3-wöchige USA-Journalistenprogramme 2017
Frühjahr und Herbst
RIAS USA-Frühjahrsprogramm
23. März – 10. April 2015
Elf deutsche Journalisten in den USA: Organisiertes Programm in Washington D.C. sowie für alle Teilnehmer jeweils ein individuelles Praktikum in einer amerikanischen Rundfunk- oder Fernsehstation, Abschlusswoche in New York.
TEILNEHMERBERICHTE
Arndt Brorsen, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Der RIAS-Tierführer — Edition USA-Programm Frühjahr 2015
Schlange, die:
Erste Sichtung gleich bei der Einreise. Am Flughafen wartet das größte Exemplar — bei der Pass-, Augen-, Finger- und Reiseabsichten-Kontrolle….Die Schlange tritt aber auch in fast jedem anderen Bereich auf, der sicherheitsrelevant oder hoch touristisch ist: Bei den NBC-Studios im Rockefeller-Center, im Empire State Building, bei den CNN-Besichtigungstouren in Atlanta, vor dem National-Archives-Museum in Washington und überraschend auch vor den Kassen großer Öko-Supermärkte.
Besonderes Kennzeichen: Ist geduldig, weil ans Prozedere gewöhnt.
Zugpferd, das:
Heißt Jon, Jason oder Chuck. Das Zugpferd führt seine ihm Anvertrauten sicheren Schrittes durch jedes erdenkliche unwegsame Gelände. Zielgenau und (meistens) zeitgenau werden ganze Gruppen durch den Großstadtdschungel geleitet. Jedes Individuum hat eigene Stärken und Verbreitungsgebiete, gemeinsam ist ihnen aber eines: Jon (anzutreffen in DC und NY), Jason und Chuck (beide Lebensraum Atlanta) organisieren ganze Tage zuverlässig und spicken sie mit hoch interessanten Terminen.
Besonderes Kennzeichen: Engagiert, nervenstark und ungeheuer gastfreundlich.
Schafft es immer wieder, sich neu zu erfinden. Das Chamäleon gibt es in verschiedenen Variationen. Besonders beeindruckend ist das New-York-Times-Chamäleon: Einst als reine Printvariante gestartet, ist es inzwischen multimedial unterwegs und gräbt sogar klassischen elektronischen Vertretern das Wasser ab. Aber auch andere wie das WAMU-Chamäleon, das NPR-Chamäleon oder das New Yorker CNN-Chamäleon haben die Zeichen der Zeit erkannt und sich der neuen Umgebung hervorragend angepasst. Im Vergleich mit ihren mitteleuropäischen Verwandten sind die in den USA vorkommenden Chamäleons oft einen Entwicklungsschritt voraus.
Besonderes Kennzeichen: Neugierig, zukunftsorientiert und extrem wandlungsfähig.
Wachhund, der:
Oft gemeinsam mit Schlangen anzutreffen und fast immer Anlass für ihr Auftreten. Der Wachhund zeichnet sich durch einen scharfen Blick, breitbeiniges Stehen und Kompromisslosigkeit aus. Hält sich bevorzugt an Eingängen wichtiger Gebäude, in Polizeiautos und hinter den Security Desks größerer TV-Sender auf. Achtet unter anderem darauf, dass keine verdächtigen Personen zum Beispiel dem Weißen Haus zu nahe kommen oder dass nur streng überprüfte Mitarbeiter die Redaktionen von CNN und NBC betreten….
Besonderes Kennzeichen: Trägt bei jedem Wetter Sonnenbrille.
Falke, der:
Gibt es in verschiedenen Unterarten. Gesichtet wurde unter anderem der Heritage-Foundation-Falke. Er steht für ein konservatives Weltbild, das er auch gegen streitlustige, ausländische Journalisten hartnäckig verteidigt. Der Heritage-Foundation-Falke lebt von Zuwendungen anderer und baut ständig an seinem Netzwerk. Er hat sich dem Ziel verschrieben, seinen Lebensraum vor äußeren Einflüssen weitgehend zu bewahren.
Besonderes Kennzeichen: Auch Jungtiere sehen bereits ziemlich alt aus
Faultier, das:
Soll vorkommen, wurde aber nicht angetroffen. Das Faultier ist zwar nicht vom Aussterben bedroht, gilt jedoch angesichts des weit verbreiteten Mottos „Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“ als extrem selten.
Besonderes Kennzeichen: Heimlich und scheu — auch gegenüber ausländischen Gästen.
Paradiesvogel, der:
Ist bunt, schräg und unkonventionell. Der Paradiesvogel ist am einfachsten in Alexandria, Virginia zu beobachten. Dort versteckt sich die Art mit dem Spitznamen „Motley Fool“ hinter unscheinbarem Mauerwerk und praktiziert eigentümlichen Finanz-Journalismus. Trotz seines eher „trockenen“ Tätigkeitsbereiches zeigt sich der Paradiesvogel als sehr kreativ, innovativ und unterhaltsam.
Besonderes Kennzeichen: Untypischer Vertreter seiner Gattung — schlägt sozusagen aus der Art.
Bengalischer Tiger, der:
Aus Südost-Asien eingewandert. Der Bengalische Tiger (auch Bangladesch-Tiger genannt) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Artgenossen möglichst gut auf den neuen Lebensraum vorzubereiten. Ausgeprägt sind sein großes Sendungsbewusstsein, Erfindungsreichtum und Hartnäckigkeit. Bevorzugt offenbar patriarchalische Strukturen. Der Bangladesch-Tiger überrascht fremde Besucher gern mit spontanen Live-Talkshows im hauseigenen Sender Time Television.
Besonderes Kennzeichen: Singt gerne.
Nachteule, die:
Tritt meist in 11er-Gruppen auf, gelegentlich auch in kleineren Trupps. Die Nachteule zeichnet sich durch ein geringes Schlafbedürfnis, großes Stehvermögen und ein gutes Location-Gespür aus. Sie zeigt ein sehr soziales, kommunikatives Verhalten und teilt ihre Erlebnisse gern zu später Stunde mit Artgenossen. Sichtungen u. a. im Shenanigan’s, Old Ebbitt Grill, Lillie’s sowie diversen weiteren Hotspots in Brooklyn, Harlem und D.C.
Besonderes Kennzeichen: Setzt regelmäßig den eigenen Biorhythmus außer Kraft.
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Gudrun Engel, Westdeutscher Rundfunk, Köln
Das Rias-Stipendium: Eine Woche lang Besuche, Hintergrundgespräche, politische Diskussionen in Washington DC — der Zentrale der politischen Macht. Eine Woche Stippvisiten und Gedankenaustausch bei den führenden Medienunternehmen in New York, ein Besuch beim Hauptsitz der Vereinten Nationen. Facettenreich, voll erhellender Momente und interessanter Einblicke — Erkenntnisse die länger nachwirken werden.
Doch ausgerechnet während meiner Station Week, im verschlafenen Indiana, wurde tatsächlich amerikanische Politikgeschichte geschrieben. Die Berichterstattung darüber schwappte sogar bis nach Deutschland. Ein naiv geäußerter Satz schlug ungeahnte Wellen: „Wenn ein schwules Pärchen reinkäme und verlangte, dass wir für ihre Hochzeit Pizzas liefern, würden wir das ablehnen. Wir sind ein christlicher Betrieb,” gab Crystal O´Connor, Mitbesitzerin der kleinen Pizzeria „Memories” in Walkerton zu Protokoll.
Sie wollte damit ein Gesetz des republikanischen Gouveneurs Mike Pence unterstützen, aber löste damit einen ungeahnten Shitstorm und eine politische Lawine in den USA aus. „Religious Freedom Restoration Act” hieß das Gesetz pompös, kurz RFRA. Es erlaubte ausdrücklich, Homosexuelle zu diskriminieren — unter dem Vorwand religiöser Überzeugung. So wie in Walkerton, wo wir nach dem Vorfall mit einer ganzen Armada andere Ü-Wagen und Kamera-Teams die Gehwege der Kleinstadt blockierten — auf der Suche nach noch mehr Schwulenhassern.
Und das mitten in Michiana. So nennen die Einwohner liebevoll die Region im Grenzgebiet zwischen Michigan und Indiana. Mit South Bend als einzig größerer Stadt in der Region. Ich musste den Ort meiner Station Week erst mal googlen. South Bend ist so ganz anders als Washington und New York — und damit bestens geeignet, ein anderes Amerika kennenzulernen: Mittlerer Westen, endlose Felder: Sojabohnen oder Mais, während meines Besuchs recken sich allerdings nur die abgeernteten Stoppeln gen Himmel. Dazwischen ausladende Kleinstädte die an den Rändern auskleckern — Platz genug ist ja da. Landwirtschaft, riesige Ackerflächen, Amish People mit ihren Farmen. Der Glaube spielt hier im Bible Belt eine zentrale Rolle. Gefühlt jedes 5. Haus ist eine Kirche: Menoniten, Metodisten, Protestanten, Katholiken, Freikirchler, Amish, alle heiter durcheinander. Bei öffentlichen Veranstaltungen wird deshalb auch erst einmal gemeinsam gebetet, ganz gleich, ob es die Vorstellung der Kandidatin für die Ordnungsamtsleitung ist, über die ich berichte, oder ein Charity-Treffen für die Gesundheitsvorsorge schwarzer Männer beim Barbour Shop, das ich mit Kamerateam besuche. Und der Glaube ist auch der Grund, warum plötzlich ganz Amerika über Indiana spricht, kaum bin ich angekommen.
Am lautesten kam die Reaktion auf RFRA aus der Wirtschaft: Ein Unternehmen nach dem anderen distanzierte sich von Indiana. Vorstandschefs strichen Geschäftsreisen in den Staat. Nike, Levi Strauss und PayPal kehrten Indiana den Rücken. Solche Gesetze „stehen den Prinzipien entgegen, auf denen unsere Nation gegründet ist,” schrieb der offen schwule Apple-Chef Tim Cook in der Washington Post. „Herr Gouverneur, Sie sind ein A…loch,” postete Popstar Miley Cyrus auf Instagram an Governor Mike Pence gerichtet und Schauspieler Ashton Kucher fragte auf Twitter, ob Indiana auch „Juden verbannen” würde.
Andere Schlagzeilen, als man sie sich hier wünschen würde. Denn in South Bend steht in manchen Straßen jedes 3. Haus zum Verkauf. Die Stadt hat schon mal bessere Zeiten gesehen. Bis in die 60er Jahre hinein baute die Firma Studebaker hier ihre legendären Limousinen. Mein Host C.J. Beutien hat einige Modelle auf seinem Schreibtisch drapiert. Doch der Glanz ist längst vorbei. Die Einwohnerzahl schrumpfte auf weniger als 100.000 Einwohner. Heute arbeiten die meisten Menschen im Dienstleistungssektor — haben Servicejobs oder arbeiten für die katholische Notre Dame University — das Harvard für Katholiken. Mädchen gehen hier übrigens auf das St. Marys Sisters of the Holy Cross College. Dort wohne ich während der Station Week im Gästehaus.
Govenor Pence hatte die Kraft des sozialen Wandels unterschätzt. Noch nie habe er einen politischen Hoffnungsträger so schnell von ganz oben nach ganz unten fallen sehen, bescheinigt mir Medien-Professor Robert Schmul von der katholischen Notre Dame Universität South Bend bei meinem Besuch — eben noch als republikanischer Präsidentschaftskandidat gehandelt, jetzt schon politischer Abschaum.
Pence knickte schließlich ein und wies seine Partei an, das Gesetz zu revidieren. Die Republikaner beharrten zerknirscht darauf, sie seien nur falsch verstanden worden. Leid tut es wohl auch der Pizzeria „Memories”. Die geriet in den sozialen Netzwerken in einen solchen Shitstorm, dass sie erst mal schließen musste. Wir standen während dieser Tage auf der Straße vor der Pizzeria — auf der Suche nach weiteren mehr oder weniger berichtenswerten Details. Das Arbeitspensum der Reporter ist enorm. Meist berichten sie über gleich zwei Themen am Tag — jeweils live und mit einem Reporterfilm. Dabei sind sie oft als One-Man-Band unterwegs. In Deutschland besser bekannt als VJ. Sie recherchieren, drehen, schneiden, texten und vertonen ihre Beiträge alleine. „Quick and dirty,“ ehrlich gesagt sieht man das den Beiträgen auch an. Es geht nicht unbedingt um gut gemachte, relevante Beiträge, sondern um Schnelligkeit und vor allem um die perfekte Präsentation. Ihre Arbeitsbedingungen aus deutscher, öffentlich-rechtlicher Sicht alles andere als gut. Ein Einstiegsgehalt von knapp 30.000 Dollar im Jahr und zwei Wochen Jahresurlaub sind hier die Regel. Die Hoffnung lautet: Von einem Lokalsender im Land zu einem größeren Lokalsender irgendwo anders in den USA und dann mit etwas Glück zu einem der großen Networks. Der Weg ist entbehrungsreich, Einsatz und Flexibilität selbstverständlich.
Das amerikanische Fernsehgeschäft tickt anders als in Deutschland! Weather, traffic, crime bestimmen vor allem das Programm, bewegen offenbar die Massen zum Einschalten. Quote ist alles! Dazu jede Menge Werbung, die das Ganze finanziert. Was den Einsatz von Sozialen Medien im Nachrichtengeschäft betrifft, hängen wir im Vergleich meilenweit zurück. Was journalistische Berichterstattungsstandards betrifft, sind wir für mein Empfinden häufig deutlich voraus. Trotz des unterschiedlichen Selbstverständnis der Medien-Welten in den USA und Deutschland – die Herausforderungen sind für uns alle gleich: Wie erreiche ich in einem digitalen Zeitalter mein Publikum. Dabei scheinen die Medienmacher in den USA Social-Media deutlich stärker zu nutzen als wir in Deutschland: Ein Twitter- und Facebook-Account gehören für Journalisten, insbesondere für Reporter, zum Standard, um auf Geschichten hinzuweisen und um sie auf verschiedenen Kanälen auszuspielen. In der Konsequenz haben die deutschen Gruppenteilnehmer jetzt Snapchat auf ihren Handys.
Diese Erkenntnis und einiges mehr nehme ich aus den drei Wochen RIAS mit. Diese abwechslungsreiche Reise hat mich persönlich bereichert, mein Weltbild ergänzt, mich an Orte gebracht, die ich ohne RIAS nicht zu Gesicht bekommen hätte. Ich bin auf offene und interessierte Menschen mit einer großen Willkommenskultur gestoßen. Und ich habe die Widersprüche gespürt, die dieses Land faszinierend machen. Das Programm in seiner Gesamtheit hat mir ermöglicht, ein differenzierteres Bild von Amerika und seiner Gesellschaft zu bekommen. Vielen Dank an RIAS für drei intensive Wochen in den USA.
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Daniel Johé, Mitteldeutscher Rundfunk, Leipzig
Quotendruck — und die Erkenntnis: „Americans love catastrophes“
Washington D.C. Wir treffen eine U.S.-Journalistin, die für ihren Beruf brennt. Und die doch zweifelt: „Wir senden, was die Leute sehen wollen — und nicht, was sie sehen sollten,“ erzählt sie — die extrem offene, aufgedrehte und zugleich reflektierte TV-Reporterin eines Washingtoner Lokalsenders, die alle Höhen und Tiefen des Washingtoner TV- und Politbusiness kennt. Und sie bringt auf den Punkt, was wir noch in vielen Redaktionen feststellen werden. In den USA ist TV-Journalismus vor allem eines — ein Geschäft. Ein Business, das Profit abwerfen muss. Und: „Die Amerikaner lieben Katastrophen.“ Diesen Satz hören wir von vielen Fernsehmachern. Die Folge: Eine viel stärkere Quotenfixierung im Nachrichtengeschäft als das in Deutschland üblich ist, zumindest viel stärker als bei den Öffentlich-Rechtlichen. Der Zuschauer soll nicht so sehr „erzogen“ oder gebildet oder paritätisch aus jeder Region informiert werden. Nein, er soll vor allem eines: einschalten — und dranbleiben. Ich stelle fest: Boulevard, Crime und Politik sind häufig gleichwertige Teile ein und derselben Nachrichtensendung. Viel Werbung. Ständige Teaser. „Coming up soon…“ ist einer der häufigsten Moderatorensätze.
Insoweit stimmte das Image, das ich vor der Reise über das U.S.-Fernsehen hatte, mit der Realität überein. Doch es blieben viele Fragen — und je länger die Reise ging, desto nuancenreicher wurde das Bild, über die Medienwelt, aber auch über das politische System.
Die USA: ein politisch gespaltenes Land?
Obama, erzählt uns eine Expertin mit Kontakten in die Regierung, sei zu wenig offen für Ratschläge. Er höre nur auf einige wenige Berater — frustrierend für viele Think Tanks. So habe man den Präsidenten zu Beginn seiner Amtszeit nicht eingeschätzt. Und, ja — Amerika sei politisch tatsächlich gespalten, der Konflikt zwischen Demokraten und Republikanern verhärtet, bestätigt uns jeder, mit dem wir sprechen. Die meisten bedauern den politischen Stillstand — und sagen: Die Schuld liege auf beiden Seiten. Auch Obama trage Verantwortung: „Obama does not know how to strike a deal,“ erzählt eine TV-Reporterin. Statt sich mit der Opposition auf einen Whiskey zu treffen und die Nacht durchzuverhandeln, setze er sich mit einer Diet Coke an den Tisch und sage, er habe nur eine Stunde Zeit. So funktionierten politische Verhandlungen aber nicht. Nur in der konservativen Heritage Foundation findet man die Stagnation im politischen Prozess nicht tragisch — die USA habe nun einmal ein System der „checks and balances“. Und ein Experte der Brookings Institution ergänzt relativierend: Wirkliche Sachpolitik, wirkliche Lösungen für reale Probleme fänden sich ohnehin auf regionaler Ebene, nicht auf Bundesebene. Mein Eindruck: Der Präsident, der „mächtigste Mann der Welt“, ist in den USA weniger mächtig, als wir Deutsche oft denken.
Station Week: Mit dem Helikopter über Vegas
Eben noch in Washington — und jetzt Las Vegas. Eben noch gefroren in der windigen, kalten Hauptstadt — jetzt zeigt mein Smartphone „Paradise“ an als Ortsmarke in der Wetter-App. Lustiger Einfall dieses Telefons. Es sind über 30 Grad, einer der heißesten Frühlingstage, die Las Vegas seit Jahren erlebt hat. Selbst die Locals sind verwundert.
Und so einen Local treffe ich gleich am Abend meiner Ankunft: Meinen „host“, Tom Hawley. Er ist Verkehrsreporter des Lokalsenders „KSNTV News 3“, seit vielen Jahren. Ich lerne ihn an der Bar des in die Jahre gekommenen Excalibur Hotels kennen. Für uns beide ein ungewohnter Ort. Gambling? Nicht sein Ding. Und ich? Mein erster Gedanke, inmitten von Spielautomaten: Las Vegas — das ist doch kein Ort zum Arbeiten! Doch, er ist es sehr wohl — wie sich in den nächsten Tagen zeigen wird. Ich werde sogar um drei Uhr morgens zur Arbeit gehen — aber dafür auch belohnt: Ich darf mit dem Verkehrshubschrauber mitfliegen — über den Strip. Ist das Arbeit? Naja, zumindest für meinen host. Er macht das jeden Morgen, um über Staus und Unfälle zu berichten.
Mein erster Arbeitstag in Vegas: Tom führt mich durch die Redaktion und erzählt, dass KSNTV gerade verkauft wurde. Eben noch gehörte der Sender einem privaten Besitzer. Jetzt, einen Multimillionentransfer später, gehört der Kanal einem großem Medienunternehmen. Schon wieder wird sichtbar: Journalismus ist ein Geschäft. Ein Sender meist Teil eines Unternehmens. Und auch beim Personal erlebe ich eine Umbruchsituation: In der „human resources“ Abteilung sitzt nur noch eine Sekretärin. Die anderen sind schon entlassen worden. Und bald muss auch die verbliebene Kollegin ihren Stuhl räumen, erzählt sie. Ihr Job wird bald von der Konzernzentrale aus erledigt. Doch es gibt auch Neueinstellungen: Ein neuer News Director leitet den Sender, eine neue Chefin der Morgensendung wird vorgestellt — und eine junge Redakteurin steigt zur neuen Social Media Redakteurin auf. Kurz nach ihrer Beförderung schon hat die Kollegin etwas bewegt: Reporter posten nun täglich Teaser-Aufsager auf Facebook. Ein Trend, der sich auch in Deutschland abzeichnet, aber weniger rasant. Überhaupt sind soziale Medien in den USA für Journalisten noch wichtiger als bei uns — als Quelle, vor allem aber als Ausspielweg und Werbeplattform die eigenen Produkte. Selbst kleine U.S.-Sender übertrumpfen die Follower-Zahlen von größeren deutschen Medien, was Facebook angeht, vor allem aber bei Twitter.
Going live – die Stärke der Amerikaner
Doch es ist immer noch „Tag 1“ meiner Station Week: Gerade will ich Feierabend machen — dann höre ich von einem Unfall. Er wird mir exemplarisch zeigen, wie in den USA Nachrichtenfernsehen gemacht wird. Zwar scheint mir der Kern der Tätigkeit eines TV-Journalisten in den USA der gleiche wie in Deutschland zu sein. Aber im Detail sind die Unterschiede groß: „Breaking News“ ist das Stichwort. Viel schneller werden Themen zur Top Story erklärt. Wie dieser Unfall, zu dem ich nun fahre: Ein Crash an einer Bushaltestelle, der Fahrer unter Drogen, zwei Tote, Fahrerflucht. Auch in Deutschland wäre das regional ein Thema. Doch wären das „Breaking News“? In Las Vegas staune ich: Von der Unfallstelle, an der außer Polizisten und einem Absperrband nicht mehr viel zu sehen ist, berichten fünf lokale TV-Sender live. Den ganzen Tag über. Mein Host, der Verkehrsreporter, schwebt über der Szene mit dem Hubschrauber, liefert Luftbilder. Positiv gesprochen: „Going live“ und „creating immediacy“ ist die große Stärke des U.S.-Fernsehen. Jeder Reporter kann schalten. Fast jeder kann es sehr gut. Mit ihrer Coolness und Routine haben mich die Reporter beeindruckt. Und die Live Technik (Live-U-Rucksäcke, Mikrowellen-Übertragungswagen, Sattelitentrucks) ist innerhalb einer Großstadt schnell vor Ort.
