3-wöchige USA-Journalistenprogramme 2009
Frühjahr und Herbst
RIAS USA-Frühjahrsprogramm
29. März — 18. April 2009
Zwölf deutsche Journalisten in den USA: Organisiertes Programm in Washington und New York sowie für alle Teilnehmer jeweils individuelles Praktikum in amerikanischen Rundfunk- oder Fernsehstationen.
German Ambassador Dr. Klaus Scharioth, Washington DC, discusses current US and transatlantic isssues with the German journalists of the US spring program 2009.
TEILNEHMERBERICHTE
Erkan Arikan, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Coming to America!!!
Meine Reise zum RIAS-Frühjahrsprogramm stand irgendwie unter keinem guten Stern. Angefangen hat es am Sonntag Morgen. Bedingt durch die Umstellung zur Sommerzeit dachte ich, ’ach, mir kann so was nicht passieren, dass ich den Wecker falsch stelle’! Weit gefehlt! Eigentlich wollte ich mich mit Martin Wulff — wir waren auf die selbe Maschine gebucht — um sieben Uhr am Airport in Fuhlsbüttel treffen. Doch aufgewacht bin ich erst um halb Acht. Panikartig hab ich mich angezogen, konnte mich nicht rasieren, was dazu führte, dass ich aussah wie ein Terrorist — was im Verlauf meiner Reise in die USA noch Folgen haben sollte — und irgendwie 40 Minuten später dann doch am Check-in war. Schließlich im Flieger angekommen, hab ich erstmal weitergeschlafen.
Dort wurde ich verhört: „Was wollen Sie hier? Warum sind sie in den vergangenen Jahren so oft in der Türkei gewesen? Warum reisen Sie nicht mit Ihrem Journalistenvisum ein, das sie vor drei Jahren bekommen haben?“
Einzig und allein das Schreiben der RIAS-Kommission, dass ich ein deutscher Journalist und hier auf einer Stipendienreise unterwegs bin, hat mich davor geschützt, nicht gleich in der nächsten Maschine zurück nach Hamburg zu sitzen.
Auch ich hatte, trotz meiner vielen Aufenthalte in den Staaten, immer noch Vorurteile im Gepäck. Und diese wurden erst Recht durch mein Erlebnis am Flughafen in New York bestätigt. Doch ich sollte im Rahmen der Reise viele dieser Vorurteile entkräftet bekommen.
There’s a new man in town
Obwohl ich vor einigen Jahren bereits in der U.S.-amerikanischen Hauptstadt war, schien alles anders zu sein. Ohne pathetisch klingen zu wollen, aber es roch, wie in einem neuen Auto, das man vom Händler abholt. Hinzu kamen natürlich auch die diversen Treffen mit NGO’s, Think Tanks, Journalisten und Politikern. Viele, auch unangenehme Fragen, die mir auf der Seele brannten, aber auch von den anderen Teilnehmern gestellt wurden, sollten zu meiner Freude größtenteils beantwortet werden.
Das Treffen mit Pam Benson im CNN-Washingtonbüro sollte mich dann auch auf das vorbereiten, was mich wenige Tage später in der CNN-Zentrale in Atlanta erwarten sollte. Außer dem Besuch der deutschen Botschaft kann ich sagen, dass jedes Meeting in seiner eigenen Art großartig war. Beeindruckend war für mich die Aufbruchstimmung, die mit dem neuen Präsidenten Barack Obama ins Land kam. Lediglich den konservativen Herren der Heritage Foundation schien das, verständlicherweise, nicht zu schmecken. Und immer wieder der Satz, wenn eine Frage gestellt wurde: „That’s a good question!“, „That’s a very good question!“ Gesteigert wurde dies dann noch durch: „Oh, what a great question!“ Manchmal kam ich mir vor, wenn der Lehrer seinen Schüler lobt und es nicht ernst meint.
This is CNN
Nach sieben Tagen in der Gruppe sollte meine Reise alleine nach Atlanta gehen. Mein Host Mark Engel war so freundlich, mir einen dezidierten Zeitplan für die fünf Tage bei CNN zu erstellen. Nach nur wenigen Stunden hatte ich eins gelernt: Die Kollegen bei CNN arbeiten professionell wie in einer Nachrichtenfabrik. Akkordarbeit könnte man auch sagen. Ein Gebäude, wie eine Shopping-Mall, mit über 2000 Menschen, die für CNN, CNN.com oder auch HLN (Headline News) tätig sind. Sicherheitsvorkehrungen wie am Flughafen.
Aber eins war auch wiederum sehr beeindruckend. Viele der neuen technischen Möglichkeiten, mit denen wir in Deutschland nur langsam umgehen, sind hier schon seit Jahren in die Arbeitsabläufe integriert. Twitter, Myspace, blogs, Skype. Alle Medien, die bei CNN genutzt werden, sollen dem Zuschauer die Möglichkeit geben, sich in jeglicher Form interaktiv an jeder Sendung zu beteiligen.
Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, die bekannten Gesichter wie Hala Gorani, Jim Clancy, Terry Baddoo u.a. zu sehen und zu sprechen. Viele Kollegen bei CNN kannten die ARD überhaupt nicht und waren erstaunt, dass es öffentlich-rechtliches Fernsehen überhaupt gibt. Der Umstand, dass das oberste Ziel von CNN ist, die Familie des durch somalische Piraten entführten amerikanischen Kapitäns vor die Kamera zu bekommen, hat mich sehr an Boulevardjournalismus erinnert. Die Nachricht hinter der Nachricht schien in den Hintergrund zu rücken. Dennoch: Obwohl Europa so weit weg ist, scheint es beim Thema „Erdbeben in Italien“ doch so nah. Die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro in London ist eng.
Jahrelang hatte ich in meiner journalistischen Tätigkeit in großen Newsrooms gearbeitet. Erschreckt hat mich aber die Dimension bei CNN. In einem Raum von der Größe eines Volleyballfeldes saßen mehr als 80 Menschen und arbeiteten ihre Themen ab. Ürbigens: Der Claim — THIS IS CNN — wird von James Earl Jones gesprochen. 😉
Life in the Big Apple
Auch die letzte Woche war in jeglicher Hinsicht ein Highlight. Ein zufälliges Treffen mit dem türkischen Botschafter bei den Vereinten Nationen oder dem ehemaligen Koordinator für deutsch-amerikanische Beziehungen Karsten Voigt an einer Straßenecke, machten New York einzigartig. Ground Zero und die Art wie Amerikaner mit dem 11. September umgehen war auf der einen Seite beeindruckend, aber auf der anderen Seite zeigte es auch, wie stolz sie auf ihr Land sind. Egal ob ihr ehemaliger Präsident einen schlechten Job gemacht hat oder nicht.
Bei einem Besuchstermin hatte ich richtig Angst bekommen. BLOOMBERG TV!!! Ich freute mich, denn Bloomberg TV ist natürlich eine Institution im News- und Wirtschaftsjournalismus. Doch die Ernüchterung folgte prompt. Steril, trocken, eine Art Krankenhaus. Und dann noch Jenny, die uns umher führen sollte: „Welcome to Bloomberg TV, please: NO PHOTOS! Security issues!“ Krank! Jon erklärte dann noch, dass jeder Mitarbeiter der Bloomberg TV verlassen würde, regelrecht als verbrannt gilt und nie wieder ins Unternehmen zurück kehren darf. Krank, die Zweite!
Wir fahren zu Rachel Grygiel von der Hoboken High School in New Jersey. Es ist Spring Break, aber sie hat es geschafft, dass vier ihrer Schülerinnen und Schüler ihre Freizeit opfern und sich unseren Fragen stellen. Einer davon ist Sean, ein sechzehnjähriger Afro-Amerikaner, der in allen Fächern die besten Noten hat. Er erzählt in einer schüchternen, fast sich schämenden Art, dass er Obama sehr unterstützt habe. Später, als Obama Abtreibungen befürwortet, wechselt Sean mit seiner Unterstützung zu McCain. „Christian values are important to me!“ verteidigt er sich. Angegriffen hatte ihn jedoch niemand.
Zum Abschluss bleibt mir ein Satz in Erinnerung, der sich regelrecht in meinen Kopf eingebrannt hat: „Dress sharp!“, sagte Jon jedes Mal zu uns. Auch im Vorfeld der Reise las ich das mehrfach in seinen Mails, was mich dazu bewog, fünf Anzüge, sechs Krawatten und acht Hemden mit zu nehmen. Vergesst alles! Kleidet Euch alle so wie Jon. Das reicht! 😉
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Katharina Borchardt, Südwestrundfunk, Baden-Baden
Es ist nicht mehr viel los beim „Dutch Bros.“-Coffee-Drive-Thru in Junction City. Nur noch alle paar Minuten reichen die beiden Angestellten einen Kaffee mit Kokos- oder Haselnussgeschmack durch die auf Autofensterhöhe angebrachten Schiebefenster. Noch vor Kurzem war das anders: Da standen hier die Autos Schlange.
Die Umsätze des Drive-Thru sind innerhalb nur weniger Monate um 75% zurückgegangen. Die Rezession hat Oregon besonders hart getroffen. Momentan hat Oregon die zweithöchste Arbeitslosenquote in den USA (nach Michigan); allein in Junction City haben in den letzten Monaten die beiden größten Arbeitgeber der Stadt zugemacht. Die beiden Firmen stellten Wohnmobile her und beschäftigten ursprünglich rund 2.600 Mitarbeiter. Doch auch einige kleinere Firmen traf es in Junction City, und so fährt nun kaum noch jemand zur Arbeit und dementsprechend auch nicht mehr bei den Dutch Bros. vorbei.
Junction City war meine erste Erfahrung in Oregon. Nach einer Woche Gruppenprogramm in Washington war ich eine knappe Woche lang bei KKNU New Country 93, einem privaten Country-Sender in Eugene, Oregon. Der Sender kann im Umkreis von etwa 100 Meilen empfangen werden, und das 14 Meilen entfernte Junction City gehört daher zum Kernsendegebiet. Mein station host war Tracy Berry und in der täglichen Frühsendung „Barrett, Fox and Berry Mornings“ verantwortlich für Nachrichten, Sport, Verkehrs- und Wettermeldungen. Im Internet stellt der Sender sie als „the voice of reason“ vor: Eine ihrer Aufgaben ist es, die Moderatoren Bill Barrett und Tim Fox im Zaum zu halten, die vor allem für die jokes in der Sendung zuständig sind.
KKNU ist der führende Sender in Eugene. Deshalb besitzen Bill, Tim und Tracy in der Region einige Prominenz. Zumal man sie auch in spaßigen Werbespots sehen kann, die der Sender gelegentlich im Fernsehen schaltet. Doch an dieser Prominenz muss ständig hart gearbeitet werden. Sei es durch besagte Werbespots oder durch eine Shake-Hands-Tour, wie sie es nennen, etwa in Junction City. Denn an meinem ersten Tag ging es sofort nach der Sendung in den Coffee-Drive-Thru, um dort neben Kaffee auch T-Shirts, Basecaps und Aufkleber des Senders durch Autofenster zu reichen und den Kaffeetrinkern mit auf den Weg zu geben, doch mal New Country 93 einzuschalten. Denn Hörer müssen dauernd gewonnen und an den Sender gebunden werden. Zweimal im Jahr lässt KKNU seine Hörerzahlen vom Arbitron Radio Survey ermitteln. Diese Erhebung hat ergeben, dass die morning show von Bill, Tim und Tracy momentan von 40.000 bis 45.000 Personen in und um Eugene gehört wird, was für einen Regionalsender ziemlich viel ist. Von diesen Hörerzahlen hängt schließlich ab, wie viel der Sender für Werbespots verlangen kann, also seine unmittelbare Finanzierung.
Deshalb war ich schon wenige Tage später wieder bei einer Promoaktion. Dieses Mal fand sie in einer der größten innerstädtischen Malls in Eugene statt: Die Oregon Lottery hatte mehrere Schulen eingeladen, bei „Scratch-it 4 Schools“ mitzumachen. Dabei bekamen ausgewählte Vertreter der einzelnen Schulen je einen Eiskratzer, eine unendliche Anzahl an Rubbellosen und genau fünf Minuten Zeit, um so viele Lose wie möglich frei zu kratzen. Jede Schule wurde dabei von einer Art „Paten“ unterstützt, einem Mitarbeiter von einem der lokalen Radiosender. Am Ende wurden die Erlöse zusammengerechnet. Der Gewinn pro Schule lag etwa zwischen 900 und 2.200 Dollar. KKNU schnitt mit einem Gewinn von 2.022 Dollar für die Lowell Junior/Senior High School also ziemlich gut ab.
In Deutschland arbeite ich ausschließlich für öffentlich-rechtliche Sender. Deshalb war es beeindruckend zu erleben, was die Mitarbeiter eines amerikanischen Privatsenders neben ihrer eigentlichen Arbeit als Moderatoren oder Nachrichtenredakteure alles tun müssen, um möglichst viele Hörer an ihren Sender zu binden und ihn so am Leben zu erhalten.
Ihr Engagement hat mir imponiert, wie mich auch ihre Leistungsfähigkeit in Bezug auf die schiere Länge des Programms sprachlos gemacht hat. Lediglich dreizehn Mitarbeiter (Verwaltungsangestellte und Pförtnerinnen eingerechnet) schmeißen in Eugene den ganzen Landen und gestalten täglich ein 24-Stunden-Programm. Bill und Tim, die Moderatoren aus dem Frühprogramm, moderieren dabei nicht nur aus einem Selbstfahrerstudio heraus und wählen nebenbei die Musik für ihre Sendung aus, sondern sie erledigen während des 3½-stündigen Programms auch noch allerlei andere Aufgaben. Während eines Songs etwa rufen Hörer an, die auf einen Verkehrsstau in Eugene aufmerksam machen oder die wissen wollen, was aus irgendeiner Country-Sängerin geworden ist. Darauf antworten Bill und Tim, solange ein Lied läuft und das Mikro zu ist. Außerdem suchen sie ununterbrochen im Internet nach unterhaltsamen Themen, über die sie zwischen zwei Musiktiteln plaudern könnten. Gleichzeitig bereiten sie Werbungen vor, schneiden Kurzaufnahmen und wählen Jingles aus. Und nebenbei läuft auch noch ein Call-In-Gewinnspiel. Sie sind Moderatoren, Techniker, Wort- und Musikredakteure in einer Person, und sie kümmern sich außerdem um das Marketing und den Hörerservice.
Entsprechend dünn ist natürlich der Informationsgehalt ihres Programms. Abgesehen von eingestreuten Nachrichten und ein paar Gags zwischen zwei Musiktiteln gibt es im Grunde kein Wortprogramm. Es werden weder längere Gespräche geführt noch gebaute Beiträge oder Reportagen vorproduziert. Stattdessen wird sehr viel Musik gespielt, was natürlich weniger Arbeit macht und vergleichsweise billig ist. Es passierte während meines Aufenthaltes also wenig Journalistisches, bei dem ich hätte dabei sein können. Deshalb konnte ich im Sender selbst auch relativ wenig tun und habe mich darauf beschränkt, die Arbeit der Moderatoren zu beobachten.
Mein Eindruck war ein geteilter: Den persönlichen Einsatz der Mitarbeiter für ihren Sender fand ich — auch im Vergleich zu Deutschland — wirklich bemerkenswert. Die Schattenseiten des privaten Hörfunks in den USA liegen aber ebenso auf der Hand: ein oberflächliches, musikdominiertes Programm mit viel Werbung. Das Radio besitzt in den USA leider kaum noch gesellschaftliche Relevanz. Hoffentlich passiert uns das beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland durch zu viele Sparmaßnahmen nicht auch irgendwann. Gutes Programm kostet etwas.
New Country 93 verdient sein Budget zum großen Teil durch Werbung. Morgens zum Beispiel laufen drei Werbeblöcke pro Stunde, die jeweils bis zu vier Minuten dauern können. Tagsüber weiten sich diese drei Werbeblöcke auf jeweils bis zu sechs Minuten aus. Bei WTOP, dem führenden privaten Radiokanal in Washington DC, den wir in unserer ersten Woche besuchten, sind es ebenfalls bis zu 16 einminütige Werbepots pro Stunde, also mehr als ein Viertel der Sendezeit. Dagegen fällt die Bilanz bei NPR, dem National Public Radio mit Sitz in Washington, harmlos aus: zwei Werbespots pro Stunde, alles sogenannte „underwriter“. Die wirken weniger reißerisch als herkömmliche Spots, sind journalistisch gesehen meiner Meinung nach aber sehr viel problematischer. Denn in einem underwriter spricht der Moderator die Werbeanzeige selbst. Journalistische Information und Werbung werden auf diese Weise für unaufmerksame oder ungeschulte Hörer ununterscheidbar. Als ich die beiden KKNU-Moderatoren Bill und Tim fragte, ob sie am Anfang ihrer oft dialogisch gestalteten Werbeblöcke nicht eigentlich deutlich sagen müssten, dass nun eine Werbung folgt, schauten sie mich verständnislos an.
Eine gute Erfahrung war es da, in der ersten Woche mit der ganzen Gruppe bei „Tell me more“, einer einstündigen Radio-Talkshow vom National Public Radio (NPR) in Washington, zu sein. „Tell me more“ war für mich ein gutes Beispiel für verlässlichen Journalismus: lebensnahe und zugleich anspruchsvolle Themen, die von einer mehrköpfigen Redaktion vorbereitet und in einer täglichen Konferenz diskutiert werden. Die vergangene Sendung zu kritisieren gehört dort ebenso zur Konferenzkultur wie gemeinsam neue Themen zu finden und diese auf ihren inhaltlichen Wert abzuklopfen. Die konstruktive Konferenz bei „Tell me more“ hat mir sehr gut gefallen, wie auch der Klang der Sendung: lebhaft und trotzdem mit ruhigem Unterton. Weniger „high energy“ und weniger künstlich produzierte Dringlichkeit, wie man sie in den USA bei vielen privaten Radio- und Fernsehsendern findet. Schön war es da natürlich auch, von NPR-ombudsperson Alicia C. Shepard zu erfahren, dass sich die Hörerzahlen von NPR in den letzten Jahren verdoppelt haben.
Eine Konferenz wie bei „Tell me more“ und eine ausgiebige Themenfindung sind natürlich nur möglich, weil NPR größtenteils vom Staat, also durch Steuergelder finanziert wird. Seit ich die Programme von NPR (vor allem „Tell me more“) und das Programm von KKNU in Eugene kennengelernt habe, bin ich umso mehr eine Befürworterin der deutschen Rundfunkgebühren, die dem Programm ein gewisses Maß an gedanklicher Tiefe, Werbefreiheit und journalistischer Objektivität sichern und dabei laufend Bildung auf verschiedenen Niveaus bieten.
Deshalb ist ein öffentlich-rechtlicher Sender übrigens auch relativ resistent gegen einen politischen Boykott durch einen Teil seiner Hörer. Dies ist im Jahr 2003 KKNU, meinem Sender in Oregon, passiert, weil er Musik der Dixie Chicks spielte. Die Dixie Chicks hatten kurz zuvor die Politik George W. Bushs kritisiert, woraufhin konservative Country-Fans dazu aufriefen, die Band und den Sender zu boykottieren. Zunächst hielt KKNU noch die für das amerikanische Selbstverständnis so heilige Meinungs- und Redefreiheit hoch. Als der Boykott jedoch nicht nachließ, veranlasste KKNU Hörerbefragungen und nahm die Songs der Dixie Chicks schließlich aus dem Programm. Denn der Boykott beeinträchtigte die Werbeeinnahmen des Senders nachhaltig. Wirtschaft meets Pressefreiheit.
Doch soll mein Bericht nun gar nicht düster enden, war für mich doch die Reise in erster Linie unglaublich bereichernd. Ich wurde in Oregon sehr, sehr freundlich von Tracy aufgenommen und habe auch viele unserer Gruppentermine noch in intensiver Erinnerung, zum Beispiel den Nachmittag in der „Heritage Foundation“ oder das Treffen mit den Schülern der Hoboken Highschool. Ich freue mich sehr, dass ich an der USA-Reise teilnehmen durfte und danke der Rias-Kommission herzlich dafür.
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Susanne Burkhardt, Deutschlandradio Kultur, Berlin
Es gibt auch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Grenzen des Möglichen. Das muss der kleine mexikanische Reisende, der einen cirka 90 cm langen Karton in das Röntgengerät der Washingtoner Flughafenkontrolle geschoben hat, einfach akzeptieren. Er wirkt sichtlich überrascht von dem Aufruhr, den sein Handgepäck bei den Sicherheitskräften auslöst. Eine Kettensäge, das habe sie in den acht Jahren, die sie hier schon arbeitet, noch nie gehabt, sagt eine Frau in Uniform, halb amüsiert, halb empört.
Entspannt lächelnd beobachten drei berittene Polizisten — einer mit Lutscher im Mund — umrahmt von üppigen Magnolienblüten, das Treiben vor dem Weißen Haus, der ersten Adresse der Macht. Keine Bannmeile stört die Anti-Guantanamo-Aktivisten, die Pro-Peace- und Pro-Gay-Kämpfer, die Gegen-Beschneidungs-Streiter oder die reaktionäre Kleinstgruppe, die in Schwulen die Wurzel allen Übels dieser Welt sehen und gegen Obama wettert, der aus ihrer Sicht nicht genug gegen Homo-Beziehungen unternimmt. Connie, die kleine aus Spanien stammende Dauerdemonstrantin, die seit 1981 ununterbrochen vor dem Weißen Haus zeltet und gegen alles Böse der Welt ankämpft — ist längst eine Touristenattraktion und beliebtes Fotomotiv. Zwar wurde sie das eine oder andere Mal bereits verhaftet — aber immer wieder kehrt sie zu ihrem Zeltverschlag zurück. An diesem — unserem zweiten Tag in der Hauptstadt der Vereinigten Staaten, erregen die Proteste ohnehin nur das Interesse der vorbeiziehenden Touristen. Der neue amerikanische Präsident Barack Obama ist nicht da. Er reist gerade durch ein Land, in dem zeltende Demonstranten vor dem Regierungssitz undenkbar sind. Obama ist in Deutschland. Und wir in Washington.
Zwei bis drei Tage dauert es, bis die Neugierde an der Biografie der mitreisenden Kollegen grob gestillt ist und die Aufmerksamkeit ungeteilt den vor Ort geplanten Zielen gewidmet werden kann. Jon Ebinger hat für Washington und New York ein anspruchsvolles, hochinteressantes und zeitlich genau getaktetes Programm arrangiert: Treffen mit einflussreichen, engagierten Journalisten, mit Politikern und Diplomaten und schließlich mit den Arbeitern der sehr unterschiedlichen Denkfabriken, die Amerikas Machthaber unterstützen — oder unterstützten.
In Washington wie in New York, kommen wir ins Gespräch mit klugen, weltgewandten und meistens sehr interessierten Menschen, erleben die noch heute spürbare Verletzung der Nation durch 9/11 und die ersten Auswirkungen einer globalen Wirtschaftskrise.
Die überraschendste Erfahrung der ganze Reise: Eine hilfsbereite Freundlichkeit prägt den Alltag der Amerikaner auf sehr angenehme Weise. Woran liegt es, dass mir vor zehn Jahren genau diese Freundlichkeit oberflächlich erschien und mich die dahinter aufscheinende Unverbindlichkeit nervte? Jetzt erlebe ich diese Hilfsbereitschaft einfach als präzise. Eine Art Schmiermittel, um sich den Alltag gegenseitig leichter zu machen. Ergänzt durch einen unerschütterlichen Optimismus, ein Vertrauen in die Zukunft und einen positiven Willen, neuen Herausforderungen gegenüber offen zu bleiben. Unvorstellbar, wie oft mancher Amerikaner seinen Job wechseln muss. Keine Spur von Versorgungsmentalitätsgebaren, von miesmutigem Jammern, wie wir es bei uns so zu Hause oft erleben. Es scheint, als habe die Journalistin Bettina Gaus durchaus recht, wenn Sie in Ihrem Buch „Auf der Suche nach Amerika“ das Ausmaß der nordamerikanischen Hilfsbereitschaft auf die Geschichte der Pioniere zurückführt. Auf „das Wissen, dass Fremde auf Unterstützung dringend, sogar existenziell angewiesen sein können — und dass man gelegentlich selbst ein Fremder ist“.
Im Seattle, der grün-liberalen Stadt, wo ich ein Kurzpraktikum beim Radiosender KUOW absolviere, besuche ich für ein Interview den Pulitzer-preisgekrönten Cartoonisten David Horsey. Sein Blatt, der „Seattle Post Intelligencer“ hat vor einigen Wochen seine Papierausgabe eingestellt und erscheint nur noch als Onlineausgabe. Im Newsroom mit Platz für 160 Mitarbeiter, sitzen die Überlebenden des medialen Schiffbruchs: 15 Journalisten arbeiten jetzt im geisterhaft leeren Raum. Er hätte lieber selbst die Zeitung verlassen, als dass die Zeitung ihn verlässt, sagt David Horsey, und spricht dann doch von „Challenges“ und davon, wie aufregend es sei, etwas ganz Neues zu machen, dazuzulernen. Wöchentlich wird derzeit in den Vereinigten Staaten eine Zeitung eingestellt. Große Städte wie Chicago oder Los Angelos könnten bald ganz ohne Tageszeitung sein. Im Gespräch mit Journalisten und Wissenschaftlern vor Ort bekommen diese Zukunftsentwürfe eine wesentlich bedrohlichere Eindringlichkeit, als in den Artikeln die man in Deutschland liest.
In fünf bis zehn Jahren keine Papier-„New York Times“ mehr? In Deutschland hätte ich über eine solche Aussage gelacht. Aus dem Munde des jungen Professors Hanson Hosein in Seattle, gehört, gut begründet, lässt sich diese Aussage nicht mehr so einfach wegschmunzeln.
