsburgh geflogen, das Auto hat eine Automatikschaltung, die mich leidenschaftliche Gangschaltungsfahrerin vor harte Bremsproben stellt, und außerdem ist da noch die blonde Dollar-Rent-Angestellte mit ihren French-Manicure-Fingernägeln und rosa Perlenarmband, die mich bei der Autoversicherung abgezockt zu haben scheint.
Eine Stunde später weiß ich: Die Dollar-Rent-Frau hat mich abgezockt: „Oh no, that is American capitalism at its best“, stöhnt Yami Virgin, als ich ihr beim Italiener gegenübersitze, und sie auf meinen abgeschlossenen Automietvertrag schaut. Yami ist Reporterin bei CBS in Milwaukee. Eine ziemlich resolute Person. Meine Nudeln durfte ich noch nicht einmal mehr ganz aufessen, da sind wir schon auf dem Weg zum Flughafen. Überflüssige Autoversicherungen kündigen. „It’s all about money“, lehrt Yami mich. “Never forget that. ” Und dann zeigt sie mir noch, wo die Mutter von Talk-Queen Oprah Winfrey in Milwaukee residiert. Und gibt mir Tipps, wo ich am besten Schnäppchen schlagen kann.
“Do you want to have my hairdresser’s telephone number?”, fragt Yami mich am folgenden Morgen im Büro. Oh je, gut, die Nacht war kurz, weil der Koffer erst um zwei Uhr kam, aber muss ich deswegen gleich zum Friseur? „As a reporter, you have to get polished“, klärt Yami mich auf. To get polished. Poliert werden. Yami kommt aus Panama, hat tiefschwarze wunderschöne lange Haare — ohne jede Welle oder Locke. Glattes Haar, so lerne ich, ist die Standardfrisur für Frauen, die Karriere machen wollen — oder gar gemacht haben. Die Fassade muss stimmen. Mehr noch als der Inhalt, so kommt es mir an manchen Tagen hier vor. Vielleicht auch, weil der Inhalt sich überhaupt nicht zu ändern scheint. Zumindest nicht in Yamis Reporterwelt und das ist die der lokalen Nachrichten in Milwaukee.
Montag: Ein Mann und eine Frau werden in ihrem Schlafzimmer von ihrem ältesten Sohn tot aufgefunden. Erschossen. Die Polizei geht davon aus, dass der Mann erst seine Frau und dann sich umgebracht hat. Aus Eifersucht.
Dienstag: „Oh I never believed this to happen in our small neigbourhood“, haucht die Frau im Pyjama in Yamis Mikrophon. „It’s so scary. “ Ein 21jähriger ist im Nachbarhaus tot aufgefunden worden. Ein Drogendealer, vermutet die Polizei. Erschossen von Unbekannt.
Mittwoch: Drei Stunden warten wir vor Gericht auf „unseren Fall“. The Witchcraft-Doctor. Mit Werkzeugen aus dem Walmart hat er versucht, mehr als vierzig Patienten Dämonen auszutreiben. Für schlappe fünfhundert Dollar und mehr pro Sitzung. Bis er kommt, werden elf Fälle verhandelt. Elf mal Drogenkonsum und Verkauf. Elf mal schwarze Männer zwischen 20 und 30 Jahren. Ein typischer Mittwoch vor Gericht, sagt Yami.
Und dann produziert sie nach guter amerikanischer Art ihren Beitrag: Schnell wird der Text geschrieben, eingesprochen, Kameramann Chad schneidet schnell die Bilder darunter und verblendet die letzten Kratzer an Ton, die er überhaupt aufgenommen hat, eine Stunde später geht Yamis Bericht über den Witchcraft-Doctor auf den Sender. An zweiter Stelle — zwischen einer Schießerei an einer Tankstelle und einem Beitrag über die mögliche Gefahr von Farbstoffen in soft drinks.
„Making Milwaukee a better place“ — über Yamis Schreibtisch hängt eine dicke Plakette. Eine Auszeichnung für Yami von der heimischen Polizei. Wochenlang hatte die Polizei im Falle des Witchcraft-Doctors im Dunkeln getappt. Nur bei Yami klingelte pausenlos das Telefon. Bei ihr hatten sich die Opfer gemeldet, weil Yami über den Fall im spanischsprachigen Programm von CBS berichtet hatte. In ihrer Sprache. Die Opfer sind alle Hispanics.
Donnerstag: „One sugar-free, non-fat, two pops pumpkin, half-caf grande coffee, please“. Yami bei ihrer täglichen Bestellung im Starbucks. Von diesem Laden fühle ich mich langsam umzingelt. Wohin man auch kommt: Starbucks ist schon da. Selbst hier, in der verlassenen Einöde 20 Kilometer von Milwaukee entfernt. Yami hängt pausenlos am Telefon. Geld für ihr Kindermädchen Maria will sie eintreiben. Weil Maria Nierensteine hat, aber nicht krankenversichert ist und für eine Operation kein Geld hat. So langsam verstehe ich, warum Yami diese „Making Milwaukee a better place“-Plakette über ihrem Schreibtisch hat. Mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Leitsatz: „Sich mit einer Sache nicht gemein machen, auch nicht mit einer Guten“ kann Yami überhaupt nichts anfangen. Mehr noch als Reporterin ist sie vor allem eins: eine Hispanic.
Freitag: Der Tag geht schnell vorüber. Homicide. Beitrag. Um fünf sind wir aus dem Sender. Und eine halbe Stunde später sitz ich in einem Hotelraum zwischen dreißig amerikanischen Hausfrauen und Gurkenschälern, Truthahn-Rezepten und Schnellkochtöpfen. Eine Kitchen-Aid-Party. Und Yami erklärt, warum die Backform aus rotem Gummi einfach die beste weltweit für Kürbiskuchen ist. Abgesperrte Vorgärten, mürrische Polizisten, scheinheilige Nachbarn — alles weit weg. Was jetzt zählt, ist möglichst viele Haushaltsgeräte unter die Damen zu bringen. „I told you, it’s all about money“, sagt Yami. Mit ihrem Reportergehalt kann sie ihre Familie nicht ernähren. Und ihre Familie, das habe ich in dieser Woche gelernt, ist groß. Das ist eigentlich jeder, der zur Hispanic-Gemeinde von Milwaukee gehört. Schade für diese Stadt, dass Yami im nächsten Jahr mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter nach Texas zurückziehen will. „It is much warmer over there“, sagt Yami. Und saust mit ihrem Auto Richtung Krankenhaus. Sie hat einen Arzt aufgetrieben, der ihr Kindermädchen Maria vielleicht umsonst operiert.
PS: Es gab viele tolle Begegnungen in diesen vier Wochen: Wir haben Barack Obama getroffen, der von manchem als nächster Präsident der USA gehandelt wird; Jonathan Franzen zugehört, der völlig unprätentiös in einer gammeligen Jeans auf einer New Yorker Kleinkunstbühne aus seinem neuesten Buch vorlas; haben einer Baptisten-Taufe in Harlem zugeschaut; unter dem blauen Himmel von Washington gelegen; mit High-School-Schülern über den Irak-Krieg diskutiert; sind Schlittschuh gelaufen zwischen den Hochhäusern am Rockefeller Plaza in New York. Aber wenn ich von vier Wochen USA erzählen soll, dann fällt mir immer zuerst diese Woche in Milwaukee ein. Und der Abschiedsgruß unserer großartigen Stadtführerin Linda in Washington: „Stay tuned.“
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Michael Hyngar, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
„That’s so great!“ — 4 Wochen im Land der positiven und negativen Superlative
„Great“ — dieses Wort scheinen die Amerikaner zu lieben. So wie ihr großes Land und ihren „way of life“, der natürlich auch „great“ ist. Und auch als Besucher fühlt man sich häufig „great“. Unter anderem, weil man grundsätzlich immer und überall willkommen ist. Das ist erst mal natürlich schön, doch man fragt sich, wie ernst diese Bekundungen gemeint sind, denn meistens hört man von den Menschen, die einen gerade erst so herzlich und innig begrüßt haben, und die einem das Gefühl vermitteln, man sei plötzlich der wichtigste Mensch in ihrem Leben, nach der Abreise nie wieder auch nur einen Mucks. Doch dazu später mehr.
„Great“ geht es schon in Washington, D.C. los: Amerikaner (auch professionelle Journalisten) können geradezu entzückt aufschreien, wenn man erzählt, was man beruflich macht. Das erfahre ich gleich in einer der ersten Vorstellungsrunden, zum Beispiel bei CNN: Ich erzähle nüchtern, dass ich in Deutschland für die ARD als Fernsehreporter arbeite — und die Journalistin, die in Washington für CNN so ziemlich das gleiche macht wie ich, verdreht die Augen, verzieht das Gesicht zu einem breiten Grinsen und ruft laut: „Oh, that’s so great!“
Noch während ich mich frage, ob es wirklich so etwas Besonderes ist, als Fernsehreporter in Deutschland zu arbeiten, oder ob die Amerikanerin einfach so „deeply impressed“ ist, dass sie mal einen Menschen dieses Berufsstandes kennen lernt, da bricht sie erneut in einen „Oh, that’s so great“-Schrei aus — diesmal als Reaktion auf einen weiteren Mitfahrer aus Deutschland, der auch — wer hätte das gedacht — als Reporter arbeitet.