In den nächsten Tagen lerne ich noch mehr — zum Beispiel, dass gebaute Beiträge neben den Schalten und Moderationen eher Beiwerk sind. Bei „News 3“ haben sie eine Maximallänge von 1:10min. Geschnitten werden sie meist vom Kameramann. Der ist zugleich Cutter. Einen Ton-Techniker gibt es nicht. „Single-EB“ ist in den USA normal. „Wir haben Glück, dass wir überhaupt noch Kameraleute haben“, sagt eine Reporterin zu mir. Es wird kosteneffizient gesendet — doch es zeigt sich im Alltag auch: Der dritte Mann am Set fehlt häufig. Der Stresspegel steigt. Während wir uns in Sachen Live-Präsentation viel abschauen können von den USA, liegt die Qualität des restlichen Gedrehten und Geschnittenen häufig unter dem, was in Deutschland gesendet wird. Mich beeindruckt, was die Kollegen leisten, wie flexibel sie sind. Und mich beruhigt zugleich zu erkennen, dass Qualität eben nicht kostenlos ist.
New York — wir sehen uns wieder
Last stop: New York. Bedeutet: Besuche bei NBC, CNN, United Nations. Bedeutet aber auch: Endlich Wiedersehen mit der Gruppe, die einfach einmalig war! RIAS — das ist auch ein „innerdeutscher Austausch“. Aber was den Austausch mit den Amerikanern in New York anging, beeindruckte mich am meisten der Besuch beim American Jewish Committee — auch wenn es bedrückend war zu hören, wie besorgt die jüdische Organisation über den weltweit zunehmenden Antisemitismus und Islamismus ist. Zum Nachdenken in journalistischer Hinsicht dagegen brachte mich der Besuch bei der New York Times. Dort trafen wir die Social Media Redakteurin und den Chef der Videoabteilung. Die Botschaft der beiden: „Es geht nicht darum, die jetzige Zielgruppe zu erreichen — sondern die künftige!“ Einen Satz, den ich seither schon öfter zitiert habe in Gesprächen mit Kollegen „zuhause“ im MDR.
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Johannes Jolmes, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
„Warum ist es hier nur so ruhig?“ Großraumbüro heißt bei CNN in Atlanta wirklich Großraumbüro. Knapp 100 Journalisten sitzen vor ungezählten flimmernden Bildschirmen und trotz dieser Menge an Menschen ist es ruhig, fast beunruhigend ruhig. Wo ist die Hektik eines Nachrichtensenders? Nahezu stündlich laufen neue Breaking News über den Ticker, aber die Journalisten bei CNN bleiben… ruhig. Jason und Chuck, zwei wirklich herzensgute RIAS-Fellows, haben sich für die Woche ein umfassendes Programm ausgedacht. Viele Gespräche, aber auch viele Möglichkeiten zum Austausch mit anderen CNN Kollegen. Vor allem das macht die Woche so interessant, denn gerade bei CNN arbeiten so viele Journalisten aus diversen Ländern.
CNN in Atlanta hat eine interessante Produktionsweise. Werden doch fast alle Sendungen aus Atlanta gefahren, obwohl der Moderator meistens in New York oder London im Studio sitzt. Die gesamte Sendung wird per Telefon oder E-Mail koordiniert. Selbst der Student, der den Teleprompter bedient, sitzt nicht in New York oder London, sondern natürlich in Atlanta. Der Grund: In New York müsste der Sender allein wegen der Lebenshaltungskosten höhere Löhne zahlen.
Beeindruckend ist die Routine während der Live-Schalten. Egal ob bei lokalen Sendern oder bei CNN — die Reporter funktionieren live sagenhaft gut und professionell. Nicht ein Hauch von Nervosität ist spürbar, selbst wenn während der Sendung aus London der Teleprompter ausfällt und die Moderatorin cool und lässig ihren Text vom Blackberry aus weiterliest — ohne einmal zu stocken. Ebenfalls beeindruckt hat mich die Kollegin, die in Atlanta 30 Minuten am Straßenrand eines Highways steht und darauf wartet einen 20-sekündigen Aufsager loszuwerden. Faszinierend!
Matt ist quasi die eierlegende Wollmilchsau vom lokalen NBC-Sender 11alive in Atlanta. Er recherchiert, dreht, interviewt, schneidet, vertont, verschickt den Beitrag und hat fünf Minuten vor Sendungsbeginn noch Zeit sich für seinen Live-Auftritt selbst zu schminken. So geht es jeden Tag. Mindestens drei oder vier Beiträge macht er pro Woche. Morgens um 9 Uhr hat er das Thema und abends um 17 Uhr geht der Beitrag auf Sendung.
Beim lokalen NBC-Sender 11alive stoßen Welten aufeinander. Zumindest in Fragen des Umgangs mit Namen und Daten. Wo in Deutschland gestritten wird, ob der Name des Germanwings-Piloten genannt werden soll oder nicht, werden in den USA wie selbstverständlich die vollen Namen von Beschuldigten samt des berühmt-berüchtigten Mugshoots veröffentlicht — vom Lokalsender bis hin zur New York Times. Eine wichtige Information sei das, argumentiert man bei 11alive, als sie ein Foto und den Namen eines mutmaßlichen Vergewaltigers veröffentlichen. Wo ist denn der journalistische Wert den Mann mit Foto und Namen zu zeigen? Er stellt doch keine öffentliche Bedrohung dar, da er in der Untersuchungshaft sitzt. Außerdem handele es sich doch zurzeit erst einmal nur um einen Verdacht, weit entfernt von einer Anklage oder gar einem Prozess. Man würde ja berichten, wenn nicht angeklagt oder freigesprochen werde, so die Argumentation der Kollegen.
Vor allem in New York sitzen die Leute, die sich um die Zukunft des Fernsehens Gedanken machen. „It´s a business,“ sagt uns ein Mitarbeiter von NBC. Man müsse auch immer daran denken, dass das Programm am Ende des Monats genug an Werbeeinnahmen habe. Dennoch gewinnen auch in den USA viele Sender keine neuen Zuschauer, vor allem haben sie Mühe junge Zuschauergruppen zu erreichen. Das Internet ist quasi zum Allheilmittel geworden und deswegen wird uns in vielen bunten Bildchen die Zukunft erklärt. Nur den großen Wurf schaffen viele nicht: CNN verzichtet fast auf Agenturen und versucht über Soziale Medien wie Twitter auf Ereignisse aufmerksam zu werden. Bei 11alive (NBC) versuchen sie nachzufühlen, was den Zuschauer interessiert, in dem sie fast in Echtzeit sehen, was gerade auf ihrer Homepage gut läuft (meistens übrigens: Wetter, Verkehr, Sex & Crime und Hunde). Es sind viele gute Ideen, nur die Lösung hat bislang noch kein Sender gefunden. Das geben die Kollegen auch selbst zu, deswegen probieren sie immer weiter. NPR setzt zum Beispiel auf zehnsekündige Snapchat-Nachrichten, um so junge Zuschauer für ihr Programm zu gewinnen. Viele lokale Fernseh- und Radiostationen versuchen den Kontakt zu ihren Hörern und Zuschauern stärker auszubauen. Die Reporter twittern sehr viel — zum Teil mit Erfolg. Einige Geschichten haben sich daraus ergeben, vor allem findet man durch das Twittern viele Gesprächspartner.
Nur eine Frage wird nicht richtig diskutiert: Was helfen Twitter und Co., wenn nahezu alle Sender über die gleichen Themen mit einem ähnlichem Zungenschlag und nahezu identischen Bildern berichten. Wenn ich bei jedem Sender ungefähr identische Sachen bekommen kann, dann ist der Anreiz gering, ausgerechnet jenen Sender einzuschalten und einen anderen nicht.
Die Video-Abteilung der New York Times versucht da einen anderen Weg zu gehen. Sie bespielt ebenso alle digitalen Kanäle und setzt auch stark auf soziale Medien, aber mit Geschichten, die anders sind. Eigene Geschichten statt Breaking News, Hochglanz statt Schnell-Schnell. So hat es die einstige Zeitung geschafft zum Medienhaus zu werden und auch als Videoportal wahrgenommen zu werden. Präsident Obama — zum Beispiel — gibt bereits den Video-Kollegen Interviews oder die New York Times erhält exklusiven Video-Content gemailt. Vor allem überlegen die Kollegen bei der New York Times, wann sie ihre Geschichten verbreiten und für welches Publikum. Ihr Slogan „Staaten haben Grenzen, Geschichten haben keine“ spiegelt diese Arbeitsweise sehr gut wider.
Und es bleibt am Ende der Reise ein Land, das aus so vielen unterschiedlichen Mentalitäten und Kulturen besteht. Sehr deutlich wurde das bei unserem Besuch bei einem Nischen-Sender. „Bangla-TV“ ein „kleiner“ Sender, der sich ausschließlich an die Menschen richtet, die aus Bangladesch kommen und nun in New York leben. Ein Sender, der genau darauf setzt, was seine Zielgruppe möchte. Viele würden vor allem Hilfe benötigen, wenn sie nach New York kommen, sagt der Chefredakteur des Senders. So gibt es regelmäßig Sendungen mit hohem Nutzwert, aber auch Sendungen, die die gar nicht so kleine Welt der Menschen aus Bangladesch in New York beleuchten: Familienfeste, Entscheidungen der Stadtverwaltungen und Berichte aus der „Heimat“. Oder den Blick einer deutschen Journalistengruppe auf New York, Bangladesch im Besonderen und die Welt im Allgemeinen. Denn auf einmal landete unsere Gruppe in einer Talkshow des Senders. Ohne Vorwarnung, dafür mit viel Spaß.
Am Ende der drei Wochen bleiben viele kleine Geschichten hängen, die zwar kein neues Bild von den USA geschaffen haben, es dafür aber mit vielen neuen Facetten angereichert haben.
Ein politisches System in Washington zum Beispiel, dass sich immer mehr um sich selbst dreht und Kompromisse durch unrealistische Forderungen fast unmöglich macht. Diese Analyse zeigt sich unisono auf beiden Seiten der Parteienlandschaft. Alle wissen, dass diese Frontstellung, die auf Siegen und Verlieren ausgerichtet ist und nicht auf einem tragfähigen Kompromiss, am Ende zu einer Entfremdung zwischen politisch Handelnden und Wählern führt, nur es ändern will man dann auch nicht. Zumindest will man nicht der Erste sein, der den Weg des Kompromisses beschreitet.
Aber trotz des typisch-deutschen Pessimismus bleibt eines hängen: Der unerschütterliche Glaube der Amerikaner es doch immer wieder zu schaffen. Scheitern ist fast schon positiv besetzt, denn nachdem Scheitern kommt das Wiederaufstehen. Mal eine Firma vor die Wand gefahren? Beim nächsten Versuch sollte man es besser oder anders machen. Faszinierend!
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Marc Krüger, Südwestrundfunk, Baden-Baden
Der weiße SUV mit dem bunten KIRO-Radio-Logo fährt in Seattle auf der Interstate 5 in Richtung Norden. Reporter Josh Kerns setzt den Blinker, tritt aufs Gaspedal und biegt auf eine Fahrspur ein, die nur nutzen darf, wer mindestens zu zweit im Wagen sitzt — und die vorbei führt am allgegenwärtigen Stau auf der Autobahn. „Gut, dass du da bist, Marc,“ sagt Josh mit einem breiten Grinsen. Und hat Recht.
Eine Woche lang kann ich während des RIAS-Stipendiums bei KIRO-Radio sein, einem privaten Sender in Seattle. Kommerzielles Newsradio in den USA ist Wort, Witz und Werbung, alles zusammen und von allem sehr viel.
Es ist ein spannender Mix aus harten News, Lokalem, Unterhaltung und ganz viel Service, gewürzt mit Meinung und Analyse. Und: Fast alles ist live, vieles spontan. Das merke ich sehr schnell.
Wenige Minuten bin ich an meinem ersten Tag im Sendestudio von KIRO, da bindet mich der Moderator das erste Mal in die Sendung ein — live und ohne Absprache. Zunächst geht es um Smalltalk und ich übersetze ein paar Sätze vom Englischen ins Deutsche, dann soll ich von mir erzählen, von Deutschland. Nebenbei muss ich das Mysterium klären, warum wir die Musik von David Hasselhoff mögen. Oder warum die Amerikaner das zumindest glauben.
Auch in den folgenden Tagen sitze ich häufig in dem heruntergekühlten Sendestudio mit den dunkelblauen Wänden. Im fernen Europa ist gerade ein Germanwings-Flugzeug abgestürzt. Der schlimme Verdacht erhärtet sich, dass der Co-Pilot die Katastrophe absichtlich verursacht hat. Ein Weltereignis. Ich soll den Hörern erklären, wie die Presse in Deutschland mit dieser Situation umgeht, was die Bild-Zeitung ist, wieso wir nicht die Angehörigen der Toten zeigen und manche deutsche Medien nicht den vollen Namen des Co-Piloten nennen wollen. Doch auch wenn das Mikrofon aus ist zeigen meine neuen Kollegen sehr viel Interesse, stellen Fragen, legen Wert auf Eindrücke und meine Meinung, nehmen mich zu Konferenzen und Terminen mit.
Fasziniert bin ich vor allem von der Lockerheit und Spontaneität im Sender. Die Abläufe sind grob vorgeplant, ändern sich aber ständig. Schnell wird deutlich: Die Teams bei KIRO sind eingespielt, die Sendungen leben aber ganz besonders von der Improvisation und ganz besonders von der Persönlichkeit der Moderatoren. Service wie Wetter und vor allem Verkehrsmeldungen bekommen viel Platz im Programm, schließlich ist im staugeplagten Seattle für Autofahrer entscheidend zu wissen, welche Strecken verstopft sind. Deshalb schalten sie Sender wie KIRO ein.
Nachrichtenagenturen spielen im Gegensatz zu Deutschland kaum eine Rolle. Selbst die News-Redakteure halten nicht viel von dem einzig abonnierten Lokal-Dienst der AP: zu langsam, zu ungenau, keine Hörfunksprache. Stattdessen ist Twitter eine wichtige Quelle für die Nachrichten. Mehr aber noch achten alle Redakteure auf E-Mails und die Webseiten der lokalen Zeitungen, Hörfunk- und Fernsehsender. Trotz aller Konkurrenz gibt es keine Berührungsängste, gute Geschichten zu übernehmen und die Quelle zu nennen.
Die Themen bei KIRO bekommen, verglichen mit deutschen Info-Sendern, sehr viel Zeit im Programm. Nachrichten, Geschichten, Skurriles — alles wird ausgiebig diskutiert. Die Moderatoren nehmen dabei unterschiedliche Positionen ein, streiten miteinander, werfen sich vor, die Dinge nicht wirklich verstanden zu haben. Das ist ungewohnt für einen Radiomacher aus Deutschland. Hinzu kommen viele Töne aus Interviews, Geräusche und Musik. Das Motto lautet: Information muss auch Spaß machen. Die Hörer sollen immer einen Nutzen aus dem Programm ziehen, damit sie wieder einschalten.
Gewöhnungsbedürftig ist die allgegenwärtige Werbung. Kurze Spots unterbrechen alle paar Minuten das Programm, alles hat einen Sponsor, wird von einer Firma oder Marke präsentiert. Sogar im Sendestudio sind extra zwei große Flachbildfernseher aufgestellt, weil eine Autofirma damit die Zuschauer des Livestreams erreichen will. Doch auch die Moderatoren machen Werbung, und zwar während ihrer Sendung. Sie erzählen von ihrer Erfahrung mit Schuheinlagen oder einer Dachreinigung. Das wirkt wie ein persönlicher Tipp unter Freunden, ohne den lästigen Anschein eines produzierten Werbespots.
Zugegeben, man muss sich reinhören in dieses Format des News-Radios, das eigentlich Talk-Radio heißen müsste. Es ist manchmal laut, chaotisch und trivial, aber auch lustig, professionell, kreativ und angenehm unaufgeregt. Das hören macht Spaß. Und das Mitarbeiten auch. Die Woche vergeht viel zu schnell.
Die Praxisstation im RIAS-Stipendium ist für mich eine der großen Stärken des Programms. Wann sonst hat ein Journalist die Gelegenheit zu erleben, wie der eigene Job auf der anderen Seite der Welt organisiert ist, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es gibt? Doch auch die anderen Programmpunkte in New York und Washington, DC verschaffen einen breiten und doch überraschend tiefen Einblick in die Medienlandschaft – und zudem in die Funktionsweise einer tief gespaltenen Supermacht.
Die USA sind ein Land der Gegensätze: Kreativität und Gründergeist sind ebenso allgegenwärtig wie Armut und Hilfslosigkeit, die Freundlichkeit und Offenheit der Menschen stehen in krassem Gegensatz zum Verhalten von Funktionsträgern und Autoritäten, die einem Besucher aus Europa bereits direkt nach der Ankunft an einem U.S.-Flughafen begegnen. Der Wunsch nach individueller Freiheit und Eigenverantwortung vieler Amerikaner ist umrahmt von unendlich vielen Regeln, Vorschriften und Beschränkungen, die ohne Rücksicht und oft ohne Augenmaß durchgesetzt werden. Und nicht zuletzt ist das Land politisch so tief gespalten, dass Diskussionen zwischen beiden Lagern momentan kaum noch möglich sind. Aus einem Wettstreit der Ideen hat sich mancherorts Verachtung und Abschätzigkeit entwickelt.
Das RIAS-Programm hat unsere Gruppe an viele interessante Orte geführt und mit spannenden Gesprächspartnern zusammengebracht. Ob ein liberaler oder streng konservativer Think Tank, ein regionaler Hörfunksender oder ein landesweites Fernsehprogramm, Bangladeshi-TV in New York oder der Kongress in Washington — immer waren es vor allem die Begegnungen mit Menschen, die die Termine zu etwas Besonderem gemacht haben. Selbst wenn die Position des Gegenübers aus einem vergangenen Jahrhundert zu kommen scheint oder ein Termin zu einer Selbstdarsteller-Show gerät, so schafft das Programm doch einen wunderbaren Einblick in die Seele eines riesigen Landes, in seine Vorzüge und Probleme. Auf keiner privaten Reise könnte man sich diese Vielfalt zusammenorganisieren und würde so viele spannende Vertreter aus Medien, Gesellschaft und Politik treffen. Die Eindrücke verfestigen sich fast nebenbei zu einem Mix aus Wissen und Inspiration, auch wenn zwangsläufig weitere Fragen entstehen.
Neben den Programmpunkten in New York und Washington und der Woche bei KIRO in Seattle gibt es für mich aber definitiv einen weiteren Lebensgewinn aus dem RIAS-Programm: die Gruppe. Elf Journalisten aus ganz Deutschland, zusammengewürfelt und doch absolut zueinander passend, sich ergänzend und unterstützend, mit Lust auf jeden einzelnen Termin – und die Pausen und Abende. Aus jedem Treffen haben wir zusammen noch mehr herausgeholt, aus absurden Begegnungen den maximalen Spaß gezogen, aus einer Hotellobby unsere Bar und aus einem Fahrtsuhl unsere Fotobox gemacht. Danke für #RIAS2015, danke Charlotte, Giusi, Gudrun, Jenny, Lydia, Sarah, danke Arndt, Daniel, Daniel und Johannes — ich fahre gerne wieder mit euch weg. Wohin? Egal!
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Lydia Leipert, Bayerischer Rundfunk, München
Zur Sicherheit erstmal ein Selfie. Tatsächlich. Der Blick aufs Handy bestätigt: Es stimmt wirklich. Ich stehe mitten in Manhattan vor dem Eingang der New York Times. Und das Beste: Ich darf da jetzt rein, eine Woche lang so wie all die anderen coolen Journalisten, die an mir vorbeiströmen und in einen der Aufzüge Richtung Redaktion steigen.
Eine Woche bei dem Multimedia Konzern in Manhattan zu hospitieren war sicher das Highlight des 3-wöchigen Stipendiums der RIAS Kommission. Neben den vielen Terminen bei Medienhäusern (wie CNN, Al Jazeera oder NPR), Think Tanks und politischen Einrichtungen waren es vor allem die Tage bei der Times, die mich besonders beeindruckt haben.
Denn zu sehen, wie sich eine Printzeitung in der digitalen Welt neu aufstellt, war ungemein spannend. Mein Host war Deborah Acosta, eine 29-jährige Social Media Queen, die sich hauptsächlich um die Bewerbung der 300-400 monatlich im Haus produzierten Videos kümmert. Wie geht was wann auf Facebook, Twitter oder Instagram? Mit Foto, Graphik, Text oder eigens produziertem Trailer? Es wird so sehr an die sozialen Netzwerken gedacht, dass manche Clips sogar so produziert werden, um später perfekt auf Facebook, Twitter oder Instagram ausgewertet werden zu können. Beispielsweise wurde ein Video über ein ISIS-Massaker im Irak bewusst auf Englisch und Arabisch erstellt, damit es nur eine Datei gibt, auf die der Traffic gelenkt werden kann. Außerdem wurden die Tweets in den jeweiligen Sprachen natürlich den Zeitzonen entsprechend versandt.
Überhaupt dieser völlig andere Umgang mit Tweets. Einen Tweet nur ein einziges Mal zu versenden – was in Deutschland Standard ist – halten Acosta und auch ihre Kollegen für falsch. Deshalb werden Tweets zum Teil drei oder vier Mal rausgeschickt, gerade, wenn sie gut funktionieren.
Auch die Lässigkeit, an die Arbeit ranzugehen, einfach Sachen zu testen — wie man es ja aus den USA kennt — war für mich inspirierend und ansteckend. Schnell einem Reporter einen Snapchat-Account installiert, ihn kurz eingewiesen und schon wird er auf einen Termin geschickt, mit der Aufgabe, doch bitte auch eine Snapchat-Geschichte mitzubringen. Auch die Livestream-Optionen Meerkat und vor allem Periscope werden im Job-Alltag getestet — schließlich sollen möglichst viele Journalisten in einer „Breaking news“ Situation wissen, was sie zu tun haben: Handy an und drauf halten.
Das digitale Umdenken ist hier überall spürbar: ob in der Page One Konferenz, für die ganz klar webfirst gilt und wo eine Version der Webpage mit einem Beamer an die Wand geworfen wird. Die Times hat enorm in social media und Video investiert und dafür international große Zustimmung in Klickzahlen und digitaler Aufmerksamkeit erhalten: Der Haupt-Facebook-Account hat aktuell 9,4 Mio, der Haupt-Twitteraccount fast 17 Mio Follower. (siehe mein Bericht im Medienmagazin von B5 aktuell: https://br.de/s/1jllOFS)
Muss ich noch erwähnen, dass es die Hauptaufgabe eines Redakteurs ist, Pinterest zu bespielen? Dass sich eine Kollegin Vollzeit um Instagram kümmert? Und dass es eine eigene NYT-App für die Apple Watch gibt?