Der direkte Kontakt mit den unterschiedlichsten Menschen, denen wir in den drei Wochen begegnet sind, ist die größte Mitgift (ein deutsch-englisches Wort?) dieser Reise. Der Gedankenaustausch mit ihnen und die dadurch mögliche Anteilnahme an ihren Problemen und ihren Meinungen, haben meinen Blick für viele Themen und Aspekte geöffnet und sensibilisiert. Ich bin der RIAS-Kommission sehr dankbar, dass sie mir diese nachhaltigen Eindrücke durch das Programm ermöglicht hat und wünsche, dass noch vielen Journalisten nach mir das Glück zuteil wird, am RIAS-Austauschprogramm teilnehmen zu dürfen, um so die eigene Sicht auf ein fernes und sehr großes und dadurch vielfältiges Land relativieren, vervollständigen und erweitern zu können.
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Astrid Corall, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
„Where are you going?“ fragen uns am ersten offiziellen Abend in Washington amerikanische RIAS-Fellows. Wir sind eingeladen bei Gastgeberin Roxanne, stehen in ihrem Wohnzimmer, essen libanesisch und sind bester Laune. „Las Vegas“ — „oh“! „Seattle“ — „wow“! „Alaska“ — „great“! Dann bin ich dran. „Springfield, Missouri“. Pause. 2, vielleicht 3 Sekunden. Dann folgen ein höfliches „oh, its quiet interesting“, leicht komische Blicke und schließlich herzliches Gelächter. „Springfield, Missouri“ kommt an diesem ersten Abend nicht besonders gut weg und entwickelt sich in dieser Woche zu einer Art Running Gag.
Gleichzeitig steigt bei mir die Spannung, was mich dort erwartet. Erst einmal haben wir aber sechs Tage in der Hauptstadt vor uns.
Welcome to the Capital Obama ist überall. Auf T-Shirts, Tassen, Plakaten. Nur nicht im Weißen Haus. Er ist nach Europa geflogen. Wir hören viel über ihn. In den Think Tanks, in denen wir aus meiner Sicht die interessantesten Gespräche der Reise führen. Seit Obama an der Macht ist, hat Bruce Katz von der Brookings Institution wenig Zeit, sein Rat ist gefragt. Obama hat eine Menge harter Arbeit vor sich, sagt er und kritisiert George Bush. Leider muss er schnell wieder weg. „Enjoy your stay and spend a lot of money“ ruft er uns beim Rausgehen mit Blick auf die Wirtschaftskrise zu — das befolgen wir dank des guten Dollar Kurses in den kommenden Tagen gerne.
Nur schräg gegenüber von Brookings empfängt uns die Black Caucus Foundation. Sie unterstützt unter anderem junge Studenten mit Stipendien. Hier sind sie besonders stolz auf den neuen Präsidenten. Zum Abschied bekommen wir ein Obama T-Shirt und eine ganz spezielle Ausgabe einer Cola-Flasche. Eine mit dem Weißen Haus und dem Schriftzug „Barack Obama“. Eine Rarität. Die Euphorie um den neu gewählten Präsidenten teilt die konservative Heritage Foundation — oh Wunder — nicht. Die Diskussion ist kontrovers, besonders interessant die Meinung unserer Gesprächspartner zur Wirtschaftskrise. Der Staat solle keinen Einfluss nehmen, lautet die Devise — auch nicht bei General Motors.
Nah an die Politik kommen wir auch in der deutschen Botschaft und im Außenministerium. Sprecher Robert Wood und einige Journalisten nehmen uns im auf gefühlte 5 Grad herunter gekühlten Presseraum auf eine thematische Reise einmal um die ganze Welt. Erst ganz offiziell. Dann stellen die Journalisten die Mikrofone aus, treten an Woods Pult und führen Hintergrundgespräche über Afghanistan, Iran, Nordkorea. Eine tägliche Herausforderung nennt Sprecher Robert Wood die Konferenz — die er bemerkenswert gelassen besteht. Anschließend berichtet er uns über seine Arbeit und dabei erfahren wir auch, dass sich die deutsch-amerikanischen Beziehungen zuletzt verbessert haben.
Doch es sind längst nicht nur die politischen Gespräche, die im Gedächtnis bleiben. Sondern auch die Einblicke bei den verschiedenen Sendern wie CNN und bei Radiostationen. Wir erleben eine sehr konzentrierte Redaktionskonferenz der Macher der täglichen Show „Tell me more“ bei NPR. Besonders gestaunt habe ich über Bob, der die Hörer des Privatsenders WTOP über wirklich alle Staus in Washington informiert. In kurzer Abständen mit atemberaubender Geschwindigkeit, dabei stets mit einem Ohr am Polizeifunk, einem Auge auf den wenigen Notizen und dem anderen auf den Bildschirmen.
In the Heartland of America
Die Frage: „Where are you going?“ fällt im Laufe der Woche immer wieder. Über „Springfield, Missouri“ höre ich unterschiedliche Meinungen — von langweilig bis hin zu recht spannend. Immer aber heißt es: es ist das „Heartland of America“.
Das zeigt sich bei meiner Ankunft mit ungemütlichem Wetter, welches in der an Tornados gewöhnten Region keine Seltenheit ist. Meine Hosts Missy und Ed empfangen mich herzlich und mit einem umfangreichen Programm. In dessen Verlauf begegne ich bemerkenswert vielen freundlichen Menschen, höre eine Reihe interessanter Geschichten. Über deutsche Vorfahren, die viele in Missouri haben. Über Brad Pitt, der hier zur High-School gegangen ist. Über die aus Springfield stammende Band „Big Smith“, die aus lauter Brüdern und Cousins besteht und schon auf Europa-Tournee war. Doch vor allem erneut über Politik und Medien.
Die Station des NPR in Springfield lebt — wie die anderen NPR Stationen auch — vor allem von Spenden. Und dennoch bin ich überrascht, als ich ein Schild an einem Redaktionsraum sehe, den man als Dank nach dem Spender benannt hat. Ungewohnt ist auch, dass das nationale Programm hier direkt auf dem Uni-Gelände untergebracht ist. Viele Beiträge kommen von Studenten, einigen von ihnen stehe ich im abendlichen Journalistik-Kurs Rede und Antwort. Es geht kreuz und quer — vom Fall der Berliner Mauer, über den grünen Punkt bis zu Angela Merkel und der Unabhängigkeit deutscher Medien. Und natürlich der Frage nach der Sicht der Deutschen auf Obama. Die interessiert auch ganz besonders einen Reporter vom Lokal-Fernsehen, der mich — „the German journalist“ — gleich am ersten Tag interviewt.
Die meiste Zeit aber darf ich wie gewohnt Fragen stellen und Informationen aufsaugen. Von Print- und Fernsehjournalisten, die über das schwierige Anzeigen- und Werbegeschäft reden. Und über ihre immer komplexer werdenden Aufgaben. Recherchieren, drehen, texten, Videos online stellen, dazu noch den eigenen Blog schreiben und dank Twitter Neuigkeiten in die Welt zwitschern. Nichts scheint unmöglich, die Frage nach dem Qualitäts-Verlust aber drängt sich unweigerlich auf.
Einen herzlichen Empfang bereiten mir die Mitglieder der County Commission, genau wie der ehemalige Richter Shawn Askinosie. Der produziert mittlerweile köstliche Schokolade, will sie bald auch in Deutschland verkaufen und schwärmt von deutschen Rühr-Maschinen. Mat O’Reilly setzt als einer der wenigen auf Umweltschutz. Er stellt mir das zukunftsweisende ökologische Konzept seines kleinen, mit Platin ausgezeichneten Einkaufszentrums vor. In einem Freizeitpark erfahre ich, dass sich die Menschen gerade in diesen Zeiten gerne mal eine vergnügliche Auszeit vom tristen Alltag gönnen. Auch in der Wirtschaftskrise gibt es einige Hoffnungsschimmer. Mit der Erkenntnis, froh in Springfield, aber auch in umliegenden Städten gewesen zu sein, verlasse ich Missouri. Das Leben hier ist sicherlich unaufgeregter als in anderen Gegenden, die meist platte Landschaft nicht gerade außergewöhnlich, doch die Erlebnisse und Gespräche im „Heartland of America“ waren den Besuch alle Mal wert!
In the City that never sleeps
New York. Obwohl zum zweiten Mal hier bin ich wieder überwältigt von Hochhäusern, Vielschichtigkeit und Quirligkeit dieser Stadt. In Washington Heights gibt eine ältere Dame ein außergewöhnliches Jazz-Konzert in ihrem Wohnzimmer und reicht in der Pause Obst und Getränke. Die Musik hat ihr geholfen, den Tod ihres Sohnes besser zu verarbeiten. Auf ihrem Klavier und an ihrer Haustür hängen Fotos von Obama. Doch der neue amerikanische Präsident und seine Politik sind in dieser Woche viel seltener Thema. Dafür dreht sich viel um die Zukunft unserer Branche. Der Wirtschaftssender Bloomberg will mit seinem Gebäude ganz weit vorne sein. Alles offen, viel Licht, eine große Kommunikationszone. Faszinierend und verstörend zugleich. Zumal unser Guide auf arrogante Art das Konzept vermittelt und alle kritischen Fragen — über Stellenabbau, Probleme in Zeiten der Wirtschaftskrise — gar nicht oder nur unzureichend beantwortet.
Eine ganz andere, viel wärmere Atmosphäre schlägt uns bei der Medien-Gruppe Hearst entgegen. Ein Gespräch mit den Chefs auf Augenhöhe, ein Austausch über Arbeits- und Funktionsweisen. Und Einschätzungen. Bald gebe es alles nur noch „on demand“ und „content is king”. Radio spielt in Deutschland immer noch eine wichtige Rolle, erzählen wir — gerade in der Prime Time. Dies sei in den USA auch mal so gewesen, hören wir. Bis vor etwa 20 Jahren….
Der NPR-Ableger Jazz 88,3 FM macht allerdings nicht gerade den Eindruck, vom Aussterben bedroht zu sein. Ein Reporter erzählt uns über die Auswirkungen des 11.September auf seine Arbeit. Sicherheitskontrollen seien viel stärker geworden, die Polizei habe gegenüber Journalisten deutlich mehr Befugnisse.
Mit Problemen dieser Art haben die Macher des hauseigenen Fernseh- und Radio-Programm der Vereinten Nationen nicht viel zu tun. Eher kämpfen sie hier mit der veralteten Technik. Überhaupt bekomme ich beim Besuch des Sicherheitsrates oder der Generalversammlung den Eindruck, dass einiges renovierungsbedürftig ist. Gleichzeitig freue ich mich, hinter die Kulissen geblickt zu haben — wer weiß, ob die Gelegenheit je wieder kommt.
Höhepunkt der Woche ist für mich aber ein auf den ersten Blick ganz unspektakulärer Termin. Mit vier Schülern einer High School in Hoboken, New Jersey. Wir sitzen in kleinen Gruppen in einem Stuhlkreis, stellen eine Frage nach der anderen. Anfangs zum Teil noch etwas schüchtern, tauen die Schüler — darunter ein Geschwisterpaar — nach und nach auf. Shawn redet vor allem, wenn seine Schwester gerade mal nicht da ist. Erstaunlich konservativ ist seine Einstellung, das hatte ich nicht erwartet. Wir erfahren viel über die Träume der Jugendlichen, über ihre Probleme und ihr Leben. Und was sie über ihren neuen Präsidenten denken. Obama ist also auch wieder da.
Back to Germany
Mit einem Kopf voll von Erinnerungen, vielen Gesprächen und einigen wenigen Enttäuschungen kehre ich zurück nach Hamburg. Ich habe soviel erlebt, es scheint unmöglich, alles zu erzählen. Die Kurzzusammenfassung: es waren unvergessliche Wochen. Danke RIAS!
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Stefan Leifert, Zweites Deutsches Fernsehen, Berlin
Mein erster Arbeitstag beginnt mit einer Lawine — und das ist mein großes Glück. Im Gebirge des Mount Hood hat der Schnee begonnen zu schmelzen, die Aprilsonne ist schon stark. Die erste Lawine war harmlos, aber Skifahren wird nun gefährlicher. Kyle, der „Channel 8“-Reporter hat noch Anzug und Krawatte an, freundet sich aber in der Redaktionskonferenz schnell mit dem Gedanken an, für die Abendnachrichten in Outdoor-Jacke aus 2.000 Metern Höhe geschaltet zu werden. Und so beschert mir der erste Tag beim NBC-Ableger in Portland/Oregon gleich einen Ausflug mit spektakulärer Aussicht.
Portland an der Westküste Amerikas ist eine willkommene Abwechslung nach einer Woche Polit-Sightseeing, Diskussionen und Vorträgen in der Hauptstadt. Eine gute Gelegenheit, die vielen Eindrücke aus Washingtons Think-Tank-Szene, Gespräche mit dem deutschen Botschafter, einem Sprecher des State Department oder in der Washington University und mit vielen amerikanischen Journalisten-Kollegen sacken zu lassen.
Hier, bei meiner Station beim NBC-Sender für Oregon und den Süden Washingtons, geht es jetzt um ganz Praktisches: Wie arbeiten die amerikanischen Fernsehkollegen? Wie lang sind die Beiträge? Erst schneiden und dann vertonen oder umgekehrt? Channel 8 erweist sich als idealer Sender, um einen Einblick in die Arbeit der amerikanischen Kollegen zu bekommen.
Am zweiten Tag fahre ich mit einer Reporterin in ein kleines Nest im Süden von Washington. Gestern ist hier auf grausamste Weise eine vietnamesische Tankstellenbesitzerin überfahren worden. Sie wollte einen Tankpreller von der Flucht abhalten. In seiner Rage gibt er Vollgas, verletzt die Frau schwer, fährt noch einmal zurück und noch einmal vor. Ein Duzend Fernsehteams lokaler Sender drängelt sich am Tag danach um die dunkelroten Blutspuren neben der Zapfsäule. Gestorben wegen 30 Dollar, das ist ihre Geschichte. Der verstörte Ehemann der getöteten Frau steht hinter seiner Kasse und verkauft Kaugummi und Zeitungen als wäre nicht gewesen. Vor ihm liegen die Tageszeitungen Oregons und Washingtons. Alle machen mit dem grausamen Tankstellen-Mord auf. Er kann kaum Englisch und weint. Trotzdem: alle wollen den O-Ton über seine Frau. Umringt von Kameras stellt er sich vor die Zapfsäule und erklärt noch einmal, wie alles gewesen ist. Eine beklemmende Szene. Anne, die Redakteurin, klatscht mit ihrem Kameramann ab, so gutes Material haben sie lange nicht mehr bekommen. Ein paar Stunden später treffen sich alle Kamerateams vor dem Gerichtssaal wieder. Der Täter wird noch heute dem Richter vorgestellt. Der Parkplatz ist voller Übertragungswagen. Anne verhandelt sich ein paar Sekunden mehr heraus für ihren Beitrag, das Material sei einfach zu gut. Das Schlussbild ist der Schwenk vom traurigen Ehemann auf die Schlagzeilen vor ihm an der Kasse. „Selten kommt eine Schlagzeile so nah nach Hause,“ textet Anne. Und ist sichtlich stolz auf ihren Schlusssatz.
Zentrale Einsicht nach einer Woche Fernsehpraxis im Westen Amerikas: das meiste machen die amerikanischen Kollegen genauso wie wir. Ein bisschen hemdsärmeliger vielleicht und auch ein bisschen schneller. Ohne auch nur ein Bild des Materials gesehen zu haben, texten und sprechen die Kollegen ihren Kommentar, den der Cutter dann zu bebildern hat — schnell, aber nicht besonders schön.
Am Tag drei fahren wir wieder eine Stunde in die Provinz, diesmal in die andere Richtung. Wir treffen Amerikas angeblich ersten transsexuellen Bürgermeister. Ein Mann in den Sechzigern, der Kleider und Stöckelschuhe trägt, langes Haar hat, sich schminkt und Brüste wachsen lassen hat. Transsexuell sei er eigentlich nicht, aber er habe aufgegeben, gegen Begriffe zu kämpfen. Sichtlich genießt er aber die Aufmerksamkeit, die ihm heute zuteil wird, weil er eine neue Fernseh-Show bekommen soll, für die er heute gecastet wird. Im Auto streiten sich Anne und ihr Kameramann darüber, wie man den Mann nun bezeichnen müsse. Transsexuell? Transgender? Ist er schwul? Ein Mann, der eine Frau sein will, aber keine ist und mit einer Frau verheiratet ist? Nichts passt so richtig, aber Anne lässt nicht locker. Warum hat er sich nicht operieren lassen? Er sei halt wie er sei, sagt der Kameramann und schaltet sich für den Rest des Tages aus derlei Gesprächen aus. Sichtlich peinlich ist ihm, dass Anne all diese Fragen in ihrem Interview stellt, um dann zur Antwort zu bekommen: ich bin halt, wie ich bin.
Der letzte Dreh am Ende der Woche führt uns zum Meer. Die Nationalen Sender berichten über Piratenübergriffe auf amerikanische Frachter. „Runterbrechen“ ist angesagt, und wir gehen auf die Suche nach Kapitänen, die schon mal mit Piraten zu tun hatten — und werden tatsächlich fündig. Ein paar pensionierte Kapitäne, die nun als Lotsen an der Columbia River-Mündung arbeiten, haben schon mal gegen Piraten gekämpft. Und so bietet mir der letzte Tag noch eine spektakuläre Dienstfahrt mit einem Lotsenschiff auf dem Weg in den Pazifik.
Mit Eindrücken von Meer, Bergen und amerikanischem Kleinstadt-Leben geht es für die letzte Woche nach New York. Das Wiedersehen mit der Gruppe fühlt sich fast wie Nachhausekommen an. United Nations, Stock Exchange, Jewish Committee, World Trade Center, Bloomberg, Harlem, ein High School-Besuch in New Jersey — unser „Delegationsleiter” John Ebinger hat ein kurzweiliges Programm zusammengestellt, das Einblicke auch in das normale Leben der Amerikaner erlaubt. Und wieder bleibt der Eindruck: für New York ist jeder Aufenthalt zu kurz.
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Norbert Mertens, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Potsdam
Die beste Anekdote der Reise stand schon nach einer Woche fest: Sonntag morgen, Sicherheitskontrolle am Washingtoner Ronald-Reagan-Airport. Ich bin auf dem Weg zu meiner Praktikumswoche in New Mexico. Während ich der durchleuchteten Plastikwanne gerade mein Handgepäck, Gürtel, Schuhe etc. entnehme, blickt an der Schleuse nebenan eine Grenzbeamtin recht gelangweilt auf ihren Bildschirm. Eine Tasche oder ein Paket sind zu erkennen. Sie sieht weg, dann sieht sie noch mal genauer hin und ruft völlig unaufgeregt nach dem „Supervisor“. Eine höherrangige Beamtin kommt aus dem Büro links und geht zu ihr. Auch sie sieht zweimal auf den Monitor, dreht sich um und sagt laut vernehmlich: „Ich arbeite hier seit sechs Jahren, aber eine Kettensäge hatte ich noch nie.“ — Jill, die Frau von Fred Martino, meinem unglaublich freundlichen und enthusiastischen Host während der Praktikumswoche in Las Cruces NM, sagte, sie habe am Flughafen schon Verbotsschilder mit Kettensägen-Piktogramm gesehen und sich gefragt, ob und warum irgendjemand jemals auf die Idee kommen könnte, so etwas im Handgepäck zu transportieren.
Der interessanteste Gesprächstermin, in einer an interessanten Gesprächsterminen wahrlich nicht armen Woche in Washington, war das Treffen mit den vier Herren von der Heritage Foundation. An den Wänden hing eine rechtskonservative Hall of Fame mit Bildern von Ronald Reagan, Margret Thatcher, George W. Bush u.a. — und in den Köpfen unserer Gesprächspartner ein unerschütterliches, marktradikales Weltbild. Was sagen sie zu den Hinterlassenschaften von acht Jahren Neokonservatismus? Was sind die Antworten auf die tiefste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression und ein Finanzsystem vor dem Kollaps? Bei Heritage hält man eisern fest an Ronald Reagans’ Credo, wonach der Staat nicht die Lösung, sondern das Problem sei. Mit einer einzigen Ausnahme: nationale Sicherheit. Daran können auch die krachende Wahlniederlage der Republikaner gegen Barack Obama und der damit schwindende Einfluss der Heritage Foundation in Washington nichts ändern.
Das musikalische Highlight in Las Cruces kam völlig unerwartet. Zusammen mit KRWG 90.7-Reporter Evan Woodward war ich bei einer öffentlichen Sitzung des siebenköpfigen Board of Regents, des höchsten Gremiums der University of New Mexico. Eine zweieinhalbstündige, sehr steife Veranstaltung, bei der es vor allem um die finanzielle Schieflage der Universität und die daraus folgende Notwendigkeit ging, die Studiengebühren im kommenden Jahr zu erhöhen. Für zwei Regents war dies die erste Sitzung im neuen Amt. Während der Diskussion sprachen sie sich als einzige so vehement wie vergeblich gegen eine Gebührenerhöhung aus, wurden aber dennoch anschließend von der Vorsitzenden noch einmal offiziell und „standesgemäß“ Willkommen geheißen — mit einer überdimensionalen Sahnetorte samt Universitätswappen und einer in den Sitzungssaal strömenden und dabei die Hymne der Universitäts-Football Mannschaft schmetternden Marching Band. Weder Zuschauer noch Regents hielt es auf ihren Sitzen, alle sprangen auf, klatschten rhythmisch und sangen lauthals mit.
Die einmalige Fotogelegenheit, von allen ausführlich genutzt, gab es bei den Vereinten Nationen in New York. Allzu häufig sitzt man schließlich nicht auf dem Platz des U.S.-Botschafters im Weltsicherheitsrat oder steht am Rednerpult in der Generalvollversammlung.
Ein Fazit: Drei Wochen mit der RIAS Kommission in Washington DC, Las Cruces NM und New York City sind eine fast unerschöpfliche Quelle neuer Erkenntnisse und überraschender Erlebnisse, manchmal aber auch eher abseitiger Beobachtungen. Wie zum Beispiel der, dass es, für meinen Geschmack unbegreiflicherweise, in den USA einen sehr hohen Absatz von Handseife mit Marzipanduft zu geben scheint.
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Hans Pfeifer, Deutsche Welle, Berlin
Seit vier Wochen kommt Rosie jeden Donnerstag ins Dudleys. Die kleine Buchhandlung liegt beschaulich in der friedlichen Innenstadt von Bend, Oregon. Eine Treppe hinauf in den ersten Stock. Vorbei am Regal mit Büchern über Nichtraucherreisen in den USA, an den Tipps für die Reise mit Haustieren und vorbei am „Kompletten Buntstift-Malbuch”. Hinten rechts in der Ecke versinkt sie dann in einer Sitzecke in einem riesigen Sofa, das jeden schluckt, der sich darauf wagt.
Rosie ist eine kugelige Frau. Runder Bauch und zwei runde Beine, die aus einem sehr kurzen Jeans-Rock hervorquellen. Ihre Stupsnase leuchtet rosig und die Haarspange auch. Immer um 16 Uhr kommt sie hier her. Auch Jay-Michael und Debbie kommen. Und Norman und Annie. Und jede Woche mehr. Sie sind die Arbeitslosen von Bend, Oregon.
Nach Bend zieht, wer es geschafft hat im Leben. New-Economy-Gewinner und Hollywood-Schaffende. Und, wer für New-Economy-Gewinner und Hollywood-Schaffende ein Haus bauen kann, Wände streichen kann, Leitungen legen kann. Viele Häuser und Wände sind das. Sie schmiegen sich in die duftenden Pinienwälder der Hochwüste, aus denen sich am Horizont die schneebedeckten Vulkanberge erheben. Im Winter fahren hier alle Ski. Und im Sommer fahren alle Rad. Und immer scheint für alle die Sonne. Vor fünf Jahren lebten sechzigtausend Menschen in Bend. Jetzt sind es schon achtzigtausend. Auf den Parkplätzen der Shopping-Malls landen Kanada-Gänse mit ihren langgestreckten Hälsen. Und in den Straßen grasen Rehe.
„Ich habe für nächste Woche Dana eingeladen. Dana ist ein Medium und würde uns kostenlos spirituelle Beratung geben.” Anni hat die Arbeitslosengruppe mitgegründet. Sie hat sechs Ohrringe. In jedem Ohr drei. Sie lacht viel und gibt jeden Donnerstag Tipps. Wo man gegen Geld die Hunde der Reichen ausführen kann. Wieso Gemüse aus dem eigenen Garten billiger ist als das aus dem Laden. Ihr Stimme ist immer weich und aufmunternd. Anni hatte gerade ein Gespräch mit ihrem Vermieter. Ob sie die Raten erst einmal von 1000 Dollar auf 500 Dollar im Monat senken könne, bittet sie ihn. „Wenigstens habe ich mich proaktiv gefühlt“, lächelt sie.
Anni schaut immer nach vorne. Debbie versucht es. Sie hat lange braune Locken. Ganz voll und schön. „Vielleicht sollte ich mich selbstständig machen. Ich koche und, wie ihr seht, esse gerne.” Ihre Gesichtszüge sind zerfurcht. PTSD. Posttraumatische Belastungsstörung. Die Folgen der Arbeitslosigkeit. Keiner von ihnen hier im Donnerstags-Kreis ist zum ersten Mal arbeitslos. Aber jetzt ist etwas anders. Jetzt sagen Politiker im Fernsehen, dass die Folgen der Krise noch Jahrzehnte spürbar sein könnten. Für Debbie sind Jahrzehnte ein Leben lang.