Eine Woche und weitere, zahlreiche „Oh, that’s so great“-Gefühlsausbrüche später, kann ich mich mit meinen Hosts in Tucson, Arizona über das Thema unterhalten. Angeblich, so ihre These, sei diese Überschwenglichkeit schon eine typisch amerikanische Art, die besonders an der Ostküste und in den Südstaaten ausgeprägt sei. Besonders bei den Südstaatlern sei aber die Eigenschaft ausgeprägt, Menschen im selben Moment innerlich zu verfluchen, während mit breitem Lächeln Lobeshymnen gesungen werden.
Wirklich und im ursprünglichen Sinne großartig ist in Arizona vor allem die Natur. Die Wüste zum Beispiel (nur hier wachsen die Kakteen, die in Western-Filmen immer als texanische Gewächse verkauft werden) und natürlich die Gebirge und der Grand Canyon. Doch die vielfältigen Naturschauspiele und Ereignisse, für die Europäer tagelange Flug- und Autoreisen in Kauf nehmen, sind für die Amerikaner scheinbar nur „einfach da“. Mal vorbeifahren, ein Foto machen. Liegt es an der Weite des Landes, das den Eindruck vermittelt, es sei genug von allem da? Jedenfalls: über den besonderen Schutz des Lebensraumes, ihres Lebensraumes, scheinen sich die Menschen hier kaum Gedanken zu machen.
So haben sie zum Beispiel mitten in der Wüste Arizonas einen Golfplatz gebaut (sehr groß!), der unzählige Mengen an Wasser verschlingt und so mit daran beteiligt ist, dass nicht mehr genug Süßwasser aus dem Colorado-River in Mexiko ankommt, im Golf von Mexiko deshalb die ersten Fischarten aussterben usw. — aber ein uralter Wasserliefervertrag zwischen den Colorado-River-Anrainerstaaten regelt angeblich, welcher Staat wie viel Wasser bekommt. Und er regelt auch — ganz nach eigentlich deutscher Behördenmentalität — wer in einem Jahr weniger verbraucht, kriegt im darauffolgenden Jahr die Ration gekürzt. Aber wegen Wasserverschwendung protestieren? Darauf kommen nur einige wenige (zum Beispiel meine Hosts, die über das Umweltbewusstsein der Amerikaner nur resigniert den Kopf schütteln können).
Protest — und zwar massiver — findet zu meiner Zeit gegen die Einschränkung der amerikanischen Freiheitsrechte statt. Diesmal kämpft die Motorradfahrerlobby gegen die Helmpflicht. Denn — so ihr Vorwurf — der Helm schränke das Blickfeld auf die großartige Natur ein. Dem Einspruch wird stattgegeben, von höchstrichterlicher Stelle, die Helmpflicht abgeschafft (für Fahrradfahrer bleibt sie natürlich bestehen) und die Zahl der Schwerstkopfverletzten steigt rasant an. Great?!
„Great“ finden die Amerikaner in Arizona in jedem Fall, dass ihr Staat seinen Beitrag zum Weltfrieden gesichert hat: Mit dem nationalen Atomsilo, aus dem zu Zeiten des Kalten Krieges innerhalb von Minuten eine Atomrakete mit Ziel UdSSR gezündet werden konnte. Alle anderen unterirdischen Abschussstationen wurden bereits zerstört, hier ist sie als Museum erhalten geblieben. Die Führung (bei der das Zünden einer Atomrakete von einem Besucher simuliert werden kann. . . ) endet mit einer Fragerunde: „Und mit dieser Station haben wir einen Atomkrieg verhindert?“ Antwort: „Ja, darauf können wir sehr stolz sein. “ Kein Wort darüber, dass die Amerikaner selbst Atomsprengköpfe gezündet haben — in Japan.
Die eigene historische Leistung ist natürlich auch „so great“. Das kann man auch in Charleston, South Carolina erleben, in den vielen nationalen Gedenkstätten, die ganz bescheiden als „National Historic Landmark“ gekennzeichnet werden. In der Südstaaten-Stadt sind das zum Beispiel verrostete und veraltete U-Boote und Fregatten, auf denen heute auch Popcorn verkauft wird. Viel Süßes gibt es auch auf der Fair, der Kirmes; in Columbia, South Carolina zum Beispiel Hot Dog am Stil im Teigmantel. Es wundert daher nicht, dass ich dort beim Dreh mit den Studenten des Journalistikstudiengangs auch die dicksten Amerikaner sehe. Das ist wirklich „great“. Für den Journalistennachwuchs ist übrigens nicht die Reporterkarriere eine großartige Vorstellung, sondern der Platz vor der Kamera, als Anchor. Dann reicht vermutlich auch als morgendliche Lektüre die Nachrichtenhomepage von Fox News. Das ist — so lerne ich an der Uni, die bevorzugte Seite der Studenten.
Einen großen Berg von Plastikmüll hinterlasse ich jeden Morgen beim Frühstück, im Deli gegenüber von unserem Hotel in New York. Und es wundert mich überhaupt nicht, dass sich abends an den Straßen die — großen — Müllsäcke türmen.
Doch was ist nun wirklich „great“ — sofern sich das nach vier Wochen in den USA beurteilen lässt? Es sind sicher die Eindrücke, die Gespräche, die Erfahrungen. Auch wenn wir Europäer offenbar vieles an diesem Land und seinen Menschen nicht verstehen, und so überhaupt nicht „great“ finden. Die Reise in dieses Land war — und das erzähle ich allen Freunden und Kollegen: einfach großartig!
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Dietrich Karl Mäurer, Mitteldeutscher Rundfunk, Halle
Paris — Charles de Gaulle
Vor mir liegen vier Wochen Amerika und bereits während der Anreise wird mir ein Schlüsselerlebnis geboten — beim Umsteigen am Pariser Flughafen Charles de Gaulle. In einem Geschäft im Terminal wollen einige Amerikaner einen Likör oder Weinbrand kaufen. Rüde weist der Franzose hinter dem Tresen die Reisenden zurecht: „Sie brauchen das nicht zu kaufen. Das dürfen Sie später sowieso nicht in die USA einführen. Wählen Sie sich doch gefälligst einen anderen Präsidenten!“ George W. Bush — so wird mir wieder einmal deutlich — ist weltweit der Gradmesser für eine ganze Nation und er lässt die USA aus der Perspektive vieler nicht gerade glanzvoll dastehen. Ich gespannt, wie dies die Menschen im Land selbst wahrnehmen.
Washington
Die U.S.-Hauptstadt präsentiert sich unserer Gruppe sauber, mit unzähligen Kameras, Sicherheitsschleusen und Fahrzeugsperren, mit blauem Himmel und Sonnenschein sowie mit erstklassiger Organisation durch unseren Betreuer Jon. Gleich beim ersten offiziellen Programmpunkt, einer Stadtrundfahrt, gibt es eine Begegnung mit dem Präsidenten — natürlich indirekt. Das Weiße Haus ist weiträumig von Polizisten abgeriegelt, denn ein Staatsbesuch hat sich angekündigt. Mir bleibt dadurch die freie Sicht auf das ohnehin jedem aus dem Fernsehen bekannte Gebäude verwehrt. Dafür lerne ich eine engagierte Frau kennen, die durch die Absperrungen an ihrer täglichen Beschäftigung gehindert wird. Seit 1981 protestiert Concepcion Picciotto in der Pennsylvania Avenue, direkt gegenüber dem Sitz des Präsidenten, gegen die Politik der U.S.-Regierung und gegen Atomwaffen. „Bush lügt“ ist zu lesen auf einem der Anstecker, die sie an ihrer Bluse befestigt hat.
Es folgen Tage mit zahlreichen Treffen mit Journalisten, Politikern, Analysten und Lobbyisten. Hierbei lerne ich sehr viel Neues über ein Land, über das ich schon viel zu wissen glaubte: wie und wie schwer Journalisten Informationen über die U.S.-Politik erhalten; wie schwer es Einwanderer aus Lateinamerika haben; dass so mancher U.S.-Bürger das Gefangenenlager Guantanamo durchaus für richtig hält; dass noch mehr Amerikaner die Städte verlassen, um in Suburbs zu leben; dass Religion in den USA eine deutlich stärkere Rolle spielt, als in Deutschland; dass Umweltschutz seit dem Hurrikan Katrina in den USA zu einem Topthema geworden ist; dass auch fünf Jahre nach den Terroranschlägen des 11. September das Land von Angst erfüllt ist; dass Amerikaner dennoch interessierte, aufgeschlossene und freundliche Menschen sind. Die vielen Eindrücke überwältigen und schweißen uns als Gruppe in Blitzesschnelle zusammen, so dass ich wirklich traurig bin, als es nach einer Woche bereits wieder heißt, Abschied zu nehmen.
Seattle
Zur Praxiswoche hat es mich in den äußersten Nordwesten, nach Seattle, verschlagen — einer großartigen Stadt inmitten atemberaubender Landschaft. In dieser Zeit bin ich Gast bei KUOW FM, einem lokalen Ableger des National Public Radio. Mir gegenüber betonen die Redakteure immer wieder, wie liberal Seattle doch sei und dass Präsident Bush hier nicht gewählt wurde. Und vieles von dem, was mir erzählt wird, klingt wie eine Entschuldigung für das eigene Land.