Natürlich geht es hier in vielem nicht nur darum, cool und modern zu sein, sondern auch schlicht und einfach darum, Geld zu verdienen. Gesponserte Posts sind Alltag bei der Times, auch wenn alle extrem darauf wert legen, dass sie offiziell nicht wissen, in welche Facebook-Posts das Marketing nochmal Geld reinbuttert. Und auch dank dieser Werbung soll ja schließlich wieder Geld in die Kasse kommen.
Trotzdem bleibt gerade bei der Times das Image als vertrauenswürdiges Medium essentiell. Daran wird auch massiv gearbeitet: Jeder Online-Text wird von drei Personen gegengelesen und jeder Tweet oder Post wird von mindestens einem gecheckt. Denn das große Ziel, so erklärte mir mein Host Deborah, sei es, noch mit jedem noch so kleinen Tweet oder Post die Times als ein Gesamtprodukt zu featuren.
Besonders beeindruckt hat mich auch die große Offenheit, mit der ich dort über sämtliche Schultern (von Video-, Social Media- und Online-Redakteuren) schauen durfte, in alle möglichen internen Meetings (das Page One-, Social Media Strategie-Treffen, usw.) geschleift wurde und überhaupt am gesamten Journalisten-Leben (von der Kantine mit unfassbarem Blick über die Dächer Manhattans bis zum Abschied eines Kollegen, der zur Huffington Post wechselte) dabei sein durfte.
Aber ganz ehrlich: das Coolste am Spring Programm war natürlich die kick-ass group aus uns 11 Fellows, die vom ersten Tag an zusammenklebte wie der Kaugummi mit dem New Yorker Asphalt. Die sich von Fahrstuhlfoto zu Fahrstuhlfoto angelte und auf die Frage „Gruppenfoto?“ nur die Antwort „Gruppenfoto!“ kannte. Unsere „very cohesive group“ (O-Ton Jon E.) geht sicher in die RIAS Geschichte als diejenige ein, die die meisten bekloppten Bilder in sämtlichen Medieneinrichtungen gemacht hat. Kein Rednerpult, kein Anchor-Arbeitsplatz, keine noch so hässliche Eingangshalle wurde von Schnappschüssen verschont. Wie sehr wir zusammengeschweißt waren, zeigte sich spätestens auf der privaten Geburtstagsparty in einer Bar in Downtown Manhattan für „Särah“. Und trotzdem gab es bei jedem Termin eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre und man musste sich beeilen, seine Frage loszuwerden, denn oft hatte man wegen des großen Interesses aller kaum eine Chance, dran zu kommen.
In jedem Fall bin ich sehr dankbar und glücklich, dass ich beim RIAS Frühjahrsprogramm 2015 dabei sein durfte. Ich habe mir viele technischen Tipps, aber vor allem viel Inspiration von jenseits des Atlantiks mit rüber geholt. Außerdem freue ich mich sehr, zum Kreis der RIAS Fellows zu gehören und möchte deshalb hier nochmal ein großes „Thank you!“ los werden. „It was awesome!“
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Sarah Plass, HR, ZDF, Frankfurt/Main
Ein Ford Pick-up Truck! Das nenne ich mal ein angemessenes Auto für meine Station Week bei WSPA-TV. Der Mann am Mietwagen-Schalter guckt etwas verdutzt, als ich ich ihm erkläre, dass ich ja nicht unbedingt warten müsse, bis ein Auto in meiner gebuchten kleinsten Kategorie verfügbar sei. „Wie wärs mit einem Pick-up?” war seine wohl ironisch gemeinte Frage. Mit meinem „Yeah — bring it on!” hatte er offensichtlich nicht gerechnet. Tom, mein Host, lacht sich scheckig und erzählt jedem, aber wirklich jedem, den wir in den nächsten Tagen treffen, dass sein „German exchange journalist” den größten amerikanischen Wagen fährt! „She’s crazy,” freut er sich. Mit dem Riesen-Auto und einem ebenso großen Präsentkorb fängt meine zweite Woche RIAS also an — und sie wird — wie das Wetter auch — super! Tom, seit mehr als 30 Jahren Kamermann bei WSPA-TV und großer RIAS-Fan, zeigt mir noch am selben Abend sein „Zuhause”, wie er es nennt, die Redaktion. Ich erkunde die Sets für die verschiedenen Sendungen. Sonntagabend ist es vergleichsweise still hier, wegen der Basketball-Spiele fallen gerade viele Nachrichtensendungen aus. An dem Abend macht Tom auch gleich die ersten seiner gefühlten 1000 Selfies.
Was ich in den nächsten Tagen lernen werde: WSPA-TV ist der 34größte Fernsehmarkt der USA, Agenturen spielen auch keine allzu große Rolle, Wetter ist alles, und ja, unsere Bedingung zu Hause sind der pure Luxus.
Am Montag geht’s los mit der 9 Uhr — Konferenz. Alle Reporter haben ihren eigenen „Beat”, ihr Themenfeld, und sind gut vernetzt, bieten mehrere eigene Themenideen an. Die sind nicht aus der Zeitung („This is old school, baby!”), sondern in der Regel selbst recherchiert — oder sie kommen von Twitter. Den ganzen Tag läuft der Polizeifunk, auf Agenturen warten ist — O-Ton aller — verschwendete Zeit (!).
Es ist Spring Break in South Carolina und Laura, eine der Reporterinnen, schlägt ein Stück vor über Sicherheits-Probleme junger Autofahrer. Schnell sind Termine mit Gesprächspartner ausgemacht und wir fahren mit Tom los zum Drehen.
Zwei Stunden später textet Laura ihren Bericht — auf dieser Basis schneidet Tom — Kameraleute sind hier auch Cutter — den Bericht zusammen. An Tag zwei fahre ich auf meinen eigenen Dreh — mit Tom mache ich ein VO/SOT Package — eine Art O-Ton-Collage.
An einem der darauffolgenden Tagen fahre ich mit Tom nach Charleston, S.C. , für den vier-Stunden-Ritt nimmt er sich für jeden seiner „visiting journalists” einen Tag frei — für Tom eine der schönsten Städte überhaupt. Damit und den netten Ausflügen und Dinner-Abenden mit Tom und seinen Kollegen ist die Woche so schnell rum, dass ich nicht mal wehmütig werden kann.
Zum Abschied bittet er mich, in meinen RIAS-Bericht auch ein paar englische Formulierungen einzustreuen, sonst versteht er immer nichts, sagt er. Mach ich hier: Thank you, Tom, for making my stay in South Carolina fantastic! Even the 1,000 selfies were fun. 😉
New York City
Hier anzukommen ist ein Flashback in alte Zeiten. Am meisten aber freue ich mich jetzt auf meine „Gruppe”. Ein paar von uns RIAS-2015-Teilnehmern hatten die Woche über Konktkt, nachdem wir uns in der ersten Woche in Washington erst vorsichtig beschnuppert haben um gleich zu merken: hier hats gefunkt. Schon in D.C. Haben wir den Großteil unserer Freizeit aufeinander gehockt, das fiel auch Jon auf, unserem Guide in den U.S.A. Am Ende der drei Wochen, beim offziellen Abschied in New York, wird er uns als „most cohesive group ever” bezeichnen, und irgendwie sind wir stolz drauf.
Auch die Woche in New York geht rasend schnell um: mit meist drei Terminen pro Tag. Am einprägsamsten war der Besuch bei „Bangladeshi TV Time”, wo wir uns plötzlich im Live TV-Talk über Deutschland wiederfanden und uns dabei das ein oder andere Mal fragten, ob wir dabei — unvorbereiteter Weise — ein so gutes Bild abgeben. Aber — Schwamm drüber — it’s New York City, baby. CNN, United Nations, The New York Times: das waren die großen Namen, bei denen wir uns auch inspirieren lassen konnten vom American Spirit, der sich immer ein wenig anfühlt wie „machen” statt „reden”. Auch das habe ich wieder mit nach Hause genommen: Ein bisschen was vom amerikanischen Geiste, der „do-er” Mentalität, der oftmals grund-positiven Art, miteinander umzugehen, sich zu unterstützen, neues zu wagen, anders zu denken, spannend zu bleiben.
Schon in Washington war in den vielen Diskussionsrunden aufgefallen, welch verschiedenen Kulturen hier aufeinanderstoßen — deutsch und amerikanisch. Und dass nicht eine unbedingt besser oder aufgeklärter ist. Aber immer, wenn ich längere Zeit in den USA bin, fällts mir wieder auf: Die Amis machen vieles richtig. Und ich fühle mich ein bisschen inspirierter und offener, wenn ich in Deutschland zurück bin. Der Dollarkurs diesmal war allerdings tödlich für meinen Kontostand. Auch dafür. Danke an Giusi aus meiner Gruppe für die $140 für meine letzten Tage. Sonst hätte ich es wohl nicht zum Flughafen geschafft. Und vor allem: DANKE, RIAS! Danke Jon, I had the best time.
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Daniel Scondo, Hessischer Rundfunk, Frankfurt/Main
„People, let’s have more of a meeting here and less of a how-long-can-I-stare-onto-my-smartphone-contest. Seriously, I feel like I’m talking to myself.” Aha, denke ich, als der Moderator der Sendung „Forum” in seinem Sessel ungehalten nach vorne schwingt. Es gibt ihn also doch. Den Punkt, an dem es selbst unseren Kollegen in den USA zu viel wird mit dem permanenten Online-Sein. Eigentlich hatte ich gedacht, dass hier in San Francisco schon längst keine Limits mehr gelten — immerhin liegen die bedeutensten IT- und Tech-Unternehmen wie Google, Facebook, Cisco und Apple quasi um die Ecke. Aber irgendwo scheint es immer noch eine Grenze zu geben. Wobei natürlich die Smartphone-Aktivitäten des Teams im Sitzungsraum von KQED-Radio der zu planenden Sendung gelten. KQED ist die meistgehörte Public-Radio-Station in den USA. Und die Redakteure checken per Smartphone: Hatten wir den angedachten Studiogast schon einmal bei uns? Ist der überhaupt der beste für dieses Thema? Was genau ist sein Standpunkt? Und kann der Fachredakteur, der sich mit diesem Thema besonders gut auskennt, für die Vorbereitung eingespannt werden? Termine, Dossiers, Datenbanken — das alles ist für jeden im Team mobil erreichbar. Beitrags- und Nachrichtenskripte? Google Docs.
4:34 AM, Embarcadero BART Station
Ein leerer Bahnsteig, der Geruch nach Bodenreiniger und eine Abfahrtstafel, die noch viel zu lange keinen einfahrenden Zug anzeigt. Ich stelle fest: Die Zeit vor dem Frühdienst in der Nachrichtenredaktion fühlt sich 9.130 Kilometer von Frankfurt entfernt gar nicht so anders an. Angenehm vertraut auch die Arbeit selbst. Ein Blick auf die Übergabe (interessanterweise ganz old school auf einem Blatt Papier): Was haben die Kollegen abends gesendet, was haben sie weggelassen und warum? Welche Themen bringt der Tag? Und womit machen die Zeitungen auf? Auch das Einbinden von Korrespondentenberichten und O-Tönen sorgt nicht für hochgezogene Augenbrauen: von zehn bis 25 Sekunden ist alles erlaubt; nicht zu viele Töne und immer vorneweg den Namen nennen. Deutlich anders allerdings die Ansprechhaltung: Wo wir uns bemühen, sparsam zu betonen, damit die Hörer das Wesentliche schnell erfassen, IST HIER EINfach ALLes WICHtig! UND ZWAR nicht nur HIER, SONdern AUCH bei den SENdern im REST des LANdes! Zwei Redakteure von KQED waren völlig baff, als wir mal gemeinsam in den Nachrichten-Livestream von hr-iNFO reinhörten: Das klinge ja, als ob einer ganz normal redete. Sicherheitshalber noch mal nachgefragt: Es war als Kompliment gemeint.
Agentur + Twitter = Meldung
Als Mitglied der NPR-Familie braucht sich die Nachrichtenredaktion von KQED nicht um nationale oder internationale Themen zu kümmern. Die Verlängerung der Atomgespräche mit dem Iran und die Reaktionen auf den Germanwings-Absturz kommen aus dem Funkhaus in Washington, D.C. Am Newsdesk in der Mariposa Street wird dagegen über die sich verschärfende Wasserknappheit in Kalifornien oder die jüngsten Unfälle in San Franciscos öffentlichem Nahverkehr gesprochen. Recherchiert wird nur bei einer einzigen Nachrichtenagentur, der Rest kommt aus dem Netz. McDonalds will in den eigenen Filialen in Kalifornien künftig einen Dollar mehr als den Mindestlohn zahlen? Dazu wird das Unternehmen doch sicher was getwittert haben …
I Tweet, Therefore I Am
… und natürlich spielt auch KQED seine Inhalte nicht nur über Sendemasten aus. Eigene Apps, smartphone-optimierte Internetseiten und die Begleitung durch Social Media sind aus dem Senderalltag nicht mehr wegzudenken. Ein Schelm, wer aber denke, dass der Weg dahin im Tech-Vorreiterland Kalifornien weniger steinig gewesen sei als irgendwo anders. Das sagt mir David Weir, der für das Online-Angebot von KQED verantwortlich ist. „Wer klickt denn da drauf?” „Das schaut sich doch keiner an!” „Nö, ich produzier’ nur meinen Beitrag, mehr mach’ ich nicht!” — das habe er immer wieder zu hören bekommen. Ich denke an Deutschland und muss schmunzeln. Und: „Das nutzt doch keiner von den Leuten, die uns bezahlen!” Dieser Einwand spielt auf das Finanzierungsmodell der nichtkommerziellen Sender in den USA an: kein Rundfunkbeitrag, sondern freiwillige Zuwendungen von Unternehmen und Stiftungen sowie Spenden von Hörern, denen „ihr” Sender das wert ist. Sicher, sagt Weir, die jungen Leute, die jetzt über Snapchat, Twitter, Periscope oder Meerkat mit der Welt in Kontakt stünden, seien nicht diejenigen, die KQED jährlich einen Scheck ausstellten. Aber vielleicht würden sie in 10 oder 20 Jahren — mit gutem Job, Familie und eigenem Häuschen im Rücken — sagen: Ja, KQED kenne ich, deren Angebot begleitet mich schon lange, von mir kriegen die Geld. Denn was, überlegt Weir laut, wäre die Alternative? Einfach nur auf UKW setzen? Das sei der sichere Weg, die Finanzierung des Senders mittelfristig abzuschnüren, weil irgendwann einfach keine Generation von Donors mehr nachfolgen würde.
The best way to kill an idea is to take it into a meeting — NOT!
„Stell’ Deine Frage und lass’ die Hörer darüber abstimmen. Fällt die Wahl auf dich, ziehst Du mit uns los. Gemeinsam finden wir die Antwort!” Ich erlebe, dass KQED nicht nur auf neue Verbreitungswege, sondern auch auf neue Formate setzt. So sind in der Reihe „Bay Curious” Reporter und neugierige Hörer gemeinsam auf Entdeckungstour. Denn warum, so die Idee, soll die spannende Suche nach Antworten nur Journalisten vorbehalten bleiben? Ich bin mit den Reporterinnen Olivia, Katrina und dem Hörer Kermit unterwegs, um zu klären, wie ein jahrzehntealtes Autowrack auf einem abgelegenen Wanderpfad gelandet ist — gut 40 Gehminuten von der nächsten Straße entfernt. Park Ranger werden befragt, ein Oldtimer-Gutachter versucht Marke und Modell zu ermitteln, Zeitungen des mutmaßlichen Unfalljahres werden nach Meldungen durchforstet … und der Hörer, der den Stein ins Rollen brachte, ist dabei. Immer wieder taucht er in der Reportage auf und darf etwa die bisherigen Erkenntnisse zusammenfassen. Ein Konzept, das aufgeht: Der Hörer ist nicht nur Protagonist, der mit seiner Frage den roten Faden stellt — er erlebt durch das Anzapfen der vielen Quellen auch hautnah, wie Qualitätsjournalismus bei KQED aussieht. Ein Erlebnis, das er sicher nicht für sich behalten wird. Ach, und das Auto? Diesen 1941er Pontiac hatten wohl übermütige Jugendliche in den 1960er Jahren nach ein paar Bierchen einfach von der Straße geschoben — viel weiter oben am Berghang. Der Wanderweg wurde erst Jahre später angelegt und die Planer führten ihn offenbar bewusst an der ungewöhnlichen Attraktion vorbei.
Everything but a sideshow: Washington, D.C. und New York
Eine Woche lang die inner workings des landesweit erfolgreichsten Public-Radio-Senders in einer fantastischen Stadt erkunden zu dürfen, war sicher das herausragende Erlebnis meines RIAS-Aufenthaltes und ein ungeheures Privileg. Alles andere als im Schatten stehen allerdings die vielen interessanten Termine in den Wochen in Washington, D.C. und New York. Die Tricks, mit denen die field reporter bei WAMU der Konkurrenz ein Schnippchen schlagen, Brookings’ „U.S. Government? It’s basically a health care company with an army“, die angeregten Diskussionen wie bei Heritage („Engagement in Syria? How would that advance our interests?“), die Erkenntnis, dass nicht wenige Senatoren im U.S. Capitol nur wichtig aussehende Bücher mit blanken Seiten in ihren Regalen stehen haben, und natürlich die kick-ass-RIAS2015-Gruppe: Das sind Erinnerungen, die bleiben. Vielen Dank dafür!
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Giusi Valentini, WDR, ZDF, Köln
„I think our country is too liberal.“ Der Mann, Ende 40, ist mit seiner Tochter im Park unterwegs. Er fragt, ob er von uns ein Foto machen soll und wir kommen sofort ins Gespräch. Sie wohnen in einem sehr teuren Viertel gleich um die Ecke. „And where are you from?“ Er findet, dass Amerika ein zu starkes Sozialsystem hat, trotzdem bewundert er Deutschland so viel, dass er sogar dort begraben werden will. Eine Zufallsbegegnung, mit einer solchen Spontanität und Offenheit. Keine Seltenheit in den drei RIAS-Wochen — Welcome to the United States!
In Momenten wie diesen war ich immer wieder verblüfft, wie sich Stereotypen in Luft auflösen, wenn man erst mal reale Menschen kennenlernt. Man muss nicht immer einer Meinung sein, doch es gibt viele Möglichkeiten zum Gedankenaustausch. Egal ob mit Leuten auf der Straße oder in den Institutionen, die wir mit RIAS besucht haben.
Think Tanks and Masonic Ave
Dass die USA das Mutterland des Lobbyismus sind, ihn womöglich erfunden haben, wurde uns bei der Stadtführung erzählt. Über die Bedeutung der amerikanischen Verbandslandschaft auf den Prozess des Policy-making, konnten wir uns auf jeden Fall ein eigenes Bild vor Ort machen.
Besuche bei den Washingtoner Think Tanks The Heritage Foundation, Brookings Institution und bei der Bertelsmann Foundation haben mir wieder vor Augen geführt, wie groß der Einfluss der pluralistischen Interessenorganisationen auf die U.S.-amerikanische Politik ist. Auch hier sind uns die Menschen mit der gleichen Offenheit begegnet, wie der Vater mit seinem Kind im Park. Es gab keine belanglosen Presse-Statements, hier spricht man die Themen und Probleme direkt an.
Und der Besuch beim NPR Radio WAMU 88.5 war ein Highlight. Während an dem Tag T.C. Boyle im Vorzimmer auf sein Studiointerview wartete, haben uns die Kollegen dort nicht nur alle ihre Türen geöffnet. Sie haben uns inspiriert. Uns deutschen Radiomachern sind sie in manchen Bereichen noch einen Schritt voraus. Mit dem Smartphone machen sie ganze Live-on-Tape-Reportagen, mit Moderation, Interview, Musik und Atmo. Und das ganze ohne zu schneiden, in einem Take. Das will ich jetzt auch!
Von Hoosiers und REFRA
„Oh…, so your station week is going to be in the Midwest?“ Well, yes.
Es gibt viele Stereotypen über das Bundesland Indiana. Und in meiner Woche in Bloomington wurde ich — zum Glück — eines Besseren belehrt. Besonders spannend war es, da das republikanisch dominierte Parlament das REFRA-Gesetz verabschiedet hatte. Unter dem Vorwand religiöser Überzeugung, erlaubt dieses Gesetz die Diskriminierung von Homosexuellen. Tausende Hoosiers, also Einwohner von Indiana, gingen daraufhin auf die Straße und haben gegen das Gesetz und Aufstieg des republikanischen Gouverneurs Mike Pence demonstriert. Fair enough.
Das kleine Städtchen hat nicht nur vegane Cafés und afghanische Restaurants zu bieten. Die Studenten der University of Indiana kommen aus der ganzen Welt. Wie toll, dass dieses Land so kulturell vielfältig ist und dazu steht. Der Campus-Alltag hat mir gezeigt, wie entspannt das Verhältnis zwischen den Studenten und den Professoren ist, ganz anders als bei uns in Europa. Das Personal-Pronomen „you“ anstatt „Sie“ mag wohl auf den Sprung helfen, doch hier läuft es anders. Man tauscht Ideen aus. Auf Augenhöhe. So war das auch mit den Studenten, als wir über Medien-Ethik in den USA und Deutschland diskutiert haben. Während uns die Privacy der Protagonisten wichtig ist, sehen das manche Journalismus-Studenten als Verschleierung der Fakten. Dazu sind Rosemary Pennington und Michael Conway einfach sind super freundliche Hosts. Thank you!
„If it bleeds it leads“
Zum Glück sind nicht alle Medien, die wir in NYC besucht haben, auf blutige Schlagzeilen aus. Obwohl das Wetter, der Verkehr und noch mal das Wetter eine sehr große Rolle spielen. Alle haben aber etwas gemeinsam. Noch nie habe ich in ihren Grossraumbüros so wenig Lärm gehört. Beim CNN — zum Beispiel — steht das offene Fernsehstudio sogar mitten in der Redaktion!
Wie kriegt man ein jüngeres Publikum? Wie benutzt man am Besten die sozialen Netzwerke? Dass die amerikanischen Sender sich mit den gleichen Fragen wie wir in Deutschland herumschlagen, hat mich beruhigt. Auf der anderen Seite sind sie viel experimentierfreudiger. So arbeiten sie schon mit digitalen Plattformen, von denen wir nicht mal den Namen so richtig aufschreiben können. Na klar! Wir sind hier nicht in Old Europe.
Und: der Besuch beim Community-Sender „Time Television“, zwischen amerikanischen Kaffee-Kanistern, nationalen Volksliedern aus Bangladesh und spontane Live-Talks war ein Fest.