„This is NewsChannel 21! Die Nachrichten aus der Hochwüste: Eine weitere Firmenpleite trifft die Stadt.“ KTVZ ist der lokale Fernsehsender von Bend. „Joe’s-Outdoor-Geschäft muss wegen der anhaltenden Krise voraussichtlich die Türen schließen. Auf dem Spiel stehen 37 Arbeitsplätze allein in Bend.” Lokalnachrichten. Jeden Morgen und Abend. Stundenlang. „Wir könnten mal einen Bericht über die Arbeitslosen machen“, diskutieren sie auf der Themenkonferenz. Junge Reporterinnen. Sie haben lange, glänzende Haare. Tragen kleine Perlenstecker. In jedem Ohr einen. Alle acht Frauen. Wenn sie morgens ins Büro stöckeln, haben ihre Gesichter den Ausdruck der farblosen Routine eines langen Berufslebens. Sie funktionieren fünf, sechs Tage die Woche von morgens bis abends. Solange der Sender sie braucht. Und sie berichten über alles, was der Sender braucht. Über Joe’s Geschäftsaufgabe, den Trend zum Gartenbau und darüber, dass immer mehr Menschen selber Küken aufzüchten, die sie später dann essen.
Rosie weint jetzt. Ganz still und versunken in ihrem Sofa. Ein dicker rosa Klumpen mit kullernden Tränen. Alles zu viel. Sie entschuldigt sich. Aber sie kriegt ihre Ausbildung nicht geregelt. Und ihr fehlt Geld. Jay Michael versucht sie zu trösten. „Wir sind alle an einem satanischen Tiefpunkt. Dieser Tiefpunkt ist auch ein Höhepunkt, um anzufangen sich selbst zu lieben. Hier kann ich sagen: es beginnt ein neuer Fluss.” Jay Michael ist ganz ruhig. Braun gebrannt. Feine graue Haare. Frisch rasiert. Er war schon Lehrer. Und Farmer. Jetzt hat er nicht einmal eine Krankenversicherung.
Debbie hat früher für Cessna gearbeitet. Als Hilfskraft. Jetzt muss ihre Tochter bei den Bewerbungsschreiben am Computer helfen. Wenn sie davon erzählt werden die Furchen in ihrem Gesicht noch tiefer. „Selbst meine 15-jährige Tochter ist qualifizierter für den Arbeitsmarkt als ich!“ Aber Debbie beklagt sich nicht. Keiner der Arbeitslosen von Bend beklagt sich. Nicht über die Politik, nicht über das System, nicht über die Krise. Sie richten den Blick nach vorne. Und all ihre Kraft.
Die Chefin vom Dienst ist genervt. „Die Arbeitslosen wollen uns nicht bei sich drehen lassen. Da will das Fernsehen mal vorbeikommen, und die stellen sich sonst wie an.” Am Abend läuft bei KTVZ stattdessen ein Bericht über das Treffen der Immobilienmakler aus der Region. Fünf knappe Referate. Vom Bürgermeister, vom Bankmanager und von einem Stadtplaner. Schlimme Lage. Preise im Keller. Leerstand durch Geschäftsaufgaben. Ab nächstem Jahr wieder Boom. Tausende Arbeitsplätze. Alle zusätzlich. Goldene Zukunft.
„Ich war im Friedenscorps für die Hühner zuständig und musste sie entfedern.” Norman hat im Fernsehen einen Bericht über Küken gesehen. Er hat einen Alkoholiker Blick . „Du tötest Tiere?“, quietscht Rosie auf. Sie hat lange geschwiegen. „Wir müssen töten um zu überleben“, lacht Anni, die Leiterin der Selbsthilfegruppe, „Egal, ob Pflanzen oder Tiere. Wir müssen dankbar sein, dass wir überleben können.“
Dodge RAM, GMC Denali, Hummer h2. Durch die Straßen von Bend wummern die zivilen Panzer des amerikanischen Traums. Dodge ist pleite. GM ist pleite. Und Hummer gehört jetzt den Chinesen. Millionen von Träumen schlummern auf endlosen Halden. Und warten darauf, dass irgend etwas aufwacht im Land und irgend etwas passiert. Und es passiert etwas. Ganz langsam. Ganz kühl und schneidend. Die Arbeitslosen spüren es zuerst: Sie werden immer mehr. Seit vierzehn Monaten. In Bend waren sie im vergangenen Jahr erst neun, dann zehn, dann zwölf Prozent. Jetzt sind sie 16 Prozent der Einwohner. Und sie brauchen immer mehr Essensmarken vom Staat. Und immer mehr Wohngeld. Und die Lehrer werden immer weniger an den High-Schools von Bend. Und die Polizisten auf der Wache auch.
„Baby-Steps musst Du machen. Jeden Tag einen kleinen Schritt aufwärts“, Debbie redet der niedergeschlagenen Rosie zu. Der amerikanische Traum. Die Arbeitslosen beschwören ihn. Zuversicht. Weitergehen. Für diesen Traum müssen immer mehr Amerikaner immer weiter gehen. Aber noch strahlt sein alter Glanz. So hell, dass auch immer mehr Latinos weit gehen, um ihn zu kosten. Eine Million kamen letztes Jahr. Und vorletztes. Und nächstes. Millionen hungriger Träume. Posttraumatische Störungen kennen sie nicht. Depressionen auch nicht. Nur Arbeit. Egal welche. Auch in die Straßen von Bend sind sie eingesickert. Immer mehr.
Ein Frau klopft an die Eingangstür zur Rezeption eines kleinen Motels in der Stadt. Es regnet. Sie lächelt. Schwarz-grau geringelter Kapuzenpullover. Zartes Gesicht. Ein bisschen zerbrechlich. Sie wirkt jünger, als sie vermutlich ist. „Gibt es hier Arbeit?“, fragt sie den vietnamesischen Motel-Manager. — „Wo?“ — „Egal. Gibt es einen Buchladen? Oder Gastronomie? Was kostet eine Woche hier im Motel? Und ein Monat?“ Der kleine Asiate steht unter einer kalt leuchtenden Neonröhre und antwortet kurz aber ausreichend. Routinierte Fragen. Routinierte Antworten. Sie bedankt sich und geht.
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Sebastian Schubert, Deutsche Welle, Berlin
Alaxsxag <inuktitut-yupik>: das Land, wohin der Ozean strömt
Wenn das Tidewasser brodelnd, gurgelnd und donnernd den Fjord im Südwesten von Anchorage flutet, dann begreift man den Sinn dieser Namensgebung. Eine knappe Woche durfte ich den nordöstlichsten U.S.-Bundesstaat mein Zuhause nennen. Und dieser Flecken Erde bzw. Flecken Eis tat alles, um mich in seinen Bann zu ziehen. Doch der Reihe nach.
Meine Station ist der wichtigste TV-Nachrichtensender in Alaska. Und es geht wirklich um Nachrichten. Keine Geschichten über die Teenie-Tochter mit Mutterpflichten im Hause Sarah Palin. Stattdessen: Bürgermeisterwahl in Anchorage — mit Fernsehduellen und großer Wahl-Sondersendung. Am Ende kennt jeder Kandidat den German Colleague from Berlin. In meiner Heimat dagegen weiß kein einziger Bürgermeisteranwärter, wer ich bin.
Überrascht bin ich vom typischen Arbeitsalltag eines Reporters: Stimmen einholen, zurück ins Studio, schneiden und texten, dann raus zur Live-Schalte, von da aus den eigenen Beitrag anmoderieren, dann ein Live-Interview, zurück ins Studio, das Stück für den Abend vorproduzieren… Und das ganze in neun Stunden, egal ob es um die veraltete Ölpipeline oder das neue Wappentier der Stadt geht. Dass der Reporter textet, ohne die Bilder zu kennen, auf schwarz vertont und den Kameramann die Bilder aussuchen lässt, finde ich — nun ja — sehr lässig.
Alaska — das klingt irgendwie schon nach Kälte, Eis und Schnee. Und so ist es auch. Tagsüber schmelzen die riesigen Schneewächten entlang der Straßen in der Sonne. Und nachts friert alles bei minus fünf Grad wieder zu. Eine rutschige Angelegenheit — vor allem im Auto. Dafür genieße ich ein einzigartiges Bergpanorama von meinem Hotelzimmer aus. Das Industriegebiet von Wanne-Eickel vor der verschneiten Zugspitze — so ähnlich sieht es aus, wenn ich die Gardinen lüfte. Und ein riesiger Gletscher wartet direkt vor meiner Haustür. Klar, dass viele Amerikaner zum Skifahren nach Alaska kommen.
Was mich in Erstaunen versetzt, ist die Tatsache, dass ich auf einem zugefrorenen See tausende Kleinflugzeuge parken sehe – entweder auf Schwimmern oder auf Kufen. Hat jeder Einwohner von Anchorage sein eigenes Flugzeug? Nein, erklärt man mir; da nur wenige Prozent des Landes per Straße oder Schiene erreichbar sind, haben die meisten Wildnis-Bewohner kein Auto, sondern einen Motorschlitten, ein Boot oder eben ein Flugzeug. Das landet dann direkt neben dem eigenen Haus auf dem dazugehörigen See. Klar, dass ich das gleich ausprobieren muss. Alaska von oben — majestätisch schön und atemberaubend wild.
Und doch ist der eigene Radius begrenzt, denn das Land ist einfach riesig. 20 Prozent der Gesamtfläche der USA macht allein Alaska aus. Ein Land, das unbeschreiblich reich an Bodenschätzen ist. Und dennoch: Dass dieses eisige Paradies jene 7,2 Millionen Dollar wert war, die Amerika 1867 dem russischen Zaren bezahlte, hat man erst spät gemerkt. Alaska ist jung. 33,5 Jahre beträgt das Durchschnittsalter — der perfekte Ort, um sich alt zu fühlen. Die meisten der Zugezogenen sind deutschstämmig, doch was alle eint: man fühlt sich ein wenig als der vergessene Bundesstaat.
Als Tier in Alaska gilt nur, was groß ist. Richtig groß. Dass ein Elch plötzlich im Vorgarten des Rathauses in Downtown steht oder nachts über den Highway spaziert, ist nichts Ungewöhnliches. Zum Glück besteht mein Chrysler Cruiser den Elchtest bei so einer nächtlichen Begegnung. Bären und Wölfe beobachte ich im Nationalpark; zum Glück interessieren sie sich nicht für mich. Andersherum ist die Neugier größer — zumindest von der schützenden Nähe des Autos aus.
Auch ein Erdbeben gehört auf die Richterskala meiner bleibenden Eindrücke. Und dann ist da noch der Vulkan, der just an dem Tag ausbricht, an dem ich ankomme. Im Flugzeug durch den Ascheregen — etwas ganz neues. Die Kehrseite der schönen weißen Landschaft: alles ist im Winterschlaf, sowohl der Schiffsverkehr, als auch die Straßen der Nationalparks; geräumt ist nichts. Immerhin weiß ich jetzt: bis zur Brust im Schnee zu versinken, ist ein eher unangenehmes Gefühl. Doch so etwas verblasst in der fahlen Frühlingssonne, wenn der Schnee unter den Füßen knirscht und der Host in seiner Lieblingsspelunke mit einem feinen Alaska Pale und frischem Lachs wartet. Home, Sweet Home Alaxsxag. Möge Dir der Ozean noch lange entgegenströmen!
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Marietta Schwarz, Deutschlandradio Kultur, Berlin
„Foreclosure“ (Zwangsvollstreckung) ist eine der neuen Vokabeln, die ich auf dieser Reise gelernt habe. Vielleicht habe ich das meinen Vorreisenden voraus. Denn in den vergangenen Jahren gab es sie ja noch nicht, die Wirtschaftskrise. Aber es gab ihn auch noch nicht, den neuen Präsidenten Barack Obama, jenen Hoffnungsträger und Popstar, mit dem die Souvenirhändler in Washington gutes Geld machen — an jeder Straßenecke werden T-Shirts, Basecaps, Strickmützen und Sticker feilgeboten, und ich selbst erwische mich dabei, wie ich zugreife, um mir ein Zeugnis dieser Aufbruchstimmung zu sichern. Nicht einmal drei Monate liegt Obamas Inauguration zurück, von seinem Vorgänger George W. Bush spricht aber keiner mehr, auch die konservative Heritage-Foundation scheint ihm keine Träne nachzuweinen. Aber die Amerikaner im Großen und Ganzen, das ist mein Eindruck, sind eh keine Nachweiner. Man schaut nach vorne, nicht zurück. Das Leben geht weiter, und zwar schnell.
Dass alles reibungslos abläuft, ist in diesem Land verdammt wichtig. Der Tag beginnt am Kühlregal der unzähligen Delis, und dort finden wir uns häufig, schnell zwischen zwei Terminen, auch wieder um die Mittagszeit ein. Kein Wunder, dass Coffee to go hier erfunden wurde. Kein Wunder, dass Jon, der uns auf der Reise begleitet, Pünktlichkeit auf die Minute erwartet.
Was der Faktor Zeit im Leben eines Amerikaners bedeutet, wird uns spätestens bei Bob im Studio des Washingtoner Lokalsenders WTOP klar. Von piepsenden Polizeisendern, klingelnden Telefonen und Dutzenden Web-Kameras zur Verkehrslage der Stadt umgeben, geht er in seinem Ministudio alle paar Minuten auf Sendung. Schaut uns, nachdem das Rotlicht erloschen ist, mit seinem zerfurchten Gesicht an und sagt: „Dieser Job ist sinnvoll, schließlich schenkst du den Menschen Zeit, wenn du ihnen sagst, wie sie einen Stau umfahren können.“
Bob steht mit dieser Ansicht nicht alleine. Verkehr nimmt bei jedem Lokalsender im Land einen ordentlichen Anteil ein, selbst im Fernsehen. Für meinen Host in Vegas, Tom Hawley, beginnt der Tag morgens um 5 Uhr. Den ersten Live-Aufsager aus dem Helikopter zur aktuellen Verkehrslage macht er, wenn das Licht über dem „Strip“ noch gelblich-weiß ist, den zweiten spätnachmittags für die 16- und 17-Uhr-Sendung beim lokalen TV-Channel 3. Tom ist Verkehrsfreak und weiß alles über Traffic, auch jenseits der Straßen. Einmal führt er mich zu einer Casino-Show, in der Go-Go-Boys und -Girls auf Schiffen und Heißluftballons unter der Decke an Schienen im Kreis fahren, und Tom sagt: „Das ist übrigens dasselbe System wie bei der Wuppertaler Schwebebahn!“
Ein paar Stunden verbringen wir gemeinsam an einer Freeway-Baustelle. Als der Ü-Wagen seine Antenne ausfährt, kommen plötzlich die Obdachlosen aus ihren Löchern gekrochen und versuchen ein Gespräch aufzunehmen. Tom ist geduldig, wechselt aber doch den Standort, weil er befürchtet, dass die ihre nackten Pos in die Kamera halten könnten („mooning“). Es ist wunderbar, und das sage ich ganz unironisch, diese Orte jenseits des „Strips“ von Las Vegas kennenzulernen und zu verstehen, wie diese Stadt tickt.
„Well, Mariedda“, sagt Nicole, die bei der Southern Nevada Water Authority in Las Vegas arbeitet, „mein Haus hat 2005 350tausend Dollar gekostet, jetzt ist es höchstens noch 180tausend wert.“ Selbst wenn sie ihr Haus jetzt verkaufen würde, müsste sie die Restschulden noch abbezahlen. „Aber ich will nicht klagen, solange ich noch einen Job habe.“ Das ist Nicoles Krisenstory, die noch nicht zur „foreclosure“ geführt hat. Eine typische Geschichte für die Gegend. Kaum einen Bundesstaat trifft die Wirtschaftskrise härter als Nevada. Schaut man sich dann Las Vegas aus dem Helikopter an, weiß man auch warum: meilenweit nur Einfamilienhaussiedlungen, die ein 3-Tage-Casinobesucher niemals zu Gesicht bekommen wird.
Vegas ist ein Attraktionspunkt nicht nur für die Snowbirds aus dem Norden, obwohl es hier so heiß und trocken ist. Jetzt ist für viele der Traum vom Eigenheim allerdings geplatzt. Hunderttausende verlieren ob der Schulden ihre Häuser, leben in Billig-Hotels oder werden obdachlos. Und die Neighbourhoods trifft der Wegzug genauso, denn Leerstände ziehen Wohnsiedlungen ganz schnell nach unten.
Die Ampel springt auf Grün, wir brausen in Nicoles SUV durch die endlosen Siedlungen der Spielerstadt. Nicole hat mich zu einer kleinen Vorgartenbesichtigung eingeladen. Denn Vorgärten sind im Raum Las Vegas ein Problem: Zwei Drittel des gesamten Wasserverbrauchs in der Stadt verschlingen die Rasenflächen, weshalb die Behörde jedem Eigentümer Geld zahlt, der sein Gras gegen Kunstrasen oder „desert landscape“ ersetzt, eine Kakteen- und Sukkulentenlandschaft. Irgendwann wird der natürliche Wasserhahn nämlich abgedreht, und eine Autostunde entfernt zeichnet sich die ökologische Katastrophe jetzt schon ab: Der Lake Mead, Wasserreservoir für die gesamte Region, trocknet aus, schon 2018 könnte er verschwunden sein, sagen die Experten. Und was dann? „Wir müssen dann Pipelines weiter oben in Nevada bauen“, so die Antwort von Nicoles Chefin Patricia Mulroy. Damit die Stadt weiter wachsen kann.
Dass der Wachstumsgedanke auch in Krisenzeiten von meinen amerikanischen Gesprächspartnern nicht in Frage gestellt wird, erschüttert und fasziniert mich zugleich. Da reißt ein System Millionen Menschen in den Abgrund, und doch halten selbst die Betroffenen daran fest. Aber irgendwie hat das ja auch was, wenn man nicht, wie es die Deutschen gerne machen, lamentiert, sondern einfach mal schaut, wie es nach der Krise weitergeht. Und schließlich, sagen die Menschen, mit denen ich spreche, „ist es noch nach jeder Krise bergauf gegangen“. Wie ein roter Faden ziehen sich Enthusiasmus, Optimismus und unglaubliche Produktivität der Leute durch diese drei USA-Wochen.
Wir stoßen auf Gleichaltrige, die bereits sieben verschiedene Jobs im In- und Ausland gemacht haben, wir lernen 60-Jährige kennen, die nach einer Karriere bei der Washington Post die letzten Berufsjahre lieber in ein journalistisches Internetprojekt investieren, um politische Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir sprechen mit Uniprofessoren, die glauben, dass es in einigen Jahren nur noch eine Handvoll Qualitätszeitungen geben wird, und: dass das sogar Vorteile haben kann. Und selbst der Satz des Clinton-Sprechers im State Department, „you’re always one sentence from being fired“ kommt ihm noch mit einem Lächeln über die Lippen.
Wir werden gefragt, wer von uns bloggt, twittert oder mit Social Networks im Internet agiert. Und fast schäme ich mich ein bisschen, weil kaum einer die Hand hebt. Man kommt sich plötzlich bequem, träge und irgendwie so negativ vor, wenn man mit den High Potentials in den USA spricht. Dabei gab es doch drüben, in Europa, Gründe, weshalb man den neuen medialen Entwicklungen kritisch begegnet. Nur: Was waren das noch schnell für welche?!
Mit solchen Gedanken verlasse ich nach fast vier Wochen das Land. Eine großartige Reise mit wunderbaren Gastgebern, eine Zeit, die mir nicht nur bei den Gesprächsterminen viele neue Anregungen gegeben hat. Die nächste USA-Reise wird kommen, und zwar bald. Das steht jetzt schon fest.
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Dr. Roman Stumpf, Westdeutscher Rundfunk, Köln
It´s all about hope — and change
Es ist mein erster USA-Besuch. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen: Wie wird es wohl werden im Land der unbegrenzten Möglichkeiten? Wie tickt diese größte Wirtschaftsmacht in einer der größten weltweiten Wirtschaftskrisen überhaupt? Was kann man über Präsident Obama nach 100 Tagen im Amt sagen? Ist New York wirklich so gewaltig — und sind die Amis so cool wie meine Australischen Kumpels?
Bevor ich Antworten auf meine Fragen finden kann, muss ich die erste Hürde nehmen. Die Einreisekontrolle am Flughafen Washington. Mehrere Bekannte haben mir schon diverse Horrorgeschichten erzählt: Gelöschte Festplatten auf Laptops oder sogar die Verweigerung der Einreise in die USA. Irgendwie bleibe ich trotzdem gelassen. Schlimmer als am Flughafen in Tel Aviv wird es schon nicht werden. Geschlagene 4 Stunden unterhielten sich die israelischen Beamten damals mit mir und befragten jeden Partikel meines Koffers, ob er nicht doch einen terroristischen Anschlag vorbereite. Der Bustransfer vom Flugzeug scheint allerdings alle Befürchtungen zu bestätigen: Ein merkwürdig aussehendes hydraulisches Gefährt tuckert mit uns zum Sicherheitsbereich. Alles ist hermetisch abgeriegelt, kein Handy funktioniert in der Ankunftshalle. Und kein Mensch ist zu sehen am Schalter.
Plötzlich erscheinen die Grenzbeamten, stellen ihre Stempel ein — und beginnen mit der Arbeit. Die Abdrücke meiner Finger werden gescannt — ganz am Schluss die beiden Daumen. Kein gutes Gefühl, seine genetische Visitenkarte abgeben zu müssen. Aber immerhin: Nach 5 Minuten ist der ganze Spuck vorbei. So zügig habe ich mir das Einreisen nach dem 11. September nicht vorgestellt. Welcome USA!
It´s all about housing
Die Sonne lacht vom Himmel und Washington zeigt seine ganze Kirschblütenpracht. Die amerikanische Hauptstadt ist für mich ein guter Ort, um mein USA-Abenteuer zu beginnen. Das Wetter ist prima, die Stadt lässt sich gut zu Fuß erkunden (was bei den lauffaulen Amerikanern nur Kopfschütteln heraufbeschwört) und sie ist sehr europäisch. Sogar das Englisch klingt fast wie im Vereinten Königreich. Unser Taxifahrer erklärt uns, wo den Amerikanern der Schuh drückt: Viele hätten ihre Häuser verloren, weil sie ihre Kredite nicht zurückzahlen konnten. Ganze Familien müssten in Billig-Hotels leben. Und durch die Wirtschaftskrise verlören viele ihre Jobs, 800.000 Arbeitslose kämen jeden Monat (!) neu dazu. Und Präsident Obama? Der sei eine echte Hoffnung, meint er — habe Vieles am Anfang richtig gemacht. Aber ob er auch die Wirtschaft wieder in den Griff kriegt, da ist unser Taxifahrer skeptisch.
Meine ersten TV-Erlebnisse im Hotel sind sehr speziell: Auf Channel 4 schimpft ein evangelikaler Fernseh-Pfarrer über das Laster der Homosexualität. Der Fernseh-Reverend auf Channel 39 versucht dagegen, seine „heilende Stofftaschentücher“ an den Mann / die Frau zu bringen. Zwischendurch gibt es Werbespots, in denen er einer an Krücken gehenden Frau das Stofftaschentuch an das Ohr hält, worauf diese die Krücken von sich wirft und „Ich kann wieder gehen!“ schreit. Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
Der Besuch bei den politischen Think Tanks und bei der Black Caucas Foundation gibt mir in den nächsten Tagen ein Gefühl dafür, wie sehr sich das politische System Amerikas vom Deutschen unterscheidet: Dort wird die Politik wesentlich „erdacht“ und vorbereitet. Nicht bei den Parteien. Deren einzige wirkliche Aufgabe besteht darin, einen Präsidentschaftskandidaten auszugucken und zur Wahl aufzustellen. Bruce Kats beeindruckt uns alle. Er arbeitet für einen liberalen Think Tank und hat das Obama-Team gerade in Sachen Infrastruktur beraten. Wir erfahren von ihm auch, wie lange es dauert, bis ein neuer Präsident alle wichtigen Posten besetzt hat: Fast bis zur Hälfte seiner Amtszeit. Unglaublich!
Beim Presse-Briefing im State Department bibbern wir Rias-Leute im Konferenzraum. Ein plötzlicher Wolkenbruch auf dem Hinweg hat unsere Kleidung in klatschnasse Stoffsäcke verwandelt — und die Klimaanlage kühlt alles gnadenlos auf gefühlte 0 Grad herunter. Wir sehen uns alle an einer hinterhältigen Lungenentzündung zu Grunde gehen…doch es wird zum Glück keiner wirklich krank. Die Woche geht für mich zu schnell um. Doch ich freue mich auch auf meine Einzelstation.
It´s all about Baseball — and the school-fees
Denver, Colorado. 1600 Meter hoch, 300 Tage Sonne im Jahr. — Am Fuße der schneebedeckten Rocky Mountains. Ich habe zwei Gastgeber: Doug, einen Republikaner und Jason, einen eher-Demokrat. Mein Hotelzimmer hat eine Küche, einen Kühlschrank und minimum 100 Quadratmeter Fläche. Einen Schreibtisch, einen Esstisch für sechs Mann und ein riesiges Schlafzimmer. Ich bin ganz oben im Burnsley Hotel untergebracht. Auf meinem Balkon lachen mich die Rockys an. Was für ein Sonnenuntergang! Viel besser geht es einfach nicht.
Bei CBS 4 darf ich nicht nur zugucken, sondern auch selber kurze Stücke für die Sendung produzieren. Keiner kriegt mehr als 1:30 in den Nachrichten-Sendungen. Es geht fast immer um Verbrechen, das Wetter — und um Baseball. Das ändert sich allerdings Mitte der Woche: Die Regierung will die zu viel gezahlten Steuern dieses Jahr erst später zurückzahlen und außerdem die Zuschüsse zu den Schulgebühren kürzen. Das regt die Leute in Denver tierisch auf. Viele haben Probleme, die horrenden Schul- und College-Gebühren ihrer Kinder zu bezahlen.