Drei Wochen vor den Wahlen für das Repräsentantenhaus und den Senat ist der Sender im Ausnahmezustand. Nicht wegen der Wahlen, sondern wegen einer Spendensammelwoche. Zweimal im Jahr stellt KUOW FM sein Programm auf den Kopf und versucht damit, die Hörer zu animieren, Geld zu spenden. Knapp eine Million Dollar sollen zusammenkommen, damit der Sender unabhängig arbeiten kann. Immer wieder muss ich erklären, wie einfach und bequem wir es in Deutschland durch die Rundfunkgebühren haben. Die ständig steigende Spendensumme lässt mich aber auch erahnen, wie wichtig den Hörern die Arbeit ihrer Journalisten ist. Die Redaktion von KUOW befindet sich im Universitätsviertel. Auf dem täglichen Heimweg ins Hotel sehe ich im Schaufenster einer Buchhandlung einen Aufkleber, auf dem steht: „4. November 2008 — Tag der Befreiung“. An diesem Tag wird in den USA ein neuer Präsident gewählt.
Georgia
Auf den liberalen Nordwesten folgt eine Woche im angeblich so konservativen Süden. Ich frage mich, werden mir hier Bush-Anhänger begegnen? Georgia präsentiert sich als Land der Gegensätze. Viel herrlich weite Natur und scheinbar noch größere Autos als im Rest des Landes. Luxuriöse Südstaaten-Villen und ärmliche Trailerhomes. Köstliche Südstaaten-Küche und wirklich schlechtes Fastfood.
Nach einem Tag im aufstrebenden Atlanta mit all seinen neuen Hochhäusern fahre ich gemeinsam mit zwei weiteren RIAS-Fellows in das beinahe schon verträumte Athens. In der Kneipe am Abend flimmern gut und gerne 20 Bildschirme und in regelmäßigen Abständen sind fast alle Kneipenbesucher aus dem Häuschen — es ist Wochenende und Football-Zeit. Diese Sportart scheint auch alle Menschen der Universität, wegen der wir hier sind, zu verbinden. Im Team „Georgia Bulldogs“ vereint sich offensichtlich der ganze Stolz der Universität. Wohl auch deshalb wird uns als eines der ersten Gebäude beim CampU.S.-Rundgang das Stadtion gezeigt. Seine Dimensionen mit über 85-tausend Sitzplätzen lassen die Größe der Universität erahnen. Allein die Zahlen beeindrucken: 34-tausend Studenten, knapp 3-tausend Dozenten und ein Jahresbudget von 1,2 Milliarden Dollar. Hinzu kommen großzügige Spenden von beruflich erfolgreichen Absolventen. Der Campus selbst tut sein übriges mich zu beeindrucken. Unzählige herrschaftliche Gebäude in einer parkähnlichen Anlage werden durch ein universitätseigenes Bussystem miteinander verbunden. Sicherlich kann nicht nur das College für die Journalistenausbildung auf eine hervorragende Ausstattung verweisen.
Im vollklimatisierten Studio produzieren die Studenten täglich ein halbstündiges lokales Nachrichtenmagazin — ausgestrahlt im örtlichen Kabelnetz. Auch in den übrigen Seminaren wird auf Praxisnähe Wert gelegt. Zum Trainieren von Pressekonferenzen steht ein echter Sheriff Rede und Antwort. Vorurteile über Hispanics machen die Runde und werden nicht zurückgewiesen. Anschließend, in einer kleinen Gesprächsrunde mit dem Sheriff, polarisiert das Reizwort Guantanamo. Ich ahne, dass es sich hier nicht um die Meinung eines Einzelnen handelt. Obwohl Afroamerikaner einen Großteil der Bevölkerung ausmachen, sind kaum schwarze Studenten oder Dozenten an der Universität zu sehen. Randgespräche mit Studenten zeichnen ein Bild vom patriotischen, fremdenskeptischen Südstaatler. Manch einer der angehenden Akademiker hat den Bundesstaat Georgia noch nie verlassen. Der amtierende U.S.-Präsident ist anders als in Washington und Seattle kaum ein Gesprächsthema. Ist man hier also zufrieden mit seiner Politik?
New York City
In der bunten, quirligen Metropole ist jetzt die ganze Gruppe wieder zusammen. Es gibt zahlreiche Erfahrungen und Erlebnisse auszutauschen und schon kommen neue Eindrücke hinzu. Es folgt wieder eine perfekt durchorganisierte Woche voller Gespräche und Diskussionen. Mit der Fähre geht es bei kaltem Wind hinaus, dorthin, wo für etliche Generationen Amerika begann: die Einwanderungsbehörde Ellis Island. Wir treffen den Bürgermeister von Brooklyn und ich erlebe hautnah, dass erfolgreiche Politik in den USA auch sehr viel mit schauspielerischem Talent zu tun hat. Wir diskutieren angeregt mit einem Medienanalysten, der zu dem Schluss kommt, die amerikanischen Fernsehnachrichten seien die besten der Welt. Ich bleibe skeptisch. Wir treffen einen jungen Lehrer, der auf ungewöhnliche Weise Spenden für Schulprojekte sammelt und so etlichen Kindern bessere Bildungschancen gewährt. Mich beeindruckt ein Zusammentreffen mit High School Schülern in New Jersey, die so gar nicht in das in Europa weit verbreitete Bild von uninteressierten Amerikanern passen. Ich erlebe genau das Gegenteil: aufgeschlossene, intelligente, junge Menschen, die genau wissen, was in den USA, in Europa und der Welt vor sich geht, und die ihren Präsidenten scharf für den Krieg im Irak kritisieren. Eine Kritik, wie sie bei den am nächsten Tag besuchten Journalisten des Bush-treuen Senders „Fox News“ nicht zu hören ist. In routiniert galanter Weise werden dort unsere Fragen zu den Vorwürfen der tendenziösen Berichterstattung regelrecht abgebügelt.
In New York City fällt mir erneut die Angst auf, von der die Stadt erfüllt zu sein scheint. Unsere Gruppe passiert noch mehr Sicherheitsschleusen als in Washington. Noch häufiger werden unsere Taschen durchleuchtet. Wiederholt müssen wir unsere Pässe vorzeigen. Einerseits verständlich, wenn ich an Ground Zero denke, doch andererseits verdeutlichen mir die Kontrollen, wie unsicher und anfällig das Leben in einer Millionenmetropole dennoch zu sein scheint.
Fazit
In diesen vier Wochen habe ich das Land, das ich schon von mehreren Urlaubsreisen und durch verschiedene Freundschaften kannte, aus einer anderen Sicht kennen gelernt. Es ist ein lebendiges Land mit ambitionierten, engagierten, intelligenten Menschen, die ihr Land und das Handeln ihrer Politiker kritisch beobachten und die dennoch stolz darauf sind, in diesem Land zu leben.
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Beate Philipp, Westdeutscher Rundfunk, Köln
Amerika. Mein Herbstmärchen. Es war eine Reise voller Staunen, Freude und manchmal auch Befremden. Eine Entdeckungstour durch ein Land, von dem ich einiges wusste, aber vielleicht erst jetzt etwas verstehe. Die vier Wochen haben mir die Chance gegeben, ein bisschen Touristin, ein bisschen Studentin und zwischendurch ganz viel Journalistin zu sein. Und diese Chance war in jeder Hinsicht einmalig.Washington D.C.
Über der ersten Woche in der Hauptstadt schwebt das Gefühl der Unbeschwertheit. Alles ist perfekt organisiert: Die Sightseeing-Tour durch die Stadt, die Gespräche mit amerikanischen und deutschen Journalisten, die vielen Besuche bei verschiedenen Think Tanks. Obwohl wir häufig von einem Termin zum nächsten hechten und wenig Zeit zum Durchatmen bleibt, bekomme ich einen tiefen Einblick in die politische und journalistische Arbeit unter der Bush-Administration. Und so halte ich nach der ersten Woche folgende Erkenntnisse für mich fest. Erstens: Man kann in sieben Tagen mehr lernen als in einem ganzen Amerikanistik-Semester an der Uni. Und zweitens: Ich werde fortan als „Beedy” reisen müssen, da niemand meinen Vornamen richtig aussprechen kann.
Biloxi, Mississippi
Was für Amerika der 11. September war, ist für Mississippi Hurrikan Katrina. Seitdem der Sturm vor einem Jahr über die Küste am Golf von Mexiko gezogen und nichts als Verwüstung hinterlassen hat, sprechen hier alle nur noch von der Zeit „davor“ und „danach“. Und das Danach grenzt noch immer an eine Katastrophe: Von vielen Fast-Food-Restaurants ist mancherorts nichts weiter übrig als ein leergefegter Parkplatz und ein umgekipptes goldenes Riesen-M. Am Strand verrotten Souvenirshops in ihren kitschig bunten Fassaden; die Dächer eingefallen, die Scheiben zerborsten und nun selbst anklagendes Souvenir einer Politik, die versagt hat. Kein Wunder also, dass sich bei dem Lokalsender WLOX-TV („The News for South Mississippi“), bei dem ich hospitiere, mindestens jede zweite Geschichte um den Hurrikan dreht, den hier alle nur „the storm“ nennen. Mal begleite ich einen Reporter beim Drehen, wie freiwillige Helfer verbliebenen Schrott und Müll aus Flüssen und Uferböschungen bergen. Mal bin ich dabei, wie eine Frau vor laufender Kamera zusammenbricht, weil der Sturm ihr alles genommen hat und sie nun befürchtet, ihr provisorischer Wohnwagen würde den anbrechenden Winter nicht überstehen. Und mal sitze ich selbst als special guest from Europe im WLOX-Studio und darf minutenlang live erzählen, wie wir in Deutschland vor einem Jahr über Katrina berichtet haben.
Journalistisch gesehen ist das eine Riesenerfahrung. Nicht nur, weil ich damals selbst an den vielen ARD-Brennpunkten über den Hurrikan mitgearbeitet habe und hier nun das Ereignis ein Gesicht bekommt, sondern auch, weil ich erlebe, wie in den USA lokales Fernsehen gemacht wird: Erst kommt der Text, dann das Bild, und so passt zwar das eine oft nicht zum anderen, aber es muss ja auch nicht immer das ganz große Kino sein.