Everybody: go RIAS!
RIAS hat all meine Erwartungen übertroffen. Es ist nicht „nur“ eine Journalisten-Reise sondern auch eine großartige Chance Land und Leute kennenzulernen. Die drei Programm-Wochen sind voll gepackt mit Terminen und lassen einen tief ins Innere von Medien und Institutionen blicken.
Dafür Danke an Jon Ebinger, Isabell Hoffmann, und an das RIAS-Team! Last but not least: viel intensiver wurde meine Reise durch die Gruppe! Wir haben uns ausgetauscht, inspiriert und vor Lachen hingeschmissen. RIAS hat sicherlich ein Händchen dafür, die tollsten ARD-Kollegen zusammen zu führen. See you soon!
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Charlotte Voß, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Boston: special guest and Summer Olympics 2024
„This is WGBH. I`m Tom Seary and today we have a special guest: Charlotte Voß, a journalist from Hamburg — the German city also biding for the Summer Olympics 2024 — as well as Boston does”. Es ist Freitag Morgen, 7:20 Uhr bei WGBH, einem Bostoner National Public Radio-Sender. Am letzten Tag meiner Station Week in Massachusetts spreche ich sechs Minuten lang live über Hamburgs Olympia-Bewerbung. Über das Konzept, die Begeisterung in der Stadt, das bindende Referendum im Herbst 2015 und über Kreuzfahrtschiffe als temporäre Hotels. Diskutiert haben wir aber auch darüber, warum die Bostonians — jedenfalls im April 2015 — gegen Olympia in ihrer Stadt sind. Nach einem harten Winter, der in der Ostküstenstadt Verkehr und Strom für eine Woche lahmgelegt hatte, sei vor allem die Aussage der Verantwortlichen, dass dieser Mega-Event den Steuerzahler nichts kosten werde, entscheidend für das Stimmungstief. Zu meiner großen Freude war das Feedback auf mein Interview mit Statements zu Olympia aus Hamburger Sicht durchweg positiv.
Der Tag bei WBGH war aber nicht nur wegen des Interviews eine super Erfahrung. Neben der Morning Edition besuchte ich später noch die lange Talk-Sendung am Vormittag und die einstündige Nachrichtenshow „The World“ am Nachmittag. Am besten gefallen hat mir, dass „The World“ auffallend lange Sendeplätze hat. Kein Interview war kürzer als vier Minuten, womit es genug Raum für Hintergründe gibt.
Woods Hole: WCAI and Dan are familiar to everybody
Zu WGBH gehört WCAI — “Serving the cape and the islands”. Dieser kleine Sender sitzt in Woods Hole auf Cape Cod, dem Sylt der USA. Und hier habe ich die ersten Tage meiner Station Week verbracht. Mein Host war Dan Tritle – Seele und Säule des Senders. Ab 6 Uhr moderiert er die Morning Edition, ab 10 Uhr ist er als Tontechniker der nachfolgenden Talk Sendung aktiv, und mittags moderiert er dann eine Kurzausgabe der Local News. Wie selbstverständlich saß ich morgens mit ihm im Studio und habe alles über NPR erfahren. Dieses System des Public Radio ist völlig anders als bei uns. Etwa 5% des Etats kommen vom Staat, der Rest über Fundraising und Spenden. Und Fundraising bedeutet auch, mit einer Sammelbüchse in der Hand von Tür zu Tür zu gehen. Das Interessante war, egal ob auf dem Flug von DC nach Boston, im Hotel, in der Touristeninformation, beim Bäcker, wo immer ich erzählte, dass ich gerade bei WCAI sei, die Reaktionen darauf waren durchwegs positiv. Alle kannten WCAI und Dan und alle konnten Geschichten darüber erzählen. Welche unglaubliche Nähe die Hörer zu ihrem Sender haben, war live zu erleben, als ich mit Dan zu einer sogenannten WCAI PubNight nach Orléans gefahren bin. Im Winter trifft man sich im Zwei-Wochen-Takt an wechselnden Orten des Sendegebietes. Ein Gastronom stellt sein Lokal samt Snacks und Drinks zur Verfügung. Und dann gibt es ganz amerikanisch eine zweistündige Reception mit festgelegtem Ende. Es geht sehr entspannt und zwanglos zu und es wird über alles gesprochen. Die Hörer lieben diese PubNights, denn fast die gesamte Crew des Senders läuft dort auf. Einen Winter wollte WCAI die PubNights einstellen und durch Filmvorführungen ersetzen, aber: Der Protest war so gewaltig und am Ende auch erfolgreich. Die PubNights wurden wieder aufgenommen.
Abgerundet wurde mein Aufenthalt auf Cape Cod durch einen Flug nach Nantucket (eine Insel 30 Meilen vor der Küste) sowie Besuchen im JFK-Museum in Hyannis und im Ozeanografischen-Institut in Woods Hole, deren Leute das Wrack der Titanic und die vor Brasilien abgestürzte Air France-Maschine im Atlantik entdeckt hatten.
Washington: Germany is sexy and mysterious
Vor der Station Week waren wir zum Auftakt des Programms in Washington D.C., der — wie ich finde — erstaunlich unaufgeregten U.S.-Hauptstadt. Was aber auffällt, ist die extreme Präsenz von Polizisten, Sicherheitspersonal, Uniformierten, Sirenengeheul. Im direkten Innenstadtbereich beherrscht der Staatsapparat das Bild. Unsere Suche mit Stadtführerin Linda nach Cherry Blossom, das etwas Rosa ins Stadtbild gebracht hätte, blieb leider erfolglos. Wir waren zu früh dran für die Kirschblüte.
Unsere RIAS-Gruppe wurde von Tag zu Tag diskussionsfreudiger. Ob im Think Tank, bei der Bertelsmann Stiftung oder bei der Finanzberatung „The Motley Fool“ — gefragt wurde offen und ohne falsche Rücksichtnahme auf „Political Correctness“. Und wir erhielten auf diese Weise (fast) immer auch aufrichtige Antworten, deren Tendenz wir glücklicherweise ja nicht immer teilen mussten. Ein Beispiel: Die konservative Heritage Foundation lehnt das Gesundheitssystem ObamaCare ab. Auf die Frage nach dem Grund dafür gab es eine ebenso deutliche wie überraschende Antwort: Man selbst wolle sich nicht verschlechtern, deshalb solle es auch kein Angebot für alle geben.
Extrem interessant war aber auch, dass wir bei unseren Termine „unter 3“ mehrfach hörten, dass sich in D.C. eigentlich keiner großartig Gedanken über die transatlantischen Beziehungen mache. Der Blick richte sich eher auf China und generell Asien. Deutschland werde wegen seiner wirtschaftlichen Stabilität und Kanzlerin Merkel eher als „sexy and mysterious“ empfunden.
Wohltuende Gegensätze zu den recht theoretischen, aber auch sehr interessanten Think Tanks & Co waren unsere Ausflüge in die Medienpraxis. Beim Blick in die Zentrale von NPR erfuhr ich zum ersten Mal etwas über Snapchat-Kurzvideos. (Diese nur paar Sekunden langen Videos verschinden vom Gerät, sobald der Empfänger sie gesehen hat.) Wir besuchten das lokale Public Radio WAMU mit seiner Chefin — einer gefühlten Mischung aus Tina Turner und Joan Collins — und seinem rastlosen Polizeireporter, der seine Beiträge ausnahmslos vom Ort des Geschehens versendet. Und wir standen im neuen Studio von Al Jazeera, in dem der Moderator auf einer mobilen Großbildleinwand live den Twitter-Stream verfolgen kann.
An einem Morgen besuchten wir WJLA-TV, wo uns Anchor-Woman Rebecca Cooper quasi in den Tag “hineinmoderierte“. Eine Vollblutjournalistin, die einst zum White House Staff gehörte und Monica Lewinsky eine Stelle verschaffen wollte — allerdings nicht im Weißen Haus. Jetzt moderiert Rebecca eine Business-Show und diskutieret — nach eigener Aussage — liebend gern mit ihrem Chef. Nach einer Stunde wussten wir alles über sie, aber auch viel über Politik, US-Journalismus sowie die Rolle der Frauen in den USA.
Ein wenig „geerdet“ wurden wir dann im Pressebereich des U.S. Capitols. Olga Ramirez Kornacki, Leiterin der Press Gallery, hatte wunderbare Geschichten über das Verhalten der Pressevertreter auf Lager. So musste sie beispielsweise jüngst einem Fotografen mit klassischer Kamera erklären, dass auch ein Kollege Zugang zum Pressebereich haben müsse, der als Kamera „nur“ ein Smart-Phone dabei hatte.
Um alle diese Eindrücke zu verarbeiten zog es mich übrigens fast jeden Morgen zum Joggen auf die Mall — direkt am Weißen Haus vorbei, wunderbar. Und netterweise war ich nicht die einzige aus unserer Gruppe, die sich für dieses Erlebnis früh morgens begeistern konnte.
New York: Three out of five people are poor in this city
Nach einer Zugfahrt mit dem Amtrak von Boston nach New York City traf ich meine Kollegen der RIAS-Gruppe wieder, die ebenso begeistert wie ich von Ihren Erlebnissen während der Station Week erzählten.
Den freien Ostersonntag verbrachte ich gemeinsam mit Kollegin Gudrun bei der Easter Parade auf der 5th Avenue. Männer, Frauen und Kinder trugen auffallend bunte und mit Blumen, Hasen und Eiern geschmückte Hüte oder Kleider. Mit unseren — bei einem fliegenden Händler erworbenen – rosa Plüschohren fielen auch wir bald nicht mehr auf. Am Ende wurden wir sogar von Japanern fotografiert.
Besonders beeindruckend war dann unser erster offizieller Termin in NYC, der Besuch bei den Vereinten Nationen inklusive Press Briefing. Spokesman Stephane Dujarric beantwortete offen und auch erstaunlich selbstkritisch unsere Fragen. Spannend war vor allem zu sehen, wie er mit den Journalisten aus den unterschiedlichen Nationen umging, dabei versuchte allen gerecht zu werden, gleichzeitig aber auch das große Ganze der UN im Blick zu behalten. Leider hat die angekündigte Tour durch das UN-Gebäude nicht geklappt.
Ein besonderes Erlebnis war der Besuch bei Time Television, einem TV-Sender, der von einem Bangladeschi für seine Landsleute in den USA betrieben wird und mit seinem Programm nur Themen behandelt, die für ihre Community von Bedeutung sind. Das Team war ausgesprochen nett, aber als wir vom Chef dann plötzlich ins Studio geholt wurden um dort live von ihm über Deutschland befragt zu werden, wurde es — so fand ich zumindest — tricky. Denn wir wurden völlig unvorbereitet zu Themen wie Fremdenfeindlichkeit sowie den Möglichkeiten der Einwanderung nach Deutschland befragt. Dies war schwierig zu beantworten, weil wir damit ohne Vorwarnung quasi in die Rolle offizieller Repräsentanten Deutschlands gedrängt wurden. Auf jeden Fall standen wir plötzlich vor der Kamera und damit unvermittelt auf der berühmten anderen Seite „des Schreibtisches“ — auch eine neue Erfahrung.
Eine Herausforderung war das Treffen beim American Jewish Council. Ein Termin, der einen nicht kalt lassen kann, wenn einem Kinder und Enkel von Holocaust-Opfern gegenüber sitzen. Interessant war, wie unterschiedlich sie sich selbst sehen; wie sie mit der Geschichte umgehen und vor allem, wie sie das heutige Israel sehen. Besonders fasziniert hat mich, wie stark die Meinungen unserer drei Gesprächspartner dabei auseinander driften. Eine Frau erzählte, sie sei vor zehn Jahren das erste Mal nach Deutschland gereist. Und es sei so bunt, so fröhlich, so gastfreundlich gewesen, dass sie sich geärgert hätte, erst jetzt gefahren zu sein. Bis dahin sei ihr ein dunkles Bild von Deutschland vermittelt worden. Auch wenn man weiß, woher diese Einschätzung kommt, es tut trotzdem weh, wenn das eigene Land als „dunkel“ gesehen wird.
Mit CNN und NBC standen in NYC Besuche bei DEN großen Netzwerken an. Natürlich waren die Gebäude, die News Rooms und bei CNN das offene Studio mitten im Raum beeindruckend. Ich hätte bei beiden aber gerne mehr mit Reportern, Moderatoren und Producern gesprochen, um aus erster Hand zu erfahren, wie dort Programm gemacht und vor allem auch geplant wird.
Einen deutlichen Kontrapunkt zu den vielen Terminen in schicken Büros setzte unser Besuch in der Suppenküche der St. James Church. Mit viel Engagement kochen hier jeden Dienstag Ehrenamtliche für Obdachlose, aber auch für bedürftige Menschen, die von ihrem Arbeitslohn nicht leben können — deren Lächeln und leergegessene Teller sind Ansporn für die Helfer weiter zu machen. Dass fast drei von fünf Menschen in dieser riesigen und schillernden Stadt nicht von ihrem Lohn leben können, ist erschütternd. Und der Trend ist leider ansteigend.
Und das Beste kam — wie so oft — zum Schluss: unser Besuch bei der New York Times. Die Gespräche mit dem Chef der Video-Unit waren beeindruckend und anspornend zugleich. Seine zentrale Botschaft: Die NYT habe sich quasi neu erfunden und sei nun ein digitaler Medienkonzern mit einer Tageszeitung. Man setze zunehmend auf bewegte Bilder, schicke dafür VJs in die Welt raus — alles in dem Bewusstsein, dass man heute an Social Media nicht mehr vorbei komme. Aber das alles koste Geld und sei daher nicht einfach nebenbei mitzumachen. Nach meiner Erfahrung hat sich das bei uns in Deutschland leider so noch nicht herumgesprochen.
Drei Wochen USA mit dem RIAS-Journalistenprogramm — es war eine sensationelle Zeit. Die Gegensätze in dem Land, aber auch die Freundlichkeit der Menschen dort begeistern mich immer wieder. Auch die Leidenschaft, mit denen viele unserer Gastgeber an Ihren Job herangehen, hat mich beeindruckt. Dass Twitter für viele wichtiger als Facebook ist, hatte ich in dieser Deutlichkeit nicht erwartet. Beruhigt hat mich, dass auch die U.S.-Sender noch keine Antwort darauf haben, wie sie dem demographischen Wandel und der zunehmend mobilen Welt begegnen und zu ihrem Vorteil nutzen. Auch sie suchen noch nach Antworten, sind dabei aber deutlich weiter und experimentierfreudiger als unsere Medien.
Ein ganz herzliches und aufrichtiges Danke an die RIAS-Kommission und an Jon Ebinger für seinen Einsatz vor Ort, danke an meinen umsichtigen Host Dan in Woods Hole und danke auch an meine „fabulous colleagues“ der RIAS-Frühjahrsgruppe-2015!
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Jenny Witte, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Haus of Cards — oder wie ich lernte, dass die Vereinigten Staaten kein Filmset sind
Frank Underwood, wo ist Frank Underwood? Irgendwie ist das das allgegenwärtige Gefühl dieser Reise: Als laufe man durch ein Filmset. Eigentlich kennt man das alles schon — aber eben nur „aus dem Fernsehen“. Dass Capitol und Weißes Haus tatsächlich keine Pappkulissen sind, sondern echte, dreidimensionale Gebäude — von dem Schock erhole ich mich nur langsam. Aber meine lieben Riaskollegen (bereits fast alle alte Hasen in Sachen Washington) sind so lieb, mir bei diversen Barbesuchen über diesen Schock hinweg zu helfen. Eigentlich unnötig zu erwähnen, dass unsere Gruppe natürlich die interessanteste, lustigste, neugierigste, sympathischste — schlicht: Beste Riasgruppe aller Zeiten ist! Aber es kann ja nichts schaden, das trotzdem nochmal zu unterstreichen. Denn: Auch dank dieser genialen Truppe sind die Termine in den Redaktionen und Think Tanks wirklich spannend. Erstaunlich, wie offen beispielsweise Annette Heusser von der Bertelsmann Foundation auf die vielen Fragen unserer Gruppe reagiert und wie ehrlich sie über die Probleme beim Aufbau eines Netzwerks auf „The Hill“ spricht. Mindestens genauso beeindruckend ist dann natürlich der Besuch genau da — im Kongress. Zum Beispiel der Blick hinter die Kulissen — unter anderem in die hamsterkäfiggroßen Reporterkabinen direkt im Gebäude.
Ein weiterer einmaliger Moment: Die Diskussion mit den beiden Herren aus der Presseabteilung der Heritage Foundation. Schon faszinierend, so nah an dem konservativen Gedankengut des Landes und der knallharten Auslegung des Freiheitsbegriffes zu sein. Auch wenn unsere europäischen Ohren (wie zu erwarten) irritiert auf die Argumente gegen gesetzliche Krankenversicherung oder die Anerkennung homosexeller Lebenspartnerschaften reagieren, lassen sich die beiden Herren freundlich aber bestimmt auf kleinere Diskussionen ein. Genauso kompromisslos — aber gleichwohl so gar nicht auf ideologischen Linie der Heritage Foundation — ist dagegen Rebecca Cooper von ABC-Affiliate WJLA-TV. Quasi ohne Pause (wann genau atmet diese Frau?) spricht sie mit sehr kritischem, scharfsinnigem und absolut unterhaltsamem Blick über die Rolle der Frauen in den U.S.-amerikanischen Medien. Ihr Fazit: Es ist nicht leicht, sein Rückgrat UND den Job zu behalten. Eine ernüchternde Erkenntnis.
Auch ernüchternd: Wie schnell die Woche in Washington vorbei ist. Eben noch in den heiligen Hallen von NPR oder bei den unglaublich coolen Kollegen von WAMU Public Radio, die über echte Entertainerfähigkeiten verfügen (und bei denen man locker auch eine ganze Woche hätte verbringen können) — schwupps, sitze ich schon mit Mitfellow Guisi Valentini im Flieger nach Indianapolis. Und dann im Mietwagen in die Unistadt Bloomington.
Die erste, wenig journalistisch gehaltvolle Frage nach meiner Ankunft hier: Warum tragen die Studenten alle Sporthosen? Haben die alle Sportstipendien, um sich das teure Studium an einer U.S.-Uni leisten zu können? Wenig später erfahre ich, „american students just like to be comfortable“. Ah ja. Unser Stationhost, die sehr nette Dozentin Rosemary Pennington erzählt sogar, dass sie irgendwann für ihre Studenten eine Seminar-Kleiderordnung ausgegeben hat: „Nothing you can sleep in“. Immerhin: Uns scheinen die Studenten nicht zum Einschlafen zu finden. In verschiedenen Veranstaltungen diskutieren wir mit ihnen über das deutsche Mediensystem und deutsche Medienethik. Und statt wie sonst in unserem Joballtag Fragen zu stellen, sind wir es, die interviewt werden. Was ist ein öffentlich-rechtlicher Sender, wie funktioniert die Finanzierung und wie unabhängig von Quoten und politischer Einflussnahme kann Journalismus auf diese Weise sein? Die Studenten wollen auch viel über das Leben als freie Mitarbeiter wissen — denn hier in den USA sind die Journalisten (noch) überwiegend festangestellt. Dank meiner deutsch-italienischen Rias-Kollegin Giusi, die unter anderem für „Funkhaus Europa“ arbeitet, erfahren die Studenten außerdem, welche Rolle Migration für und im deutschen Rundfunk spielt — und was eine Italienerin so über die Deutschen denkt. Und natürlich reden wir immer wieder über den Flugzeugabsturz der Germanwingsmaschine und die Frage, wie die Medien damit umgehen. Sollte man Bilder des Piloten zeigen? Und wie steht es mit Aufnahmen der Angehörigen von Täter und Opfern? Für die U.S.-Studenten Fragen, die sie sich bislang offenbar nicht gestellt haben. Denn in den USA ist es normal, Bilder von so ziemlich jedem zu zeigen — gerne aufgenommen von Überwachungs- oder Handykameras. Größtenteils unverpixelt, versteht sich. Doch ich stelle fest: Die jungen Leute sehen das U.S.-Medienangebot durchaus kritisch. Vor allem die Sensationsgier einiger Sender. „If it bleeds it leads“ — das entspricht hier zwar noch mehr der Medienrealität, als in Deutschland — aber gut finden das die wenigsten Studenten. Auch die politische Voreingenommenheit von Sendern wie Fox News begegnen viele mit Skepsis. Wie in Deutschland wenden sich immer mehr junge Leute von den klassischen Medien ab — und bewegen sich stattdessen im Netz. Twitter und Snapchat sind für sie das Äquivalent zur Tageszeitung oder klassischen Nachrichtensendungen. Eine Erkenntnis, die zwar nicht neu ist, aber durch ihre extreme Ausprägung hier in den Staaten für mich doch eine neue Schlagkraft gewinnt und klar macht: Auch unsere deutschen Heimatsender müssen sich noch viel stärker in diese Richtung bewegen, um die jungen Zuschauer/-Hörer nicht zu verlieren.
Deutlich wird an der Indiana University aber auch, was sich bereits beim Besuch diverser Think Thanks in Washington zeigte: Die ideologischen Gräben und die soziale Schieflage sind für das Land teilweise zu lähmenden Themen geworden. Bei einem kleinen Bürgerradio zum Beispiel treffen wir die 19-Jährige Taylor. Sie schwärmt von ihrem Studium, all den Möglichkeiten, die sie hier hat und den tollen Kontakten zu hochkarätigen Journalisten. Aber sie erzählt auch, dass sie vier verschiedene Jobs hat, um für die Studiengebühren aufzukommen — trotz diverser Stipendien. Und deshalb pro Nacht nicht mehr als fünf Stunden schläft. Von Stationhost Rosemary erfahren wir, wie schwierig sich hier Karriere und Kind vereinbaren lassen: Sie konnte sich keinen Kita-Platz für ihre heute 11jährige Tochter leisten, weil auch die Kinderbetreuung für die Kleinsten absurde Summen verschlingt. (Unbezahlten!) Mutterschutz bzw. Elternzeit gibt es aber gerade mal für zwei Monate. Eine andere Dozentin erklärt uns, warum ihr letzter Arbeitgeber, ein TV-Sender, sie nur auf einer 39 Stundenstelle beschäftigte: Ab 40 Stunden hätte er die Krankenversicherung übernehmen müssen. Alles Themen, die mich in den letzten Jahren journalistisch beschäftigt haben — mit Blick auf Deutschland. Mir wird klar, wie luxuriös die Verhältnisse bei uns im Vergleich sind — aber auch was es bedeuten kann, wenn sich unsere Sozial- und Bildungspolitik in Richtung USA entwickeln sollte.