Im Sender CBS 4 arbeiten sie alle hart. Gelacht wird wenig. Viele haben Angst um ihre Jobs, erzählt mir Doug, der Familienvater. Medienunternehmen in ganz Amerika gehen am Krückstock, entlassen Leute. Auch in Denver hat gerade eine renommierte Zeitung geschlossen, die Denver Post. Weil nicht mehr genügend Werbekunden inseriert haben. Doug ist religiös und nimmt mich am Mittwoch mit zu einem Fest seiner Baptisten-Gemeinde. Irgendwie hat er spitzgekriegt, dass ich Orgel spielen kann. Er nötigt mich solange, bis ich Bachs berühmte d-moll-Toccata und die amerikanische Nationalhymne daherrumple. Aber ich habe ein dankbares Publikum, das mein bescheidenes Spiel „great“ findet. So sind sie halt, die Amis: Geben einem Gast immer das Gefühl, es richtig gemacht zu haben.
Am Ende der Woche erkunde ich die Umgebung — wandere ein bisschen mit Jason in den Rocky´s. Das Snowboarden müssen wir wegen des geringen Neuschnees leider bleiben lassen. Aber es ist trotzdem atemberaubend. Im wahrsten Sinne des Wortes auf 2500 Metern…
It´s all about plastic
Ich komme aus den Bergen. Aber in New York wirkt trotzdem alles zwei Nummern größer. Eine irre beeindruckende Stadt, laut und gewaltig. Gewaltig ist auch der Berg von Plastikmüll, der hier zu jeder Tages- und Nachtzeit von der Müllabfuhr weggekarrt wird: Einfach unglaublich, wie hier jeder alles „to go“ mitschleppt, auch wenn er im Laden selber seinen Cafe trinkt. Der ist übrigens in fast ganz New York ungenießbar. Kein Wunder: 90 % des Kaffees wird hier von Starbucks ausgeschenkt.
Das Wetter ist meist mies, es pfeift ein eisiger Atlantik-Wind durch die Häuserschluchten. Und doch habe ich bei meinem Gang über die Brooklyn-Bridge und der Fahrt auf der Staten Island-Fähre Glück: Schönster Sonnenschein und ein atemberaubender Blick auf die Skyline von Manhattan.
Die Rias-Kollegen und ich geben einen Haufen Geld aus für Kleidung — vor allem beim hippen Abercromby & Fitch (wo die Ladies von einem freundlichen, halbnackten Six-Pack-Mann begrüßt werden) und bei Macy`s. Der Eurokurs ist günstig — und Ausländer kriegen hier auf alles noch mal 11 % extra. Dazu passt das eher touristische organisierte Programm: WTC-Memorial, Vereinte Nationen, Bloomberg TV und Wall Street. Da hätte ein bisschen mehr Substanz gut getan. Trotzdem kann ich mit einigen Brokern auf dem Parkett hochinteressante Gespräche führen: Über die Stimmung an der Wall Street und ihre Einschätzungen der Wirtschaftskrise.
Ich und Christina bleiben noch ein paar Tage länger als die Kollegen in New York. So kommen wir auch dazu, uns einen Gottesdienst in Harlem anzuhören. Was für ein Spektakel! Erst sind wir hellauf begeistert von Jazz, E-Gitarre und Hammondorgel. Doch das ändert sich, als der Priester zur Predigt ansetzt. Fast alle Touristen sind zu diesem Zeitpunkt beglückt gegangen. Der Priester aber setzt in seiner Gemeinde zu 30, 40 Minuten Gebrülle und Indoktrinierung an — eine Frau neben uns scheint lautstark eine Vision zu haben und steht völlig entrückt neben uns. Auch andere gehen auf gespenstische Art in ihrem „Glauben“ auf. Christina und ich sind uns einig: Das ist nahe an der Gehirnwäsche. Wären wir wie die anderen Touristen früher herausgegangen, hätten wir von einer großartigen Veranstaltung berichtet, einem bemerkenswerten Erlebnis. So aber bekräftigt sich einmal mehr die simple Erkenntnis, dass man Dinge immer zu Ende anschauen muss, bevor man sie einschätzen und beurteilen kann.
It´s all about God´s own Country
So schließt sich der Kreis. Viele freundliche Menschen habe ich kennengelernt durch den Rias, unter ihnen zahlreiche mit Esprit, Zuversicht und Weitsicht. Doch die Nöte der Menschen durch die Wirtschaftskrise und ihre Unsicherheit durch 9/11 sind nicht zu übersehen. Amerika ist keineswegs so liberal und frei, wie ich gedacht habe. Auch das gehört zu meinen Eindrücken. Aber auch, wenn meine australischen Kumpels das Leben noch lockerer angehen können — nicht nur wegen Central Park, Guggenheim-Museum und Carnegie Hall bin ich angetan von Amerika. Es war sicher nicht mein letzter Besuch.
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Martin Wulff, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Washington: Blühende Stadt und Umweltschutz
Nicht nur das Wetter meint es an unserem ersten Tag in Washington gut mit uns: Temperaturen um 18 Grad und es gibt auch gleich den ersten Sonnenbrand. Ganz D.C. ist in ein sattes Pink getaucht, dafür sorgen die japanischen Kirschbäume. Wir sind pünktlich zum so genannten „Cherry Blossom Festival“ angereist und mit uns tausende Amerikaner aus allen Bundesstaaten, denn es gibt auch noch einen Marathon durch die Stadt. Washington ist voller Touristen und einer Handvoll neugieriger „German Journalists“.
Nachdem wir so ziemlich jedes Denkmal der Stadt auf der Rundfahrt kennen gelernt haben (Das weiße Haus sieht in natura übrigens viel kleiner als im Fernsehen aus), verbringen wir den Abend bei Roxanne, RIAS Fellow und Gastgeberin für viele Gruppen. Sie hat noch einige Kollegen eingeladen und so beginnt der deutsch-amerikanische Gesprächsaustausch umgehend. Die kommenden Tage sind überwältigend. Treffen bei den „Think Tanks“, den Organisationen, die auch die Regierung beraten. Meetings mit dem deutschen Botschafter und auch mit den Kollegen vom ARD-Studio — die sich trotz Feierabends noch viel Zeit nehmen, um uns über die Schwierigkeiten von deutschen Journalisten in den USA zu berichten. „German what? ARD German Television? Never heard of you. You want an Interview? We call you back.“ Was aber leider nur die wenigsten machen.
Mein persönliches Highlight ist unser letzter Besuch in der D.C.-Woche. Bei der GSA — der General Services Administration. Sie ist zuständig für alle öffentlichen Gebäude des Landes. Dabei geht es nicht nur um die Architektur, sondern auch um die Frage, welche Bleistifte, Computer und Briefbögen benutzt werden. Überraschend sind dann auch die neuen Wege zur Energiegewinnung an einigen Grenzübergängen mit den so genannten „Power Dragon“: In die Fahrbahnen sind dort große Platten eingelassen worden. Fährt ein LKW darüber, wird durch Geschwindigkeit und Gewicht Energie erzeugt und gespeichert.
Florida: Bier und nackte Schüler
Eine Horde wildgewordener Jugendlicher stürmt die Strände von Fort Myers Beach. Das muss man erlebt haben, man glaubt es sonst nicht. Eine gute Studie über junge Amerikaner, die völlig losgelöst vom eigentlich illegalen Alkohol für unter 21-Jährige eine Woche lang feiern und trinken, als gäbe es keinen Morgen mehr.
Ich verbringe meinen „Internship“ bei FOX4 in Florida. Temperaturen von bis zu 32 Grad und der Springbreak, also die Frühjahrsferien, machen diese Woche unvergesslich. Als so genannter „Shadow“ begleite ich die Reporterkollegen. Ein großes Thema in Florida sind natürlich immer noch die Hauszwangsversteigerungen. Interessant auch die Vorgehensweise bei Fernsehbeiträgen: In meiner Station sichtet der Kameramann nach dem Dreh die Bilder, während der Reporter den Text schreibt und ihn anschließend einspricht. Erst dann werden die Bilder passend zum Text geschnitten. Bei einem zweistündigen Gespräch mit den Chefjuristen des Senders erfahre ich einiges über die amerikanische Pressefreiheit: „Streite nie mit einem Polizisten, du ziehst immer den Kürzeren. Gib ihm im Zweifelsfall sogar die Kamerabänder heraus, sonst wanderst du in den Knast.“ Starker Tobak.
Ohne Auto ist man übrigens auch in Florida aufgeschmissen. Die Entfernungen sind zu groß und von öffentlichem Nahverkehr hat hier noch niemand etwas gehört. Dafür weiß ich jetzt, dass man im Sonnenstaat gleich drei Rush-Hours hat, um im Stau zu stehen. Neben der am Morgen und der zum Feierabend gibt es auch eine zur Mittagszeit. Die „Lunch-Rush-Hour“ legt zwischen 11:30 Uhr und 14:00 Uhr den Verkehr lahm.
New York: UN-Sprachgewirr und nicht vermisster Krach
Überall Kartenlesegeräte und Überwachungskameras. Wir befinden uns nicht etwa im New Yorker Field Office des FBI, sondern in einer Nachrichtenredaktion. Die Kameras bei Bloomberg hängen dort, wie man uns dann erzählt, natürlich nur zur eigenen Sicherheit, und nicht etwa zur Überwachung der Mitarbeiter. Wie beruhigend. Fotografieren? Verboten.
Bei den UN haben wir das große Glück, dass der Sicherheitsrat nicht tagt und wir nicht nur in den Sitzungssaal dürfen, sondern für die große Fotosammlung auch noch die Möglichkeit haben, uns an den Tisch zu setzen. Beim Mittagessen in der UN-Kantine schwirren fremde Sprachen um unsere Ohren. Das Essen allerdings ist typisch amerikanisch. Ein Besuch bei Hearst Argyle Television sorgt für besonders regen Austausch zwischen den Kulturen, denn die Chefin will unbedingt wissen, wie wir denn in Deutschland arbeiten und was wir in den USA gut und schlecht finden. Aus einer halben Stunde, die sie eigentlich nur Zeit hat, werden fast eineinhalb. Spannend ist auch das Treffen mit 16-jährigen Schülern in Hoboken, New Jersey. Ihre Sicht auf die USA und Europa ist sehr interessant.
Drei Wochen voller neuer Eindrücke, spannender Meetings und unglaublich netter Menschen sind wie im Fluge vergangen. Was ich allerdings auf keinen Fall vermissen werde, ist die Müllabfuhr vor dem Hotelfenster in New York. Die hat jede Nacht zwischen 2 und 5 Uhr so viel Krach gemacht, dass man es bis in den 8. Stock gehört hat. Ach, wie ruhig wird mir da meine Wohnung auf der Hamburger Reeperbahn wieder vorkommen.
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Christina Zühlke, Westdeutscher Rundfunk, Köln
Schöne neue Arbeitswelt
Den Notizblock auf dem Schoss, das Handy am Ohr, die Wimperzange am Auge und den Lippenstift griffbereit — so ist Marianly auf dem Weg zum Interview. Mit dem Auto. Auf dem Highway. Sie fährt. Ich zittere auf dem Beifahrersitz. Meine erste Erfahrung in Tulsa, Oklahoma. Eine Woche in Amerikas mittlerem Westen liegt vor mir. Eine Woche beim Fernseh-Sender Fox 23 News.
Unser Interview-Partner: Der Polizei-Chef. Die Geschichte: Ein junges Mädchen wurde erschossen. Erst hieß es, es sei ein Drive-By-Shooting gewesen. Ein Schuss aus einem vorbeifahrenden Auto. Dann melden High School Kids der Polizei, der Freund des Mädchens habe sie aus Versehen erschossen. Ich komme mir vor, wie in einem schlechten amerikanischen Kinofilm. Entspricht das Land, dass wir wegen seiner Waffen-Lobby so gerne verurteilen tatsächlich so sehr den Klischees?
Das Interview mit Polizei und Schuldirektor unterscheidet sich kaum von Interviews, die ich auch in Deutschland führen würde. Aber dann zeigt sich schnell, wie sich der Alltag amerikanischer Fernseh-Kolleginnen unterscheidet. Zu Wimpernzange und Lippenstift kommt noch eine halbe Dose Haarspray. Zurecht — Tulsa ist bekannt für heftige Winde. Marianly bringt sich vor der Kamera in Position: „Den tragischen Tod einer 17jährigen und wie Teenager durch Lügen die Polizeiarbeit behindern — das sehen sie gleich, bei Fox23News.“
Der Lockruf für die Zuschauer ist im Kasten. Zu Ehren der deutschen Kollegin gibt es eine kurze Mittagspause — Sandwichs zum Mitnehmen, wo sonst ein Apfel und ein paar Chips aus dem Handschuh-Fach reichen müssen. Denn zurück im Sender wird gleich das Material gesichtet, der Text geschrieben und auf ein leeres Band gesprochen. Dann kommt der Job der Cutterin, die vorher auch schon Kamera und Ton bedient hat. Sie schneidet nun mehr oder weniger passend zum Text die Bilder hintereinander. Ohne die Reporterin im Raum. Ob wohl mancher Cutter in Deutschland auch lieber so arbeiten würde, frage ich mich. Die Reporterin hat derweil Zeit für weitere Recherchen und/oder Make-up Auffrischen. Denn kein Stück ohne Schalte.
Kaum ist also der Bericht geschnitten, geht’s mit dem Live-Truck zurück zur High School. Die Kollegen von der Konkurrenz sind schon da. Auf dem Schulparkplatz. Der war eigentlich tabu — aber wenn die da stehen, wollen wir natürlich auch. Das kommt mir dann wieder bekannt vor. Die Kamerafrau/Tontechnikerin/Cutterin wird nun auch noch zur Übertragungstechnikerin. Sie richtet den Satelliten ein, stellt die Verbindung her, baut die Kamera auf, testet den Ton. Dann kann`s losgehen.
Die Unterschiede zu Deutschland, will Marianly am Ende des Arbeitstages wissen. Ich erkläre, dass wir erst die Bilder aussuchen und dann texten. Oder zumindest parallel mit dem Cutter arbeiten. Und dass es in unseren Nachrichtenmagazinen viel weniger Live-Schalten gibt. Das ist eine Sensation. Kaum zurück in der Redaktion werden alle Kolleginnen und Kollegen darüber informiert. Wo ist dann der Spaß, wollen sie wissen. Der Nervenkitzel? Nein, wenn sie nicht vor die Kamera dürften, würden sie den Job nicht wollen, da sind sich fast alle einig. Und dann drängen sie die deutsche Kollegin, deren Ziel es immer ist, nicht im Bild zu stehen, es doch auch mal zu probieren. Es hat Spaß gemacht. Und ich muss gestehen: Ich hätte die halbe Dose Haarspray nicht boykottieren sollen. Es kommt nicht immer nur auf den Inhalt an. Dafür sorgen in Tulsa zumindest die Winde.
Im Radiosender nebenan lerne ich dann noch, wie ausgeliefert sich Interview-Partner wohl manchmal fühlen müssen. Als deutscher Gast in der Morning-Show will ich doch so gerne wohl bedachte Worte wählen. Doch dann kommt die gefürchtete Frage: Was haben die Deutschen von George Bush gedacht? Und als ich gerade die kritischen Gedanken noch etwas einschränken will…. „Danke, dass Sie hier waren. Eine kurze Musik, bevor es weitergeht mit dem aktuellen Wetter und den Verkehrsmeldungen.“ Nachrichten gibt es bei Kool.fm übrigens nicht. Weil die eh keiner hören wolle, sagt der Programmdirektor, der gleichzeitig auch moderiert, Sponsoren sucht und die Musik betreut.
Die Wirtschaftskrise hat zugeschlagen. Zwei Drittel der Mitarbeiter hier wurden entlassen. Die Kollegen beim Fernsehen berichten von zehn Urlaubstagen, die sie allerdings nicht am Stück nehmen dürfen. Wieso sie das machen, frage ich empört. Dagegen müsse man sich doch wehren. Gewerkschaften! Kampf den Knebelverträgen! Schöne heile, öffentlich-rechtliche Medienwelt. „Wenn ich den Job nicht so mache, wie meine Bosse das wollen“, sagt Steve, der 24-jährige Sportchef, „dann kommt der nächste und macht ihn für noch weniger Geld und Urlaub.“
Drei Wochen RIAS Programm, das wäre also für die Kollegen in Tulsa undenkbar. Und selbst ohne dieses Wissen kamen mir die drei Wochen schon wie purer Luxus vor. Raus aus dem Arbeitsalltag, aus dem Druck jedes Tag ein Produkt abzuliefern. Einfach mal Informationen für den Hinterkopf bekommen. Ganze zwei Stunden Zeit haben für das Treffen bei der konservativen Heritage Foundation. Ein Streitgespräch, das beiden Parteien Spaß macht. Und danach mit elf tollen Kollegen darüber reflektieren. Die Informationen vom deutschen Botschafter am nächsten Tag beim Pressesprecher des State Departements gegenchecken. Bei der African American Caucus Foundation nicht nur die oberflächlichen Infos über die Ziele der Organisation bekommen, sondern nach einer Stunde merken, wie die Gesprächspartner auftauen und auch persönliche Geschichten erzählen. Eine Jugend als schwarzes Mädchen in Alabama. Trotz aller Bücher, aller Filme, so hätte ich es mir nie vorstellen können.
Nach einer Woche Washington und einer Woche Tulsa dann New York. Strahlender Sonnenschein und ein freier Sonntag. Ausruhen im Central Park, Galerie besuchen in der Upper East Side, zum Abendessen mit der halben Gruppe in die texanische Barbecue Bar ins Greenwich Village und danach durch Zufall auch noch die anderen Sechs treffen. Gemeinsam noch einen Absacker im Stonewall trinken. Dort, wo der Christopher Street Day gegründet wurde. So schön ist das RIAS Leben.
Am nächsten Tag beginnt die dritte Woche mit einer Tour durch Harlem und einem Besuch der World Trade Center Site. Die Tage in New York sind insgesamt etwas touristischer. Aber auch hier öffnet uns Jon, unser ständiger Begleiter, exklusive Türen. Michael Bloombergs Medienimperium. Gigantische newsrooms, freie Snacks in der Kantine für alle Mitarbeiter, wunderschöne Aquarien und transparente Räume auf allen Etagen. Schöne neue Arbeitswelt. Wieder die deutsche Frage: Ob es Gewerkschaften gebe? Da kullert unsere schöne Führerin nur mit den Augen. Nein, aber warum auch? Sie habe 20 Tage Urlaub im Jahr und hier werde jeder sehr gut behandelt. Vielleicht sind wir Deutschen einfach zu spießig, zu konservativ, zu versessen auf alte Rechte und alte Pflichten? Vielleicht fehlt uns ein bisschen „Yes, we can!“. Ich möchte mit den meisten der Kollegen, die ich in Amerika kennen gelernt habe, nicht tauschen müssen. Aber ich möchte mich oft an diese Zeit in den USA erinnern und dann umso dankbarer sein, für den noch sehr geschützten Raum, in dem ich arbeiten darf. Und ich möchte mir immer mal wieder Zeit nehmen, um so tiefgehend und horizonterweiternd recherchieren zu können, wie es drei Wochen RIAS ermöglicht haben.
RIAS USA-Herbstprogramm
18. Oktober — 7. November 2009
Zwölf deutsche Journalisten in den USA: Organisiertes Programm in Washington D.C. und New York sowie für alle Teilnehmer ein jeweils individuelles Praktikum ineiner amerikanischen Rundfunk- oder Fernsehstation. Am 22. Oktober 2009 besuchten die deutschen RIAS-Fellows auch die deutsche Botschaft in Washington.
TEILNEHMERBERICHTE
Patricia Corniciuc, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin
USA im Schnelldurchlauf
Jon Ebingers sehr bunte Wollsocken, Redaktionssitzung bei der NPR-Sendung „Tell Me More“, DRESS SHARP!, „unter 5“-Gespräch mit Botschafter Scharioth, Gruppenfoto mit Hanni Hüsch und Barack Obama (leider aus Pappe), Wolf Blitzers entspanntes „How y’all doin’?“ im CNN Situation Room, 30 Sekunden, bevor er wieder auf Sendung musste, Jon Ebingers Socken, animierte „gay marriage“-Diskussion bei der Heritage Foundation, BRING YOUR PASSPORTS TODAY!, posen auf Ban Ki Moons Sicherheitsrat-Sessel, krass, schon wieder Job Ebingers Socken!, Halloween Parade im Village, Baptisten-Gottesdienst in Harlem, WTC-Gedenk-Site, NO! SLEEP! TILL!, der High-School-Sophomore Dan fragt, welche Sprache wir in Deutschlornand eigentlich sprechen, die bewegende Geschichte von David Harris, Chef des American Jewish Committee, sharply dressed auf dem Börsenparkett an der Wall Street stehen, die Knicks gewinnen gegen die New Orleans Hornets, die Yankees sind World Champions und am Times Square ist die Hölle los, BROOKLYN!!!!, live im Second Life von Bloomberg (Beyoncé wohnt im gleichen Haus!) und Morning Show bei Fox.
Drei Wochen lang USA im Schnelldurchlauf. So viele unterschiedliche Einblicke, wie das Land toll, verrückt, seltsam, heterogen ist. Exklusive Treffen, Persönlichkeiten, die ich sonst nie im Leben getroffen hätte. Wenn doch, hätten sie sich mir niemals so sehr geöffnet. Ein volles Programm, das mir die USA in vielerlei Hinsicht näher gebracht und einen tiefen Eindruck hinterlassen hat.
Die Woche nach der Nobelpreis-Nachricht. Die Obamamania ist abgeflaut. An Wirtschaftskrise, Afghanistan-Einsatz und Health Care Reform macht sich die Beliebtheit des Präsidenten fest. Er hat nicht mehr so viele Fans wie unmittelbar nach seiner Wahl. Für Europäer bizarr: Viele Amerikaner wollen lieber, dass sich der Staat raushält, als dass er ihnen hilft. Warum sind so viele gerade der Leute gegen die Reform, die Universal Health Care offensichtlich am nötigsten hätten? Warum demonstrieren sie in D.C. mit Obama-als-Hitler-Fotos?
Als RIAS Fellows haben wir den seltenen Luxus, hochkarätige, entspannte Hintergrundgespräche zu führen, ohne gleich Output liefern zu müssen. Unsere Gesprächspartner reden offen und sehr locker mit uns. Wohl deshalb wechselt unsere Gruppe trotz interessanter Sachthemen mit ihren Fragen oft instinktiv auf die persönliche Sachebene.
Exklusive Einblicke
Robin Sproul ist seit 16 Jahren Chefin der ABC News. Bei Sandwiches erzählt sie uns von ihrer Anfangszeit als erste Frau in der Chefetage. Mit 29 Jahren und zwei kleinen Kindern behauptet sie sich in einer Welt, in der Frauen meist Sekretärinnen sind. Weniger ein Q-&-A als ein wirklich nettes Gespräch.
Die Treffen bei den Think Tanks Brookings Institution und Heritage Foundation — die seltene Chance, wissenschaftliche Erklärungen für viele politische Phänomene zu bekommen und besser zu verstehen, wie der Politikbetrieb funktioniert. (Und sich Tipps abzuholen, wo es die besten Sandwiches zwischen Chicago und der Ostküste gibt. Bruce Katz vom Metropolitan Policy Program hat sie alle probiert).
Fast jeder Termin eröffnet etwas Neues, Unerwartetes. Die Frau von der Lokaladministration von D.C. erzählt den Krimi ihres persönlichen 9/11 — auf dem Dach ihres Bürohochhauses, alle 2 Minuten fliegt ein Flugzeug vom Reagan-Flughafen Kurs über uns hinweg. Michel Martin von NPR rockt mit ihrem Temperament die gesamte Sitzung. Gerrick Utley vom Levin Institute war früher als Journalist in Europa unterwegs und erzählt uns von seinem Mauerfall. Hanni Hüsch, die Frau, die für die Tagesthemen aus Amerika schaltet, plaudert über ihren Alltag: Wie schwer es ist, an amerikanische Politiker heran zu kommen. Und dass sie ins Innere des Landes reisen muss, zu den family van-fahrenden Hockey Moms, um das Land zu verstehen.
Tatsächlich: D.C. wimmelt von Anzugträgern. Selbst beim Reggae-Konzert in der 18th Street Lounge tragen sie button-up-shirts. Und weil New York und D.C. nun wirklich nicht repräsentativ sind, haben wir Gelegenheit, auch das „Landesinnere“, das heartland Amerikas kennen zu lernen. Alle 12 werden wir zu verschiedenen Radio- und TV-Stationen im ganzen Land entsandt.
VJ-Kunst und Drive-by-Shootings
Die mittlere „Station Week“ ist für mich eine Reise in ein anderes Universum. Alle Amerikaner können gut reden –- auch vor der Kamera. Na gut, ich übertreibe. Trotzdem ist es beneidenswert, welches Standing lokale Medien in den USA haben und wie redselig Amerikaner sind.
Den Bundesstaat Michigan kenne ich von meinem High School-Jahr in den USA. Aber die Hauptstadt Lansing heute — das ist anders. Die Wirtschaftskrise hat die ehemalige Auto-Stadt stark getroffen. Viele Menschen haben Probleme, das Geld für Essen, Benzin und die fälligen Mortage-Raten zusammen zu kratzen. Das soziale Auffangnetz fehlt. Im Rathaus der Bürgermeister und seine Gegenkandidatin (2 Stockwerke tiefer) versprechen wahlkämpfend, wie sie die Stadt verschönern und alle Bewohner glücklich machen werden. Währenddes sammeln sich um die Ecke Jugendliche am Straßenrand um einen Haufen Teddys, Fotos und Abschiedsbriefe. Am Tag zuvor ist ihr Kumpel aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen worden. Das geht hier manchmal sehr schnell. Er war 17. Vor der Kamera rappen seine Freunde einen Abschiedsgruß für ihn und merken nicht, wie geschmacklos sie dabei wirken. Die WLNS-Reporterin zweifelt, ob es die Jungen zu sehr vorführen würde, diese Szene zu zeigen. Ich kenne solche Situationen auch. Wir diskutieren. Sie entscheidet sich dagegen. Hätte ich auch gemacht.