Bloomington, University of Indiana
Von der Praxis zurück zur Theorie: An der Universität von Indiana, einer wunderschönen Harry-Potter-Uni mit hervorragend ausgestatteter JournalismU.S.-Fakultät, sind wir wieder zu dritt und finden unseren Besuch bereits großflächig auf Plakaten angekündigt: „Hear what the Germans have to say“, heißt es am Schwarzen Brett und tatsächlich haben wir hier das Gefühl, dass Professoren und Studenten wirklich daran interessiert sind, was wir zu sagen haben. So tingeln wir von Seminar zu Seminar, erklären unzählige Male, wie das Rundfunksystem in Deutschland funktioniert und sind überrascht, wie kritisch doch die Fragen zum Teil sind, die uns gestellt werden. Für mich persönlich ist die Woche in Bloomington ein unerwartetes Highlight. Als wir nach vier Tagen aufbrechen, um uns auf eigene Faust Chicago anzuschauen, verlasse ich Indiana mit dem traurigen Gefühl, hier nicht selbst studiert haben zu dürfen, aber mit der schönen Gewissheit, bald wiederzukommen.
New York
Was für eine Stadt! Und welch würdiger Abschluss für ein großartiges Programm. Max Frisch sagte einmal über New York: „Ich weiß nicht, was es ist; alles zusammen macht mich fröhlich, wenn ich hier wandere. “ Und genauso fühle ich mich in meiner letzten Woche in den USA, die viel zu schnell zu Ende ging, aber ebenso wie die ganze RIAS-Reise unvergessen bleiben wird.
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Markus Preiß, Westdeutscher Rundfunk, Köln
God Damn — I Love This Country!
Dieser Mann meint es ernst. Hochrot ist der Kopf des Sheriffs. Er, der sonst sagt, wo es lang geht in Athens, Georgia, fühlt sich wohl doch ein wenig in die Ecke gedrängt von diesen tugendhaften Europäern. Nein, Guantanamo sei kein Fehler. Wo solle man denn hin mit diesen Menschen — vielleicht nach Deutschland? Vielleicht vor ein Gericht, antworten wir. Das schon gar nicht, meint der Sheriff. Man stelle sich vor, die würden auch noch frei gesprochen. „Dann lieber alle erschießen, diese verdammten Islamisten!“ Der Mann meint es ernst. Dabei ist der Sheriff keineswegs ein dumpfer Holzkopf, ganz im Gegenteil. Mehrmals haben ihm die Bürger in Georgia das Vertrauen geschenkt. Zum Sheriff wird man gewählt. Das Gespräch mit ihm — hier stimmt das Klischee von den ignoranten Rednecks.
Doch Leute wie den Sheriff von Athens muss man als vorurteilsbeladener Deutscher suchen in diesen Tagen in Amerika. Und in den tiefen Süden — eben etwa nach Georgia — fahren, um sie in größerer Anzahl zu finden. „Wir sind anders“ ist das erste, was ich von vielen Amerikanern zur Begrüßung höre. Auch von Bill. Er ist Reporter in Detroit, bei FOX, dem Bush-Sender. Man könnte erwarten, dass er die Welt ähnlich sieht wie der Sheriff von Athens. Doch Bill ist tatsächlich anders: „Bush ist der schlimmste Präsident, den wir je hatten. Ein Kind, dem man die Welt als Spielzeug gegeben hat. “ Diese Einschätzung teilen auch seine Kollegen — und so sendet man in Detroit, Michigan sehr regierungskritisch — unter dem Label FOX, das eigentlich für Patriotismus statt Journalismus steht. „Rupert weiß das“, sagt Bill. „Aber wir machen hier so viel Gewinn — und das ist es, was letztlich zählt bei Mr. Murdoch“. Amerika heute, das sind nicht nur tausende stramme Bush-Anhänger, sondern auch viele kritische Fragen in Sachen Irak, lebhafte Diskussionen über globale Erwärmung und die Sorge um das weltweite Ansehen der USA. Ein Land mit perfektem Rasen. Ein Land mit vielen Menschen voller Energie und Engagement. Ein Land mit großartigen Städten. Ein Land mit Unmengen an Plastikbechern. Ein Land, das viel zu viel Sprit verbraucht — was aber großen Spaß macht, wenn man im Chevy über den Highway rollt. So habe ich die USA kennen gelernt — am Ende steht die eindeutig positive Erkenntnis: God damn, I love this country!
Washington, D.C.
Schon der erste Morgen ist ein Traum. Raus aus dem Hotel, blauer Himmel, Sonne. Der Atem kondensiert noch in der Luft, als ich mich auf meine Jogging-Runde mache. Direkt vorbei am Weißen Haus — hoch zum Capitol, dann das Washington Memorial links liegen lassend — bis rüber zu Abraham Lincoln, der offenbar öfter Besuch von schwitzenden Läufern bekommt. Was für ein Start. So viel Zeit bleibt in den nächsten Wochen nur selten. Das Programm ist anstrengend, aber höchst interessant.
FOX2, Detroit/Michigan
Gleiches gilt für Detroit. „You´d better buy a gun“, sagt mir vorher mancher Amerikaner, dem ich erzähle, dass es nach Detroit geht. Auch mein Host Bill rät dringend vom abendlichen Besuch der Innenstadt ab, zu gefährlich. Einmal muss es dann doch sein — und es passiert. . . nichts. Nur die Erkenntnis, dass man sich ganz schön einsam und durchaus bedroht fühlen kann, als Blondschopf kurz nach Mitternacht in einem Diner, das ansonsten offenbar nur von ziemlich armen Schwarzen besucht wird.
Heruntergekommen und verwahrlost wirkt Detroit an vielen Stellen, leerstehende Hochhäuser mit eingeschlagenen Fenstern in Downtown. Großväter in viel zu großen Kapuzenjacken, die andere Großväter mit dem Rollstuhl durch die eiskalte Nacht schieben. Und drum herum wieder wunderschöne Suburbs — gerahmt in goldene Herbstwälder. Wer die Separierung von Milieus und ihre Auswirkung auf eine Gesellschaft studieren will, der kann das in Detroit tun. Bill und seine Kollegen hetzen jeden Tag durch diese Stadt voller Kontraste — zwei Berichte täglich pro Reporter sind die Norm. Technisch ist Fox2 top ausgestattet: eine lokale TV-Station mit derart vielen Satellitenwagen, dass selbst große europäische Sender schlucken würden. Und wenn es ganz schnell gehen muss, steht sogar ein Hubschrauber parat. Amerikanisches News-Business zu erleben, dafür ist Detroit eine gute Adresse. Und mit Bill gibt es einen Host, der mich ermutigt, neben all den professionellen Erfahrungen auch die Schönheiten des nahen Kanada zu erkunden: Mit dem RIAS-Mietwagen 400 Meilen nach Toronto und an die Niagara-Fälle — besser kann sich der Easy Rider auch nicht gefühlt haben.
Athens & Atlanta/Georgia
Davon habe ich immer geträumt. Südstaaten. Baumwollplantagen. Ein bisschen Feeling von „Fackeln im Sturm“ und „Vom Winde verweht“. Das ist das romantische Amerika. Die University of Georgia atmet diesen historischen Geist, auch wenn ausgerechnet das Grady College ein Neubau ist. Journalistische Ausbildung, das bedeutet hier vor allem praktische Jobvorbereitung: Eine tägliche Uni-Zeitung mit 80.000 Exemplaren Auflage — die ihren Studenten Gehälter zahlt. Ein hervorragend ausgestattetes Fernsehstudio. Engagierte Professoren. Nur Neugier lässt sich manchem nicht verordnen: „Viele unserer Studenten haben Georgia noch nie verlassen“, flüstert uns ein Dozent. „I mean they are journalists. “
Wie gigantisch die News-Maschinerie in Amerika ist, habe ich schon in Detroit gesehen. Bei CNN in Atlanta erschlägt es mich, angesichts von fast 4000 Menschen, die von dort der Welt den Nachrichtentakt vorgeben. Die Uni hat eine exklusive Führung organisiert — nicht nur der touristische Standardrundgang, sondern mitten hinein: Die Atmosphäre in den Redaktionen ist angespannt, konzentriert — und doch ganz ruhig. Laut diskutiert wird hier offenbar nirgends. Das wäre auch schwierig. Denn nicht mal zwei Meter von den Schreibtischen der Redakteure steht der Moderatorentisch von CNN International — und während hier noch ein Telefonat geführt wird, wird dort der Welt die Welt erklärt.
New York City — Ohne Worte!
Vier Wochen USA, vier Wochen RIAS — was nehme ich mit? Die feste Überzeugung, dass Amerika und die Amerikaner uns Europäern trotz der jüngsten politischen Dispute so nah sind wie kein anderes Volk. Hoffentlich viel von ihrem positiven Denken und dem Spaß an Leistung und Erfolg. Bewunderung für einen Mix der Kulturen, der sich trotzdem mehr oder weniger als ein Ganzes fühlt. Und den festen Vorsatz: Ich komme wieder!