Auch andere Debatten kommen mir bekannt vor — zum Beispiel die um die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare. Es ist eine verrückte Zeit im sonst eher nicht für Verrücktheiten bekannten Indiana: Gerade beherrscht der Streit um den so genannten „Religious Freedom Act“ — kurz „ReFrA“ — die Schlagzeilen. Das Gesetz soll es ermöglichen, gleichgeschlechtlichen Paaren (und anderen Gruppierungen, die man aus religiösen Gründen ablehnt) den Service zu verweigern. Das liberale Bloomington im ansonsten weitgehend konservativen Indiana ist in Aufruhr, die Diskussionen, Demonstrationen und das letztendliche Einknicken der Landesregierung schaffen es sogar in die nationalen Nachrichten. Auch bei der lokalen Nachrichtensendung „Indiana News Desk“, dessen Produktion wir besuchen dürfen, ist der Religious Freedom Act DAS bestimmende Thema.
Es begegnet mir sogar in New York wieder, wo wir mit Miguel Marquez bei CNN einen Reporter treffen, der schwerpunktmäßig über „ReFrA“ berichtet hat. Dass er durch das ganze Land jettet, um über Themen wie dieses zu berichten, finde ich im Vergleich zu unserer stark regionalisierten Arbeitsaufteilung innerhalb der ARD sehr interessant. Noch mehr beeindruckt mich allerdings die Struktur des Senders vor Ort, zum Beispiel der gigantische aber dabei erstaunlich ruhige CNN-Newsroom. Und noch verrückter: Mittendrin ist ein Open-Air Talkshowstudio. Günter Jauch in den Räumen der Tagesschau-Redaktion quasi. Bei der ARD unvorstellbar. Die Regie für die Sendung wiederum sitzt im Headquarter in Atlanta, so dass es aussieht, als werde die Sendung von Geisterhand geleitet. Das klingt dann schon wieder so unnötig kompliziert, dass ich mich irgendwie heimisch fühle.
Fremd und vertraut zu gleich — das trifft mein Gefühl bezüglich dieser Wahnsinnsstadt New York wohl am Besten. Während Subway und Straßenverkehr organisationstechnisch offenbar im vergangenen Jahrzehnt stecken geblieben sind, sucht man bei den Sendern und Zeitungen verzweifelt nach Strategien für das nächste. Und ist dabei ziemlich erfolgreich. Wie bei der New York Times, wo sich ein ganzes Departement um den Onlineauftritt und die Produktion von Filmen dafür kümmert. Ehrlich erzählt man uns hier auch von den internen Widerständen gegen diese Strategie. Trotz aller Kämpfe wird klar: Das Ganze ist eine Wahnsinnschance, vor allem für die jüngeren Journalisten, die sich im Bereich neue Medien Expertisen aneignen und kreative Freiräume schaffen können. Natürlich frage ich mich, ob das in Deutschland und unserem dualen Mediensystem in diesem Umfang auch möglich wäre. Für die Journalisten der New York Times wirkt zumindest schon die Tatsache, dass wir beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Inhalte nach gewissen Zeitspannen online depublizieren müssen, absurd. Und natürlich bleibt die Frage, wer bei unseren Heimatsendern unter diesen Bedingungen wirklich Geld in die Hand nimmt für umfangreiche Recherchen und aufwendige Onlineumsetzungen. Doch um das Potential dieser Art des Journalismus zu erkennen, ist der Besuch bei der Times einfach Gold wert — und für uns alle ein absolutes, unendlich inspirierendes Highlight!
Überhaupt: Inspiration. Ob der Besuch beim American Jewish Committee, unsere verrückte 30-Minuten-Berühmtheit, die wir durch einen Spontanauftritt in einer Talkshow bei Times Television (dem Sender der Bangladeshi Community) erhalten, das Hintergrundgespräch mit Ban Ki Moons UN-Spokesman Stephane Dujarric oder die Armenspeisung in einer Kirche — auch in New York gibt so gut wie keinen Programmpunkt, aus dem ich nicht randvoll mit Eindrücken und Ideen herausgehe. Und spätestens jetzt begreife ich: Nein, es ist tatsächlich kein Filmset, das alles hier. Es ist eine der tollsten Chancen, die ich in meinem beruflichen Leben bislang erhalten habe und von der ich noch sehr sehr lange zehren werde! Ganz ehrlich: Wer braucht da schon Frank Underwood?!
RIAS USA-Herbstprogramm
14.–30. Oktober 2015
Zehn deutsche Journalisten in den USA: Organisiertes Programm in Washington D.C. sowie für alle Teilnehmer jeweils ein individuelles Praktikum in einer amerikanischen Rundfunk- oder Fernsehstation, Abschlusswoche in New York.
Die dritte Programmwoche in NewYork war gefüllt mit Treffen u.a. beim Pressesprecher der Vereinten Nationen, dem Einsatz in einer Suppenküche für die Armen mit RIAS Fellow Bob Jamieson, dem American Jewish Committee mit David Harris, ehem. Direktor des AJC, Bloomberg TV mit RIAS Fellow Travis Altmann, bei der New York Times mit Arthur Sulzberger jr., Fox TV mit RIAS Fellow Danielle Turner und John P. Ellis. Abschluss war die Evaluierungsdiskussion mit RIAS Kommissionsmitglied Dr. Helena Kane Finn.
TEILNEHMERBERICHTE
Tino Böttcher, Mitteldeutscher Rundfunk, Leipzig
Howdy, Howdy!
Ein warmer Herbstabend Ende Oktober. Die Sonne geht gerade unter. In der Luft liegt ein leicht beißender, schwefelartiger Geruch. Und es ist nicht schwer herauszufinden, woher der kommt. Denn um mich herum erledigen dutzende „pumpjacks“ zuverlässig ihren Job. Wie ein Schweizer Uhrwerk pumpen sie literweise Erdöl an die Oberfläche. Es ist das erste, das ich zu sehen bekomme, nach meiner Ankunft in Odessa, Texas. Eine 100.000-Einwohner-Industriestadt in the Middle of Nowhere. Der Ort, an dem ich meine „Station Week“ verbringen werde. Mein erster Eindruck: Wo bin ich hier nur hingeraten? Die Antwort: An einen Ort voll mit unfassbar freundlichen Menschen. Aber dazu später mehr.
Welcome to the D.C.
Denn zunächst geht es nach Washington D.C. Es ist mein erster Besuch in der Hauptstadt, die mir mit all ihren Monumenten und Memorials vorkommt wie ein riesiges Freiluft-Museum. Da ich einen Tag früher anreise, kann ich schon mal die ganzen Touri-Spots abklappern. Eine gute Idee, wie sich herausstellen wird. Denn die kommenden Tage sind ziemlich vollgepackt mit interessanten Programmpunkten, so dass kaum Zeit bleibt für Sightseeing.
Unsere erste Station führt uns zu NPR — dem National Public Radio. Hier hört man Sätze wie diesen: „We don’t want to be known as the fastest on the stories, but the best.“ Es gibt ihn also auch den USA, den Anspruch Qualitätsjournalismus machen zu wollen. Sehr beruhigend. Aber wir erfahren hier auch, wie hart die Branche vor ein paar Jahren getroffen wurde — als es überall Massenentlassungen gab. Wir lernen gleich mehrere ehemalige Print-Journalisten kennen, die während der Krise ihren Job verloren haben, sich neu orientieren mussten und bei NPR wieder Fuß fassen konnten.
Es folgt unter anderem ein Besuch bei Michael Getler — einem von drei verbliebenen Ombudsmännern in den USA. Mit ihm führen wir eine spannende Diskussion über die Qualität und die Glaubwürdigkeit der Medien. Ein Thema, das uns in Deutschland derzeit ganz besonders beschäftigt, Stichwort „Lügenpresse“.
Vor allem aber bietet die Washington-Woche wirklich spannende Einblicke in die amerikanische Politik: Im Brookings-Institut reden wir über die Chancen von Hillary Clinton, die erste Präsidentin der USA zu werden; genauso wie über den uns unerklärlichen Erfolg von Donald Trump, der gerade auf dem besten Weg ist, republikanischer Präsidentschaftskandidat zu werden. Bei der konservativen Heritage-Foundation geht es — nur wenige Tage nach einem weiteren Amoklauf an einer amerikanischen Uni — um das Dauerthema Waffen. Und wir gehen mit dem sicheren Gefühl aus dieser Diskussion, dass eine Verschärfung des Waffenrechts in den USA auf mittlere Sicht extrem unwahrscheinlich ist.
The Lone Star State
Nach einer Woche in Washington muss sich unsere Gruppe vorübergehend trennen, denn es beginnt unsere fünftägige „station week“. Für mich heißt das: Auf nach Texas! Und ich merke sehr schnell, weshalb dieser Bundestaat auch der „Friendly State“ genannt wird. Hier sind einfach ALLE nett.
Allen voran mein Host David, der mich morgens im Hotel abholt, danach zu einem ausgiebigen Frühstück einlädt, abends wieder ins Hotel bringt, aber natürlich nicht ohne mich vorher zum Abendessen und ein paar Drinks einzuladen. Und das jeden Tag! David arbeitet für den TV-Channel CBS7 und ist so etwas wie eine eierlegende Wollmilchsau. Denn David macht alles: Er ist in Kameramann, Cutter und Reporter. Nicht selten alles gleichzeitig. Das ist nichts Ungewöhnliches für einen kleinen kommerziellen Sender wie CBS7, der unter einem noch viel größeren finanziellen Druck arbeitet als die großen Networks. Entsprechend auch die Auswahl der Themen. Denn berichtet wird vor allem über das, was Quote bringt. Und das ist: Wetter, Wetter, Wetter!
Gleich an meinem ersten Tag gibt es eine Tornado-Warnung für das Sendegebiet. Wir fahren fast 200 Kilometer auf der Jagd nach einem Wirbelsturm. Und obwohl wir keinen einzigen zu sehen bekommen, geht die Reporterin an diesem Tag fünfmal live auf Sendung und berichtet in strahlendem Sonnenschein über das „severe weather“, das möglicherweise bevorsteht. — Und das in der darauffolgenden Nacht tatsächlich über West Texas hereinbricht. Denn ein Hurricane über Mexico bringt eine ganze Ladung Regen in die Region, was zu heftigen Überschwemmungen führt. In den drauffolgenden Tagen geht es in den Sendungen von CBS7 im Grunde um nichts anderes. Wir berichten über Verkehrsunfälle in Folge der Unwetter, über ganze Straßenzüge, die unter Wasser stehen, über Menschen, die wegen der Flut ihre Häuser verlassen mussten. Das Wetter ist — zumindest in der Zeit, in der ich da bin — das alles bestimmende Thema. Bis auf eine Ausnahme: Freitagabend. Da dreht sich alles um die „Friday Night Lights“. High-School-Football ist in Texas so etwas wie eine Religion. Zu einem Spiel, bei dem 17-jährige Schüler gegeneinander antreten, kommen schon mal bis zu 20.000 Zuschauer. Ein Spektakel, das auch bei jemandem, der schon das ein oder andere Sportereignis besucht hat, wirklich Eindruck hinterlässt. Das gilt auch für die Art und Weise, wie darüber berichtet wird. Ich fahre mit Marshall, einem jungen Kollegen aus der Sportredaktion, zum Topspiel der Woche. An diesem Tag hat Marshall bereits im Studio den Sportblock der Nachmittagssendung moderiert. Nun stimmt er kurz vor dem Spiel in einer Live-Schalte aus dem Stadion auf die bevorstehende Partie ein. Doch damit ist sein Arbeitstag noch lange nicht vorbei. Im Anschluss dreht er als Kameramann das Spiel, fährt zurück in den Sender, um die Highlights selbst zusammenzuschneiden. Und: Zum krönenden Abschluss präsentiert er als Sportmoderator die Höhepunkte der anderen Partien in einer rund 45-minütigen Live-Sendung. Ein wirklich beeindruckendes, wenngleich auch ein wenig beunruhigendes Beispiel dafür, dass amerikanische TV-Journalisten (zumindest in den sogenannten „small markets“) alles können müssen. Hier zeigt sich einmal mehr, unter welchem Spardruck die kleinen, kommerziellen Sender in den USA agieren müssen. Und dennoch habe ich von den Kollegen, die ich getroffen habe, nur selten Beschwerden gehört. Im Gegenteil: Die allermeisten brennen für ihren Job. In einer Art und Weise, wie man es in Deutschland nicht so oft erlebt. Und trotzdem bin ich froh, dass wir im Gegensatz zu den Kollegen bei CBS7 meist noch mit EB-Teams auf Dreh fahren, dass ein professioneller Cutter unser Material schneidet, oder dass ich mich als Moderator nicht selbst schminken muss, sondern eine Maskenbildnerin diesen Job erledigt. Denn mit dieser Arbeitsverdichtung geht ein Qualitätsverlust einher. Und man sieht den Unterschied auf dem Bildschirm mitunter sehr deutlich.
The Capital of the World
Aber noch ist das RIAS-Programm ja längst nicht vorbei. Letzte Station: New York City. The Big Apple. The City That Never Sleeps. Schon beim Anflug über das funkelnde Manhattan kribbelt es in meinem Bauch. Und das liegt nicht an den leichten Turbulenzen im Flugzeug, sondern an der Vorfreude auf die kommenden Tage: UNO, Fox, Bloomberg, New York Times. Vor allem aber auch: Vorfreude auf die Gruppe. Großes Hallo nur wenige Stunden später im legendären „Katz’s Deli“. Danach feiern wir unser Wiedersehen standesgemäß in diversen Bars im East Village. Und auch die folgenden Tage gehen in der Regel feucht-fröhlich zu Ende. Denn auch das ist RIAS: Ein Austausch unter deutschen Kollegen, bei dem mitunter das Gefühl aufkommt, man sei auf Klassenfahrt.
Doch nicht nur die Abende in New York sind großartig, auch die zahlreichen Programmpunkte, die RIAS für uns vorbereitet hat. Wann hat man schließlich schon mal die Möglichkeit persönlich mit dem Pressesprecher des UNO-Generalsekretärs zu sprechen!? Überhaupt hält New York noch weitere überraschende Begegnungen bereit: Bei Bloomberg laufen wir zufällig dem demokratischen Präsidentschaftsbewerber Bernie Sanders über den Weg, der dort ein Interview gibt. Bei der New York Times treffen wir den Herausgeber Arthur Sultzberger Jr., der uns spontan einen exklusiven Rundgang durch den Konferenzraum gibt, in dem sonst nur prominente Gäste wie der amerikanische Präsident empfangen werden.
Auch sonst zählt der Besuch bei der New York Times zu den Highlights des RIAS-Programms. Wirklich beeindruckend, wie sich ein ehemals reines Print-Medium verwandelt hat in eins der größten und bedeutendsten Multimedia-Unternehmen der Welt. Welche Pionierarbeit hier in Sachen „Neue Medien“ geleistet wird, ist mit dem was bei uns in Deutschland passiert, nicht ansatzweise zu vergleichen.
Aber wir besuchen eben nicht nur die großen Medienhäuser in der Stadt. Sondern auch Orte, die nichts mit Journalismus oder Politik zu tun haben: Eine Kirche, in der wir Essen für Bedürftige zubereiten. Oder eine Highschool, in der wir erstaunlich interessante Gespräche mit Schülern führen, die überraschend gut Bescheid wissen über das, was außerhalb der USA passiert.
Tja, und dann macht es Schnips und plötzlich ist das RIAS-Programm vorbei. Drei Wochen, die sich anfühlen wie ein wunderbarer Vollrausch – voller Eindrücke, Erlebnisse und Erkenntnisse. Allerdings ohne den üblichen Kater danach. Stattdessen bleiben die süßen Erinnerungen an eine fantastische Zeit und an wundervolle Menschen, die einem in diesen drei Wochen begegnet sind.
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Nancy Fischer, Rundfunk Berlin Brandenburg, Potsdam
Auf der Homepage der RIAS Kommission stehen rund 300 Erfahrungsberichte. So viele deutsche Journalisten haben seit 2003 am RIAS-Programm teilgenommen, darunter auch einige meiner Arbeitskollegen. Wenn ich also im Büro erzählt habe, dass ich bald mit RIAS in die USA fliege, dann wurden die Fellows ganz sentimental: Sie haben aufgeregt ihre damaligen Stationen und Mitreisenden gegoogelt und mir versichert, wie neidisch sie sind. Zu dem Zeitpunkt war mir noch nicht ganz klar, woher die Nostalgie kommt.
Nun bin auch ich aus den USA zurück, google meine Station und meine Mitreisenden und bin ganz sentimental. Denn auch, wenn dieser Erfahrungsbericht nur einer von über 300 ist: Er ist so einmalig wie das Herbstprogramm 2015 einmalig war, unsere Gruppe und unsere Erlebnisse in den USA. Aber von vorne:
„You guys need to get started!“
Das Beste kommt zum Start: Tag 1 beginnt mit einem Besuch beim National Public Radio. Aber public bzw. öffentlich heißt hier nicht automatisch finanziell gut ausgestattet: NPR lebt von den Spenden seiner Hörer und muss dafür permanent gutes, kreatives Programm abliefern. Hier wird am „next generation radio“ gebastelt, Snapchat genutzt statt verhöhnt und ganz viel Wert auf Qualität gelegt, z.B. durch aufwendig produzierte Podcasts. In Sachen Social Media machen bei NPR alle alles — und empfehlen uns deutschen Journalisten: „You guys need to get started!“
Klartext redeten auch die politischen Think Thanks in Washington, z.B. die eher linke Brookings Institution, das konservative CATO Institute und die noch konservativere Heritage Foundation. Gerade beim Thema Schusswaffen hatten die Konservativen ihre Argumente parat: „Wenn einer in ein Restaurant läuft und jemanden mit einem Hammer umbringt, dann gibt man ja auch nicht dem Hammer die Schuld!“. Auch wenn wir danach kopfschüttelnd weiter gezogen sind: Keiner von uns will diese Einblicke in die Gedankenwelt der Conservatives missen.
Wir trafen Dronen-Experten, die weißhaarige Radio-Legende Diane Rehm, einen der letzten TV-Ombudsmänner des Landes und viele andere. So fühlte sich eine Woche Washington an wie ein Monat, der Gruppen-Spirit war entfacht und der erste Abschied von den anderen fast schon traurig.
„No space left for prizes“
Next Stop: Station Week! Und die habe ich in der beschaulichen Studentenstadt Ann Arbor verbracht, bei Michigan Radio. Ann Arbor liegt eine Stunde entfernt von Detroit — also von der Metropole, die erst Autostadt, dann pleite und dann hochkriminell war. Heute ist Detroit immer noch all das — und zusätzlich angesagt. Künstler, Musiker, Start-Ups zieht es hierher, das Leben ist unschlagbar günstig, der Freiraum lädt ein zur Selbstverwirklichung und für Journalisten gibt’s haufenweise Geschichten zu erzählen. Dementsprechend bestand meine Station Week eigentlich aus zwei Stations, täglich unterwegs zwischen Ann Arbor und Detroit.
Meine homebase, Michigan Radio, kennt man in Washington, in New York und natürlich in Michigan selbst. Hier laufen ausschließlich Wortbeiträge, die so spannend und abwechslungsreich erzählt werden, dass sich das in den USA rumgesprochen hat. Der News Director heißt Vince Duffy und ist mein Host, also Ansprechpartner in allen Belangen. Er kann seine Stirn sehr gut anchorman-like in Falten legen und Sätze sagen, die in deutschen Hörfunk-Redaktionen eher selten fallen, z.B. „Wir müssen die Story unbedingt noch vor der Zeitung bringen!“. Dann schwärmen seine Reporter los, recherchieren mitunter wochenlang an einer Story und decken auch wirklich einiges auf. Es geht bspw. um sexuellen Missbrauch an der Uni in Ann Arbor oder um verseuchtes Trinkwasser in Flint. Das Ergebnis: Die Preiswand im Eingangsbereich ist längst voll behangen und in fast jedem Raum stapeln sich in irgendeiner Ecke die gerahmten Auszeichnungen. „We just got no space left!“, erklärt mir Vince.
Er ist im Übrigen der perfekte Host: Er sorgt dafür, dass ich alle mal kennen lerne, den Sender und seine Arbeitsweise halbwegs verstehe, viel draußen unterwegs bin und auch die Abende nicht allein im Hotelzimmer hocken muss, sondern die Kollegen zur Happy Hour oder auf Konzerten treffe.
New York, du große Unbekannte
Deshalb ist es auch schade, Ann Arbor nach vier Tagen schon wieder zu verlassen — auch wenn „New York“ auf der Anzeigetafel am Flughafen steht. Dort angekommen, herrscht große Wiedersehensfreude unter den Fellows — und ein bisschen Aufregung: Schließlich liegt eine Woche voller Highlights vor uns. Los geht’s bei der New York Times, wo uns RIAS-Fellow Kassie zeigt, was Zeitungsredaktionen für schöne Videos produzieren können und wie viel Spaß soziale Medien machen. Was die NYT in puncto Innovation ist, ist Fox News in puncto Spontaneität (Der Abgeordnete Paul Ryan hält in fünf Minuten eine Rede? Dann schalten wir doch sofort hin und nennen es „Breaking News“!) und Bloomberg in puncto Fortschritt (kostenlose Snacks für die Mitarbeiter, raumschiffartiges Foyer, technische Ausstattung vom Feinsten). Vor allem letztere zeigen auf sehr eigene Weise, wie Medien in Zukunft funktionieren können — als Konglomerat zwischen Dienstleister und Informationsgeber. Wir sind uns zwar nicht sicher, ob wir das gut finden, aber allemal beeindruckt.
New York ließ uns aber nicht nur Staunen über fortschrittliche Redaktionen und Unternehmen, sondern auch und vor allem über das ganz normale New Yorker Leben. Zum Beispiel beim Besuch der Baruch High School, einer sehr beliebten öffentlichen High School mitten in Manhattan: unkonventionelle Unterrichtsformen, motivierte und mutige Lehrer und deshalb auch genau solche Schüler, die uns mit ihrem Selbstbewusstsein und ihrer Cleverness beeindruckt haben. Ähnlich eindrücklich war auch der Vormittag in der St. James Church — einer Kirche, die Armenspeisung anbietet. Nur, dass die Armen nicht für eine Kelle Suppe anstehen müssen, sondern wie im Restaurant bedient werden — und zwar von uns. Und beim Kochen vorneweg gab’s Zeit für Gespräche mit den Freiwilligen, die auch sonst jede Woche freiwillig diesen Job machen.