Am nächsten Nachmittag ertrinken zwei Angler. In einem winzigen Teich. Bei Kälte sind sie mit ihrem Kanu in die Mitte des Wassers gerudert und aus Versehen umgekippt. Die beiden waren arbeitslose Familienväter und wollten das Abendbrot für ihre Kinder selbst fangen, erzählen ihre Freunde am Ufer. Selbst in ihrem fassungslosen Zustand sind ihre Interview-Töne perfekt.
WLNS Channel 6 News erzählt regionale Nachrichten und Geschichten — ganz ähnlich wie das, was ich in Deutschland mache. Und doch ist vieles anders: Ein EB-Team besteht aus einem Kameramann. Die Autorin schneidet ihr Stück selbst (wenn die Zeit knapp ist, hilft der Kameramann). Erst schreibt sie ihren Text und nimmt ihn auf, dann, etwa eine Stunde vor Sendung, beginnt sie mit dem Bildschnitt. Stücke sind sehr O-Ton- und Aufsager-lastig. Ein kleiner Anteil ist wirklich „Bild“. Anderes Fernsehen.
Beeindruckend, wie schnell die Kollegen arbeiten. Beeindruckend auch, wie sich die Reporterin innerhalb einer Viertelstunde schminken und selbst mit Mikrofon verkabeln, ihre Kamera einrichten, sich einen Text überlegen und mitten in der Wildnis, an einem verlassenen Teich einen Aufsager machen kann, der nicht nur inhaltlich kohärent ist und sich perfekt ins spätere Stück fügt, sondern auch noch gut aussieht. Respekt!
Mein Held ist mein Host Dave Akerly, Moderator der News und Deutschland-Fan. Er war vor ein paar Jahren selbst als RIAS-Fellow in Berlin und liebt es, Geschichten auszutauschen und von seinen Irrläufen durch den Dschungel von Kreuzberg zu erzählen. Dave kennt also beide Seiten. Er versteht, warum ich manches in Amerika nicht verstehe. Und er hat Lust, drüber zu diskutieren. Manchmal so lange, dass er sich am Ende hektisch die Krawatte umbinden und ins Studio rennen muss, um seine eigene Sendung nicht zu verpassen.
Die Freundlichkeit der Midwesterner. Das Leben in Lansing ist anders als in den großen Städten an der Küste. Es ist spannend, die Leute auf Rabattjagd zu beobachten. Junge, arme Eltern, die ihren Kindern trotzdem ein nettes Halloween-Kostüm kaufen wollten. Hier kaufen die Leute keine GM-Autos, weil der Staat GM in der Krise finanziell geholfen hat. Selbst wenn hier viele Jobs an der Autoindustrie hängen: Dass der Staat sich einmischt, geht einfach nicht. In Amerika muss man scheitern, um sich dann alleine wieder aus dem Dreck zu ziehen.
Es ist fast unglaublich, wie viele Aspekte der USA die Reise in relativ kurzer Zeit abgedeckt hat. Eine intensive Zeit, die mich persönlich weiter gebracht hat. Eine interessante Gruppe, von deren intelligenten Fragen ich ebenso profitiert habe wie von den interessanten Bekanntschaften.
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Claudia Drexel, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Welcome to the Land of the Free — eine Geschichte über Freiheit, Kommunismus und Liebe
Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich die USA ziemlich gut kenne. Ich war schon mehrmals hier als Austauschstudentin auch für längere Zeit und ich habe amerikanische Freunde. Mal ganz abgesehen davon, dass ich die Nachrichten verfolge und manchmal auch über die USA berichte. Allerdings muss ich zugeben, dass ich eine ganze Weile nicht da war. Von dem RIAS-Programm hatte ich mir versprochen, wieder auf den neuesten Stand zu kommen. Heute kann ich sagen: Die Eindrücke, die ich auf dieser Reise gesammelt habe, haben mir eine neue Welt eröffnet. So wie es einen großen Unterschied macht, ob man ein Kochbuch liest oder ein leckeres Gericht verspeist — die USA gut kennen oder mit RIAS unterwegs sein, das ist einfach nicht dasselbe. So habe ich zum Beispiel immer wieder gehört, dass zwischen Konservativen und Liberalen tiefe Gräben liegen. Wie tief sie tatsächlich sind, geradezu unüberwindbar, das wurde mir erst jetzt richtig klar. Besonders weil ich bisher vor allem mit liberalen Akademikern von der Ostküste zu tun hatte. Das gleiche gilt für die Bedeutung von individueller Freiheit. Das Streben danach, jedem Amerikaner offenbar in die Wiege gelegt, nimmt manchmal groteske Züge an. Und an wem könnte sich die damit einhergehende Spannung besser entladen als an Präsident Barack Obama?
Für viele Amerikaner der Heilsbringer, dachte ich, immer noch die tränenüberströmten Gesichter voller Hoffnung aus der Wahlnacht vor meinem geistigen Auge. „Ein Kommunist,“ erklärt Jordan, ein High School Schüler aus Hoboken, New Jersey, direkt gegenüber von Manhattan auf der anderen Seite des Hudson. Ein siebzehnjähriger Schüler erklärt mir voller Überzeugung seine Welt. Obama sei Kommunist, so wie die Gesundheitsreform reiner Kommunismus sei: Planwirtschaft, Bevormundung, ungerecht. Es beeindruckt mich, wie klar Jordan argumentiert und wie sicher er seine Argumente vorträgt. Aber wo hat er die bloß aufgeschnappt? Jordan ist ein schlauer Kopf, das ist ganz klar, aufgeschlossen, eloquent, freundlich. Er fällt auf unter den Jugendlichen, die heute extra in die Schule gekommen sind, um mit uns Deutschen zu reden. Wenige Minuten zuvor hatten uns die Schüler noch erzählt, was sie über Deutschland wissen. Zum 20-jährigen Jubiläum des Mauerfalls hätten sie viel über die DDR gelernt. Merkwürdig sei die Vorstellung, dass Deutschland geteilt war. Dass die eine Hälfte des Landes eingesperrt war durch den Eisernen Vorhang. Dass die Menschen ihrer persönlichen Freiheit beraubt waren, Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit — einfach unvorstellbar für die amerikanischen Schüler. Mir ist nicht klar, wie Jordan mit all diesem Wissen auf die Idee kommen kann, einer Krankenversicherung für alle als Kommunismus zu bezeichnen. Seine Argumente sind klassisch, sicher auch klassisch amerikanisch und wieder mal geht es um Freiheit. Wer hart arbeitet, meint Jordan, der kann sich auch etwas leisten. Das gelte dann auch für die teure Krankenversicherung, schließlich solle jeder selbst entscheiden, ob und wie er sich versichert. Das Prinzip der Solidarität findet Jordan in diesem Zusammenhang merkwürdig. Er hätte ja auch keine reichen Eltern und würde sich trotzdem bis zum College durchbeißen — mit Leistung. Immerhin, das Argument, dass es nicht unbedingt von der eigenen Leistung abhängt, ob man gesund ist oder krank, scheint Jordan nachdenklich zu machen. Und mich macht nachdenklich, dass ein Schüler von siebzehn Jahren, ein Sohn puertoricanischer Einwanderer, der wahrscheinlich selbst von der Krankenversicherung profitieren würde, voll und ganz auf das Prinzip Leistung setzt. Und wie gut er die konservative Rhetorik beherrscht.
Die hatte ich nicht zum ersten Mal gehört. In voller Ausprägung ist sie mir auch schon bei der Heritage Foundation, einem konservativen Think Tank in Washington D.C., begegnet — sicher ein Highlight unserer Reise. Die Gesundheitsreform sei Kommunismus, hören wir auch dort. Die Homoehe sei unmoralisch. Wenn man die erst einmal zuließe, dann wolle der nächste vielleicht ein Pferd heiraten. Die Deutschen lehnten sich im Afghanistan-Krieg zurück, während Amerikaner und Briten für die Freiheit in Afghanistan ihr Leben ließen. — Und wieder bin ich beeindruckt, wie deutlich die Heritage Foundation ihre Interessen vertritt und einige absurde Thesen als Fakten in den Raum stellt. Die Mitarbeiter versuchen nicht einmal, ihre Abscheu oder sogar ihren Hass auf Obama zu verhehlen. Von den Verschwörungsaktivisten der LaRouche-Bewegung, die einem an jeder Straßenecke Flugblätter in die Hand drücken, erwartet man das ja nicht anders. Sie vergleichen Obama mit Hitler — übrigens wegen der Gesundheitsreform. Die Heritage Foundation jedoch gehört zum Mainstream und übt ihren Einfluss gezielt auf Abgeordnete und Mitarbeiter des Kongresses aus. Man muss ihre Meinung sicher nicht teilen, um sie zu schätzen als eine Innenansicht in die amerikanische Seele. Deshalb auch mein Tipp an alle künftigen RIAS-Stipendiaten: viel zuhören und sachlich bleiben. Eine Diskussion, wie wir sie geführt haben, bringt wenig. Die mitteleuropäische Seele und das Weltbild der Heritage Foundation lassen sich nur schwer miteinander vereinbaren. Aber die Gelegenheit, die amerikanisch-konservative Sicht auf die Dinge zu erfahren, ist außergewöhnlich. Hier hat keiner Obama gewählt, soviel ist klar. Die Heritage Foundation versteht sich als Kämpfer für die individuelle Freiheit — nach ihren eigenen moralischen Regeln. Denn darauf ruht ihrer Meinung nach die Gesellschaft: auf der Moral. Der Staat soll sich heraushalten aus dem Leben des einzelnen. Die individuelle Freiheit gilt als Maß aller Dinge — und wird doch durch die Moral bestimmt.
Im Vergleich zu diesen politischen Diskussionen war meine Woche bei CBS4 in Denver, Colorado, geradezu unpolitisch. Dabei beruht der Staat doch genau auf der Idee der Freiheit. Colorado sieht sich immer noch gerne als „Wilder Westen“ ganz in der Tradition des Gründungsmythos der USA: Goldsucher, Cowboys, Entdecker, die sich hier auf der Suche nach dem Glück niederlassen. Heute bemüht sich Denver vor allem in einer Hinsicht darum Vorreiter zu sein: Die Stadt gibt sich gerne grün, schmückt sich mit Solaranlagen und einer umweltfreundlichen Taxiflotte. Direkt nach meiner Ankunft gibt es jedoch nur noch ein Thema: den frühen Wintereinbruch. Für meinen Gastsender CBS4 heißt das: Sondersendung! Überall meterhoher Schnee. Schulen, Universitäten, öffentliche Gebäude, alles geschlossen. Denver, die „meilenhohe Stadt“ in den Rocky Mountains, eingeschneit und lahm gelegt. Herrlich! Aber auch überraschend. Eine Stadt in den Rockies, die nicht mit Schnee rechnet? Die Antwort meiner Gastredaktion: Aber doch nicht im Oktober! Den Unterschied zwischen Schnee im Oktober und Schnee im November konnte mir keiner recht erklären. Dafür konnte ich alles über die praktische Arbeit der amerikanischen Kollegen lernen. Und die zeichnet vor allem zwei Dinge aus: Erstens müssen die U.S.-Journalisten mit viel weniger Ressourcen auskommen. Die Teams bestehen aus zwei Leuten, der Kameramann ist gleichzeitig Cutter. Zweitens sind die Reporter viel häufiger im On, die Sendungen, gerade bei Themen wie dem Wintereinbruch bestehen aus unzähligen Schalten. Der wichtigste Unterschied zu meiner Redaktion in Deutschland allerdings ist die Verbindung von Fernsehen und Internet. Natürlich hat CBS4 einen Account auf Facebook. Die Kollegen schicken Neuigkeiten auch auf Twitter. Aber vor allem die Zuschauer schreiben ihre Fragen und Anmerkungen und sie schicken Filme und Bilder auf Facebook an die Redaktion. Gerade die Wettersendungen bestehen zu einem Großteil aus Zuschauervideos. Die Zuschauerbindung ist dadurch sicher unvergleichlich. Allerdings stellt sich auch die Frage, wie gut die Fakten journalistisch überprüfbar sind. Die Menge an übermittelten Daten lässt eine Sendung auch willkürlich erscheinen. Denn die Redaktion ist schlicht und ergreifend überfordert damit, alle Einsendungen zu sichten. Warum auch? Der hundertste Kürbis mit Schneehaube sieht auch nicht anders aus als alle anderen zugeschneiten Halloweenmonster. So sehr ich mich manchmal über die Berichterstattung gewundert habe, so überzeugt bin ich, dass auch wir Deutschen bald schon so arbeiten werden.
Wer eine Botschaft hat, der tummelt sich im Internet. So einfach ist das in den USA. Das gilt für Medien genauso wie für Privatpersonen oder kurz — für einfach jeden. Auch für den Demonstranten vor dem Weißen Haus. Ich will den Bericht nicht schließen, ohne nicht doch noch einen Obama-Fan erwähnt zu haben. Auf meine Frage nach seinem Namen hat er wortlos auf seine Stirn gezeigt. „Start,“ lese ich laut vor, „das ist aber ein komischer Name.“ Der Bärtige lacht. Er heiße ja auch nicht „Start“, sondern „Start Loving“. Die Buchstaben prangen quer über sein Gesicht. Unwiderruflich eintätowiert. Okay, Start Loving also. Das ist natürlich was anderes, denke ich mir. Und innerlich muss ich zugeben, der Name gefällt mir. Der Typ gefällt mir auch irgendwie. Seine Entschlossenheit, seine politische Botschaft, auch, dass er ohne Zweifel verrückt ist. Start Loving ist Concepcions Freund, und die kennt in Washington D.C. einfach jeder. Seit 18 Jahren schon demonstriert sie vor dem Weißen Haus, Tag und Nacht bei Wind und Wetter ganz egal, wer gerade im Oval Office das Amt des Präsidenten ausübt. Wenn sie weg ginge, dann müsste sie ihre Plakate einpacken und nach Hause gehen. So lange die Demonstration aber läuft, kann sie nicht geräumt werden. Diese Geschichte hat uns Linda erzählt, die Stadtführerin vom ersten Tag. Und als ich endlich den Mut fasse, zu dem verschrammelten Zelt mit den vielen Transparenten zu gehen und nach Concepcion zu fragen, da ist sie gerade weg, aber Start Loving vertritt sie in der Zwischenzeit, das ist erlaubt. Er ist genauso entschlossen wie sie, der Welt zu erklären, dass Atomwaffen eine ganz schlechte Idee seien, dass wir uns mehr um unsere Mitmenschen kümmern sollten, den Hunger bekämpfen und die Umwelt schützen. Die wichtigste Botschaft ist aber die mit den Atomwaffen. Verrücktes Land, in dem manche Menschen seit 18 Jahren am Stück demonstrieren. Ihm müsse es doch gefallen, dass Barack Obama jetzt im Amt ist, sage ich zu Start Loving. Ein Satz, der ihn zu Tränen rührt. Obama sei der größte Segen, der den Vereinigten Staaten je hätte zu Teil werden können, und er wäre jederzeit bereit, für ihn zu sterben. Wieder bin ich beeindruckt. So viel Verehrung für einen Politiker. Weltweit geschätzt, von vielen verflucht. „Start Loving“ aber, der sieht ihn als Heilsbringer.
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Anna Grabenströer, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
„Happy hunting“ — mit diesen Worten beginnt um fünf Uhr früh mein erster „Arbeitstag“ beim Fernsehsender Fox29/KABB in San Antonio, Texas. Nein, wir gehen nicht auf die Jagd — zumindest nicht auf die nach Wild — auch wenn man das in Texas hätte erwarten können. Stattdessen drehen wir eine Polizeiaktion und gejagt werden Triebtäter.
„Happy hunting“ — mit diesen Worten werden die Beamten der unterschiedlichen Polizeibehörden wie FBI, U.S. Marshals, Polizei und Sheriff’s Department nach der Vorbesprechung in ihren Dienst entlassen. Kurz vor Halloween wird nach Sexualstraftätern gefahndet, die sich nicht an ihre Auflagen gehalten haben. Die lange vorher geplante Aktion soll knapp eine Woche dauern und vor allem San Antonios Bürger beruhigen. Denn an Halloween klopfen ihre Kinder an die Türen von Fremden.
Die Liste der Gesuchten ist lang — 260 Namen! Rund um die Uhr arbeiten die Ermittler von nun an die offenen Fälle ab. Mit einigen von ihnen verbringen meine Gastgeberin Yami Virgin, der Kameramann und ich den Tag, warten auf die ersten Erfolgsmeldungen. Am frühen Nachmittag dann die erste Verhaftung. Der bereits verurteilte Sexualstraftäter war der Justiz acht Jahre lang entkommen. Gefasst wird er in einer Appartement-Anlage und unser Kameramann ist dicht dabei. Der Täter hatte ein Kind missbraucht, nun wohnt er Tür an Tür mit ihnen. Plastikautos, Eimer und Schaufeln zeugen davon im Treppenhaus. Die Nachbarn sind entsetzt, brechen vor der Kamera in Tränen aus.
Meine „Host“ Yami hatte mich bereits vorgewarnt, in den Lokalnachrichten spielen vor allem Verbrechen und Unfälle eine Rolle. Auch am zweiten Tag beschäftigt uns daher das Thema „Sex Offender“. In diesem Fall hat ein Mann seine Stieftochter und mindestens eine ihrer Freundinnen missbraucht. Pikantes Detail: Der Mann ist Lehrer an einer christlichen Privatschule. Wir haben nach der morgendlichen Planungskonferenz vom Chef vom Dienst den „Affidavit“, eine Art Polizeibericht, bekommen. Dieser ist Grundlage für den Haftbefehl und öffentlich zugänglich. Die knapp fünf Seiten enthalten schwer verdaubare Informationen. Auch Name und Adresse des Täters werden genannt. Ich bin überrascht. Die Details darf uns der Polizeisprecher im Interview vor der Kamera nicht nennen, den Bericht aber dürfen wir benutzen. „Freedom of Information“ — heißt das. Schnell haben wir so unsere Drehorte recherchiert. Ich bin ein zweites Mal — diesmal positiv — überrascht: Trotz der öffentlich bekannten Informationen berichtet KABB nur vorsichtig. Wir bleiben beim Interview mit dem Direktor vor den Schultoren und Kameramann Raoul dreht nur Details des Wohnhauses der betroffenen Familie. Obwohl wir ein Foto des (mutmaßlichen) Täters zeigen und seinen Namen nennen, ist im Beitrag nur die Rede von einer minderjährigen Angehörigen — und nicht von seiner Stieftochter.
Dann am Abend ein Highlight meiner Praktikumswoche: Ich darf zu einem NBA-Spiel der „San Antonio Spurs“ — mit Pressepass. Vor Spielbeginn ein kurzer Besuch des Courts. Nach dem Sieg treffe ich dann den KABB-Kameramann in den Umkleiden der Spieler. Wir filmen die Reaktionen nach dem Spiel. Das Presserudel kämpft um den besten Platz für Mikrofon und Kamera — und dann entwischt auch noch einer der Stars des Teams. Kein Interview mit Tony Parker (bekannt auch als Ehemann von Schauspielerin Eva Longoria-Parker) also, aber dafür mit dem gerade frisch geduschten Manu Ginobili. Ohne mich hätte der Fox-Kameramann übrigens beides machen müssen: Ton und Bild — ohne Redakteur, ohne Assistent. Meist schneidet er dann auch das Material nach dem Dreh noch.
Raus aus der Stadt — ab in die Weiten von Texas heißt es am nächsten Tag. Zusammen mit einem Kameramann fahre ich nach Karnes City — 3.457 Einwohner, knapp 60 Meilen von San Antonio entfernt. Der Gemeinderat hat eine Dringlichkeitssitzung („Emergency Meeting“) zur Schweinegrippe einberufen. Es gab einen Todesfall in der kleinen Stadt. Wir fahren hin, ohne große Vorrecherche. Doch wir werden enttäuscht. Die Sitzung ist nicht dramatisch: die Schulen bleiben offen, besondere Maßnahmen werden nicht getroffen. Stattdessen wird über Hygienemaßnahmen und Impfmöglichkeiten geredet. Natürlich hatte der verantwortliche CvD mehr erwartet. Ob ein Anruf bei der Stadt vielleicht diese Erkenntnis schon im Vorfeld gebracht hätte? Aber immerhin, wir haben Präsenz im Sendegebiet gezeigt. Fox 29/KABB war als einziges Kamerateam vor Ort!
Bei einer Redaktionskonferenz am Mittag geht es dann erneut um Präsenz zeigen — nicht nur im Sendegebiet, sondern auch im Internet, bei sozialen Netzwerken und auf Handys. Die Diskussion ähnelt der in Deutschland: Wie bekomme ich Nachrichten so schnell wie möglich zum Zuschauer oder User. Wie kann man schnell und sauber von vor Ort berichten? Es geht um Smartphones, Foto-Uploads, Streaming und Videochats im Internet. KABB ist bereits bei Twitter, Videos und Fotos werden schon jetzt so schnell wie möglich an die „Facebook“-Freunde des Senders verteilt. Aber natürlich will man noch schneller werden, noch näher am Zuschauer sein. Künftig sollen Reporter mit ihren Smartphones kleine Aufsager filmen und im Internet hochladen — natürlich noch vor der Fahrt zurück zum Sender.
Später am Nachmittag treffen wir dann endlich „unsere“ Polizisten wieder. Die U.S. Marshals geben ihre abschließende Pressekonferenz zum so genannten „Sex Offender Round-Up“: 260 offene Haftbefehle, 67 Festnahmen können die Ermittler vermelden. Ein Erfolg — so kurz vor Halloween. Als Deutsche weiß ich jetzt auch, wo ich im Internet Sexualstraftäter recherchieren kann (https://bit.ly/4ygVxd) und dass diese an Halloween Kindern die Tür nicht öffnen und keine Außenbeleuchtung anschalten dürfen.
Auch an meinem letzten Praktikumstag werde ich Zeuge einer sehr amerikanischen Tradition. Wir drehen eine Beerdigung mit militärischen Ehren auf dem Friedhof einer Militärbasis. Die Ehrengarde steht Spalier, die amerikanische Flagge über dem Sarg wird in einer Zeremonie gefaltet und den Eltern der gestorbenen Soldatin überreicht. Die 21jährige war auf einer Base in Italien verunglückt, doch regelmäßig werden auf dem „Fort Sam Houston National Cemetery“ Soldaten beigesetzt, die in Afghanistan oder im Irak gefallen sind. Manchmal finden bis zu elf Beerdigungen an einem Tag statt, erzählt ein Friedhofsangestellter.
Die Woche in Texas war natürlich viel zu kurz, gerne wäre ich noch länger geblieben. Kennen und schätzen gelernt habe ich vor allem die Offenheit („We are not like FOX“) und Freundlichkeit der Texaner! Kein Wunsch wurde mir verwehrt, kein Gespräch verweigert.
Auch über die beiden RIAS-Wochen in Washington und New York könnte ich seitenlang berichten — doch irgendwo muss einmal Schluss sein. Nur so viel sei gesagt, zurückgekehrt bin ich nach Deutschland überwältigt von den vielen Eindrücken (CNN Situation Room), lebhaften Diskussionsrunden (Heritage Foundation) und spannenden Gesprächspartnern (Robin Sproul, ABC-Büroleiterin Washington). Kein einziger der vielen Termine war langweilig oder uninteressant! Danke an Jon für das perfekt organisierte Programm und an RIAS für diese spannende, einzigartige Reise!
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Tobias Hauke, Mitteldeutscher Rundfunk, Dresden
Thank you, Mr. President!
Das Spannendste und Nachhaltigste im Leben sind für mich die Begegnungen mit Menschen. Begegnungen prägen, ändern Sichtweisen, lösen Gefühle aus und beeinflussen am Ende Handlungen.
Ich hatte so viel über die USA gehört, gesehen und gelesen. Aber mir war bereits im Vorfeld klar, dass ich es erst verstehen werde, wenn ich dieses Land und die Menschen gesehen und gefühlt habe. Der erste Eindruck nach der Landung in Washington war, ich kenne das hier alles irgendwoher. Gebäude, Autos, Feuerwehrsirenen, Highways — so bekannt und fremd zugleich.
Und dann die für mich spannendste Frage, was diese Nation im Innersten zusammenhält. Für mich ist es diese Sehnsucht und der Glaube an ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit. Das Recht, dass jeder sein Leben leben soll und kann. Die Menschen, die wir in diesen vier Wochen kennenlernen durften, haben mir gezeigt, wie einzigartig und großartig, aber auch widersprüchlich und fremd mir dieses Land ist.
Da waren unter anderem die Leute von der Heritage-Foundation in Washington, denen es in erster Linie nicht darum geht, dass eine Versicherungspflicht im Gesundheitssystem am Ende möglicherweise gut für alle Amerikaner ist. Für sie ist es ein Angriff auf die Freiheit.
Dan Herbeck, der Gerichts-Reporter der Zeitung “The Buffalo-News” (NY), der mit dem Buch über den Oklahoma-Bomber Timothy McVeigh einen Bestseller geschrieben hat. Ein Herr, Mitte 50 — Vollblutjournalist vom alten Schlag. Und genau wie seine Kollegen spürt er, dass in Zeiten des Internets seine Branche vor einem gewaltigen Um- und möglicherweise vor dem Zusammenbruch steht.
Hilmar Zeisig, der 70jährige Geschäftsmann aus Deutschland, der seit Jahrzehnten in den USA im Ölbereich sein Geld verdient. Er hat uns in Houston Texas die Raffinerien gezeigt, damit wir einen ungefähren Eindruck von dieser unglaublich großen und mächtigen U.S.-Energieindustrie bekommen. Er erzählte uns, dass es in den USA bei weitem keine Schande ist, mit seinem Geschäft bankrott zu gehen. Wichtig ist nur, wieder aufzustehen und weiterzumachen.