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Cornelia Schiemenz, Zweites Deutsches Fernsehen, Berlin
1. Oktober: Berlin — Kopenhagen — Washington
Vier Wochen Aufenthalt im Land der unbegrenzten Möglichkeiten liegen vor mir. Die Vorfreude ist grenzenlos. Neue Leute kennen lernen, den eigenen Horizont erweitern, den „American way of life“ live erleben — lange darauf gewartet, nun geht es endlich los. Kaum in Washington D.C. gelandet, ist die Müdigkeit verflogen. Wir sind untergebracht im Hotel ‚Club Quarter’, fast direkt am Weißen Haus — „Wow“, endlich dort, wo ich schon immer mal sein wollte. Das offizielle Programm, das Jon Ebinger für uns so akribisch zusammengestellt hat, verschlinge ich — freue mich auf jeden einzelnen Programmpunkt. Bei strahlendem Sonnenschein starten wir in unsere erste Woche mit einer ausführlichen Stadtrundfahrt. Erster Eindruck: Washington scheint ein einziges Freilichtmusem zu sein — Memorials, Museen, gewichtige Gebäude. Dazu viel Grün und Wasser. So nett hätte ich es mir gar nicht vorgestellt.
Doch für sehr viele weitere Eindrücke reicht die Zeit nicht, denn an den folgenden Tagen reiht sich Termin an Termin. So diskutieren wir mit Journalisten, Politikern und Lobbyisten — und fast immer geht es um amerikanische Außen- und Innenpolitik. Diskussionsstoff gibt’s genug, denn so kurze Zeit vor den anstehenden Kongress- und Senatswahlen erschüttert Washington ein Sexskandal um einen schwulen republikanischen Abgeordneten, Präsident Bush gerät wegen des Irakfeldzugs immer weiter in Bedrängnis und Bob Woodward stürmt mit seiner Bush-Abrechnung in die Bestsellerlisten. Herausragend innerhalb dieser Runden: unser Gespräch mit Daniel Coats, dem ehemaligen amerikanischen Botschafter in Deutschland, und Jim Slattery, einem Ex-Kongreßabgeordneten — Politik aus erster Hand. Die beiden wissen, wie man seine Gesprächspartner unterhält — und wir machen gerne mit. Erwähnenswert auch: das Dinner im Haus von Roxanne Russell — wann hat man schließlich schon mal die Möglichkeit, in einem privaten amerikanischen Haus zu feiern.
Die Woche in Washington endet mit einem Tag Freizeit, wo wir auf eigene Faust die amerikanische Hauptstadt entdecken können. Es fällt mir schwer, mich zu entscheiden — hat Washington doch unzählige Museen und Sehenswürdigkeiten zu bieten. Ich entscheide mich für die architektonisch beeindruckende Library of Congress und für den Arlington-Friedhof, der einem ja aus unzähligen Filmen bestens vertraut erscheint. Es fällt schwer, von Washington Abschied zu nehmen und so träumen wir den Traum, auch eines Tages mal hier zu arbeiten.
8. Oktober: Washington — Nashville/ Tennessee
Was erwartet mich wohl in Nashville? Sicherlich Country Music, Country Music und nochmals Country Music. Schließlich ist Nashville weltweit bekannt als Music City of America — die Stadt, die Elvis Presley und Jonny Cash groß gemacht hat. Sehr viel mehr konnte ich vorher über diese kleine Stadt im wilden Tennessee nicht in Erfahrung bringen — aber das soll sich ja nun ändern. Ich fliege in einer solch kleinen Maschine, dass ich gleichzeitig Gang- und Fensterplatz habe. Sehr viele Menschen scheinen nicht dorthin zu wollen. Und die Stadt selbst ist dann auch tatsächlich sehr, sehr klein und übersichtlich. Um ehrlich zu sein: sie besteht nur aus zwei für Touristen relevanten Straßen — alles andere in Downtown Nashville wirkt heruntergekommen, ärmlich, verlassen. Mir fällt der Spruch von Jon Ebinger ein: „Be prepared — Washington DC and New York are not the US. “ Richtig schön ist es wohl nur in den zahllosen Suburbs ringsherum. Doch die Laune will ich mir nicht verderben lassen — viel zu viele Countrykneipen laden bereits ab morgens 9 Uhr zur Live-Musik. Wo hat man das schließlich sonst?
Mein Host vor Ort ist Scott Fralick vom News Channel 2, einer Lokalstation von ABC. Er wird mir zeigen, wie man hier, im amerikanischen Heartland, Fernsehen macht. Besonders spannend für mich: Scott arbeitet seit einigen Monaten als Videojournalist. Das heißt: der Redakteur macht im Prinzip alles allein einschließlich des anschließenden Schnitts, Teamarbeit Fehlanzeige. Scott und ich fahren jeden Tag gemeinsam auf die unterschiedlichsten Termine: schütteln John Ashcroft, dem ehemaligen Justizminister die Hand; suchen abgestürzte Cessna-Maschinen; sind bei Jugendgottesdiensten dabei — ein buntes Potpourrie an Themen, wie sie in jeder Lokalstation anfallen.
Amerikanisches Fernsehen ist für mich gewöhnungsbedürfig. Alles muss schnell gehen: schnell recherchiert, schnell geschnitten, schnell gesprochen. Stücke mit einer Länge von 1:20 Minuten sind schon lang und O-Töne sollten auch nicht länger als 7 Sekunden sein. Dafür sind Moderation und Präsentation wesentlich lockerer und professioneller als bei uns — man mag gern hinschauen. Im Büro sind alle auf amerikanische Weise freundlich-unverbindlich und jeder hat deutsche Vorfahren oder kennt jemanden mit deutschen Vorfahren — so ist für Small-Talk-Gesprächsstoff immer gesorgt.
14. Oktober: Nashville — Chicago — Salt Lake City / Utah
Auf gehts an den Ort, auf den ich am meisten gespannt bin: nach Utah, ins Mormonenland. Wie viele Geschichten habe ich darüber schon gehört — alle von Leuten, die natürlich noch nie da waren. Dementsprechend gespalten sind meine Erwartungen. Von unserem wundervollen Host Dr. Alan Palmer, Direktor der Fakultät für Kommunikationswissenschaften an der Brigham Young University, erfahren wir in der nächsten Woche aus erster Hand alles über die Mormonen. Wir besichtigen das Headquarter der Kirche in Salt Lake City, treffen Kirchenmitglieder zum vornehmen Lunch, werden durch die verschiedenen Wohlfahrtssysteme der Mormonen geführt — und überall kommen wir aus dem Staunen nicht heraus. Keiner von uns dreien hatte sich je mit den Besonderheiten der Mormonen befasst — nun haben wir das Gefühl, schon nach kurzer Zeit „Experten“ zu werden, so intensiv sind die Führungen, die wir erleben. Unterm Strich sind die bei den Mormonen gesammelten Erfahrungen für mich die beeindruckendsten der gesamten vier Wochen gewesen.
An der Brigham Young University, die wunderschön eingebettet ist in das atemberaubende Panorama der Rocky Mountains, schauen wir drei Tage lang zu, wie der journalistische Nachwuchs ausgebildet wird. Auch hier verschlägt es uns immer wieder den Atem — sind doch die Bedingungen an einer amerikanischen Universität überhaupt nicht mit denen in Deutschland vergleichbar. Mit modernster Technik und praxisnah werden die Studenten hier unter Bedingungen ausgebildet, von denen wir nur träumen können. Wir suchen so oft wie möglich die Gelegenheit, mit Studenten ins Gespräch zu kommen und sind beeindruckt, wie viel diese von Deutschland wissen. Immerhin waren viele von ihnen in Deutschland als Missionare unterwegs. Auch hier drehen sich die Gespräche immer wieder um die Fragen: Wie lebt es sich als Mormone? Halten sich wirklich alle an die Regeln? Mit diesen Regeln werden wir jeden Abend in der Kneipe konfrontiert. Als Nicht-Mormonen dürfen wir zwar Alkohol trinken — aber: nach einem alkoholischen Getränk pro Nase ist Schluss, „Sorry — that’s Utah law“. Wir müssen oft schmunzeln.
Hellauf begeistert sind wir schließlich von der unbeschreiblichen Natur in Utah — die Berge der Rocky Mountains, die Wüsten, die unendliche Weite. Wir haben noch drei Tage Zeit, um die Nationalparks des Staates zu erkunden, dort wo andere Urlaub machen. Wir sind hin und weg.
21. Oktober: Salt Lake City — Denver — New York
Eine Woche in der aufregendsten Stadt der Welt liegt vor uns — Wow! Schon die Lage unseres Hotels — wieder das „Club Quarter“ — ist nicht zu toppen. Nur 5 Fußminuten vom Times Square entfernt! Was will man mehr. Auch in New York auf der Agenda: Gespräche, Gespräche, Gespräche. Wir sind so vollgestopft mit Informationen und werden wohl Wochen zum Verarbeiten brauchen. Highlight in New York ist ganz sicher der Besuch einer Highschool in New Jersey. Für uns etwas befremdlich: Polizeipräsenz, Securitychecks, Verbotsschilder allerorten. Wir haben eine Unterrichtsstunde gemeinsam mit Schülern der Oberklasse — beide Seiten diskutieren eifrig miteinander. Es macht Spaß, da es Kontakt mit „richtigen“ Menschen bedeutet.
Ansonsten versuchen wir in New York natürlich so viel wie möglich von dieser einmaligen Atmosphäre in der Stadt mitzunehmen. Jazzclubs, Kneipen, Bars stehen nun fast jeden Abend auf dem Programm — Jon Ebinger hat wohlweislich die Abende in New York nicht verplant. Ein kleines persönliches Highlight ist ein Treffen mit Jonathan Franzen, dem Autor des Bestsellers „Korrekturen“. Ein paar Mädels von uns lauschen angespannt seiner Lesung, wir bekommen Autogramme und sind mächtig angetan. Die Zeit in New York vergeht noch schneller als in den anderen Wochen. Schon heißt es Abschied nehmen von einem Land, dass uns so bestens vertraut erscheint und doch so anders ist. Abschied vom täglichen Starbucks. Abschied von neugewonnenen Freunden.