Am Ende möchte ich eines nicht verschweigen: RIAS hat auch seine Schattenseiten. Ich musste mehrere Wochen lang meinen Kontostand ignorieren, bekam schlechte Haut vom vielen Fast Food und mein Körpergefühl ähnelte immer mehr dem eines Hamburgers. Und trotzdem: Ich bin selten so glücklich von irgendwo nach Hause gereist. Danke, RIAS, für drei sehr bereichernde Wochen!
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Caroline Kuban-Speer, Deutschlandradio, Berlin
Alles ist „big“ in den Vereinigten Staaten. Nicht nur die Hochhäuser Manhattans, die Trucks, die sich durch New Yorks Strassen quälen oder die Trinkbehälter aus Plastik, deren „kleinste“ Ausführung nicht selten 500 ml umfasst, und in die mitunter Gallonen von Flüssigkeiten (1 Gallone=3,79 Liter!) passen müssen. Auch die Freundlichkeit der Menschen ist überragend.
Nach meiner Ankunft in New York konnte ich mich als Touristin gleich gut einführen bei meiner ersten Metro-Fahrt vom Amtrack-Bahnhof zum Hotel. Der Koffer, den ich hinter mir herzog, war irgendwie breiter als das Drehkreuz am U-Bahn-Eingang, und so kam ich nach dem Kartencheck zwar gut durch die Absperrung, nur mein Gepäck verklemmte sich dahinter. Auch mehrmaliges Durchziehen der Karte hatte wenig Sinn, es bewegte sich einfach gar nichts mehr. Unterdessen wurde die Schlange hinter mir immer größer (4pm rushhour), bis die Erlösung nahte in Form eines großen, schwarzen Mannes, der mir das 23-Kilo-Teil locker über die Absperrung hob. Sein Blick sprach allerdings Bände (“what the hell are these crazy German tourists doing here..?”)
Doch der Reihe nach. Die erste Woche des Herbst-Programmes der RIAS-Kommission fand in Washington statt, und dort jagte ein interessanter Termin den nächsten. Das National Public Radio, unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten programmlich durchaus vergleichbar, unterscheidet sich wesentlich in seinem Finanzierungsmodell. Sponsorengelder spielen hier eine weitaus wichtigere Rolle, staatliche Unterstützung gibt es kaum. Wirtschaftsjournalistin Marilyn Geewax berichtete aus ihrem dichten Arbeitsalltag, der heutzutage selbstverständlich neben der „traditionellen“ redaktionellen Rundfunkarbeit auch Tätigkeiten eines Online-Redakteurs und den Umgang mit den sozialen Netzwerken mit einschliesst. Arbeitszeiten von 9-19 Uhr sind da eher die Regel denn die Ausnahme.
Die Gespräche mit den Think Tanks, den Denkfabriken, vor allem der „Heritage Foundation”, einer erzkonservativen Organisation, die die Republikaner unterstützt, waren spannender als gedacht. Da sitzt diese Mitarbeiterin an ihrem schweren Mahagoni-Konferenztisch und verkündet: „gun-control“ wäre richtig und wichtig, schließlich müsse man sich gegen seine Feinde verteidigen können, und eigentlich sollten noch mehr Bürger eine Waffe haben. Im Übrigen sei sie Sportschützin „and that’s great fun!” Selbst die Mitarbeiterin des liberalen „Cato-Instituts” meinte, „I’m a hunter, my husband is a hunter, of course we need weapons”…da kommt die Geschichte der lonesome Cowboys und der Goldgräber durch, die ihren „Claim” abstecken und gegen Eindringlinge verteidigen müssen…
Das ARD-Studio in Georgetown beherbergt mittlerweile 6 Hörfunk-Journalisten von verschiedenen Anstalten. Hörfunk und Fernsehen teilen sich dasselbe Studio. Alle 14 Tage kann einer von ihnen durchs Land reisen. Ein echter Traumjob.
Nicht nur „groß“, sondern auch faszinierend ist das „Newseum”, das Washingtoner Museum über Journalismus früher und heute. Besonders berührend: die Abteilung über die Berichterstattung über den Vietnam-Krieg, die eine Wende in der amerikanischen Kriegs-Berichterstattung darstellt, und die Dokumentation der Ereignisse rund um 9/11 in New York.
Ganz andere Eindrücke erwarteten mich anschließend in Delaware (Dela-where?), dem zweit kleinsten Staat in den USA. „WDEL“ ist eine private lokale Radiostation am Stadtrand der 70 000 Einwohner-Stadt Wilmington. Multimediale Fähigkeiten sind bei den hier arbeitenden Kollegen nicht nur erwünscht, sondern Voraussetzung. So nimmt Nachrichten-Journalistin Amy zu jedem Aussen-Termin ihren Camcorder inklusive Stativ mit und dreht einen kurzen Film. Zurück im Newsroom schneidet sie das Material und versieht es mit einem Text, der auf der Webseite seinen Platz findet. Die sozialen Netzwerke Facebook und Twitter werden bestückt und drei verschiedene 90-Sekünder verfasst für die O-Ton Nachrichten. Das Ganze dauert nicht mal eine Stunde. Dann geht’s zum nächsten Termin.
Multitaskfähig müssen auch die Anchormen sein. Davon gibt es bei „WDEL“ drei: einer moderiert die Morgensendung, einer mittags und abends und einer nachmittags. Sechs Tage die Woche. Allan Loudell betreut die Mittags-Show „Delaware News at Noon“. Im Selbstfahrerbetrieb fährt er eine Stunde lang die Nachrichten, Werbespots, Verkehr und Wetter. Nebenher organisiert er sich seine aktuellen Interviews (vier pro halbe Stunde). Ich habe das Glück, dass Präsidentschaftskandidat Joe Biden (ein echter „Delawarian“) ausgerechnet während meiner Zeit bei WDEL von seiner möglichen Präsidentschafts-Kandidatur zurücktritt. Im Rosengarten des Weißen Hauses und in Anwesenheit Obamas verkündet er seine Entscheidung. Interessant zu sehen, mit welcher Schnelligkeit und Effizienz die Kollegen ein für sie so wichtiges Thema durch den Tag ziehen.
Nach dem doch eher beschaulichen Wilmington dann der „Kulturschock“ schlechthin. New York wirkt im ersten Moment geradezu erschlagend. „The City never sleeps“, Manhattan ist zu jeder Tages- und Nachtzeit schnell, laut und faszinierend. Stehenbleiben empfiehlt sich nicht auf der 5th Avenue-man könnte im steten Strom vorbeihastender Menschen umgerannt werden. Eine Oase dagegen: der Central Park. Allerdings nicht in den frühen Morgenstunden, wenn Massen von „Dog-Walkern“ mit ihren Schützlingen (im Durchschnitt vier an jeder Hand) ihre Runden drehen.
Spannend die Einblicke beim mittäglichen Press-Briefing der Vereinten Nationen und dem nachfolgenden Gespräch mit dem press officer des Hauses, bei Bloomberg News und dem American Jewish Committee. Dort drehte sich alles um deutsch-amerikanische Beziehungen und die Bedrohung durch Antisemitismus in heutiger Zeit. Hochgradig interessant auch der Besuch bei Fox TV, einem konservativen Fernsehsender, der die Republikaner unterstützt. Frappierend, wie ungeniert dort Journalisten einseitige politische Meinung in ihren Moderationen transportieren.
Die New York Times hat sich von einer reinen Zeitung schon lange weg entwickelt und versteht sich mittlerweile als Multimedia –Unternehmen. Aufwendig recherchierte Features von bis zu 30 Minuten Länge findet man auf der Website der New York Times ebenso wie spezielle Angebote in den Sozialen Netzwerken, zum Beispiel für Kinder. 450 Videos veröffentlicht das Unternehmen pro Monat.
Vielseitige Einblicke und Impulse bietet das Programm der RIAS-Kommission. Einblicke, die noch lange nachwirken werden. Probleme mit großen Koffern in der Metro gehören nicht unbedingt dazu. Aber sie waren am Ende der Reise auch kein Thema mehr. Die Rückfahrt zum Flughafen gestaltete sich überaus entspannt: direkt von Tür zu Tür mit dem Großraumtaxi.
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Elena Kuch, Norddeutscher Rundfunk, Berlin
„Nach den Wahlen 2016 wird das amerikanische Fernsehen in eine richtige Krise stürzen. Noch kommen die Werbeeinnahmen. Wahlen sind ein klassisches Fernsehevent. Aber danach wird es das Fernsehen so erwischen wie es die Zeitungen erwischt hat.” Diese Prognose hat mir Paul, der junge und erfolgreiche Digital Editor des Springfield News Leader, der Tageszeitung von Springfield, Missouri bei einem Craft Beer vorgebracht. Es war bei einem der vielen Treffen, die mein Host Ed Fillmer, ein freier Videojournalist in Springfield, für mich organisiert hat.
Springfield: Buckle of the Bible Belt
Springfield ist bei einem landesweiten Wettbewerb, welches der vielen amerikanischen Orte namens Springfield denn nun „das” Springfield aus den Simpsons sein könnte, ganz weit vorne gelandet. Weitere Eckpunkte zu der Stadt im „Buckle of the Bible Belt“: Heimat von Brad Pitt, der Tornado Tunnel der USA, Geburtsort der Route 66 und Hauptsitz der radikal evangelikalen, sehr mächtigen Freikirche „Assembly of God“. Gerade hat die traditionell republikanische Stadt durch eine Petition ein Gleichstellungsgesetz für LGBT mit 51% gekippt.
Die Stadt ist arm und es gibt Probleme mit den vielen Chrystal Meth Abhänigigen. Gleichzeitig gibt es aber auch eine große Tech Start Up Szene, Studenten, Künstler, eine vielfältige Musikszene und sehr nette Bars und Cafés, Menschen, die sich engagieren und, wie sie sagen, „impact on the community” haben wollen. All diese Leute kennt mein Host Ed, der wie kein anderer vernetzt ist und mich so vielen Menschen vorgestellt hat (vom Termin beim Bürgermeister bis zum Golf Car Cruise durch die Ozarks mit der ehemaligen Miss Missouri), dass ich schon auf der Straße gegrüßt wurde und mich kurzzeitig als Mitglied der Community fühlte. Noch nie habe ich in so kurzer Zeit so viel über ein Land gelernt, das ich bereist habe. Am eindrücklichsten in Erinnerung behalten werde ich vermutlich den Moment, in dem ein College-Journalismus-Kurs mir im Chor das First Amendment zur Pressefreiheit vorgetragen hat. Einer der Studenten saß dabei in Army-Uniform in der Klasse. Die Dozentin, eine ehemalige ABC-Journalistin hatte Ed und mich gebeten, den Studenten von unserer Arbeit zu erzählen. Auch ich habe von Ed viel über die Arbeit als „frei” Freier in den USA gelernt. Er hat sich in den letzten 30 Jahren einen Namen als Reporter gemacht und arbeitet komplett selbständig, dreht und schneidet alles selbst. Seit über 20 Jahren arbeitet er als VJ und ist, wie er sagt, nur deshalb noch im Geschäft. Im Gegensatz zu anderen Kollegen seines Alters, die sich der Entwicklung nicht angepasst haben.
VJs und Qualitätsjournalismus
Wie in einer Fernsehredaktion gearbeitet wird, habe ich an einem Nachmittag bei KY3 mitbekommen. Auch hier drehen und schneiden die meisten Redakteure selbst. Mit Glück geht man mit einem Kameramann raus, der dann auch noch schneidet. Die Hauptthemen im Sendegebiet: Wetter, Sport, Kriminalität und ähnliche Breaking News. Fast nur Ed liefert immer mal wieder was hintergründiges. Jeder Redakteur hat mehrere Tausend Facebook Fans und Twitter Follower und hegt und pflegt die Seiten.
Pauls These beim regionalen Craft Beer von der bevorstehenden Fernsehkrise klingt glaubwürdig. Denn noch hat sich auch in den USA der Fernsehjournalismus den aktuellen Trends am wenigsten angepasst. Das Fernsehen reagiert aber das tut es langsamer als die anderen, die schon zum Umdenken gezwungen wurden. So wie die New York Times, wo wir in New York verhältnismäßig viel Zeit verbringen durften: mit Führung durch das Haus und, vom Verleger höchstpersönlich, durch den Board Room. Hinter den teilweise brillanten VJ Filmen der New York Times steckt nur eine Strategie: Qualität, Qualität, Qualität. Da ist es egal, ob ein Clip 1:30 oder 10 Minuten lang ist. Die Story bestimmt. Vermarktet wird das ganze dann durch eine kompetente und klare Social Media Strategie. Denn wie in den meisten Ländern konsumieren in den USA schon über 30 Prozent der Internetnutzer Journalismus über Social Media.
Auch der Radiosender NPR mit den vielen Member Stations im Land hat sich dem Qualitätsjournalismus verschrieben. Beiträge mit O-Tönen von 7 Minuten sind keine Seltenheit. Und für die Reporter der NPR Member Station WAMU in Washington ist es wichtig sich im Internet einen Namen zu machen. Das gelingt dadurch, dass der Sender eine klare Social Media Strategie hat und nicht bloß einfach mal ein paar Beiträge postet. Das erzählten uns die Reporter, Moderatoren und der Digitalchef, während wir Mini-Doughnuts aßen und im Hintergrund die 79-jährige Moderatorenlegende Diane Rehm am Mikrofon für ihre tägliche Radioshow saß. Die Reporter und Redakteure haben uns einen Einblick in ihren Redaktionsalltag gewährt. Für mich, eines der interessantesten Treffen in Washington.
Charity statt Staat
Besonders spannend fand ich auch das Treffen im Cato Institute. Die Pressesprecherin des Think Tanks gab uns einen kleinen Einblick in die in den USA einflussreiche libertäre Denkschule: Der Mensch will vorankommen und das Beste für sich. Der Staat sollte da so selten wie möglich dazwischenfunken. In jeder Gesellschaft werden die Menschen automatisch auch den Schwächeren helfen. Da braucht es keinen Staat. Und so steht der Libertarismus konsequent für den freien Waffenbesitz, gegen Obamacare und die gesetzliche Krankenversicherung aber auch für die Legalisierung von Drogen. Ist irgendwie alles stringent. Und so anders als politische Richtungen, die wir in Europa kennen. Für mich erklärt es einiges in Amerika. Auch das Charity Prinzip: Wenn es Dir gut geht, hilfst Du auch anderen, willst „impact” in der „Community“. So wie in der Kirche, die wir im der New Yorker Upper East Side besucht haben. Angeleitet wurden wir von dem charmanten ehemaligen ABC Reporter Bob, der dort jede Woche für Bedürftige kocht. Gegründet wurde die kleine Gruppe Ehrenamtlicher von einer richtigen Upper East Side Lady. Sie ist inzwischen 97 Jahre alt, kam mit ihrem Gehwagen, ihrer Haushaltshilfe und perfekt gekleidet und geschminkt vorbei. Mit ihrer Tochter und weiteren Upper East Side Ladies und Gentlemen haben wir gekocht und gebacken und ungefähr 80 in Manhattan unter der Armutsgrenze lebenden Leuten serviert.
So haben wir Manhattan kompakt erlebt und wieder was gelernt. Wie bei allen dieser vielen Treffen während der RIAS Reise. Ob im Gespräch mit dem Pressesprecher von Ban Ki Moon in der UNO, in den schicken Büros von Bloomberg oder in der Regie von Fox Business. Von Fox hat man ja schon viel gehört aber in der Stunde live in der Regie konnten wir eine Sendung es tatsächlich mal ganz und in einem Stück sehen. Denn Zuhause streamt man Fernsehsendungen ja selten so lange. Das bringt mich wieder zu Paul zurück und zu seiner Prognose, dass dem Fernsehen eine große Krise bevorsteht. Es geht um Aufmerksamkeitsspannen: Auch wenn Fernsehsender Sendungen online stellen, heißt es noch lange nicht, dass sie geguckt werden. Zu groß ist die Konkurrenz um die Aufmerksamkeit im Internet. Und deshalb, so sagt Paul, muss es richtige Online Strategien geben, auch von den Sendern. Einfach online stellen reicht nicht. Und es muss gut sein: Qualitätsjournalismus. Wir haben Zeit für das Kurze und das Schnelle. Und wir nehmen uns Zeit für das Gute, das qualitativ hochwertige, die Langform, die Magazinform. Nur Mittelmäßigkeit hat im Internet wenig Erfolg.
Die USA machen es vor, wir machen es nach
Bis heute übernehmen wir in Deutschland viele journalistische Trends aus den USA. Doch es hat mich überrascht zu sehen wie viel wir wirklich kopieren: Late Night Show Elemente, Kolumnenstile, Magazinrubriken, eigentlich alles was Online passiert. Und auch die Versuche, Wege aus der Medienkrise zu finden, kommen fast alle aus den USA: Von Onlineportalen wie vox.com bis Buzzfeed bis zu großen Umstellungen bei Zeitungen. Nur das Fernsehen hinkt, unseren Besuchen nach zu urteilen, leicht hinterher. Weil alle relevanten Sender auf Werbeeinnahmen angewiesen sind, setzen sie auf Quote und Reißerisches statt auf Qualität und stilisieren jede Meldung zur Breaking News. Doch um Relevanz zu behalten, wird es sich in den nächsten Jahren ändern müssen. Vielleicht werden die Amerikaner ja wieder mal einen Weg finden, an dem wir uns orientieren können.
Die Wochen mit RIAS in Washington, Springfield und New York haben zum Denken angeregt. Sie haben aber auch unglaublich viel Spaß gemacht. Denn unsere RIAS Gruppe hat wirklich gut zusammengepasst! Wir haben gute Gespräche geführt, viel gelacht, viel gegessen und, ja, sogar getanzt. All das in der Kulisse von Washington mit diesen riesigen, schneeweißen Denkmälern und Regierungsgebäuden. Und dann auch noch in New York: Klassenreisengefühle im Central Park, in Midtown, in der Lower East Side und China Town. Ich freue mich jetzt schon auf ein Wiedersehen mit allen RIAS Fellows!
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Jennifer Lange, Norddeutscher Rundfunk, Hamburg
Alle waren als Zombies verkleidet, ihre Gesichter blutverschmiert. Viele hatten Spielzeug-Waffen dabei. Und dann fielen Schüsse. Ein Mann stirbt, fünf werden verletzt. Der Täter kann unerkannt fliehen. Die Polizei ist überfordert. Wer ist Opfer und wer Täter? In der Innenstadt von Fort Myers liefen nach der Schießerei auf dem Zombicon Festival zu viele blutverschmierte Menschen mit Waffen-Attrappen durcheinander.
Die Schießerei passierte drei Tage vor meiner Ankunft in Fort Myers in Florida. Die Ermittlungen waren das beherrschende Thema in meiner Station Week bei WGCU, einem lokalen Sender im großen NPR-Netzwerk. In den lokalen Nachrichten, dem „Newscast“, wurde über neue Entwicklungen im Fall berichtet und die einstündige Talk-Sendung „Gulf Coast Live“ drehte sich um die zunehmende Waffen-Gewalt in Florida. Es war eine sehr emotionale Sendung, da auch eine Mutter im Studio saß, die vor kurzem ihren fünfjährigen Sohn bei einer Schießerei verloren hatte. Zeitgleich fanden Beratungen statt, ob künftig Waffen an Universitäten in Florida erlaubt sein sollen. Die Mehrheit der Senatoren sprach sich dafür aus. Der enorme Stellenwert des Rechts auf Selbstverteidigung ist für mich nach wie vor schwer nachvollziehbar.
Schießereien, große Autos, ungesundes Essen — das sind Klischees, die ich mit Amerika verbinde. Als ich ungläubig vor meiner Käse-Brokkoli-Suppe saß, die aussah wie ein Käse-Fondue, und das dickflüssige Mayonnaise-Dressing auf meinen Salat tropfen ließ, konnte sich mein Host nicht mehr halten vor Lachen. Die Klischees stimmen aber nicht immer. Es gibt immer mehr gesundes Essen, die Schießerei im Stadtzentrum von Fort Myers war die erste seit sehr langer Zeit, und es gibt Smarts und Carsharing.
Die Gastfreundschaft der gesamten Radio-Redaktion von WGCU haben meine Station Week zu einer unvergesslich schönen Zeit gemacht. Ich wurde herzlich begrüßt und im Laufe der Woche haben sich alle Kollegen Zeit genommen, meine Fragen zu beantworten und mir ihre Arbeit zu zeigen. Mit einer Reporterin bin ich zu einer Demonstration gegen eine bevorstehende Bären-Jagd gefahren. Die Demonstranten hatten sich mit Pappschildern an einer mehrspurigen Straßenkreuzung aufgereiht. Den stoppenden Autos reichten sie Flyer durchs Autofenster. Für mich war das eine sehr interessante Erfahrung, da sich Demonstranten in Europa gewöhnlich in der Innenstadt auf großen Plätzen oder vor öffentlichen Gebäuden versammeln. In Amerika hingegen gibt es wohl die meiste Aufmerksamkeit entlang der Highways.
In Florida gibt es nicht nur immer mehr Braunbären, sondern auch Alligatoren. Zudem wachsen einige Pflanzenarten ungebremst. Beide haben keine natürlichen Feinde. Die exotischen Tiere und Pflanzen werden häufig von reichen Amerikanern ins Land gebracht, irgendwann ausgesetzt und verdrängen dann andere Arten. Umweltschutz ist ein Thema, das der lokale Sender WGCU regelmäßig aufgreift. Die Natur prägt das Leben dort stärker als bei uns. Ich habe davon auch ein bisschen gesehen, wenn ich nach der Arbeit an den Strand gefahren bin. Kormorane schwebten elegant übers Meer bis sie sich im Sturzflug auf die Wasseroberfläche stürzten, für ein paar Sekunden abtauchten, und mit einem Fisch im Schnabel wieder an der Oberfläche kamen. Viele der Vogelarten, die am Strand von Fort Myers auf und ab stolzierten, habe ich vorher noch nie gesehen. Einen Tag ist sogar eine große Schildkröte langsam an mir vorbeigezogen und hat gemütlich ein Büschel Gras zwischen ihren Zähnen zermalmt.
Florida bedeutet aber nicht nur schöne Natur, sondern auch klimatisierte Malls. Ich bin jedes Mal überrascht, dass man in den USA tatsächlich nur schwer zu Fuß gehen kann. Selbst in einer Mall sind die einzelnen Restaurants und Läden so stark durch breite Straßen getrennt, dass man für ein paar Meter das Auto nimmt. Für mich als Hamburgerin ist es auch unverständlich, dass man vom klimatisierten Auto, ins klimatisierte Geschäft, ins klimatisierte Restaurant geht, wenn draußen so schönes Wetter ist. Draußen sitzen? Fehlanzeige.