Diana Denman, eine waschechte, wohlhabende Republikanerin wie sie im Buche steht. Ihr war es ein Bedürfnis, uns ihr Texas zu zeigen. Im Reagan-Wahlkampf ist sie damals von Haus zu Haus gezogen, um für diesen anfänglich so aussichtslosen Präsidentschaftskandidaten Stimmen zu sammeln. Am Ende hat er, auch durch Menschen wie sie, die Wahl gewonnen. Mit ihren 75 Jahren ist sie immer noch für ihre Sache unterwegs und hält mit ihrem IPhone wie selbstverständlich Kontakt zu Freunden und Bekannten. Bei ihr habe ich gefühlt, dass es ihr nicht darum ging, ihre politische Einstellung zu übernehmen, sondern ein Verständnis dafür zu entwickeln, warum sie so ist wie sie ist.
Da war der Büroangestellte aus dem World Trade Center in New York, der uns nach dem Rundgang am Ground-Zero von seiner Flucht am 11. September aus dem 80 Stock erzählte und dem nach zehn Minuten wieder die Tränen in den Augen standen. Gerade dort ist mir bewusst geworden, du kannst aus der Ferne alles sehen und lesen — erst wenn du dort stehst, wirst du fühlen und begreifen. Ich verstehe heute diese Wut und Ohnmacht.
Eine absolut beeindruckende Eigenart der Amerikaner ist dieser Wille und Drang, zu neuen Ufern aufzubrechen. Am deutlichsten wurde das für mich beim Versuch, eine Postkarte von New York nach Hause zu schicken. Auf die Frage, warum es in ganz New York nur noch im Postamt Briefmarken gibt, antwortete unser Reiseleiter Jon, dass niemand hier mehr Briefe verschickt, alle schreiben doch nur noch Emails. So sind sie, die Amerikaner. Am Besten dazu passt der Satz einer Beamtin aus Washington: „Its new, its good, lets do it right now.“ Jedes Ende ist immer auch ein Anfang.
Vielleicht lassen sich alle Gefühle und Eindrücke am besten zusammenfassen, wenn man sie aus zwei Blickwinkeln betrachtet — mit Kopf und Herz.
Mit dem Kopf betrachtet ist Amerika voller Widersprüche und Extreme. In unseren Augen unsolidarisch, weil viele Menschen beispielsweise die Gesundheitsreform ablehnen. Menschen, die wegen einer Krebs-OP ihr Haus verkaufen müssen. Unglaublicher Reichtum und bittere Armut. Knallharte wirtschaftliche Interessen weltweit, die im Ernstfall auch mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Fernseh-Moderatoren, die in Opinion-Shows ihre Zuschauer gegen politisch Andersdenkende aufhetzen. Ein Land, das sich durch die maßlose Gier seiner Bürger an die Grenze des Ruins gewirtschaftet hat.
Mit dem Herzen betrachtet sind die USA der Inbegriff für die Sehnsucht der Menschen nach Freiheit. Freiheit, mein Leben so zu leben wie ich es will. Wenn du reich werden willst, werde reich. Wenn du arm bleiben willst, dann bleib arm. Wo du herkommst, ist egal. Ansehen hat viel mit Engagement zu tun. Und immer eine große Gastfreundschaft, Herzlichkeit, Freundlichkeit und Wärme. Viele wohlhabende Menschen, die ihre Millionen in Stiftungen für die Allgemeinheit geben — immer unter der Prämisse, selbst bestimmen zu wollen, was mit dem Geld passiert. Menschen, die sich in unzähligen Organisationen ehrenamtlich engagieren. Der Glaube daran, dass das Leben immer weiter geht, egal wie groß die Krisen und Niederlagen auch sein mögen. Jedes bittere Ende ist auch die Chance für einen Neuanfang und für ein besseres Leben. Und da ist diese große Sehnsucht, diesen Glauben an ein glückliches Leben in Freiheit der ganzen Welt schenken zu wollen — damals uns Deutschen, heute im Irak und Afghanistan.
Und dann der 09. November, 20 Jahre nach dem Fall der Mauer. Ich sitze auf diesem Podium in einem Saal der Texas A & M University — zu genau der Stunde, als damals in Ost-Berlin die Öffnung der Mauer verkündet wurde. Mit zugeschnürter Kehle erzähle ich von den Tagen, die mein Leben verändert haben. Nur wenige hundert Meter von dem Mann entfernt, der einst einen entscheidenden Einfluss auf den Lauf der Dinge hatte — George W. Bush Senior. Und da wurde mir bewusst, wie verrückt und unglaublich Leben sein kann.
Die Begegnung mit ihm werde ich nie vergessen. Ich habe nicht lange überlegt, was ich ihm sagen werde, und mein begrenztes Englisch half mir am Ende dabei, es für ihn und mich auf den Punkt zu bringen. “Thank you Mr. President, you’ve changed my life”. Wie selten im Leben hat man die Gelegenheit, das einem Menschen so zu sagen.
Größe ist relativ. Erst recht in einem so großen Land. Danke, Amerika.
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Karl Hinterleitner, Zweites Deutsches Fernsehen, Unterföhring
Time is Our Enemy oder die unlösbare Schwierigkeit der Studienreise
„Hurry up, please“- Beeilung bitte, so hören wir nicht zum ersten Mal Jon rufen, langsam wird er doch ungeduldig. 12 Deutsche durch Washington zu schleusen ist aber auch wirklich kein leichter Job- und dann auch noch 12 Journalisten mit ihrem berufsbedingten Drang zu Neugierde, Spontaneität und damit latenter Disziplinlosigkeit. Auch jetzt, am Eingang zum amerikanischen Außenministerium muss Jon schon wieder auf ein paar Versprengte warten. Es ist der zweite Tag unseres RIAS-Programms , und die Zeit drängt — nach Besuchen bei einer privaten Radiostation und dem Hauptstadt-Studios von ABC ist das „Briefing“, also die tägliche Pressekonferenz von Hillary Clinton, nur eine von vielen Tagesetappen. Am Nachmittag geht es noch zu CNN und zur „Heritage Foundation“ dem angesehensten Think-Tank der Konservativen in den Vereinigten Staaten.
Jonathan Ebinger ist vieles in Einem: Journalist, Lehrender an der Georgetown University, renommierter Autor. Für uns 12 Teilnehmer am RIAS-Programm hat Jon mehrere Rollen, als Organisator, Chef auf Zeit und Reiseführer übernommen. Und das ist nicht nur wegen des erwähnten journalistischen Hangs zur flexiblen Tagesgestaltung schwierig. Das Programm verlangt Jon und uns einiges ab: Besuche bei Fernsehsender, Umweltorganisationen, Stiftungen, Diskussionsrunden mit Vertretern aus Politik und Wirtschaft- alles geht Schlag auf Schlag. Und das ändert sich auch später nicht: ob in Washington, New York oder später in Texas: Ein Tag mit weniger als 5 Terminen kommt mir irgendwann wie ein verlorener Tag vor…
Spätestens da stellt sich die Frage: War das gut oder schlecht? War das Programm vielleicht überladen? Meine Antwort darauf ist nach dieser Einleitung vielleicht einigermaßen überraschend, aber ebenso eindeutig: es war gut, und das Programm war im besten Sinne „ausgefüllt“. Denn: Zu viele Termine kann man nur haben, wenn einem einige davon unnötig oder gar langweilig vorkommen — das aber war kein einziges Mal der Fall! Wie so etwas möglich ist, frage ich mich im mich im Nachhinein immer noch, bei gefühlten 150 Gesprächen während der Reise. Trotzdem stimmt es — jede einzelne Runde war ein Erlebnis und eine Lernerfahrung auch für die- und es waren einige von uns- die Amerika schon gut kannten.
Wann kann man, zum Beispiel, schon die Top-Vertreter der beiden großen Stiftungen „grillen“. Die Heritage und die Brookings Foundation, die einen Denkfabrik für die Republikaner, die anderen für die Demokraten, beide aber auch Rekrutierungspool für die jeweiligen Regierungen! Selbst als Korrespondent vor Ort wird man einige Meinungen nicht so deutlich zu hören bekommen- der „Off the Record“- Charakter unserer Treffen hat hier sicherlich geholfen.
Aber nicht nur politische Diskussionen, interessante Gesprächspartner oder unkonventionelle Ansichten waren ein Gewinn –die menschliche Dimension war mindestens ebenso wichtig. Dazu gehörten lange Unterhaltungen bis in den Abend hinein, aber auch die Begegnung mit besonders engagierten Menschen, denen der Kontakt zu Deutschland besonders am Herzen liegt. Das herausragende Beispiel dafür war sicher das Treffen mit David Harris vom World Jewish Council, der sowohl mit seiner Lebensgeschichte als auch mit seinem persönlichen Einsatz für den Ideenaustausch über den Atlantik wohl bei allen einen besonders tiefen Eindruck hinterließ.
Eine ganz besondere Erfahrung der Reise war auf jeden Fall die „Station Week“ — eine Woche Mitarbeit bei einem Fernseh- oder Radiosender irgendwo im Land. Für mich war das die sonnige Woche, denn ABC ActionNews in Tampa, Florida war mein Gast-Arbeitgeber. Und die machten ihrem Namen alle Ehre, denn „Action“ gab es hier mehr als genug — vor allem für die Mitarbeiter. Ich sage bewusst „Mitarbeiter“, denn bei der Gelegenheit habe ich gelernt, dass es klassische Berufsbilder wie im deutschen Fernsehjournalismus dort praktisch nicht mehr gibt: Nur Reporter, Kameramann/-frau oder Cutter ist schon niemand mehr: Jeder macht alles, und das gleichzeitig innerhalb eines Tages. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Angesichts der Arbeitsbedingungen produzierten die Kollegen eine enorm professionelle News-Show. Trotzdem muss man sagen, dass sie deutschen Nachrichtenstandards wohl nicht genügen würde. Auch ein Ergebnis des Personalabbaus durch die Krise, die die Medien der USA noch deutlich stärker betrifft als unsere. Bemerkenswert ist dabei , dass auch die Verwaltung in den Sendern so gut wie abgeschafft wurde- trotzdem funktioniert’s…
Der Höhepunkt aber, ganz klar: Die Abschlusswoche um den 09. November in Texas, an der vier der 12 Mitgereisten teilnahmen. Den 20. Jahrestag des Mauerfalls hätte man wohl nicht ungewöhnlicher begehen können- in College Station, inmitten leerer texanischer Landschaft. Und trotzdem ging es nicht passender. Am Sitz der Presidential Library von George Bush sen. hatte man das Gefühl, den Menschen in Texas ginge dieses Jubiläum genauso nahe wie denen in Berlin. Das war zu spüren im Auditorium der A&M University: Hier stellten wir uns in einer Podiumsdiskussion den Fragen des Publikums. Und es waren weniger die großen Linien der transatlantischen Beziehungen, und wie diese sich entwickelt haben, über die die Leute reden wollten. So hatte es zwar im Programm gestanden, aber wirklich wichtig war es denen, die gekommen waren, zu hören, wie wir damals diesen Tag erlebt haben. Sie wollten die persönliche Erfahrung von Menschen kennenlernen, die am 9. November selbst vor Ort dabei waren.
Auch hier war zu spüren, mit welchem Interesse, aber auch welcher Sympathie viele Amerikaner das verfolgen, was sich hierzulande getan hat und noch tut. Eine grundsätzlich positive Einstellung zu Deutschland wurde hier deutlich- und eine Vorurteilslosigkeit in der Beurteilung, die umgekehrt leider nicht immer gegeben ist.
So wie Zeit unser Feind auf der Reise war, ist es die Menge der Zeilen hier- so viel könnte man noch schreiben über dieses Programm, dass es den Rahmen eines jeden Essays sprengen würde.
Sicher ist nur: Es war anstrengend und großartig, und es hat Spaß gemacht. Dicht war das Programm ganz sicher, aber am Schluss hatte man das Gefühl, es hätte sogar gerne noch mehr sein können.
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Tim Gerrit Köhler, Bayerischer Rundfunk, München
Sie sind überall. Auf Flughäfen, in Museen, in Kaufhäusern. Sie stehen im Eingangsbereich von Restaurants, an Hotel-Rezeptionen und im Press Briefing Room der Vereinten Nationen. Es ist Herbst 2009 — Schweinegrippen-Zeit. Auf unserer Reise durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der USA werden die Hand Sanitizer zu unseren ständigen Begleitern, praktische Spender mit Desinfektionsflüssigkeit, die unserem gesteigerten Hygienebedürfnis entgegenkommen. Gesteigert deswegen, weil uns täglich dutzendfaches Händeschütteln abverlangt wird. Unsere Reise führt uns zu Politikern und Professoren, zu Diplomaten, Journalisten und einem Ex-Präsidenten. Und sie führt uns in ein Land der Gegensätze.
Washington, D.C., ein achtstöckiges Gebäude auf dem Capitol Hill, heller Sandstein, gediegene Anmutung. Hier sitzt die Heritage Foundation, ein konservativer Think Tank von nicht zu unterschätzendem Einfluss auf die U.S.-Politik. Zum Auftakt unseres Gesprächs erwartet uns ein Gastgeschenk: Auf dem hochglanzpolierten Wurzelholztisch liegen 12 Exemplare der amerikanischen Verfassung im Taschenbuchformat. Bei Diet Coke und Cookies geht es bald ans Eingemachte: Gesundheitsreform, Einwanderung, Homo-Ehe, Afghanistan — ein Parforceritt über vermintes Diskursgelände. So manche Position wird mit einer Vehemenz vorgetragen, dass den deutschen Gästen die Kekskrümel im Halse stecken bleiben. Eine Gesundheitsversorgung für alle, so erfahren wir, käme dem Kommunismus gleich. Die geschätzt etwa 20 Millionen illegalen Einwanderer könnten ja dorthin zurückgehen, wo sie hergekommen seien. Eine weitere wesentliche Erkenntis: Ein Mann, der einen Mann heiratet, könne doch auch gleich ein Pferd heiraten — oder Menschen mordend durch die Gegend ziehen, die Stufe des moralischen Verfalls sei schließlich die gleiche. Und über das deutsche Engagement in Afghanistan heißt es, die Bundeswehr sitze bloß an der Seitenlinie und schaue zu, wie britische und U.S.-Soldaten getötet würden. Eine wirkliche Diskussion ist kaum möglich. Zu Todesstrafe, Abtreibung und Irak-Krieg kommen wir erst gar nicht. Dennoch: Niemand von uns will diesen Termin im Nachhinein missen — wann sonst eröffnet sich schon die Chance zum Gespräch mit Menschen, aus deren Sicht George W. Bush zu links war?
Woods Hole, Massachusetts. Station Week bei WCAI, dem regionalen NPR-Sender für Cape Cod. Der Ort hat 900 Einwohner, die Radiostation teilt sich ein kleines Holzhaus mit der Vorschule. Direkt gegenüber legt die Fähre nach Martha’s Vineyard ab. Am dritten Tag meines Aufenthalts ist es soweit: Ein langsam vor sich hinrostender Kahn bringt mich hinüber. Nach einer knappen Stunde erreiche ich die Insel, mit vom Seewind zerzausten Haaren und salziger Luft in den Lungen. Im kleinen Hafen halte ich Ausschau nach Erich, einem freien Journalisten, der für Hörfunk und Lokalzeitung berichtet. Mein Host Dan, Moderator des Morgenprogramms bei WCAI, hat ihn gebeten, mir die Insel zu zeigen. Ich erwarte: einen älteren Herrn, hager, distinguiert, der seine Sätze mit einem “Als ich damals Jackie Kennedy interviewte…” einleitet. Mich erwartet: ein sehr stabil gebauter Enddreißiger mit Hang zum alternativen Lifestyle, je zur Hälfte mit deutschen und indianischen Wurzeln, Mitglied einer Rockband, Ex-Soldat, Ex-Obama-Wahlkämpfer. Im unfassbar großen und höchst klimafeindlichen Geländewagen seines Onkels („He’s a Republican — they love big cars“) kutschiert er mich über Martha’s Vineyard, die Insel, der ihre Beliebtheit bei Film- und Fernsehbekanntheiten den Beinamen “Hollywood East” eintrug. Hier residiert die Prominenz, während der Geldadel der Ostküste seine Sommerhäuser eher auf Nantucket hat. Beide Inseln verbindet eine innige und sorgsam gepflegte Hassliebe, ähnlich der Beziehung zwischen Köln und Düsseldorf. Daher versucht Erich als gebürtiger “Vineyarder“, mich von den Vorzügen seiner Heimat zu überzeugen. Kreuz und quer geht es durch buntbelaubtes Hügelland, zu Klippen und Leuchttürmen, einsamen Stränden und herausgeputzten Dörfern. Erich erzählt, Erich gestikuliert, Erich telefoniert, meist alles gleichzeitig, aber immer mit einem ansteckenden Lachen. Und tatsächlich, er schafft es: Zwar finde ich Nantucket bei meinem Besuch zwei Tage später doch irgendwie schöner — aber immerhin habe ich deswegen ein richtig schlechtes Gewissen.
Texas, 20 Grad, sattgrüne Wiesen, Frühlingsgefühle im November. Vier RIAS-Fellows verbringen auf Einladung der Texas A&M University in College Station eine zusätzliche Woche im “Lone Star State”. Anlass: Ein Symposion zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, mit George Bush senior, Condoleezza Rice — und eben vier RIAS-Fellows, die über die mediale Wahrnehmung der transatlantischen Beziehungen sprechen sollen. Rundherum ein fein gewobenes und auf die Minute getaktetes Programm in Austin, San Antonio und Houston. Erster Eindruck: Nach sieben Tagen New York City könnte der Kontrast kaum größer ausfallen. Im Austin Hilton scheinen sich alle Gäste zu kennen — ein Familientreffen? Eine Convention? Erst nach einiger Zeit dämmert die Erkenntnis: schiere Freundlichkeit! Und schon fühlt sich der gebürtige Kölner wie zu Hause. Die Texaner helfen ihm dabei mit einer Gastfreundschaft, die unsere Definition dieses Wortes um Längen schlägt. Diana, Mitte siebzig, vermögend, frühere Vize-Vorsitzende der texanischen Republikaner, nimmt sich unserer kleinen Gruppe an. Führt uns zum Lunch und Dinner in die privaten Clubs der Upper Class, bringt uns zusammen mit Bürgermeistern, Botschaftern und Abgeordneten. Rasch lernen wir: Everything’s bigger in Texas, und das gilt nicht nur für Autos, Highways und Steaks, sondern mindestens ebenso für das Selbstbewusstsein. Und bei manchem für die Vorurteile. Obama? “He’s a black muslim socialist!” Ex-Gouverneurin Richards? “Nothing but a mean radical Democrat — and probably she’s lesbian on top!” Einwanderung, Gesundheitsreform, Todesstrafe? Siehe oben. Zugleich reift die Einsicht, dass auch hier nichts über den berüchtigten Kamm zu scheren ist. Unseren Begleiterinnen von der Texas A&M University fällt es mitunter sichtlich schwer, die Argumentation ihrer Landsleute unwidersprochen hinzunehmen. Um das zu kompensieren, helfen anschließende Vier- bis Zehn-Augen-Gespräche, die beweisen, dass es selbst in einem Staat, in dem Menschen ohne einen Anflug von Ironie T-Shirts mit dem Aufdruck “Fuck y’all, I’m from Texas” tragen, abweichende Meinungen gibt.
Was bleibt? Die Begegnung mit Menschen. Gespräche mit dem Irak-Heimkehrer, mit dem Taxifahrer, mit George Bush. Ein Einblick in Mentalitäten, Sichtweisen, Einstellungen. Die Bestätigung und Widerlegung von Vorurteilen. Ein Gefühl für die Diversität Amerikas, eine Ahnung von den Geschichten, die aus diesem Land noch zu erzählen wären. Die Erinnerung an vier anstrengende, spannende, grandiose Wochen. Danke, RIAS!
Und übrigens: Die Schweinegrippe hat keinen von uns ereilt. In meiner Redaktion stehen nun auch zwei Hand Sanitizer.
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Andrea Kröll, Deutsche Welle, Berlin
New York ist nicht Amerika, Amerika nicht New York. Das hatte ich schon oft gehört, schon zu Beginn eines zweimonatigen Aufenthalts im Big Apple vor sechs Jahren geahnt und den Wahrheitsgehalt dieser Aussage auch nie ernsthaft bezweifelt. Aber WIE anders Amerika im Vergleich zu New York ist — und WIE anderes Amerika im Vergleich zu Deutschland ist — das wollte ich nun herausfinden.
Bis zum Start des Rias-Programms hatte ich im Gegensatz zu vielen meiner „Mit-Fellows“ neben ein paar Abstechern von New York aus lediglich einem kurzen Besuch bei Freunden in Ohio auf meinem USA-Konto zu verbuchen. Das sollte sich nun ändern: Vor der Abschlusswoche in New York warteten eine Woche Washington D.C. und eine weitere in Indianapolis auf mich. Und in diesen Städten war wirklich vieles anders, aber längst nicht alles.
Mein erster Eindruck von Washington: sauber, gemütlich und grün. Allerdings gestaltete sich die Suche nach einem kleinen Snack in der Nähe des Hotels, das gleich um die Ecke des Weißen Hauses liegt, am Sonntagabend eher schwierig. Die meisten Läden, selbst die omnipräsenten Starbucks-Cafés, machen hier meist gegen fünf/ sechs Uhr dicht. Sonntags ist eben nichts los im Regierungsviertel der U.S.-Hauptstadt.
Los war dagegen politisch während der drei Wochen einiges. Das wichtigste Thema: Health Care. Das Gesundheitssystem und seine Reform bestimmte viele persönliche Gespräche ebenso wie auch unsere Treffen, etwa mit dem deutschen Botschafter Klaus Scharioth oder mit den Experten der Heritage Foundation. Dieser konservative Think-Tank und das engagierte Plädoyer von Sally McNamara gegen eine Reform werden mir und sicher allen anderen wohl noch lange gut im Gedächtnis bleiben. Kurz und knapp: „Wem das U.S.-Gesundheitssystem nicht passt, soll doch gehen“. Solche Aussagen, Argumente gegen die Schwulen-Ehe, die in den Augen von Matt Streit ebenso unmoralisch ist wie die Ehe zwischen Mensch und Pferd oder Kommentare wie „German troops in Afghanistan sit on the sidelines while American und British soldiers fight“ und die führten dann zu einer dann auch von unserer Seite sehr emotional geführten Debatte. Ich hatte großen Spaß dabei und schnell verstanden, dass konservativ sein in den USA etwas ganz anderes bedeutet als in Deutschland.
Hochinteressant waren auch die anderen Termine und Gesprächspartner, die Jon Ebinger für uns arrangiert hatte: Bruce Katz von der Brookings Institution war sicher am unterhaltsamsten und hat mit Rias-Fellow Roxanne Russell den ersten Preis fürs „Beste Catering“ gewonnen, dicht gefolgt von den Keksen bei Hanni Hüsch im ARD-Studio Washington und den Bagels beim American Jewish Committee in New York. Nachhaltig beeindruckt hat mich die Begegnung mit Robin Sproul, der Chefin des ABC-Studios in Washington D.C. und die Redaktionskonferenz der Senung „Tell me more“ beim National Public Radio. So viel Energie habe ich selten erlebt. Obwohl das mit über zwei Stunden einer der längsten Veranstaltungen war, wäre ich gerne noch länger geblieben. Aber wie Linda Dickinson, unsere reizende Washington-Reiseführerin, gleich am ersten Tag des Programms so treffend bemerkte: „Time is our enemy.“ Das wurde zum Motto und meist zitierten Spruch der Herbst ’09-Fellows.
Wie ein Ausflug in eine andere Welt, den ich alleine wohl nie gemacht hätte, wirkte der kurze Besuch auf dem Parkett der New Yorker Börse. Der Holzboden erinnerte mich an die besten spanischen Tapas-Kneipen, die ich je besucht habe. Dort gilt: je verdreckter der Boden, desto beliebter die Kneipe. Nach diesem Maßstab hätte diese Location, an der ganz andere heiße Sachen gehandelt werden, gute Karten gehabt. Liegt es daran, dass hier zu wenig Frauen arbeiten? Egal. Noch etwas fand ich amüsant: Während die Glocke den Feierabend einläutete, trugen die Geldmacher auf dem Parkett meist noch ihre Arbeitskleidung: in der Regel Baseballkappe, Turnschuhe und Arbeiterhemden. Ausgerechnet nach Feierabend kam dann der Broker zum Vorschein: im Maßanzug, Cashmere-Kurzmantel und rahmengenähten italienischen Schuhen.
Vieldeutig auch der Besuch bei Bloomberg: Immer lächelnd, immer begeistert von seinem Arbeitgeber schwärmte Dominick D’Angelo von seiner „Family“ bei Bloomberg und der dort vorherrschenden Videoüberwachung („Wir sind ganz transparent, alle Wände sind durchsichtig, aber bitte keine Fotos“). Wer die „Family“ verlässt, darf übrigens nie wieder kommen. Aber wer will das schon angesichts des kostenlosen Gourmet-Essensangebots in der Kantine? „Die machen das nur, damit keiner raus geht zum Lunch und sie ihre Schäfchen besser kontrollieren können“, so bereiteten uns die Journalisten von MSNBC, die wir vorher besucht hatten, auf Bloomberg vor. Nun ja, wer inmitten von Opie-Kunst und einem millionenschweren Koi-Karpfenteich speisen kann, der braucht noch nicht einmal mehr zu „Cosi“ gehen (eine wirklich sehr gute Kette, mit deren Sandwiches uns Jon regelmäßig beglückt hat). Und irgendwie kann ich die Boys und Girls bei Bloomberg ja auch verstehen: Denn auch ihre Büros übertrafen alles, was wir zuvor an U.S.-Büros gesehen hatten. Überhaupt die Büros: Meist wie Bienenwaben, mit Minischreibtischen in Räumen ohne Tageslicht, dicht an dicht. Außer bei Bloomberg und in der Provinz überall, auch bei CNN. Eines steht fest: Ich werde nie wieder über unseren fensterlosen Konferenzraum bei der Deutschen Welle meckern und mich ab sofort jeden Tag über meinen riesengroßen Schreibtisch am Fenster freuen.