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Sandra Schulz, Deutschlandradio Kultur, Berlin
Ein Laden am Flughafen. Tassen, Kugelschreiber, Schneekugeln — typische Souvenirs. Und ein Stand mit Lätzchen. Darauf maschinengestickt: „Future President of the United States“ — typisch amerikanisch. Pointierter kann man den American Dream kaum erklären. In Deutschland werden Baby-T-Shirts mit der Aufschrift „Ausrutscher“ verkauft oder vielleicht mit der Aufschrift „Zukünftiger Hartz-IV-Empfänger“.
Washington DC, Atlanta (GA), Springfield (MO), Atlanta (GA), Athens (GA), Savannah (GA), Athens (GA), Atlanta (GA), New York City: Nicht weniger als 3.500 Meilen habe ich in den Vereinigten Staaten zurückgelegt, mehr als fünfeinhalbtausend Kilometer. Machte ich mich in Berlin auf eine Rundreise, könnte ich Hamburg, Köln und München dreimal bereisen, wäre immer noch schneller und hätte im Groben landschaftlich alle Regionen kennen gelernt. Davon kann in den USA natürlich keine Rede sein. Wenn man Teile der Ostküste, des Mittleren Westen und der Südstaaten gesehen hat, dann kennt man noch lange nicht die Vereinigten Staaten von Amerika. Das wissen wir Europäer natürlich. Aber wir denken nicht immer daran. Ich bin froh darüber, dass mich der Monat daran erinnert hat.
Der Oktober war voll von spannenden, eindrücklichen Begegnungen. Der Monat vor den Kongresswahlen war ein denkbar günstiger Zeitpunkt, zumal, da sich ein Machtwechsel im Kongress abzeichnet. Ich war zum ersten Mal in Washington. Habe zum ersten Mal das Weiße Haus gesehen und es — wie wohl viele — kleiner als erwartet gefunden. Kein Wunder, dass Eleonore Roosevelt ihr Heim nicht mit dem nackten Churchill teilen wollte — so geht die Legende — und darauf bestand, dass die Gäste eine eigene Residenz bekommen.
Schnell kristallisierten sich in Washington die beiden Hauptthemen unserer Gespräche heraus: Guantánamo — immer wieder offensiv von der Gruppe auf die Gesprächsagenda gebracht — und der Irakkrieg. Höchst ambivalent ist das Bild, das alle Antworten zusammengenommen ergeben. Einerseits — für mich höchst verstörend — ein ehemaliger Kongressabgeordneter der Demokraten, der uns auf die Frage, warum die Guantánamo-Häftlinge keine faires Verfahren bekämen, mit einem lapidaren Verweis auf 9/11 beschied und ergänzte: „You know? They are simply so many. “ Zum anderen liberale und liberalste Köpfe, wie Bruce Katz, der Leiter und Gründer der Brookings-Institution, der nur den Kopf schüttelt, wenn der Name des Amerikanischen Präsidenten fällt und der in Guantánamo einen Verrat des American Way of Life sieht. Ein drittes Thema, das sich für mich wie ein roter Faden durch die vier Wochen zog: Integration. Höchst aufschlussreich war ein Besuch bei der Arab-American-Association, zur Sprache kamen mehrere Punkte, die auch Schlüssel zur europäischen Integrationsdebatte sein könnten.
Den Boden von Springfield, Missouri, im Mittleren Westen hätte mein Fuß wohl nie betreten, wenn mich nicht das Programm dorthin geführt hätte. Rückblickend hätte ich mir ein interessanteres Pflaster nicht aussuchen können, denn Missouri ist einer der Staaten, in dem eine demokratische Senatorin ihren republikanischen Konkurrenten bei den Wahlen am 7. Oktober aus dem Amt drängen könnte. Für besagte Senatorin wirbt der an Parkinson erkrankte Schauspieler Michael J. Fox mit einem umstrittenen Werbespot, der sich für eine Legalisierung der Stammzellforschung ausspricht. Wenn es Orte in den Vereinigten Staaten gibt, in denen man dem Wahlkampf so gut wie gar nicht begegnet, dann jedenfalls nicht in Missouri. Als politische Korrespondentin von KSMU, einem Sender, der dem National Public Radio angegliedert ist, hat mich meine Gastgeberin Missy Shelton mit quasi jedem in Berührung gebracht, der in Springfield politisch aktiv ist. Noch lange in Erinnerung bleiben wird mir die Wahlkampfveranstaltung des republikanischen Gouverneurs. „Who made Springfield a better place?” — “WE DID!”, „Are you ready to defeat them?” — „YEAHH!” Politisches Temperament, das ich bis dahin nur aus dem Weltspiegel kannte. Amerikanische Folklore, die ich bis dahin für Klischee hielt — hier war ich mitten drin.
Fundraising Days: Zweimal im Jahr werben die Public Radios an mehreren Aktionstagen finanzielle Unterstützung ihrer Hörer ein. Bei einem Jahresbudget von zwei Millionen Dollar gilt es, viele Hörer zu mobilisieren. Für mich waren die Fundraising-Tage die Eintrittskarte in die Live-Show, in der ich im Studiogespräch das deutsche öffentlich-rechtliche Gebührensystem vorgestellt habe — und auf reges Hörerinteresse gestoßen bin. Kurz nach meinem Auftritt meldete sich eine Hörerin, die sich mit mir zum Kaffee treffen wollte. Weil ich — höchst zurückhaltend — einige europäische Guantánamo-Gedanken über den Äther gegeben hatte, rechnete ich mit einer konservativen Midwestern-Lady, die mir die Wahrheit über George W. Bush einflüstern wollte. Tatsächlich erwartete mich eine schwarze Bürgerin, der es ein Anliegen war, mich über den Rassismus im Mittleren Westen zu informieren — eine von zahlreichen unerwarteten, aber umso bereichernden Begegnungen.
Auch Athens, Georgia, hätte ich als USA-Reisende nicht zwingend auf meine Reiseroute genommen, obwohl die Stadt ja Rockgrößen wie die B-52’s und R.E.M. hervorgebracht hat — den obligatorischen Besuch im 40Watt, der Konzertlocation, in der R.E.M. ihre ersten Konzerte gegeben haben, haben wir auf den letzten Abend gelegt.
Das Henry Grady College of Journalism gilt als eine der renommiertesten Journalistenschulen in den Vereinigten Staaten in einer der ältesten Universitäten des Landes und vergibt den Peabody Award, das Pulitzer-Pendant für elektronische Medien. Während unserer Woche in der Universität sind wir mehrmals in neue Rollen geschlüpft, von Beobachtern wurden wir zu Referenten in einer Vorlesung. Eine der Veranstaltungen, zu denen wir als Diskussionspartner geladen waren, wurde sogar in der ganzen Fakultät mit Aushängen angekündigt, was uns durchaus genehm war. Beeindruckend auch die Begegnung mit dem Sheriff des County, mit dem wir auch die Guantánamo-Frage gründlich durchsprachen. Ob der Satz „And if they make trouble, I’d say: Kill them all“ ironisch, ernst gemeint oder reine Polemik war, weiß ich bis heute nicht. Atemberaubend, laut, bigger than life. New York muss man mit überschwänglichen Vokabeln beschreiben. Die letzte Woche war das Tüpfelchen auf dem I. Der Besuch auf Ellis Island, dem Anlaufpunkt der Einwandererschiffe zwischen 1890 und 1920, nahm das Integrationsthema wieder auf und füllte die Argumente, die wir in Washington gehört hatten, mit Leben. Über Jahrhunderte war die Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika, ins Land of the Free, für Millionen ein Traum. Die Anziehungskraft der amerikanischen Ideale strahlte über die Ozeane hinaus in die ganze Welt. Dass in einem Land, in dem fast jeder von Immigranten abstammt, Zuwanderer und Integration anders gesehen werden als in Europa, liegt auf der Hand.
Die vier Wochen sind wie im Fluge vergangen. Mit mehr neuen Fragen als Antworten habe ich das Land verlassen. Und freue mich schon auf meinen nächsten USA-Aufenthalt.
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Christina Selzer, Deutschlandradio Kultur, Berlin
Texas, Arlington
„Die Deutschen hassen uns Amerikaner, stimmt’s?“ Die Frage, die Nachrichtenredakteur Scott mir stellt, bringt mich doch etwas ins Stammeln. Es ist nicht das erste Mal, dass mir während meiner USA-Reise genau diese Frage gestellt wird. Und doch bin immer wieder irritiert und verwundert darüber. Und wie jedes Mal versuche ich auch diesmal zu erklären, was wir (aber wer ist schon „wir“?) über die Amis (wer immer das auch ist) so denken. Nein, sage ich entrüstet zu Scott, der an seinem Schreibtisch gerade ein riesiges fettiges Mittagssandwich verputzt, wir mögen die Amerikaner. Es ist vielmehr so, sage ich, dass viele Deutsche die Außenpolitik von Präsident George W. Bush nicht gut finden. Und während ich noch darüber nachdenke, ob es wohl klug von mir war, das Thema Bush anzuschneiden — ausgerechnet hier, in Texas, der Hochburg der Bush-Wähler, da sieht Scott eigentlich ganz erleichtert aus. Er fragt trotzdem vorsichtshalber noch einmal nach: „Bedeutet das etwa, dass Ihr uns nicht aus tiefstem Herzen hasst?“ Er meint es vollkommen ernst, und ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er es mir wirklich abgenommen hat. Aber er ist daran interessiert, sich mit mir, dem Gast aus dem fernen Germany, zu unterhalten. Und etwas über die deutsche Sicht auf die USA zu erfahren.