Bei WGCU habe ich den Kollegen aber nicht nur bei ihrer alltäglichen Arbeit über die Schulter geschaut, ich durfte sogar selbst live ans Mikrofon. Die Arbeit on air hat mir richtig Spaß gemacht und von der Redaktion kam viel Lob. Ich habe den sogenannten Pledge-Drive mit moderiert und als Gast Fragen zum deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk beantwortet. WGCU ist als öffentlicher Radiosender in den USA auf Spenden seiner Hörer angewiesen. Wir haben in den Tagen des Pledge-Drives mehr als 150.000 Dollar gesammelt. Im Studio stand ein großer Bildschirm, auf dem alle paar Minuten eine Spende von 5 bis 5000 Dollar einging. Jede Spende rief Jubelrufe und Applaus meiner Kollegen hervor. Die Woche hat mich ein wenig demütig werden lassen, in Anbetracht dessen wie unser öffentlich-rechtliches System finanziert wird. Zudem sind mir die amerikanischen Kollegen ein Vorbild geworden, weil sie viel stärker und selbstverständlicher multimedial arbeiten. Es kommt häufig vor, dass ein Reporter für einen Radio-Beitrag rausgeht, dazu noch ein kurzes Video dreht, Fotos macht, alles auf die Website stellt und den Eintrag anschließend bei Facebook und Twitter verbreitet.
In New York und Washington ging es nicht ums Regionale, sondern um die großen, überregionalen Themen. Hilary Clinton musste vor dem Benghazi-Untersuchungsausschuss aussagen, der Präsidentschafts-Wahlkampf war schon in vollem Gange und im Kongress hatte Paul Ryan, inzwischen der neue Sprecher des Repräsentantenhauses, eine Debatte um die Vereinbarkeit von Arbeit und Familie losgetreten.
Washington ist für mich nach wie vor die Stadt der Monumente, leisen Töne und Lobbyisten. Die Treffen bei den Think Tanks in Washington waren gut, weil sie geholfen haben die amerikanische Sichtweise zu verstehen. Warum bestehen Amerikaner auf ihre Waffen? Und warum sind sie gegen Obamacare? Das ist mir nach dieser Fahrt klarer. Besonders lustig war, dass wir bei WAMU 88,5 die Diane Rehm Show live verfolgen konnten, wobei mir erst später klar wurde, wie berühmt die 79 Jahre alte Dame und ihre Talkshow in ganz Amerika sind. Jedes Mal wenn ich gegenüber Amerikanern erwähnte, dass wir Diane Rehm getroffen haben, ging ein großes Raunen durch den Raum. Georgetown war für mich eine ganz neue Seite Washingtons und ich habe dieses Viertel ins Herz geschlossen. Ich habe mich auch sehr gefreut, dass sich die ARD-Korrespondenten abends noch die Zeit genommen haben und uns ihr Studio gezeigt und von der alltäglichen Arbeit erzählt haben.
New York ist einfach die faszinierendste Stadt, die ich kenne. Sie übt einen Sog auf mich aus. Ich kann stundenlang durch die Straßen spazieren. Hinter jeder Häuserecke ist etwas Neues zu entdecken. Vom Programm fand ich besonders die Diskussion mit Highschool Schülern bereichernd, weil sie uns in dem dreiwöchigen-Programm eine ganz neue Perspektive eröffnet hat. Ich war beeindruckt wie differenziert die Schüler die Flüchtlingssituation in Europa diskutiert haben. Das Thema wurde in den USA allgemein überraschend stark wahrgenommen. Umso ernüchterter war ich, dass sich bei den Vereinten Nationen immer noch nichts in Hinblick auf eine Syrien Resolution getan hat. Ich war 2012 das erste Mal für einige Wochen bei den UN und habe Stunden vor dem Sicherheitsrat gewartet, in der Hoffnung, dass die Regierungschefs oder Minister sich zu irgendeiner Entscheidung durchgerungen haben. Aber das war nicht der Fall und die Situation hat sich leider auch drei Jahre später nicht geändert.
Umso motivierender war hingegen der Besuch bei der New York Times. Ich mochte den Elan und den Mut einfach etwas auszuprobieren und mit neuen Medienkanälen zu experimentieren. Etwas Vergleichbares fehlt in Deutschland noch. Dabei ist das, was die New York Times macht, nichts Außergewöhnliches. Wir könnten das auch. Aber in Deutschland fehlt dazu der Mut, weil die Möglichkeit des Scheiterns Angst macht. Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft selbst mehr auszuprobieren. Außerdem möchte ich meinen alten Twitter-Account endlich mit Leben füllen. Ich liebäugele auch damit, bei uns einen Podcast a la „Planet Money“ von NPR aufzubauen. In den USA wird dort Wirtschaft klug, witzig und verständlich erklärt. In der deutschen Radiolandschaft fehlt so ein Format noch.
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Simone Mir Haschemi, Saarländischer Rundfunk, Saarbrücken
Die Vorurteile, die wir gegenüber U.S.-Amerikanern haben, stimmen oft. Nur: Ich glaube an das mit den zwei Seiten einer Medaille. Jedes Vorurteil, das ich bestätigt finde, steht gleichzeitig für etwas Positives. Das denke ich seit langem über Amerika und unser Bild in Deutschland von Amerika — und das hat sich mit dem RIAS-Programm in besonderer Weise bestätigt.
(Keine) Waffen sind auch keine Lösung
„We strongly believe in the second amendment.“ Auf gut deutsch: Jeder soll das Recht haben, eine Waffe tragen zu dürfen. Das ist eine der ersten Botschaften, die wir in Washington um die Ohren gehauen bekommen. Von einer sehr eloquenten, gebildeten Dame in Kostüm beim Think Tank Cato Institute. Nicht von einem rotgebräunten Möchtegern-Cowboy aus Texas. Der Ausdruck in den Gesichtern meiner Gruppenkollegen schwankt zwischen Ungläubigkeit, Kulturschock, aufkeimender Wut und jetlag-geprägter Verwirrung. Das Gespräch bei Cato wird spannend. Unsere Diskussion im Anschluss auf der Straße noch mehr — außerdem lautstark. Wir sind mittendrin in der Bestätigung von Vorurteilen, in der Feinjustierung der Klischees, aber auch im Prozess, zu verstehen, warum Dinge anders sein können, unverständlich für uns, aber nicht notwendigerweise aus reiner Ignoranz heraus, sondern mit guten Gründen unterfüttert. Wir brauchen dringend Kaffee.
Hire and fire
Marilyn ist eine gestandene Journalistin. Sie ist eine tolle Wirtschaftsjournalistin. Auch in Deutschland höre ich sie bei NPR im Radio und staune. Sie erklärt den Hörern, was so schwer zu erklären und noch schwerer zu verstehen ist. Wie das alles funktioniert, das mit der Wirtschaft. Nach einer Sendung mit Marilyn denke ich, ich weiß, was Sache ist.
Marilyn erzählt uns frei von der Leber weg, wie sie in der großen Wirtschaftskrise, die auch zu einer Medienkrise wurde, ihren Job bei einer Zeitung verloren hat. Inzwischen arbeitet sie bei NPR — aber nicht alle hatten solches Glück. Immer wieder hören wir in den drei Wochen von Journalisten, die von heute auf morgen auf der Straße standen. Natürlich, das gibt es in Deutschland auch. Aber wie Marilyn davon erzählt, das ist so im positiven Sinne schamfrei, einfach ein Teil ihres Lebens, mit dem sie nicht hinter dem Berg hält — wir sind begeistert von Marilyn. Hire and fire, das ist blöd für den Betroffenen, aber nichts zum Beschämtsein. Wir brauchen dringend Kaffee.
If it bleeds it leads
Das Newseum. Ein dem Journalismus gewidmetes Museum amerikanischster Machart. Heißt: Es will uns berühren. Wir bleiben hängen. Bei jahrhundertealten Zeitungsblättern und flimmernden Touchscreens. Wir lassen ein Stück der Berliner Mauer auf der anderen Seite des Atlantiks auf uns wirken und schaudern im Angesicht der verbogenen Antenne des World Trade Centers. Aber nur einzeln und allein setzen wir uns in den dunklen Raum, der einen Film über Journalisten zeigt, die am 11. September 2001 durch Schutt und Asche tappten. Denn da müssen wir weinen. Oder manche von uns. Natürlich müssen wir das. Es ist schließlich ein amerikanisches Museum. Keine Angst vor Emotionen. Wir brauchen danach dringend Kaffee.
Tell us about your background
WAMU. Öffentlich-rechtliches Radio für Washington. Ramon, Hispanic, landet aus Versehen in unserem Konferenzraum. Anstatt sofort wieder zu gehen, erzählt er uns, was er beruflich so tut. Wie er nach El Salvador reist, um über Kinder zu berichten, die versuchen, aus Mittelamerika in die USA zu fliehen. Wie er das an Fernsehen und Hörfunk verkauft. Wie sein gewitztes Businessmodell aussieht, denn schließlich haben die wenigsten Redaktionen Geld für solche Reisen übrig. Eine Geschichte von Leidenschaft und Geldverdienen, von Beruf und Berufung, von Journalismus und Selbstverwirklichung. Nach einer flammenden Rede verlässt Ramon den Raum. Er ist nicht der einzige in den USA, der uns eine kurze, kompakte und fesselnde Schilderung seines Leben oder seiner Arbeit bietet. Packend erzählen und dabei vermitteln zu können, so kennen wir die Amerikaner. Sesamstraße statt Telekolleg. Wir sind geflasht und könnten einen Kaffee brauchen.
Families in transition
Auf der anderen Seite des Landes. Ich bin in Eugene, Oregon. Zusammen mit Tracy, meiner Gastgeberin beim New Country-Radiosender KKNU besuche ich das First Place Family Center. Dort helfen sie Familien, die Probleme haben, obdachlos sind, gesundheitlich kämpfen oder ihren Job verloren haben. Sie bekommen Schlafmöglichkeiten, Unterstützung mit Anträgen und Formularen, können Wäsche waschen und die Kinder Hausaufgaben machen. Von diesem Besuch bleiben mir drei Wörter lange im Ohr — es sind „families in transition“. Den Mitarbeitern bei First Place ist es wichtig, die Familien so zu nennen und nicht etwa „homeless people“. „In Transition,“ das heißt, die Familien haben eine Situation, in der sie waren, verlassen und brauchen punktuell Begleitung auf dem Weg in die nächste. Transition ist Bewegung, ist Veränderung, birgt alle Möglichkeiten einer guten Zukunft. Positiv denken. Wir sind in Amerika. Ich gebe zu, ich bin gerührt. Und bekomme dazu auch noch Kaffee.
Geschnetzeltes und Bohnen
New York, Upper East Side. St. James Church. Wir kochen auf Anleitung der Volunteer-Gruppe der Kirche. Deutsches Essen für amerikanische Gäste. Jeden Dienstag Morgen kochen sie für alle, die Hunger haben — sie sind zum Essen eingeladen. Bedürftige und weniger bedürftige Menschen kommen regelmäßig hierhin. Viele der Ehrenamtlichen sind ältere Ladies und Herren von der Upper East Side. John erklärt uns, wie wir die vielen, vielen Baguettes zu bestreichen haben. Er ist Ende 80 und ehemaliger Investmentbanker. Sein ganzes Leben hat er hier gelebt. Und ich kann nicht umhin zu denken: Mad Men. Das hat er alles miterlebt. Er war dabei. Hier in New York, als geraucht und getrunken wurde, was das Zeug hält, als die Stadt brandgefährlich war, als die Kubakrise die Menschen fast um den Verstand brachte, als Kennedy zu betrauern und die Mondlandung zu feiern war. Eine amerikanische Kult-Fernsehserie, die in der Upper East Side spielt, lässt mich das lange Leben dieses alten Mannes dreidimensional vor mir sehen. Oder zumindest das, was ich in ihn hineinlese. Ich bin fasziniert. Und davon abgesehen froh, dass ich beim Baguette stehe und nicht im Fleischtopf rühren muss. Wir sind zum ersten Mal seit unserer Ankunft in den USA körperlich erschöpft, weshalb wir dringend Kaffee brauchen.
Deutschsein ist, wenn man trotzdem lacht
Übrigens, das mit den Vorurteilen, die oft stimmen, das gilt auch für uns Deutsche. Nicht so sehr allerdings in diesem Fall: wie Jon uns auf die Evaluation Session am Ende des Programms vorbereitet hat. „You get to say to what part of the program you liked most or what was of particular value to you — and, being German, of course you also get to criticize.” Wir mussten sehr lachen. Und auch, wenn uns kaum etwas zu kritisieren einfiel, weil wir alle so begeistert von dem Programm waren, muss ich seitdem oft daran denken, was diese zwei Worte bedeuten: „being German“. Das finde ich gut. Vielen Dank dafür, Jon, und vielen Dank an alle für dieses tolle Programm! P.S. Der durchschnittliche Kaffeekonsum ist bei U.S.-Amerikanern und Deutschen übrigens fast gleich. Same same but different.
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Larissa Scheler, Norddeutscher Rundfunk, Hannover
„Greetings from beautiful Bend!“ — so begann Wochen vor unsere RIAS-Reise in die USA und vor unseren station weeks mein Kontakt mit Lee Anderson, News Director bei KTVZ oder News Channel 21, in Bend in Oregon. „We all look forward to meeting you!“. Ein, zwei nette, positive Mails noch bevor ich überhaupt einen Fuß in die Redaktion gesetzt hatte — dieses Programm muss einen unfassbar guten Ruf unter den Fellows haben und es machte verdammt viel Neugierde auf das, was da vor uns lag. Nach einer prall gefüllten Woche, die uns das politische Washington mit einigen seiner Redaktionen, Meinungsmachern, Institutionen und altgedienten Journalisten im Schnelldurchlauf nahe brachte, ging es in eine andere Medienwelt: small town America, auf nach Bend, knapp 80.000 Einwohner, viele Steine und Berge zum Klettern, wunderschöne Landschaft zum Skilaufen und Wandern. Viele Pick-Ups auf den Strassen, eingeschossige Häuser, Einkaufsmalls mit den üblichen Motels, Diners, und drive-thrus. Und mit einer Bewohnerschaft, die der Legalisierung des Marihuanas zugestimmt hat und am liebsten alle Plastiktüten verbannen möchte. Und trotzdem den Gun-Shop neben meinem Motel toleriert.
Am Tag meiner Anreise hatte mein Host leider keine Zeit aufgrund eines persönlichen Termins, hatte aber fürsorglich eine deutsche Reporterin aus seiner Redaktion als „Empfangskomitee“ abgestellt: Wanda, 30 Jahre, seit fast 3 Jahren Reporterin, Moderatorin, Kamerafrau und Producerin bei KTVZ — und in allen Funktionen beeindruckende Pumps-Trägerin. Selbst bei den saisonbedingten Buschfeuern in Bend. Wir kamen schnell zu den wesentlichen Dingen, die den Reporter-Alltag in dort ausmachen: Als kleinster Fernsehmarkt der gesamten USA müssen die Reporter zusehen, hier schnell vor die Kamera zu kommen, ihre Sache gut zu machen, Live- und Kamera-Erfahrung zu sammeln, viel selbst zu schneiden und zu drehen, um sich dann in 2-3 Jahren mit genügend Referenzen bei den größeren — sprich: lukrativeren, weil besser zahlenden — Stationen zu bewerben. Dort gibt es evtl. sogar einen Kameramann für den Dreh — in Bend eher selten der Fall, obwohl es einen festen gab. Insgesamt gab es eine handvoll Reporter bei KTZV, alle deutlich unter 30, alle frisch von der Uni. Und alle sehr twitter- und facebook-affin — die sozialen Kanäle während, vor oder nach dem Dreh zu bespielen, gehörte selbstverständlich auch zu ihrem Repertoire. Ein Job und eine Karriere-Option, die wohl keiner von uns beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen hinlegen muss — eine echte Ochsentour. Hut ab vor dem Willen, beim Fernsehen (journalistisch) arbeiten zu wollen und noch jeden Morgen in der Redaktionskonferenz 2-3 Themen vorzuschlagen.
Wanda nahm mich mit auf einen kurzen Dreh bei der Stadtverwaltung: ich hatte sie schließlich überredet, wenigsten das Stativ tragen zu dürfen — sie bestand auf die schwere Kameratasche. Die erste Sendung des Tages ist um 16 h — bis dahin wurden jede Menge Bilder gedreht: für Off-Mazen oder Vollbeiträge, O-Töne geholt. Jedes noch so kleine lokale Thema (zum Beispiel die Neuvergabe der Aufsicht über die Parkuhren in downtown Bend) berücksichtigt. Kritischer Journalismus — eher Fehlanzeige. Wenn Reporter nur 2 bis 3 Jahre vor Ort arbeiten, lassen sich kaum tiefe Kontakte aufbauen, die irgendwann zu investigativen, selbstgesetzten Stories führen — das wurde schnell klar. Und das ist auch eher nicht der Sinn eines werbefinanzierten Lokalsenders: „a good quality life“ ist der Leitsatz für Stories bei KTVZ, habe ich gelernt, und auch Lee lebt seit Jahren als News Director mit der Tatsache, dass die jungen Kollegen alle wieder gehen und fast alle jeden Fehler on air oder off air immer wieder machen. „That’s the way it is“ — in wenigen Jahren sind die Nachwuchsreporter wieder weg, aber die leitenden Redakteure bleiben und müssen weiterhin mit dem lokalen Polizeisprecher klar kommen…Die Sendung(en) baut immer ein Producer zusammen, der ebenfalls in Personalunion aus Redaktion und Produktion den Teaser schneidet und mischt, Beiträge vom Sendeserver des Sender-Netzwerkes Fox herunterlädt, sendefertigt macht und ins System importiert.
Alles Tätigkeiten, die bei uns an vielen Mitarbeitern hängen und eindeutig zeitintensiver sind. Um nicht zu sagen: oft sehr, sehr lange dauern…mit allen Nachteilen für die sich anschließende Produktion. Als ich in der Regie saß — natürlich auch eine One-Man-Band-Besetzung- huschte die Producerin noch mal eben schnell ins Studio, um einen Nachrichtenblock zu moderieren…
„Come to the office at 8! Big day!“ — so lautete Lees Einladung für eine längere Redaktionskonferenz. Er und sein Redakteurskollege Barney sowie Kara aus der Promotion-Abteilung stellten das neue Social Media-Konzept vor: der digitale work flow in der Redaktion soll sich zukünftig danach richten, vom Webangebot auf das Fernsehprogramm zu verweisen und andersrum — und damit Klickzahlen und Interesse der User zu generieren- Und sie binden — als potenzielle TV-Zuschauer: „pushing towards to get the story on the web and later on tv“. Und zwar mit der Maxime: „publish, alert, update…“ — will heißen: die Reporter sollen morgens früh schon eine kleine Geschichte bei Facebook oder Twitter posten, die erzählt, was sie heute recherchieren werden, was der Tag bringen könnte. Später dann sollen Entwicklungen in der Geschichte gepostet und updates geliefert werden –alles soll neugierig machen, später den Fernsehseher einzuschalten. Immerhin ein Plan, das „alte“ Medium Fernsehen ins eine neue Zeit zu führen — aber ob es klappt? Darüber war sich der newsroom trotz eifrig twitternden Reporterinnen nicht einig. Meine drei Tage vergingen viel zu schnell in Bend — Lee nutze die Mittagspausen, um mir die Gegend zu zeigen, stellte mich wirklich allen Mitarbeiterin im Sender vor und nahm mich auch auf eine Charity-Veranstaltung ins Stadttheater mit, die er als lokaler Fernseh-Mann seit Jahren moderierte — kurz, er tat alles, um mir einen Einblick in das Leben (und nicht nur den Job) in Bend zu geben. Ich bin ihm sehr, sehr dankbar für die Erfahrung — und ohne das Rias-Programm hätte ich das alles nicht erlebt und gesehen!
Danach ab nach New York und hinein in eine weitere Woche voller Termine, mit interessanten Journalisten und Ex-Journalisten, zwischen kirchlichem Mittagstisch und funkelndem Architektur-Statement bei Bloomberg, mit jüdischen Meinungsträgern und jungen Highschool-Schülern — größer könnte die Bandbreite nicht sein. Danke an Jon Ebinger für die Organisation und Unterstützung, danke für die allumfassenden Emails zu jeder Lebenslage von Isabell Hoffmann und natürlich an Rainer Hasters — seit diesem RIAS-Trip auch als Geb. Hasters bekannt.
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Dorte Störmann, RTL2, Berlin
Oh. Ah. Ach? Ich komme zur Station Week nach Kansas City. Hat mir Isabell Hoffmann gerade geschrieben. Gerade — das ist ein knapper Monat vor Abflug. Und sie fügt hinzu: sie hoffe, das sei ok. Klar ist das ok! Nur: Kansas City. Das ist… Also, das ist… Das ist ja ungefähr mitten im Land. Soviel krieg ich noch zusammen, bevor ich das Internet bemühe. Alles ist gut — um die USA besser kennenzulernen, fernab der Metropolen, die irgendwie jeder schon mal besucht hat und über die ich irgendwie immer gemutmaßt habe, dass sie das Unamerikanischste an Amerika sind.
Als ich gut sechs Wochen später, nach vorbeirasenden Tagen voller spannender Termine in Washington, im Mittleren Westen der USA lande, sind es draußen ungefähr 29 Grad. War ich irgendwie nicht drauf eingestellt Ende Oktober — ist auch ungewöhnlich, werden mir hier alle bestätigen. „Welcome to Kansas City“, grüßt ein Riesenschild am Flughafen. Davor fahren ebenso überdimensionierte Autos hin und her. Braucht man in Kansas City. Denn hier gibt’s bis auf Busse und ein paar Straßenbahnen so gut wie keinen öffentlichen Nahverkehr.
Alan von der Mietwagenfirma bringt mich zum Auto. Er freut sich offenbar, eine echte Deutsche zu treffen. „Weißt Du, fast jeder in Kansas hat deutsche Vorfahren,“ sagt er. „Heißen alle Schroeder und Kaufmann und Schmitt.“ Da Allan gerade so in Fahrt ist, hoffe ich auf ultimative Insidertipps. „Allan,“ sag ich, „Was sind die drei Dingen, die ich mir hier auf keinen Fall entgehen lassen sollte?“ Stille. Allan guckt mich an. Wir gehen. Allan guckt wieder. Wir gehen. „Ok, das beste, was ich machen muss?“
Und dann strahlt Allan auf einmal und er gibt genau drei Silben von sich: „BBQ.“ Ich nicke, etwas verwirrt, hatte eher mit Sehenswürdigkeiten gerechnet (aber die gibt’s hier nicht wirklich). Allan wird ausführlich: „Kansas is the best place for BBQ. Don’t miss it.“ Und ich denke: kann ja nur gut werden.