Warum sind die Schreibtische in den USA so klein, wenn alles andere so groß ist? Die Autos und die Trucks, die Supermarktregale, die Latte-Becher und die Portionen auf dem Teller? Die Antwort darauf finde ich in Indianapolis, etwa 600 Meilen von der Hauptstadt entfernt. Hier, beim Lokalsender Fox 59, meiner Station in der zweiten Woche, waren die Schreibtische locker doppelt so groß wie in Washington D.C. oder in New York, die Abstände zwischen ihnen ansehnlich, die Decken hoch und man konnte drinnen erahnen, ob man einen Regenschirm braucht oder nicht. In Indianapolis schien alles größer — mal abgesehen von den Hochhäusern im Big Apple — und wahnsinnig sauber. Obwohl man hier aber am anderen Ende der Welt zu sein scheint, sind mein Host Garrett Baggs, der für das Frühstückfernsehen zuständig ist, und seine Kollegen in Sachen Technik auf einem Level, von dem wir in Deutschland nur träumen können. Seit zwei Jahren läuft hier alles bandlos über die Bühne, gerade startete die Umstellung auf HD. Ich bin beeindruckt, auch von der Professionalität der Mitarbeiter und der Lockerheit der Moderatoren vor der Kamera, die alle wahre Improvisations-Genies sind.
Ein ähnliches Aha-Erlebnis wenig später: Garrett nimmt mich mit zu einer Vorlesung an der Ball State University, an der er neben Job, Frau und Kind bereits an seiner möglichen nächsten Karriere arbeitet. Kommunikationswissenschaftler Jay E. Gillette kommt gerade von einer Dienstreise aus Rumänien zurück, ist ein brillanter Entertainer und klärt seine Studenten nicht nur über die wichtigsten Medikamente seiner Reiseapotheke auf, sondern erzählt auch noch ganz nebenbei, dass Montezuma ein Atztekenkönig war und wann er gelebt hat. Am Schluss des Seminars liest der Professor noch ein paar Zeilen aus dem Buch „Atemschaukel“ von Herta Müller vor, die gerade den Literaturnobelpreis gewonnen hat.
Dann laden mich Garrett und Amanda, die sich sehr rührend um mich gekümmert haben und denen ich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich danken möchte, zum Dinner in ihr Haus ein. Von dort schaffe ich auch meine erste Fahrt alleine im U.S.-Mietwagen — immerhin fast eine Stunde — zurück nach Indianapolis und sinke stolz wie Bolle in mein riesiges Kissen in meinem riesigen King Size-Bett. A perfect day.
Von diesen perfekten Tagen folgen noch viele. Die Tage in Indianapolis vergingen schnell, und die letzte Woche in New York noch rasanter. Das Tempo der Stadt, die Menschenmassen, der Dreck. Bei meiner Ankunft bin ich erst mal wie erschlagen — zumal zu Halloween ganz New York auf den Beinen zu sein scheint. Was ich mir als kleines nächtliches Monster- und Hexen-Minikomstümfest vorgestellt hatte, entpuppt sich als Riesenkarnevalsparty. Ich weiß nicht, ob besonders viele Kölner seinerzeit die Reise über den großen Teich angetreten haben, aber fest steht: Die Amis sind richtige „Jecken“ und ich als Rheinländerin war absolut begeistert von den fantasievollen Kostümen. Das fing schon beim Abflug in Indianapolis an. Dort begrüßt mich eine Frau am Schalter. Sie trägt einen Skianzug samt Mütze und Skibrille, macht ihren Job und outet sich auf Anfrage als Calgary-Girl. Schön fand ich auch einen Mexikaner, der als Mexikaner verkleidet samt Ganzkörper-Pferdedress durch die Prärie von Queens reitet. Olé. Was definitiv in New York nicht anders ist als in Indianapolis: Man hört viel Spanisch und viele Schilder zum Beispiel in der U-Bahn sind gleich zweisprachig gefasst. Und immer wird so viel Müll produziert: Egal, ob Frühstück oder Mittagessen — fast immer gibt es Plastikbesteck, Plastikbecher und Plastikboxen. Das Ergebnis sieht man jeden Tag auf der Straße: riesige Müllberge. Doch wenn einem der Security-Mann dann einfach „Have a great day“ wünscht und sich jeder entschuldigt, der einen eventuell angerempelt haben könnte, dann hat man gleich gute Laue und denkt schon mit Entsetzen an die erste Begegnung mit einem unfreundlichen Berliner Busfahrer (gibt auch Nette). Gott sei dank kann der noch eine Weile warten, denn ich werde in Berlin von meinem Mann mit dem Auto abgeholt.
Am Abend meiner Rückkehr berichtet die Tagesschau unter anderem über die Abstimmung zur Health Care in den USA. Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi verkündet stolz der Welt das Ergebnis und fügt sichtbar erleichtert hinzu: „The bill has passed“ — wenigstens im Repräsentantenhaus…
Mein Fazit
New York ist nicht Amerika, aber wer nicht weiter kommt, ist selbst schuld. Amerika ist anders als Deutschland und nicht alles ist „great“, aber vieles. Ich bin neugierig geworden auf ein Land, das mich fasziniert und das ich gerne noch besser kennen lernen möchte. Natürlich gingen die drei Wochen viel zu schnell vorbei. Mir schwirrt noch so viel im Kopf herum, so viele Eindrücke, so viele Begegnungen, so viele Beobachtungen. Ich bin sehr froh, dass ich mir diese drei Wochen genommen habe und das wird nicht nicht meine letzte Reise in die USA gewesen sein. Danke Rias Kommission für diese wunderbare Erfahrung.
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Martin Mair, Mitteldeutscher Rundfunk, Halle
„Time is our enemy“
Die Straßen sind dicht. Nichts geht mehr auf den Highways von San Francisco. Seit zwei Tagen hat die Radiostation KGO fast nur ein Thema: „Bay Bridge still closed“, verkünden die Moderatoren im Minutentakt. Die Schwester der berühmten Golden Gate Bridge und wichtigste Brücke über die San Francisco Bay ist nach einer technischen Panne gesperrt. Die Pendler stöhnen, ich bin begeistert: Aus der Vogelperspektive ist ein kilometerlanger Stau nämlich ein einzigartiger Anblick.
Ich sitze auf der Rückbank des knallroten Verkehrshubschraubers von KGO — es ist sechs Uhr morgens, und ich habe binnen Minuten in der Luft vergessen, dass ich eigentlich panische Höhenangst habe. Michaelynn, von Ihren Kollegen nur respektvoll „Queen of Traffic“ genannt, bringt die Pendler auf den neuesten Stand: Gerade ein kleiner Unfall auf der Interstate 280, sieht nur nach Blechschaden aus. Wird also alles noch länger dauern. „Relax everyone“, gibt Michaelynn ihren Hörern noch mit auf den Weg. Seit fast zwanzig Jahren geht sie für ihren Sender in die Luft, um als Verkehrsreporterin über den alltäglichen Wahnsinn auf den Straßen zu berichten. Sie kann zu jeder Straße, jedem Haus, jedem Landstrich um die Bay eine Geschichte erzählen — der Gast aus Germany hört fasziniert zu und genießt den atemberaubenden Blick. Alles wirkt leicht aus der Vogelperspektive.
Leicht ist überhaupt der Zustand meiner Praktikumswoche in Kalifornien. Meine Hosts Jenna und Henry machen es mir leicht, vieles zu entdecken und zu lernen. In ihren Redaktionen bei KGO und KCBS begegnen mir ihre Kollegen mit großer Offenheit. Geduldig beantworten sie meine Fragen, nehmen mich mit zu Terminen und zeigen mir, wie ein All News Programm in den USA funktioniert.
Für europäische Ohren klingt vieles ungewohnt: Eine Sendestunde hat etwa 25 Minuten Werbung; Wetter und Verkehr alle zehn Minuten sind das Verkaufsargument an die Hörer. Die Beiträge sind überwiegend regional, vor allem aber sind sie kurz: Maximal eine Minute, besser noch 45 Sekunden. Meinem Journalistenherz versetzt das einen Stich, denn es bleibt zwangsläufig einiges auf der Strecke: Einordnen, tiefer gehen, eine kritische Randbemerkung — dafür haben Jenna und Henry keine Zeit. Beide sagen, dass sie das vermissen und sich manchmal ein wenig in einer Nachrichtenfabrik gefangen fühlen. Doch die Arbeit bei einem NPR-Programm ist keine echte Alternative: Jenna müsste auf die Hälfte ihres Gehalts verzichten — im teuren San Francisco davon zu leben, sei kaum machbar, sagt sie. Ich werde das nächste Mal dankbar meine Gebühren an die GEZ überweisen.
Bei den werbefinanzierten All News Programmen schlagen sich längere Beiträge und mehr Zeit für ein Thema unmittelbar auf die Quote nieder — die kommerziellen Stationen können sich das schlicht nicht leisten. Mir fällt dabei das geflügelte Wort unserer RIAS-Gruppe ein, das gleich am ersten Tag unseres Aufenthalts die Reiseführerin in Washington geprägt hat: „Time is our enemy“. Und tatsächlich hätten wir bei den vielen Meetings in der U.S.-Hauptstadt gerne länger mit Vertretern der Think Tanks oder Kollegen gesprochen und diskutiert. Über das erste Jahr der Obama-Regierung oder den emotional aufgeladenen Streit um die Gesundheitsreform, bei dem der U.S.-Präsident auf Plakaten mit Hitler-Bart verunglimpft wird. Aber die Zeit war immer knapp, doch dank unserem Organisator Jon Ebinger haben wir sie vorzüglich nutzen können und im Eiltempo einen breiten Einblick bekommen.
Auch für Jenna ist die Zeit heute knapp: Die Pressekonferenz bei der Polizei von San Francisco über die Sicherheitsvorbereitungen zu Halloween ist gerade zu Ende gegangen. Es ist 15 Uhr 45. In zwanzig Minuten geht Jenna live auf Sendung. Sie sitzt im Reporterauto, hat eine Verbindung zu KGO aufgebaut und hört sich durch ihre O-Töne. „Ah, that one’s good“, sagt sie und macht sich rasch ein paar Notizen. Ob sie den Ton jetzt noch schneidet, frage ich. „No, no. I just press play on my MD-Recorder.“ Und es funktioniert: Jenna hört übers Autoradio die Anmoderation, dreht bei ihrem Namen ab, um keine Rückkopplung zu erzeugen, beginnt mit ihrem Text, drückt Play für den O-Ton, spricht weiter und schafft es dabei irgendwie auch noch einer Politesse zu signalisieren, dass sie den Strafzettel für Falschparken doch bitte nicht jetzt an die Scheibe donnern soll. Nach genau 58 Sekunden ist der Auftritt vorbei — ich bin beeindruckt. Vor nicht mal einer Stunde hat Jenna auf der Redaktionskonferenz erfahren, dass die Pressekonferenz heute eines ihrer Themen sein wird. Bei dichtem Nachmittagsverkehr heißt es daher sofort losfahren und Jenna lacht laut, als ich ihr auf dem Weg in die Tiefgarage erzähle, dass wir bei der ARD jetzt erstmal ein paar Formulare ausfüllen müssten. Völlig unvorstellbar für einen Radiosender, der nicht nur — wie in Deutschland bisweilen — beschwört, das schnellste Medium zu sein, sondern es tatsächlich meist ist.
Beim Wiedersehen mit der RIAS-Gruppe in New York gibt es viel zu erzählen. Kreuz und quer über das Land verteilt haben wir alle ganz unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In all den Geschichten und Anekdoten zeigt sich, wie unterschiedlich dieses riesige Land zwischen Spartenberg und San Francisco ist. Kalifornien etwa ist größer als Deutschland, der Flug nach New York dauert fast so lang wie der Rückflug nach Hause. Es ist ein Land voller Gegensätze, über das ich viel erfahren habe. Im Großen bei offiziellen Meetings mit dem deutschen Botschafter ebenso wie im Kleinen in Berts winzigem Waschsalon in San Francisco. Drei Wochen als Radiomoderator die Antenne auf empfangen stellen war — um es mit einem Lieblingswort der Kalifornier zu sagen — „fascinating“.
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Dörthe Nath, Rundfunk Berlin Brandenburg, Berlin
Der Satz, der unseren Aufenthalt bestimmen sollte, fiel gleich am ersten Tag: „Time is our enemy,“ sagte Washington-Stadtführerin Linda Dickinson, wenn wir am Capitol oder am Weißen Haus länger brauchten. Ein Satz, der uns in den nächsten Wochen nicht loslassen sollte. Denn Jon Ebinger hatte ein dichtes und sehr spannendes Programm zusammengestellt. Mit dem Ergebnis, dass die drei Wochen im Rückblick merkwürdig zusammenrücken zu einer Art Episodenfilm. Einer, in dem die Schauspieler immer ein bisschen zu schnell laufen — wie Charly Chaplin in den alten Schwarzweißfilmen.
Ein gänzlich anderes Zeitkonzept als das gewohnte begegnete uns auch beim Besuch bei WTOP News Radio, dem erfolgreichsten Radiosender in Washington. Ziemlich ungewöhnlich, dass ein reiner Nachrichtensender die höchsten Einschaltquoten hat. Vielleicht ein Ausdruck für die Interessen der Bevölkerung im politischen Zentrum der USA. Zum Erfolgskonzept von WTOP gehört der Verkehrsfunker. Ein grauhaariger Mann, der alle zehn Minuten den Hörern die Lage auf den Straßen schildert. Denn das gehört ebenfalls zum amerikanischen Umgang mit Zeit: auch wer sich noch so sehr beeilt kann schnell in die Entschleunigungsfalle eines Staus geraten. Einmal hatte der Verkehrsfunker eine längere Pause als acht Minuten: Als Barack Obama offiziell in das Amt des amerikanischen Präsidenten eingeführt wurde. Seine Inaugurationsrede übertrug WTOP live. Aber schon nach einer Viertelstunde beschwerten sich die ersten Hörer über den fehlenden Verkehrsfunk. Mitchell Miller, der für das Programm dort verantwortlich ist, berichtete uns davon und fügte gleich hinzu, dass sie danach von langen Übertragungen abgesehen haben. Bei WTOP ist kein Bericht länger als 40 Sekunden. Und ich dachte vorher doch tatsächlich, 2 Minuten 30 seien kurz.
Dass 15 Sekunden reichen, um Gäste herzlich willkommen zu heißen und sie zu fragen, woher sie kommen, das hat uns der Aufnahmeleiter der Sendung Situation Room von CNN bewiesen. Es war in der Werbepause. Moderator Wolf Blitzer saß mit seinem Laptop in einer Ecke des Studios und bereitete sich auf seinen nächsten Auftritt vor, als besagter Aufnahmeleiter ihm die verbliebene Zeit zum Wiederbeginn der Sendung zurief: „15 seconds.” Offenbar lang genug, um zu uns zu schlendern und ein wenig zu plaudern, bis er sich mit einem noch lauteren „five“ selbst unterbrach und hinter die Kamera zurückkehrte. Aufregend.
Eine Stunde und 15 Minuten hat sich der deutsche Botschafter Klaus Scharioth für uns Zeit genommen. Wer wollte nicht schon immer mal wissen…Stopp! Mehr kann leider nicht geschrieben werden, denn das wirklich sehr spannende Gespräch mit Herrn Scharioth war unter 3. Wenn nicht gar unter 4 oder 5, wie er ein ums andere mal betonte.
Kalifornien hinkt Washington drei Stunden hinterher. Das ist eindeutig ein Zeitunterschied. Dass es dort noch andere Eigenarten in Sachen Zeit gibt, dass hat mir gleich am Anfang meine sehr nette Gastgeberin Susan Valot versichert: „We’re a little more laid back over here“, sagte sie. Und ich kann ihre Aussage nur bestätigen. Sie und der zweite Host Steve Chiotakis hatten ein sehr lockeres Programm zusammengestellt, das mir viel Zeit gab, mich mit der Schönheit der Pazifikküste zu beschäftigen. Und mit den bis zu 12-spurigen Freeways. Denn die habe ich mir in den unzähligen Staus, in denen ich lange Minuten und Stunden verbrachte, genau ansehen können. Aber KPCC, der NPR-Sender für Südkalifornien, bei dem Susan arbeitet, hat keinen grauhaarigen Verkehrsfunker, der alle zehn Minuten vor Staus warnt und einem so Lebenszeit schenkt.
Susan ist Reporterin für Orange County, dem Kreis südlich von Los Angeles, in dem auch Disney World seine Heimat hat. Sie arbeitet dort fast wie eine Auslandskorrespondentin — nur wenige Male im Jahr fährt sie in den Sender. Alles andere wäre zu zeitintensiv. Und so spricht sie ihre Beiträge in einem kleinen Studio, in das gerade mal ein Stuhl hineinpasst und sendet sie als MP3-Datei zu KPCC. Ganz anders das Bild bei Marketplace, einer täglichen Sendung für das Programm der amerikanischen Public Radios, produziert von American Media. Mein Gastgeber Steve bereitete in der Woche meines Besuchs die einstündige Samstagssendung vor. Darunter auch eine Reportage von ihm selbst, für die er mit einem Tontechniker und einem Producer unterwegs war. Der Tontechniker hat mit zwei Mikrophonen Atmo und O-Töne aufgenommen, der Producer kümmerte sich um die Gesprächspartner und die Struktur der Reportage und Steve führte die Interviews. Traumhafte Arbeitsbedingungen.
Die New Yorker haben mit dem 11. September 2001 eine neue Zeitrechnung begonnen. Das wurde uns gleich am Anfang unserer letzten Programmwoche dort deutlich vor Augen geführt. Nicht nur klafft die riesige Baustelle am World Trade Center noch immer wie eine offene Wunde inmitten von Manhattan. Auch der Augenzeuge, der uns seine Erlebnisse dieses Tages schilderte, schien seither ein anderer Mensch zu sein. Eigentlich war er in seiner Art ein bärbeißiger Kerl, der als Reservist bei der U.S.-Armee auch im Irak war. Und doch brach ihm ein ums andere Mal die Stimme weg, als er davon erzählte, wie ihm ein Eisenträger das Leben rettete und dass andere dieses Glück nicht hatten. Der Besuch des World Trade Centers hat mich sehr berührt. Die Katastrophe rückte nah an mich heran. Viel näher als die Dokumentationen das bisher geschafft hatten. Sie erhielt ein Gesicht — das Gesicht dieses Mannes mit dem Stiernacken, dem das Kinn zittert, weil er die Tränen nicht zurückhalten kann.
Zu kurz — da waren wir uns alle einig — war der Besuch beim American Jewish Committee. David Harris, der Geschäftsführer, erzählte uns von seiner Familiengeschichte, wie seine Eltern eigentlich nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen wollten und dann trotzdem nach München zogen und wie ihn das prägte. In seiner Ansicht nämlich, das Gedenken an die Shoa im Dialog mit den Deutschen zu fördern.
Pünktlich zur Schlussglocke kamen wir im New York Stock Exchange in der Wall Street auf den Balkon und später auf das berühmte Parkett. Ein Erlebnis für sich zu sehen, was die weltgrößte Börse nach Handelsschluss übrig lässt: Broker, größtenteils Männer, die sich ihre Turnschuhe aU.S.- und ihre Anzugschuhe anziehen, europäische Fernsehreporter, die ihre letzten Aufsager machen und jede Menge zerknüllte Zettel auf dem Boden. Ein bisschen wirkte es wie ein verlassener Boxring nach dem Kampf.
Das RIAS-Programm hat mir wirklich intensive drei Wochen beschert, von denen ich noch lange zehren werde. Insofern hat Washington-Stadtführerin Linda vielleicht nicht ganz recht gehabt. Die Zeit mag zwar im Tagesplan manchmal unser Feind gewesen sein. Im Nachhinein wirken die Sekunden, Minuten und Stunden dieses Aufenthalts jedoch so intensiv nach, dass sie zu mehr werden als einfachen Angaben zum nächsten Treffpunkt oder der Dauer eines Gesprächs. Sie waren der Rahmen für einen differenzierten Einblick in den U.S.-amerikanischen Zeitgeist.
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Ariane Peters, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Washington D.C.
Bereits wenige Stunden nach meiner Ankunft in Washington D.C. passiert es. Ich sichte ein Mitglied der Präsidentenfamilie. Amerikas First Dog mit dem Namen Bo darf noch eine Runde vor dem Weißen Haus drehen. Ein pechschwarzer portugiesischer Wasserhund im stockdunklen Garten, für viele Touristen die Fotoattraktion schlechthin. Am nächsten Tag während unserer Stadtführung sehe ich das Weiße Haus zum ersten Mal in “Farbe“. Irgendwie habe ich es mir größer vorgestellt und auch mehr Sicherheitsleute erwartet. Die Scharfschützen, die jeden unserer Schritte auf dem Dach beobachten, bleiben meinen Augen verborgen. Ist wahrscheinlich auch Sinn der Sache.
Das RIAS-Programm beginnt. Wir treffen und diskutieren mit einflussreichen Journalisten von kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern. Wir blicken hinter die Kulissen von Voice of America, NPR und ABC. Völlig unerwartet dürfen wir sogar bei einer Live-Schalte von CNN-Ikone Wolf Blitzer im Situation Room mit dabei sein. Bereits nach der ersten Woche möchte ich zwei Dinge nicht missen: mein kleines Büro mit Ausblick auf eine Tankstelle (viele amerikanische Kollegen arbeiten in Großraumbüros ohne Fenster) und Rundfunkgebühren. So kann ein kommerzieller Radiosender wie WTOP sich nur dann finanzieren, wenn von einer Stunde Sendefläche mehr als zwanzig Minuten für Werbung freigehalten werden. Nachrichtenbeiträge sind nicht länger als einsdreißig. Ich frage mich, wie lange ich es wohl aushalten würde, so ein Programm in Deutschland zu hören. Unvergesslich bleibt die hitzige Diskussion mit vier Leuten von der Heritage Foundation. Eine stockkonservative Denkfabrik mit marktradikalem Weltbild. Von Sally McNamara erfahren wir folgende Dinge:
- “Health care should not be a human right for everyone in the U.S.!”
- “German troops in Afghanistan sit on the sidelines while American and British soldiers fight and die!”
- “If you are gay and want to marry you should move to another state!”
Sallys Kollege pflichtet ihr bei: „Stellen Sie sich mal vor, wir erlauben Homosexuellen zu heiraten, dann möchte der nächste womöglich 50 Frauen und der übernächste vielleicht sein Pferd heiraten.“ Hat er das jetzt wirklich gesagt?! Welcome to America, Land of the Free!
Ganz locker und aufschlussreich ist dagegen unsere Unterhaltung mit dem deutschen Botschafter. Mehr als eine Stunde nimmt sich Dr. Klaus Scharioth für uns Zeit. Das Gespräch findet „unter drei“ statt. Am Ende der ersten Woche bleibt noch etwas Zeit, um die Stadt auf eigene Faust zu erkunden. Dank der Smithsonian Institution sind fast alle Museen in Washington D.C. kostenfrei. Besonders beeindruckend ist das Newseum. Wie der Name schon sagt, dreht sich in diesem multimedialen Museum alles um die Entwicklung des Nachrichtenjournalismus in den vergangenen fünf Jahrhunderten. Auf insgesamt sieben Stockwerken befinden sich 15 Theater, 14 Galerien, zwei Nachrichtenstudios, 100 Original-Dauervideopräsentationen und mehr als 130 interaktive Stationen.
Washington D.C. selbst wirkt auf mich sehr übersichtlich, fast schon wie eine Kleinstadt. Die U-Bahnstationen sehen aus wie geleckt. Kein Wunder, selbst das Essen ist auf dem Bahnsteig verboten. Die Stadtteile östlich der Mall sind tabu. Dort befinden sich die Armenviertel. Ein Ausflug dorthin wäre gut, um sich ein Gesamtbild von D.C. zu machen, aber leider ist es dort noch immer zu gefährlich.
Smiling Faces, beautiful places: Welcome to South Carolina
Ich brauche ziemlich lange, um Spartanburg auf der Landkarte zu finden. Und ich brauche noch länger, um den Namen ohne einen Knoten in der Zunge richtig auszusprechen. Die vergleichsweise kleine Stadt mit etwa 40.000 Einwohnern liegt im Norden von South Carolina. Zugegeben, ich wäre gerne nach Los Angeles, San Fransisco oder New Orleans geflogen. Aber der Slogan der hiesigen Tourismuszentrale lässt mich hoffen: Smiling Faces, beautiful places. Schon am Flughafen ist meine anfängliche Skepsis verflogen. Mein Gastgeber Tom Colones, Kameramann beim Lokalsender WSPA, empfängt mich mit Süßigkeiten, die für die nächsten drei Monate reichen werden. Seine deutschen Lieblingswörter sind „wunderbar” und „Jawohl“. Nur mit „Apfelstrudel“ habe er noch Probleme, erzählt mir Tom auf dem Weg zum Hotel. Das sssccchh klingt noch nicht so wie er es gerne möchte. Wir haben eine Woche Zeit, um das hinzukriegen.