Der kurze Dialog mit Scott im Newsroom des Radiosenders WBAP ist mir jedenfalls noch lange in Erinnerung geblieben. Denn was in den USA über Deutschland berichtet wird, ist marginal, und da ist offenbar der vermeintliche „Anti-Amerikanismus“ der Deutschen im Gedächtnis geblieben. Eigentlich schade, wenn die Kritik aus Deutschland in den Vereinigten Staaten als Hass angekommen ist. Da müssen wir uns als Medienmacher wohl auch fragen, was wir dazu beigetragen haben. Ich spreche natürlich mit den Kollegen vom WBAP Radio auch noch über viele andere Themen. Mit Ellie, der jungen quirligen Reporterin, mit der ich zum Interviewtermin rausfahre, unterhalte ich mich zum Beispiel über die unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in Deutschland und den USA. Als sie erfährt, dass die Deutschen jährlich doppelt so viele Urlaubstage haben, schaut sie mich fassungslos an. Ich jedenfalls bin insgeheim ganz froh, dass in Deutschland noch keine amerikanischen Verhältnisse herrschen. Den ersten Tag lasse ich beim Abendessen im Haus meines Radio-Hosts Rick ausklingen. Es gibt T-Bone-Steak — das einfach wunderbar schmeckt. (Ich esse während meiner Texas-Woche so viel Fleisch wie sonst vielleicht in drei Monaten, aber egal!) Mit Ricks Frau Angie und Tochter Kristin liege ich am späteren Abend noch im heißen Pool. Es ist noch relativ warm an diesem Oktoberabend, über uns der Sternenhimmel von Texas. Wenn ich auf diese Weise einen Beitrag zur transatlantischen Verständigung leisten kann, dann kann ich das nur begrüßen.
Texas, Dallas
Auch bei meiner Fernsehstation FOX 4 treffe ich überall auf interessierte Kollegen. Die Fernsehreporterin Melissa fragt mich, ob es in Deutschland zu ähnlichen Unruhen wie in Frankreichs Vorstädten kommen könnte und worin sich die Situation der Zuwanderer in Frankreich und Deutschland unterscheidet. Eine Diskussion entsteht während der Autofahrt zu unserem Drehtermin. Und ich stelle einmal mehr fest, dass viele Amerikaner sich sehr für das interessieren, was in Europa vor sich geht. Passenderweise haben wir an diesem Tag den Auftrag, eine Reportage über lateinamerikanische Einwanderer zu machen, die von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen möchten, oft aber gar nicht wissen, dass sie sich dafür registrieren lassen müssen. Die Situation der Hispanics ist ein großes Thema in Texas. Melissa möchte von mir wissen, ob es in Deutschland ähnliche Probleme gibt und ob bei uns die Integration der Zuwanderer funktioniert.
Damit ich einen Eindruck von Dallas und Umgebung bekomme, hat sich Dan, mein Host bei FOX 4, ein abwechslungsreiches Programm für mich ausgedacht. An einem Abend zeigt er mir zum Beispiel die Glitzerwelt der Reichen und Schönen. Hoch oben im 33. Stock eines Wolkenkratzers stehen wir in einem der angesagtesten Clubs der Stadt und genießen die spektakuläre Aussicht auf Dallas. Am nächsten Tag gibt’s ein Kontrastprogramm: Auf dem Pferderücken zwei Stunden Ausritt durch die Natur. Dave, der Cowboy, ist zwar im wirklichen Leben Angestellter einer Telekommunikationsfirma. Macht aber nichts, denn Spaß haben wir trotzdem.
Vor dem Ausritt waren wir aber noch im „German Deli“ — das ist ein Supermarkt, in dem man deutsche Produkte kaufen kann, auch per Internet. Maggi-Suppen, Niveacreme, Nürnberger Lebkuchen, Dallmayer Prodomo-Kaffee — alle gängigen Marken sind vertreten. Die Inhaberin hat viele Jahre in Deutschland gelebt, weil ihr Mann dort als Soldat stationiert war. Und weil sie nach ihrer Rückkehr in die USA so großes Heimweh nach Deutschland hatte und sich dachte, dass auch andere Amerikaner Sehnsucht nach Deutschland haben, machte sie das Geschäft auf. Offenbar eine super Idee, denn der Laden brummt. Viele Pakete gehen übrigens in den Irak, wo die U.S.-Soldaten bereits sehnsüchtig darauf warten. Als ich vor der „Irak-Wand“ stehe, an die hunderte Dankesbriefe und Mails aus dem Irak gepinnt sind, bin ich schon etwas betroffen. Hier in Texas hat fast jeder Angehörige oder Bekannte im Irak. Ich kann mir kaum eine Vorstellung davon machen, was das bedeutet.
Amerikanische Freundlichkeit
Wahrscheinlich ist das mit der Freundlichkeit eine Binsenweisheit und für USA-Kenner nicht der Rede wert. Aber ich möchte sie dennoch erwähnen. Denn die offene Art, auf Fremde zuzugehen, nimmt mich sehr für die Amerikaner ein. Von uns Deutschen wird das oft als „oberflächlich“ und „zu unverbindlich“ abgetan. Okay, ein zum Abschied lässig gesagtes „See you“ bedeutet nicht, dass man sich wiedersehen wird. Doch hat man das erst einmal verstanden, ist es einfach eine Floskel, um allen Beteiligten den Abschied angenehmer zu machen. Wie leicht kann das Leben manchmal sein, wenn Höflichkeit im Alltag vorkommt! Bei Starbuck’s in Washington fragt mich eines Morgens ein Geschäftsmann, woher ich komme. Seine Miene hellt sich auf, als ich sage: „from Germany“. Er reicht mir die Hand, „nice to meet you, my name is Bob“, wünscht mir noch einen schönen Aufenthalt in den USA und entschwindet. Ich freue mich über diese kurze Begegnung und komme mir vor wie auf einem fremden Planeten. In Berlin wäre eine Szene wie diese undenkbar.
Washington D.C. , New York und South Carolina
Das Programm in Washington und New York war unglaublich gut organisiert und vielseitig und hat uns hinter die Kulissen des Medien- und Politikbetriebs schauen lassen. Besuche bei CNN und im State Department haben bleibenden Eindruck hinterlassen. Wir hatten aber auch die Gelegenheit, mit Schülern einer Highschool-Klasse zu sprechen — auch dieser Termin war einer der vielen Höhepunkte des Programms. Ein absolutes Highlight war für mich auch die Begegnung mit Marty Markowitz, dem charismatischen Bürgermeister von Brooklyn, der uns leidenschaftlich von seiner multikulturellen Stadt vorschwärmte. Und, last but not least, die Woche an der Universität von South Carolina: Auch hier gab es interessante Gespräche mit Professoren und Journalistik-Studenten.
Fazit
Und wieder hat sich gezeigt, dass man nur in der persönlichen Begegnung mit den Menschen einen Eindruck von einem Land bekommt. Das RIAS-Programm ist daher ein großes Geschenk, denn genau das wird gefördert: Die Begegnung zwischen uns und den Amerikanern. Gespräche führen, immer wieder Fragen stellen, Spaß miteinander haben. Und auch staunen. Das Staunen gelang mir ziemlich gut. Denn es war mein erster Besuch in den USA. Aber sicher nicht der letzte.
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Marius Zekri, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Flughafen Washington, Sonntagnachmittag. Strenge Sicherheitskontrollen durch noch strenger gescheitelte Sicherheitsbeamte. Nach ein paar Minuten das erlösende Klacken des Stempels — eingereist. Auch das Gepäck ist da, der Zoll winkt uns durch — wir sind wirklich in den USA. Washington. Sonnenschein. Taxi zum Hotel. Auspacken, Einrichten, Ankommen. Das Hotel ist um die Ecke vom Weißen Haus — wir gehen hin und machen das obligatorische Foto. Keine 5 Minuten vom Weißen Haus steht vor einem Park ein weißer Transporter — eine mobile Suppenküche. Der Park ist das Zuhause vieler Obdachloser. Auch ein Eindruck, wie nahe Gegensätze hier beieinander liegen können.
Und auf Gegensätze stößt man in den USA allerorten. Der liberale Demokrat, der für die Todesstrafe ist, die geborene Amerikanerin, die Lobbyarbeit für Latinos betreibt oder der Manager, der erst für die Clinton-Regierung gearbeitet hat und nun bei einem der konservativsten Medienhäuser der Welt unter Vertrag steht. Begegnungen auf einer Reise in die amerikanische Seele.
Small Talk und andere Phänomene
Nach wenigen Tagen beherrschen wir die wichtigsten Vokabeln im Schlaf: „thanks for having me/us“, „pleasure to meet you“, „I appreciate that“, „awesome“ — Worte als soziales Schmiermittel oder sprachliches Fast Food. Auf den ersten Biss angenehm, aber weder besonders nahrhaft noch lange sättigend.
Genauso wie mit Worten gehen die Amerikaner auch mit Gegenständen um. Plastikgabeln, Löffel, Messer, Servietten, Teller, Tassen — all das gibt es in jedem Supermarkt massenhaft — umsonst zu jeder Mahlzeit. Auch in manchem unserer Hotels grassiert die Einwegitis. Anscheinend ist es billiger, jeden Morgen Dutzende Kilo von Plastik wegzuwerfen, als hundert Teller und Tassen aus Porzellan durch die Spülmaschine zu jagen — und das bei Zimmerpreisen von rund 200 Dollar pro Nacht.