Mein Host Brenda von KCTV 5 ist total im Stress. Wie alle hier im lokalen TV Sender, einem CBS Affiliate. Übrigens eine von insgesamt 4 (!) lokalen Stationen in der Region — bei gerade mal knapp 3 Millionen potentiellen Zuschauern im Sendegebiet (die Zahlen variieren übrigens, je nachdem, wen ich frage). Ab 4:30 Uhr gibt es eine Drei-Stunden Morningshow, zwischen 9 und 10 ein Lifestyle-Magazin. Dann eine Stunde Mittagsnachrichten, News zwischen 16 und 18:30 Uhr und ab 22 Uhr. Wow! Eine kleine Digitalredaktion schreibt komplett eigene Geschichten nur fürs Netz und sorgt dafür, dass auch ja alle TV-Inhalte online landen, auf der Homepage aber auch auf Facebook und Twitter, um die Zuschauer auf keinem Kanal zu verpassen.
Für all diese Formate arbeiten hier erstaunlich wenig Menschen, finde ich — nämlich angeblich insgesamt so irgendwas unter 50, und wir sprechen gerade von der Redaktionsassistentin bis hin zum technischen Support. Aber während der nächsten drei Tage wird mir auch schnell klar: Jeder leistet einfach Arbeit für drei. Reporter drehen, schneiden, texten, recherchieren, twittern, facebooken und schalten live — und zwar alles in der gleichen 8 Stunden Schicht. Ok, das kenn ich ungefähr von deutschen Privaten. Aber tatsächlich ist das Pensum hier noch mal höher. Und sie tragen es mit Fassung und äußerst professioneller Routine.
Besonders wichtig in der U.S.-Lokal-Berichterstattung, lerne ich schnell: Wetter und Verkehr. Kann man beides auch schon mal morgens im 10-Minuten-Takt senden. Und dieser Tage: Baseball! Die Stadt ist blau, genauer: Royalblau. Aus den Brunnen sprudelt blau gefärbtes Wasser. Häuser sind blau angeleuchtet. Blaue Fähnchen wehen im warmen Wind. Denn die Kansas Royals sind drauf und dran, sich gegen Toronto für die World Series zu qualifizieren — und das ist ungefähr so, als ob Bayern München im Halbfinale der Champions League steht.
Mein erster Tag bei KCTV startet um 9 Uhr. Als ich im Newsroom sitze — einem amerikatypischen Riesengroßraumbüro in unschmeichelhaftem grau-beige, sind genau drei Leute da. Die gleichzeitig den Tag anschieben, den Polizeifunk abhören, die Meldungen checken. Und den Newsheli zu ner Schießerei dirigieren. Richtig, den Newsheli. Keine große Sache, sagt Producerin Victoria bescheiden, teilt man sich ja schließlich mit ner anderen TV Station. Ach so. Ja, dann!
Konferenz ist um 9:30 Uhr. Ziemlich einfach heute: in der Abend-Show wird es Baseball aus allen Rohren geben. Dazu noch ein bisschen Crime. Fertig ist die Sendung. Die Wand im Konfiraum ist beklebt mit Leitsprüchen. Für Newsstories steht da: „New, Now, Next, Wow!“ Trifft die Sache in spektakulärer Kürze auf den Punkt, finde ich.
In der Redaktion herrscht royal-blauer Vollstress. Gegen Nachmittag nimmt mich Emily mit. Sie wird heute im Power- and Lights-District — so eine Art Vergnügungsviertel mit Public Viewing Möglichkeit — die Livereporterin sein während des Spiels, das aus Toronto übertragen wird. Emily dreht jeden Tag Geschichten, geht jeden Tag live auf Sendung. Wie alle Reporter hier — die meistens noch unter 30 sind. Lampenfieber scheinen sie alle nicht zu kennen — die Routine (oder die Ausbildung?) macht’s offenbar. Für Live’s und Überspielungen hat der Sender übrigens eine SNG und satte drei Microwave-Übertragungswagen. Plus 5 Live U’s. Ich werde in den drei Tagen nicht rausbekommen, wie sich ein kleiner Regionalsender in einem so kleinen Markt das leisten kann. Wer kann, der kann. Das muss reichen.
Die Royals verlieren heute übrigens knapp in Toronto. Halb so wild: Freitag Abend gibt’s das nächste Entscheidungsspiel. Diesmal: zu Hause, wird ne Riesenparty.
Tag 2. Um 9 startet hier eine einstündige Magazinsendung, sowas wie „volle Kanne“ im ZDF. Ein Regisseur wechselt zwischen den Einstellungen der automatischen Kameras hin und her und ist für die Technik zuständig. Ein Kameramann im Studio springt mit einer mobilen Kamera herum. Und eine Producerin sorgt für die Gäste, den Ablauf und scheucht die beiden Moderatorinnen in die richtige Position. Das ist die komplette Besetzung für eine Stunde Livesendung! Gerade, als ich dazu komme, präsentiert ein Bierbrauer aus Kansas seine Produkte. Alles German Brews, sagt Steve stolz. Ich werde hellhörig. Und dann sagt er sowas wie: das Helle sei so leicht, es sei ein frisches Morning Brew wie in Deutschland eben. Es folgt der obligatorische Witz über ewig biertrinkende Deutsche. Jaja. Wenn er wüsste, dass ich als Halloweenverkleidung tatsächlich mein Dirndl eingepackt habe…
Am Nachmittag meines dritten und schon letzten Tages nehmen mich Brad und Ellen mit. Sie sind die Anchor von KCTV5 und werden heute von vor dem Stadium live moderieren. Brad ist ziemlich stolz auf sein Riesenauto — pro 18 Meilen verpufft es eine Gallone Benzin, lässt er mich wissen. Ich teile ihm kurz die Benzinpreise in Deutschland mit. Er guckt mich ungläubig und ein bisschen mitleidig an.
Der Parkplatz vorm Baseballstadium der Royals irgendwo hinter dem Stadtrand von Kansas City platzt schon Stunden vor dem Spiel aus allen Nähten. Überall stehen hier diese Riesenkarren. Und davor raucht’s gewaltig — denn vorm Spiel gibt’s erstmal kollektives BBQ. Kansas City, eben.
Brad und Ellen sind ein eingespieltes Team. Obwohl sie live und ohne Prompter dafür aber mit technischen Problemen moderieren bringt sie nichts aus der Ruhe. Später lassen sie mich wissen: Selbst Lokalmoderatoren verdienen hier locker sechsstellig. Für das Geld müssen sie wohl auch was bieten — und das tun sie.
Das Spiel erleb ich dann vom mittlerweile verwaisten Parkplatz aus übers Radio. Akkreditierung ist eben nicht mehr zu kriegen, schade, aber verständlich. Die Kollegen sind natürlich im Stadion. Es ist ja DAS Spiel, und nein: Natürlich will ich es ihnen nicht vermiesen. Das blöde ist nur: ich komm vom Parkplatz nicht weg. Denn es gibt hier draußen natürlich keine öffentlichen Verkehrsmittel und Taxis leider auch nicht. Warum auch — sind ja alle mit dem Auto da. Außer der Deutschen.
Ellen fährt mich dann in einer Regenpause in den Sender. Und dann, endlich: geh ich BBQ essen. Und bei einem butterweichen Pulled Pork Sandwich wird mir klar, warum sie alle so stolz auf ihr BBQ sind. Kansas City ist meatlovers paradise. Übrigens haben die Royals das Spiel irgendwann weit nach Mitternacht gewonnen — und werden später auch die World Series gegen die Mets für sich entscheiden.
Ich könnte seitenweise weiter schreiben, es gibt noch so viele Anekdoten. Über Kansas City und über das gesamte RIAS-Programm, das ein unglaubliches Privileg ist. Die Besuche bei Thinktanks, Journalisten, bei Radio und TV-Stationen in DC, die Suppenküche, die Schule, die futuristische Bloombergzentrale und die Videoabteilung der NY Times in New York — das ist alles spannend, bereichernd, erhellend. Ich nehme sehr viel mit nach Deutschland — Dinge, die ich niemals gesehen und erlebt hätte, wenn ich einfach nur so die USA besucht hätte.
Mein Dank geht an KCTV5 — ich hoffe, der Stress hat sich gelegt. Ganz herzlichen Dank auch an Isabell Hoffmann — die Organisation war schlicht großartig! Und an Rainer Hasters und John Ebinger — danke fürs „immer-überall-rechtzeitig-Hinbringen“.
Und dann noch danke liebe andere RIAS-Fellows. Wahrscheinlich verstehen sich die Gruppen immer alle gut. Aber ihr: ihr habt einfach gerockt!
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Andreas Weise, Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz
RIAS-Reise in ein bekanntes, unbekanntes Land
Es war toll, lehrreich, gut für meine zukünftige Arbeit — unser Journalisten-Austausch mit der RIAS-BERLIN-KOMMISSION. Ich hatte im Vorfeld Erwartungen, Hoffnungen, Wünsche — die meisten wurden erfüllt und einiges was ich vorher weder erhofft, noch erwartet oder gewünscht hatte kam noch dazu.
Washington, D.C.
Die U.S.-Hauptstadt — unsere erste Station. Ich finde sie immer wieder spannend. Unser Hotel — gleich um die Ecke vom Weißen Haus. Obwohl wir uns in der Gruppe schon vorher reichlich per mail ausgetauscht hatten, waren doch alle gespannt wie dann die anderen neun sind mit denen man einen Großteil der kommenden 16 Tage verbringt. Es war — so finde ich — eine richtig tolle Gruppe, sehr unterschiedliche Leute, fünf vom Fernsehen, fünf vom Radio — das hat gut gepasst.
Das Programm — schon recht ordentlich. Oft kamen wir mit leicht hängender Zunge und Magen bei unseren Gesprächspartnern an. Die waren zum großen Teil sehr spannend. NPR, das große nationale, öffentliche Radionetzwerk, WAMU, der lokale Ableger in Washington, die Think-Tanks — von rechts über libertär bis eher links. Die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr waren das beherrschende Gesprächsthema — doch auch die Flüchtlingskrise in Europa wurde diskutiert. Wir bekamen Einblicke in die Arbeit der U.S.-Kollegen und konnten auch beim Get-Together am zweiten Abend etwas entspannter mit einigen von ihnen reden.
Spannend fand ich auch den Besuch beim Ombudsmann des Öffentlichen TV-Netzwerks PBS. Vor allem vor dem Hintergrund der Debatte um „Lügenpresse“ und „einseitige“ Berichterstattung die seit dem letzten Jahr viele von uns beschäftigt und auch trifft, scheint mir diese Funktion auch vielleicht ein Vorbild für den Öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland.
Auch der Besuch im Newseum war mehr als einfach nur ein Museumsbesuch. Gut aufbereitet die Geschichte des Journalismus, ein Originalstück Berliner Mauer (mit Wachturm) — es hat Spass gemacht sich alles dort anzuschauen.
Spartanburg, SC
Als ich in Vorfeld erfuhr, dass ich für die Station Days nach Spartanburg sollte — ich gebe zu, da musste ich erst mal nachschauen, wo das überhaupt ist. South Carolina, einziges BMW-Werk in Nordamerika, Pfirsich-Anbau, eine lokale Brauerei und Kämpfe während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges — das war erst mal alles was ich so finden konnte. Und ja, da ist nicht besonders viel los — doch langweilig wurde mir da nie. Und das lag vor allem an meinem großartigen „Host“ Tom Colones — Kameramann, Cutter, Alleinunterhalter in einer Person.
Kaum war ich in Spartanburg angekommen, nahm er mich unter seine Fittiche und ich lernte als öffentlich-rechtlicher Journalist im 22sten Jahr endlich mal „Privatfernsehen“ kennen. WSPA — eine CBS-Station die große Teile von North und South Carolina abdeckt. Wetter, Verkehr, Crime und viele lokale Geschichten — alles ganz anders als in meiner Heimatredaktion beim heute-journal und doch nicht völlig unbekannt.
Was mir auffiel: Alle müssen hier sehr viel mehr unterschiedliche Dinge tun als ich es aus Deutschland kenne. Morgens moderieren, dann nur schnell einen Mantel übergeworfen und aus der Moderatorin wird die Reporterin die ein ungewöhnliches Schulprojekt vorstellt. Die Beiträge unterscheiden sich nicht beim Anschauen — aber darin, wie sie gemacht werden. Die Reporterin spricht den Text und der Kameramann/ Cutter schneidet dann dazu die Bilder drunter.
Die Tage bei WSPA waren auch davon geprägt, dass gerade einige Veränderungen angekündigt wurden die nicht alle glücklich machten — die Stimmung war teilweise dementsprechend. Doch Tom ließ sich davon nicht anstecken und wir hatten eine gute Zeit. Charleston, die Friday-Night-Football-Matches der High Schools — Das war Amerika pur in einer Form die ich so noch nicht kannte.
New York, NY
Manhattan — endlich wieder mal. Unser Hotel — eine Herberge mit Charme und Geschichte. Marilyn Monroe war dort mit einem ihrer Ehemänner, Joe DiMaggio, einem Baseball-Star, für ein Jahr lang Gast. New York — das hieß auch viel laufen in den Straßenschluchten, viel Verkehr, viel Spannendes — zu Besuch in der Hauptstadt der Welt.
Die UNO war unser erster Programmpunkt. Der Sprecher nahm sich ordentlich Zeit für uns, erklärte die komplexen Zusammenhänge ausgezeichnet und ließ zumindest mich schlauer aus dem Hochhaus am East River gehen als ich hereingekommen war.
Auch ein Höhepunkt für mich: Die Tafel für Bedürftige in der St. James Kirche an der Upper East Side — dem reichsten Viertel der USA. Unter Leitung des ehemaligen Fernsehkorrespondenten Bob Jamieson schnippelten, kochten und servierten wir für Menschen mit denen es das Schicksal nicht so gut gemeint hat — eine Erfahrung die ich so noch nicht gemacht hatte und die für mich sehr lehrreich war.
Der Besuch beim Videodepartement der New York Times — für mich das journalistische Highlight in Big Apple. Gute Geschichten, spannend und bildlich eindrucksvoll erzählt — das hat mich fasziniert. Die New York Times scheint, zumindest meiner Meinung nach, auf dem richtigen Weg in die multimediale Zukunft zu sein.
Auch die Besuche bei Bloomberg, Fox Business und in einer High School in Manhattan waren großartig. Anhand der Schule konnte man gut sehen, wie wenig Platz in New York ist — fünf Etagen, angemietet in einem normalen Geschäftshaus — in Deutschland wohl undenkbar.
Die Zeit war — natürlich — viel zu schnell vorbei. Diese zweieinhalb Wochen waren aufregend, lehrreich, großartig. Ich bin schon dabei allen die dieses Programm noch nicht mitgemacht haben davon vorzuschwärmen — ich hoffe es wird noch viele Kollegen geben, die die Chance bekommen so einen guten und vor allem tiefen Einblick in die USA, ihr politisches System und den journalistischen Alltag dort zu bekommen und vor allem Menschen zu treffen und sich mit ihnen auszutauschen.
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Anno Wilhelm, Südwestrundfunk, Baden-Baden
„Guten Tag, wie geht es ihnen.“ Ah, das ist er wieder. Auch Steve probiert mit diesem Satz seine Fremdsprachenkenntnisse am Besuch aus Deutschland aus. Wir beide stehen Arm in Arm am Ufer des Ohio Rivers für ein Foto, das ich stolz mit nach Deutschland nehmen werde. Steve Beshear, der demokratische Gouverneur von Kentucky und ich. Ich staune, dass der Gouverneur überhaupt da ist an diesem sonnigen Mittag in Newport. gleich gegenüber der Skyline von Cincinnati. Die Uferpromenade von Newport soll neu gestaltet werden. Dafür gibt es öffentliche Zuschüsse, die der Gouverneur in Form großformatiger Schecks vorbei gebracht hat. Schwer vorstellbar, dass in Deutschland ein Ministerpräsident für eine neue Joggingstrecke am Flussufer zu Besuch kommt. Aber in den USA ist das Geld der Steuerzahler ein sensibles Gut.
Meine Gastgeberin Ann hat mich mitgenommen. Die Scheckübergabe selbst ist für sie keine große Sache. Aber den Gouverneur vom Nachbarstaat im Interview zu haben — das lohnt sich. Und so sind wir über die alte Suspension Bridge von Cincinnati/Ohio die fünf Minuten hinüber gefahren nach Newport/Kentucky. Viel Zeit bleibt nicht, bei Anns Sender WVXU ist sie immer knapp. Die kleine Redaktion hat viel Programm zu stemmen: Ann macht die Wirtschaftsberichte und versucht dabei, nicht nur den Grünstreifen drüben am Ufer von Newport im Blick zu behalten, sondern die ganze Welt. Ihr Kollege Pete stellt als Producer jeden Tag eine lokale Talkrunde zusammen, mit der WVXU sich in das Mantelprogramm des National Public Radio NPR einklinkt, oft mit großen Themen, wie der überall in der Stadt sichtbaren Obdachlosigkeit.
Es ist jeden Tag ein zäher Kampf um Gäste, sagt Pete, aber die Redaktion nimmt ihn auf. Ann moderiert vor oder nach der Talkshow über mehrere Stunden am Tag, dabei füllt sie lokale Fenster im Programm von NPR, manchmal nur 30 Sekunden, aber die sind Präzisionsarbeit. Auf dem Sendepult schreibt sie parallel ihre Reportagen wie die über das Hospital im nahen Dayton, in dem Ärzte und Pfleger an Puppen in der Behandlung von Kriegsveteranen weitergebildet werden. Die neu angeschafften Puppen atmen, sie klimpern mit den Augen, und sie sagen mit mechanischer Stimme, ob sie sich gut behandelt fühlen. Bis zu 200 000 Dollar kosten die Puppen, aber es geht hier um Veteranen, und die spielen in den USA eine herausgehobene Rolle. Ann und ich sind durch die Station geeilt, auch bei diesem Besuch war die Zeit knapp.
Ich kannte den Namen Cincinnati, mehr nicht. Knapp 300 000 Einwohner hat die Kernstadt, und damit weniger als Bonn. Aber mit der Skyline macht sich Cincinnati viel größer. Und es gibt so viele Geschichten zu erzählen: Die von Jim Obergefell zum Beispiel, der von Cincinnati aus das Urteil des Supreme Court zur gleichgeschlechtlichen Ehe angestoßen hat, weil er seinen todkranken Lebensgefährten heiraten wollte, um eines Tages neben ihm beerdigt zu werden. Oder die Geschichte des Viertels „Over the Rhine“, eines der spannendsten in den USA. Lange wurde das Viertel von deutschen Einwanderern dominiert. Als die Deutschen Over the Rhine mit seiner wunderschönen italienischen Architektur verließen, verfiel es und wurde eines der gefährlichsten Amerikas, mit Morden, Drogen, Prostitution. Der Washington-Park im Zentrum: eine Crackhölle. Vor etwa zehn Jahren begann eine Non-Profit-Gesellschaft mit dem Geld von Unternehmen wie Procter & Gamble oder Macy`s die historischen Häuser zu kaufen und zu renovieren. Inzwischen ist Over the Rhine extrem posh. Eine drastische Gentrifizierung, mit der sich die Stadt Cincinnati ihr Herz zurück geholt hat, die aber natürlich nur jenen gefällt, die sich die Wohnungen leisten können. Der neu gestaltete Washington-Park wird inzwischen von so vielen Familien und Schulklassen benutzt, dass es Probleme mit dem Anwachsen des Grases gibt.
Es ist dieser Geist etwas zu wagen — oder etwas wagen zu müssen, der uns immer wieder begegnet auf unserer Reise. Da ist die New York Times mit ihrer spektakulären Videoeinheit, die nur für die Homepage produziert und mit der sich die Zeitung weg von ihrem Kerngeschäft bewegt, dem Zeitgeist entgegen. Kaum einer der Kollegen, die wir bei unseren Besuchen treffen, hat einen dieser Lebensläufe, die für uns immer noch völlig normal sind: Zehn, zwanzig, dreißig Jahre bei der gleichen Firma, im gleichen Sender. Bei den US-Kollegen ist fast ausnahmslos mehr Bewegung drin. Ein paar Jahre hier, ein paar Jahre dort, vom Fernsehen zum Radio zur Zeitung und zurück, manchmal freiwillig, oft nicht. Manchen gelingen diese Wechsel scheinbar mühelos. Aber wir treffen auch Kollegen, die nicht mehr mithalten konnten und die eben kein soziales Netz aufgefangen hat.
Wir diskutieren oft in diesen Tagen über das Thema Gerechtigkeit, wenn in den Gebäuden der großen Think Tanks wie der Heritage Foundation oder der Brookings Institution in Washington ganze Bibliotheken die Namen ihrer Spender tragen. Wie ist das, wenn sich eine Nation auf die Großzügigkeit Einzelner verlässt — in welche Projekte fließt deren Geld? Wie demokratisch ist ein System, wenn genau die sozialen Einrichtungen überleben können, deren Schicksal einem Wohlhabenden am Herzen liegt? Andererseits: Wie selbstverständlich und mit welchem Engagement sich Amerikaner für ihre Gemeinde einsetzen, das erleben wir in der St. James Church, in der einmal pro Woche Freiwillige für die Obdachlosen aus dem Viertel und andere Bedürftige (viele von ihnen haben genug zu essen, aber zu wenig Menschen in der Nähe). In der Küche arbeiten alte und junge Gemeindemitglieder, Praktikanten, Rentner aber auch der Geschäftsführer eines Start-Up-Unternehmens um die Ecke, der sich jeden Dienstag eine Stunde Zeit nimmt, um für die Bedürftigen im Viertel zum Essen Kaffee zu kochen.
Wir haben das Privileg, einen ganz besonderen Blick auf dieses faszinierende, warmherzige aber oft auch sehr fremde Land zu werfen. Ein Essender in der St. James-Gemeinde hat mich nach zehn Minuten Gespräch eingeladen, im nächsten Jahr bei seinem großen Familientreffen im Grand Canyon dabei zu sein (ich denke drüber nach). Kameramann Chris hat mir abends in der Bar Baseball erklärt (danke!) und nebenbei, warum er die Republikaner wählt — nicht, weil er Obama hasst, sondern weil er sein Leben selbst in die Hand nehmen will und das für ihn der Kern der republikanischen Idee ist. Und um die Frage von Gouverneur Steve aus Kentucky zu beantworten: Danke, es ging ganz ausgezeichnet auf dieser wunderbaren Reise mit einer großartigen Gruppe.