Wir sind auf dem Weg zu seinem Sender. WSPA wird in drei Bundesstaaten ausgestrahlt und hat täglich etwa 100.000 Zuschauer. Das Team ist überschaubar. Etwa 80 Mitarbeiter produzieren täglich vier Nachrichtensendungen. Egal welches Büro oder welchen Schnittraum wir bei WSPA betreten, überall werde ich freundlich und herzlich empfangen. Um so mehr als Toms Kollegen erfahren, dass ich aus Deutschland komme. „Wow, that’s so cool…“. Dass Deutsche sehr gerne Bratwurst essen, ist allerdings das einzige, was die meisten Kollegen über Deutschland wissen.
Die Pizzen stehen gerade mal fünf Minuten auf dem Tisch, als Elisabeth einen Anruf bekommt. Ein Leichenfund in der Nähe eines Schulgeländes. Die Redaktion will einen Aufsager. Aus dem gemütlichen Abendessen beim Italiener wird eine Pizza-to-go-Pause. Elisabeth ist 30 Jahre alt und seit 2 Jahren bei WSPA. Ihr Kollege Kris prüft noch schnell die Kamera. Zu dritt sind wir auf dem Weg nach Norden. Zwei Stunden Fahrt liegen vor uns. Gegen Mitternacht haben wir unser Ziel erreicht. Es liegt in the middle of nowhere. Diese Straße in einem einsamen Waldstück erinnert mich an den Film Blair Witch Project. Bei der Vorstellung, dass hier vor wenigen Stunden noch eine Leiche lag, wird mir mulmig. Die Polizei hat die Leiche mittlerweile schon weggebracht. Ihre Informationen hat Elisabeth trotzdem. Sie kennt den Polizeichef persönlich. Schnell legt sie im Ü-Wagen noch ein bisschen Make up auf, stellt sich in das Licht der Autoscheinwerfer und legt los. In einsdreißig erklärt Elisabeth, dass noch nicht klar sei, wer der Tote war und wie die Person ums Leben kam. Aber zumindest wissen die Zuschauer von WSPA jetzt über den Leichenfund Bescheid.
Am nächsten Tag im Studio treffe ich Moderatorin Amy Wood. Seit 20 Jahren ist sie das Gesicht von WSPA. Von ihr erfahre ich, dass viele neue technische Möglichkeiten hier schon seit Jahren genutzt werden. Dazu zählen Twitter, Myspace, blogs, Skype und Facebook. Zuschauer haben die Möglichkeit sich innerhalb von wenigen Minuten interaktiv an jeder Sendung zu beteiligen. Und dennoch: WSPA produziert Fernsehen auf sparsamen Niveau. Mein Gastgeber Tom arbeitet nicht nur als Kameramann, sondern auch als Cutter, Tonmann und Techniker des Übertragungswagens. Während seine Kollegen in der Morgenkonferenz über die Themen des Tages diskutieren, übernimmt Tom ganz selbstverständlich den Telefondienst und beantwortet freundlich eine Zuschauerfrage nach der anderen. Mit seinen 55 Jahren, sagt Tom, gehört er hier zum alten Eisen. Viele Redakteure und Reporter sind gerade mal Mitte Zwanzig. WSPA sei ein guter Einstieg, nach etwa fünf Jahren arbeiten die meisten aber für größere Sender, erzählt Tom. Er möchte definitiv bleiben.
Mit seiner Kollegin Dianne Derby fährt Tom mehrmals pro Woche raus, um Zuschauern aus der Patsche zu helfen. “Problem Solver“ nennt sich ihre Rubrik. Stress mit einem Kabelanbieter? Kaputte Waschmaschine und keine Reparatur trotz Garantie? Für viele Einwohner ist Dianne so etwas wie die gute Fee von Spartanburg. Sie setzt sich mit den vermeintlichen Übeltätern (Firmen, Arbeitgeber usw.) in Verbindung und sucht nach einer Lösung. Während unserer Mittagspause bei Wendys klopfen ihr Zuschauer dankbar auf die Schulter. Emotionale Story, schneller Dreh, schnelle Schnitte und die Beitragslänge auf maximal zwei Minuten kürzen — für mich etwas gewöhnungsbedürftig, aber deshalb nicht unbedingt schlechter.
Nachdem ich mich mit der automatischen Gangschaltung meines Mietwagens angefreundet habe, fahren Tom und ich nach Atlanta. Er hat einige Jahre in der Navy gedient. Es sei für ihn die beste Möglichkeit seinen Beitrag zu einer funktionierenden Demokratie zu leisten, sagt er. Die Frage, ob er McCain gewählt habe, scheint mir überflüssig. Tom beantwortet sie von selbst: McCain war in der Navy, also habe er ihn gewählt. Was er von Obama halte, möchte ich wissen. Ohne Zweifel ein intelligenter Mann, der einen guten Job macht, findet Tom. Kaum ein kritisches Wort über Amerikas neuen Präsidenten. Ich glaube so etwas nennt man gemäßigt konservativ. In Atlanta angekommen besichtigen wir das Geburtshaus von Martin Luther King. Hier erfahre ich, dass Martin Luther King eigentlich Michael Luther King hieß. Der Name Michael steht in seiner Geburtsurkunde und wurde offiziell nie geändert. Den Namen Martin hat ihm sein Vater erst viel später gegeben, zu Ehren des Reformators Martin Luther.
Am nächsten Tag fahren wir nach Charleston. Lange Zeit war Charleston DIE Metropole in South Carolina. Nach wenigen Minuten bin ich verzaubert. In jeder Straße stehen unglaublich schöne Villen aus insgesamt drei Jahrhunderten. Die Zeit ist hier stehen geblieben. Genau deshalb wurden in Charleston Filme wie “Vom Winde verweht“ und “Fackeln im Sturm“ gedreht. Auf dem Rückweg übernehme ich das Steuer. An der ersten Kreuzung in Spartanburg passiert es. Ich möchte kuppeln und trete bei Tempo 70 auf die Bremse. Wie gut, dass die Strassen in Spartanburg gegen Mitternacht so gut wie leer gefegt sind. Kein Crash. Aber Tom wird mich so schnell nicht vergessen. I’m very sorry about that!
New York City
Keine Frage, New York ist großartig, aber auch wahnsinnig anstrengend und laut. Eine vollkommen andere Welt, in der man selten den Horizont sieht. Während unserer Audiotour rund um Ground Zero sind die Bilder von den einstürzenden Türmem sofort wieder da. Im Erinnerungszentrum hängen Fotos der Verstorbenen: Schnappschüsse, Hochzeitsfotos und Familienporträts. Es ist bedrückend in diese lächelnden Gesichter zu sehen. Nach dem Rundgang brauchen wir alle eine Pause.
An unserem freien Sonntag zieht es uns nach Harlem. Wir besuchen einen Gospel Gottesdienst. Der Gesang des Chors und der Gemeinde geht unter die Haut. Es wird geklatscht, mit der Hüfte gewippt und sogar gelacht — ganze 3 Stunden lang. Wir klatschen mit, aber dann wird es beängstigend. Nicht wegen des Predigers, der mit glänzender Rhetorik und lauter Stimme seine Gemeinde zum Nachdenken auffordert, sondern aufgrund der Reaktionen. Gleich zwei Frauen brechen während des Gebets zusammen. Sie sind wie im Trance und müssen von anderen Chorsängerinnen beruhigt werden. Irgendwie bin ich froh wenige Minuten später mit meinen RIAS-Fellows wieder in Richtung U-Bahn zu laufen.
In meiner Erinnerung bleiben auch unser Spaziergang über das heilige Parkett des Stock Market Exchange und unsere Führung durch die Hallen von Bloomberg TV. Eine Institution im Nachrichten- und Wirtschaftsjournalismus. Das Gebäude ist beeindruckend und erschreckend zu gleich: gläserne Büros, mittendrin ein Teich mit einem Dutzend Kois und eine sterile Kantine mit kostenfreien Snacks. Die Unternehmensphilosophie, die dahinter steckt, wird erst beim zweiten Blick klar. Absolute Transparenz und damit Kontrolle der Mitarbeiter, möglichst kurze Pausen und wenn’s geht dann bitteschön in der Firma. Sonst geht zu viel Arbeitszeit verloren. Und: “no photos because of security issues“ Wie jetzt?! Transparenz und keine Fotos?! Jon erklärt uns, dass jeder Mitarbeiter, der Bloomberg TV verlässt, als verbrannt gilt. Rückkehr au sgeschlossen.
Äußerst abwechslungsreich zum offiziellen Teil des Programms ist das Treffen mit Schülern von der High School Hoboken in New Jersey. Neben Mode, Schulkriminalität, Studiengebühren und Zukunftswünschen sprechen wir auch über Obama. Neu für mich ist die Ansicht, dass Barack Obama sehr kommunistisch sei. So vertritt ein Schüler die Auffassung, dass jeder für seine Krankenversicherung arbeiten soll und nicht einfach Anspruch darauf haben dürfte. Das sei kommunistisch und für die amerikanische Gesellschaft sehr gefährlich. Was wohl unser neuer Gesundheitsminister Rösler dazu sagen würde?!
Von New York nach Worpswede
Es ist unglaublich, wie viel ich während meiner RIAS-Zeit erlebt, gesehen und gemacht habe. Viel Zeit, um alle Eindrücke zu verarbeiten, bleibt mir nicht. Einen Tag nach meiner Ankunft drehe ich mit meinem Kamerateam im kleinen Künstlerdorf Worpswede östlich von Bremen. Was für ein Kontrast zum Big Apple!!! Wie es denn war, werde ich von meinen Kollegen gefragt. Wie soll man das bloß alles in wenigen Sätzen zusammenfassen?! Es war einfach fantastisch! Ich durfte mit einer tollen Gruppe die besten Wochen des Jahres 2009 teilen. Uns wurden so viele Türen geöffnet, die einem als Touristen definitiv verschlossen geblieben wären. Neben großartigen Terminen waren es auch die Gespräche außerhalb des offiziellen Programms, die meinen Blick auf Amerika zwar nicht wesentlich verändert, aber dennoch geschärft haben.
Verändert hat sich aber meine Wertschätzung vieler Dinge, die wir in Deutschland für selbstverständlich hinnehmen. Dazu zählt vor allem unser soziales Netz und die Tatsache krankenversichert zu sein. Es ist ein Privileg sich hierzulande Ärzte selber aussuchen zu dürfen, während 40 Millionen Amerikaner im Ernstfall Haus und Hof verkaufen müssen, um sich eine Operation überhaupt leisten zu können. Beneidenswert ist allerdings die positive Grundeinstellung der Amerikaner. Egal wie groß die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme in den USA auch sind, der Can-do-Spirit ist auch ein Jahr nach Obamas Wahl geblieben. Er ist geschrumpft, aber er ist noch da!
Übrigens, “dress nicely“ ist für die meisten Termine tatsächlich angebracht. Dress smart ist aber genauso wichtig! Bequeme Schuhe sind ein absolutes Muss. Die Wege zwischen den einzelnen Terminen werden nämlich sehr sportlich zurückgelegt. Um mit Jon Schritt zu halten, habe ich während der RIAS-Zeit meinen persönlichen Rekord im Ignorieren roter Fußgängerampeln aufgestellt.
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Katrin Ruhl, ZDF, Mainz
Auf den Spuren von Katrina
Das Wasser reicht bis zum Horizont. Unter meinen Füßen erstreckt sich eine riesige, braune Fläche, nur getrennt durch eine endlos erscheinende Brücke in der Ferne: Landeanflug auf New Orleans über den Lake Pontchartrain. Und mit diesem einen Blick wird mir klar, warum es das Wasser ist, mit dem kilometergroßen See auf der einen und dem Mississippi auf der anderen Seite, das für das Schicksal dieser Stadt schon immer verantwortlich war und noch heute ist.
Eine Woche im Big Easy. So viel hatte ich im Vorfeld dieser Reise von der Stadt am Golf von Mexiko gehört: von der Lebensfreude, von der Musik, der spannenden Geschichte und immer wieder von den massiven Problemen, verursacht durch Hurrikan Katrina. Jetzt hatte ich die Gelegenheit, mir bei meiner Station-Week mein eigenes Bild zu machen. Und nach einem intensiven, aber leider viel zu kurzen Aufenthalt steht für mich fest: Diese Stadt und ihre Menschen haben mich ungemein fasziniert und begeistert.
Besonders beeindruckend war es für mich, mit welcher Kraft und gemeinsamen Anstrengung die Bewohner versuchen, die schrecklichen Erlebnisse durch Hurrikan Katrina hinter sich zu lassen. Aber mir wurde auch klar, wie sehr dieser Jahrhundertsturm, der Ende August 2005 weite Teile der Stadt verwüstet und rund 1800 Menschen das Leben gekostet hatte, den Alltag der Menschen auch noch vier Jahre nach der Katastrophe prägt.
Zum Beispiel beim Besuch in der Benjamin Franklin Highschool: Die Schule stand nach dem Sturm komplett unter Wasser, noch immer sind nicht alle Gebäude der Schule so gut in Schuss wie vor dem Sturm. Viele der Kinder dort haben die Katastrophe miterlebt.
Eine Schülerin berichtet mir, wie sie nach Katrina wochenlang in einem anderen Bundesstaat zur Schule gehen musste, zusammen mit wildfremden Kindern, teilweise stigmatisiert, weil sie aus einem armen Stadtteil von New Orleans stammte. Der Hurrikan hat ihr Elternhaus komplett zerstört und mit ihm alle Fotos aus ihrer Kindheit. Trotzdem wirkt die 16-Jährige fröhlich, geht gerne auf ihre Schule. Beeindruckend auch die Geschichte eines anderen Mädchens: Sein Vater hatte nach der Überschwemmung tagelang im Superdome gearbeitet und versucht, die Technik des Gebäudes so gut es ging am Laufen zu halten. Ein Mann, der einfach seine Arbeit tat, inmitten von Tausenden von Menschen, Trauer, Tod, Vergewaltigungen und unvorstellbaren hygienischen Bedingungen. Auf die Frage, wie er das verkraftet habe, antwortet das Mädchen nicht ohne Stolz: „Er war früher Marine, da weiß er, wie man mit so was umgehen muss“.
Wie aber soll man tatsächlich damit umgehen, frage ich mich, wenn von jetzt auf gleich das Zuhause zerstört ist, Angehörige und Freunde verschwunden oder gestorben sind und viele Erinnerungen von den Fluten einfach fortgespült wurden?
Leicht sei das nicht, berichtet mir Dr. Frannie Kronenberg. Auch die Ärztin hat ihre ganz persönliche Geschichte. Sie arbeitete im Krankenhaus, als der Sturm die Stadt heimsuchte. Tagelang konnte sie nicht weg, während ihre Familie weit entfernt bei Freunden Zuflucht gefunden hatte. „Viele Menschen hier leiden noch immer unter post-traumatischen Belastungsstörungen, viele brauchen Hilfe, nicht alle nehmen sie an,“ erzählt mir Frannie. In ihrer Familie war sie die einzige, die den Sturm und seine Folgen vor Ort miterlebt hatte: Für ihren Mann sei es noch immer schwierig zu verstehen, wie es ihr damals ergangen ist: „Er war ja nicht dabei.“
Nicht nur in den Seelen der Menschen, auch im Stadtbild ist die Zerstörung überall sichtbar: Noch immer stehen viele Häuser leer. An einigen prangt noch immer ein schwarzes X: Zeichen dafür, dass das Gebäude von den Sicherheitskräften nach dem Sturm nach Überlebenden durchsucht wurde. In vielen dieser Häuser, so berichtet mir meine Gastgeberin Jennifer Hale, fanden sie aber nur noch Leichen.
Oder beim Besuch der Station des Public Broadcasting Service, PBS: Die Mitarbeiter von WYES senden noch immer aus dem Gebäude, in dem den Menschen das Wasser nach Katrina regelrecht bis zum Hals stand. Unzählige Archivbänder wurden damals zerstört, das Equipment völlig verschlammt, monatelang war an Arbeiten nicht zu denken. Erst der unermüdliche Einsatz der Mitarbeiter brachte den Sender wieder zurück. Die Arbeitsbedingungen sind für deutsche Verhältnisse fast unvorstellbar. Nie hätte ich gedacht, dass es im Land der unbegrenzten Möglichkeiten Journalisten gibt, die in solch einer „Bruchbude“ arbeiten müssen: Löcher in den Decken, überall verschimmelte Ecken und das Equipment teilweise Jahrzehnte alt.
Auch im Sender meiner Gastgeberin Jen sind die Auswirkungen des Hurrikans deutlich spürbar. Kein Tag vergeht, an dem das Team nicht irgendwie über die Folgen des Sturms berichtet: über den umstrittenen Besuch von Bürgermeister Nagin in Kuba, bei dem er sich über die kubanischen Notfallpläne informiert; über den Bau von neuen Dämmen oder über gesundheitsschädliche chinesische Trockenwände, die in die zerstörten Häuser eingebaut wurden. Der Sender selbst hat sich vom Sturm gut erholt: Das Gebäude ist renoviert, nach zwei Monaten Sendepause war FOX8 schon kurz nach Katrina wieder zu empfangen. Seit einigen Monaten gehört die Station zudem dem Besitzer des örtlichen NFL-Footballteams. Mit Geld und neuem Personal will er den Sender jetzt ganz nach oben bringen.
Das Programm, das mir Jennifer zusammengestellt hat, beinhaltet aber zum Glück nicht nur die Aufarbeitung einer der größten Katastrophen der Stadt, es zeigt mir auch die schönen Seiten von New Orleans. Gemeinsam lassen wir uns beispielsweise in einer Rum-Destillerie erklären, wie der berühmte „Old New Orleans Rum“ hergestellt wird, Kostprobe inklusive. Und bei meiner persönlichen Tour durch den Hafen erfahre ich, dass der „Port of New Orleans“ trotz Rezession und Hurrikan noch immer ein Global Player ist.
Das Herz der Stadt ist und bleibt das French Quarter, das durch den Sturm übrigens kaum in Mitleidenschaft gezogen wurde, weil es auf dem höchsten Punkt oberhalb des Meeresspiegels liegt.
Hier ist die Katastrophe ganz weit weg. Hier zeigt New Orleans das Gesicht, wofür es in der ganzen Welt berühmt ist. Dann pulsiert das Leben im French Quarter: Auf der Bourbon-Street reiht sich eine Kneipe an die nächste. Um die Ecke, in der Royalstreet mit ihren kleinen Geschäften und Galerien fühlt man sich tatsächlich ein bisschen wie in Frankreich. Und dann ist da natürlich noch die Musik: Stundenlang hätte ich auf dem Platz vor der Kathedrale sitzen können, um den Musikern dort bei ihren spontanen Konzerten zuzuhören. Nie vergessen werde ich das Jazz-Konzert in der „Preservation Hall“, das mir gleich am ersten Abend so viel vom Leben in dieser Stadt erzählt hat.
In solchen Momenten merke ich, warum die Menschen auch nach der Katastrophe in der Stadt geblieben sind, warum viele von ihnen — wenn auch nicht alle — wieder kamen. Ich verstehe, warum die Menschen sagen, dass sie diese Stadt lieben und warum viele mit Stolz betonen, dass sie in New Orleans geboren und aufgewachsen sind. New Orleans, ich werde wieder kommen.
Drei U.S -Städte in drei Wochen, gemeinsam mit zwölf wildfremden Menschen: Selten habe ich eine so intensive Zeit erlebt wie die mit dem RIAS USA-Programm. Wir haben viele interessante Menschen getroffen, besonders in Erinnerung wird mir dabei das Gespräch mit David Harris vom American Jewish Comitee bleiben, der uns so eindrücklich seine Kindheit als Sohn von Holocaustüberlebenden schilderte.
Und wir haben viel gelernt darüber, wie dieses Land „tickt“, und vor allem wie gespalten die Gesellschaft und die Medien sind, allen Bemühungen von Präsident Obama zum Trotz. Immer wieder wurden mir die Gegensätze zwischen Republikanern und Demokraten bewusst: Beim Besuch der TV-Sender MSNBC und FOXnews etwa, die beide für sich proklamieren „fair and balanced“ zu sein und doch beide so parteiisch sind, dass es einem manchmal fast die Sprache verschlägt; beim Treffen mit Vertretern der beiden think tanks, Heritage und Brookings, oder einfach im persönlichen Gespräch mit den Amerikanern.
Drei Wochen, von denen ich keine Sekunde missen möchte.
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Selma Üsük, Hessischer Rundfunk, Frankfurt.
Drei Wochen USA, darauf freue ich mich schon lange! Auf dem Reiseplan stehen unter anderem Washington, New York und Provo. Ja, Provo! Drittgrößte Stadt (klingt groß, ist es aber nicht!) von Utah. 40 Autominuten etwa von Salt Lake City entfernt. 63% der Bewohner sind Mormonen. Das soll also meine Station Week sein?! Hier soll ich eine ganze Woche alleine verbringen? Na gut, ich sehe das jetzt mal positiv. Irgendwas werden sich die Organisatoren schon dabei gedacht haben…und ich kann es nicht glauben, aber im Nachhinein war der Aufenthalt in Provo eine der schönsten USA-Erfahrungen.
Provo, der Nabel der Welt
Provo ist winzig, trotzdem verfahre ich mich ständig. Zum Glück habe ich in meinem Mietauto ein GPS. Ohne würde ich wahrscheinlich heute noch in Provo herumirren. Erstes Ziel in Provo — mein Hotel. Es gefällt mir gut, es ist groß und ich kann mich hier auf jeden Fall heimisch fühlen. Der Blick aus dem Hotelfenster ist atemberaubend. Eine Bergkette direkt vor meinem Hotel. Wow, das ist wirklich beeindruckend. Überall Natur, Hügel, Berge mit Schneekuppe. Und an den Bäumen hängen bunte Blätter. Ich bin nun wirklich kein übertriebener Natur-Freak, aber das lässt einen einfach nur noch staunen.
Mein Host in Provo heißt Dale und arbeitet als Professor an der Brigham Young University. Gleich am Anreisetag meldet er sich bei mir und bietet mir an ihn und seine Familie zu treffen. Na, das nenn ich mal gastfreundlich. Ich willige ein und lerne drei sehr freundliche Menschen kennen. Seine Frau ist Radio/TV Moderatorin beim lokalen Sender. Sein Sohn ist 14 Jahre alt, aber alles andere als ein aufmüpfiger Teenager. Der ältere Sohn befindet sich auf Missionsreise in Italien. Nach einer herzlichen Begrüßung kommen wir schnell ins Gespräch und stellen auch gleich eine kulturelle Gemeinsamkeit fest: Türken und Mormonen lieben Kinder und haben deshalb auch ganz viele davon!
„Einfahrt und Ausfahrt“-die Brücke der Verständigung
Am nächsten Tag bin ich mit Dale zum Frühstück verabredet. Er bringt zwei Uni-Kollegen mit und wir gehen in ein nettes Cafe auf dem Campus. Es ist 7 Uhr morgens, anscheinend stehen die Mormonen gerne sehr früh auf. Schnell entwickelt sich ein nettes Gespräch. Hauptsächlich reden wir über die Mormonen, über deren Glauben und Lebensgewohnheiten. Natürlich sind die drei Herren auch sehr neugierig und wollen mehr über Deutschland erfahren. Mein Host Dale war sogar schon mal in Deutschland. „Einfahrt und Ausfahrt“ zischt es plötzlich aus ihm heraus. Ich fange an zu lachen. Das ist also von seiner Deutschlandreise hängen geblieben. Halt, nein! Da ist noch mehr. Dale erwähnt, dass ihm aufgefallen sei, dass viele deutsche Frauen Achselhaare hätten. Das findet er schockierend. Hm, da sitze ich nun morgens um 7 Uhr mitten in Provo unterhalte mich mit drei fremden Männern über die Achselbehaarung von deutschen Frauen. Der Tag kann nicht besser werden.
35 Sekunden Reportage sind mehr als genug
Als Job-Shadow darf ich einen Radioreporter des Senders KSL begleiten. Wir treffen uns um 9 Uhr morgens in der Redaktion. Er hatte Frühschicht und kurz vor Feierabend muss er noch schnell eine Story machen. Sein Auftrag: In Provo wurde ein kleiner Junge von einem Nachbarshund angefallen und gebissen. Das soll der Aufmacher in der Mittagssendung sein. Wir fahren los und sind wenig später am Haus des Opfers. Die Mutter des kleinen Jungen öffnet die Tür und zack geht es auch schon los mit dem Interview: Wie geht es dem Jungen? Ist er schon wieder in der Schule? Wie tief sitzt der Schock etc. Nach 5 Minuten ist das Interview beendet. Jetzt holt er noch schnell den Fotoapparat raus und macht ein paar Bilder von der besorgten Mutter mit der Kaffeetasse in der Hand. Danach begibt sich der Reporter in sein mobiles Studio: Sein Auto. Er packt sein Laptop aus und schneidet die Töne. Kein Ton ist länger als 5 Sekunden und das hat auch einen bestimmten Grund. Die Gesamtlänge des Beitrags wird lediglich 35 Sekunden betragen. Das geht nicht? Doch das funktioniert! Stolze 7 unterschiedliche Versionen bastelt der Reporter aus seinem 35-Sekunden-Beitrag, schreibt einen Text für die Homepage, bastelt eine Collage aus den Interviewtönen und bearbeitet die Fotos. Alles wird mit einem Klick abgeschickt. Der Sender ist versorgt und die Mittagssendung gerettet. Ich bin beeindruckt! „Das ist wirklich viel, was du da machen musst“, sage ich. Er lächelt und antwortet: „They´re never satisfied“. Wir Reporter, egal ob Deutschland oder USA, teilen offenbar dasselbe Schicksal.
I´ll be back
Drei sehr intensive Wochen in USA liegen hinter mir und ich möchte mich sehr herzlich bei der Rias Berlin Kommisson dafür bedanken. Es war eine großartige Zeit. Vor allem meine Station Week in Provo-Utah war wirklich sehr prägend. Meinen Host habe ich schon vorgewarnt … ich werde wiederkommen. Danke für alles!