The American Way of Thinking
Wer in Deutschland Diplomat werden will, sollte besser mit 32 sein Studium beendet, Auslandserfahrung und sehr gute Fremdsprachenkenntnisse haben. Wer das nicht hat, für den endet der Traum vom Diplomaten, noch bevor er begonnen hat. In den USA ist das anders: wer sich berufen fühlt, macht einen Test, wer ihn besteht, wird Diplomat. Auch in anderen Jobs ist es einfacher als in Europa. Jeder hat eine Chance — das scheint das Credo zu sein. In anderen Dingen sind die Amerikaner ungewohnt zurückhaltend. Fast schon phobisch ist die Angst vor Zigaretten, Drogen und Sex. Schilder vor Herrentoiletten drohen jedem mit der Polizei, der hier Ungesetzliches tut. Das Wort „Fuck“ und eigentlich auch jedes andere Schimpfwort sind in Radio und Fernsehen verboten. Wer es trotzdem tut, zahlt: bis zu 325.000 Dollar — pro Fluch. Und vor lauter Scham werden sogar Bierdosen braune Papierleibchen übergestülpt, damit niemand erkennt, welches Getränk hier spazieren getragen wird.
Die Amerikaner — nüchtern betrachtet
94 Prozent der Amerikaner glauben — an irgendwas: Gott, Shiwa, Allah, den Messias, irgendein anderes höheres Wesen. Fast die Hälfte geht mindestens einmal pro Woche in die Kirche. Ohne Religion läuft in Amerika nichts. Nicht nur weil auf jedem Dollarschein „In God We Trust“ steht. Konservative Christen entscheiden Wahlen, ohne ein Bekenntnis zum Glauben wird hier niemand Präsident. Ein interessanter Blick in die amerikanische Seele, die Glauben verlangt, aber nicht immer lebt. Fast die Hälfte aller U.S.-Bürger lebt nicht mehr in Städten — sondern in Vorstädten. Hier gibt es billiges Land, Einkaufszentren, Jobs und weniger Verelendung. Wenn der amerikanische Traum eine Villa ist, dann ist die U.S.-Realität ein Reihenhaus.
Wie es die Anderen machen
Die Flure sind zugemüllt, in den Gängen stehen alte Kameras, die auf ihren Abtransport warten. Wie fast immer beim Fernsehen ist die Fassade des Newsrooms imposant, doch dahinter sieht es armselig aus. Alle paar Meter liegt ein Stapel gelber (Ex-)Sendebänder auf dem Boden, jede Studenten-WG ist dagegen ein Hort penibler Ordnung. Sollte irgend jemand von den Leuten hier vor seiner Fernsehkarriere auf einem U-Boot gearbeitet haben, dann ist er klar im Vorteil — er ist an Mief und klaustrophobische Enge nämlich schon gewöhnt. Und die Hauptnachrichtensendung läuft in drei von vier Zeitzonen als Wiederholung, die bis zu vier Stunden alt ist. Eindrücke aus einem nichtkommerziellen Radiosender? Nein, Besuch bei CBS, einem der drei großen Fernsehnetworks im Land.
Bei den nichtkommerziellen Kollegen von Minnesota Public Radio ist es genau andersherum. Das Funkhaus ist riesig, sauber, aufgeräumt, modern, lichtdurchflutet. Für den Bau wurde extra eine Straße verlegt, und alles, was hier rumliegt, sind Bücher für die Mitarbeiter. Die Studios sind „State Of The Art“ — sie befinden sich in einem Extra-Komplex, der mitten im Newsroom steht. Von überall kann man reingucken und an den Fenstern hängen Flatscreens mit Infos zum laufenden Programm. Edler geht es eigentlich kaum noch — finanziert übrigens von Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Werbung gibt es hier nicht.
Noch weniger Geld, aber mindestens genauso viel Spaß hat man bei KFAI in Minneapolis. Das Funkhaus sieht von außen so aus wie CBS von innen. Aber drinnen warten moderne Technik und viele freiwillige Helfer. Geld bekommen hier nur wenige. Die meisten Moderatoren senden ohne Bezahlung — aus Spaß und weil sie diesen Sender mögen. Community Radio heißt das hier. Und es wird nicht nur gehört, sondern auch von seinen Hörern unterstützt. 50 Prozent des Jahresbudgets sind Spenden.
Wie ich Journalist werde
Jeden Tag 30 Minuten Nachrichten. Jeden Tag ein anderer Job — mal Regisseur, mal CvD, mal Bänderknecht. Ein halbes Jahr lang üben die Studenten der Universität von South Carolina (USC) die Praxis. In ihrem letzten Semester tasten sie sich an die Praxis heran. Deadline ist um vier. Professor Dick Moore ist froh, wenn das letzte Band um viertel vor 5 vorliegt. „Wir werden besser“ sagt er — noch größere Abweichungen vom Redaktionsschluss im Hinterkopf. Er ist Realist. 26 Studenten betreut er zur Zeit. Vier bis fünf von ihnen werden hinterher auch einen Job beim Fernsehen kriegen, sagt Moore.
Vier Jahre dauert das Journalismusstudium an der USC, ein großer Teil davon spielt sich in einer ehemaligen Sporthalle ab, die wie ein Tempel aussieht. In den verwinkelten, fensterlosen Räumen lernen die Studenten alles vom Schreiben bis zum Medienrecht. Zeitungen gibt es umsonst. Jeden Morgen. Doch die meisten Studenten holen sich ihre Infos aus dem Internet, oft von der Website des konservativen Kabelkanals „Foxnews“ — aber in einer Online-Redaktion will kaum einer arbeiten — die meisten wollen zum Fernsehen.
Dass das eine bald das andere sein kann, ist in einem anderen Bürobunker in Columbia zu sehen — im „Newsplex“ wird die Zukunft in Nachrichtenredaktionen simuliert. Hier wächst alles zusammen. Hier kann man heute schon sehen, was man morgen machen kann und wird, um Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet zu verbinden. Einiges davon ist schon Realität, anderes wird es bald sein. Beispielsweise mobile Weblogs. Das Handy wird dabei zur journalistischen Allzweckwaffe, das Bilder macht und Stories in SMS-Länge in die Redaktion funkt. Viele der Studenten mit TV-Ambitionen werden irgendwann wohl zwangsläufig nicht nur privat online sein.
Was ist mit Guantanamo?
George Bush hat gelogen. Die „offiziellen“ Gründe für den Irak-Krieg waren nur vorgeschoben. Das hat der Präsident in einem Bericht des U.S.-Senats sogar schriftlich bekommen. Die Frage, wie man in U.S.-Medien damit umgeht, wird eigentlich nie beantwortet. Weil es offenbar für die Kollegen kein Thema ist. Aber in diesem Fall ist keine Antwort auch eine Antwort. Interessant: als der ungarische Regierungschef beim Lügen erwischt wurde, gab es Proteste und Straßenschlachten. In den USA war die Bush-Lüge nur eine Randnotiz — kein Skandal.
Auch Politiker tun sich mit einer Antwort schwer. Was passiert denn nun in Guantanamo? Warum klagt man die Leute, die dort seit Jahren einsitzen, nicht an — wie man das in jedem anderen demokratischen Land mit jedem anderen Menschen machen würde, der eines Verbrechens verdächtig ist? Antwort von zwei ehemaligen Kongressabgeordneten: „Wir haben es hier mit vollkommen neuen Taten zu tun, die wir mit unseren bisherigen Gesetzen nicht fassen können — und neue Gesetze dauern. “
American Reality
Kein Büro, eine Arbeitswabe muss reichen. Individualität auf 2 Quadratmetern zeigt sich an den Postkarten, die man an die Wand seiner Arbeitswabe pinnt. „Cube Farms“ heißen diese allgegenwärtigen Bürolandschaften. Der Kaffee ist dünn und meist in Pappbechern und die Hälfte der USA scheint nur aus Starbucks zu bestehen. An jeder Ecke gibt es eins. Arbeit ist mehr als das halbe Leben — Urlaub ein rares Gut. Zwei Wochen pro Jahr — mehr gewähren U.S.-Firmen selten. In Sachen Geld ist man in Amerika freigiebiger. Viele Dinge funktionieren nur durch Spenden, oder durch Spenden besser — von Radio bis Schule. In New York gucken nur die Touristen nach oben. In Washington gibt es keine Hochhäuser, aber einen „National Christmas Tree“.
Und Schluss…
Freitag Abend in New York. Es regnet. Vier Wochen sind um — der letzte Abend ist angebrochen. Wir treffen uns in einem Restaurant/Club ein paar Meter vom Hotel weg. Es wird gelacht, getrunken, geredet. Neue Pläne werden gemacht, die vergangenen vier Wochen werden noch mal sehr lebendig. Wir haben unseren Spaß, die Musik ist ok, das Bier ist kalt und wir haben was zu feiern. Wir haben vier Wochen Amerika überlebt. Vieles gesehen und gelernt, Einblicke bekommen, neue Freunde gefunden, das Land von einer neuen Seite kennen gelernt, uns an Hamburgern überfressen, mit nicht funktionierenden WLAN-Verbindungen in Hotels rumgeärgert, Delphine und Schnee gesehen, Plastikbesteck und -geschirr hassen gelernt, und uns an „coffee to go“ gewöhnt. Wir haben eine tolle Zeit gehabt.