Dreiwöchige USA-Journalistenprogramme 2018
im Frühjahr und Herbst jedes Jahres
USA-Frühjahrsprogramm ?
05.–23. März 2018
USA- Herbstprogramm ?
01.-19. Oktober 2018
TEILNEHMER ?
USA-Frühjahrsprogramm
Anne Demmer, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Potsdam
Drei unvergessliche Wochen: Washington – New York – Houston und ein bisschen Tex-Mex-Grenze! Vielen Dank RIAS, insbesondere an Isabell Hoffmann, KC Schillhahn und Erik Kirschbaum für das großartige Programm. Es war eine tolle Truppe. Drei Wochen voller Input mit vielen Gesprächen und Diskussionen, die wir täglich mit der Realität abgleichen konnten, immer begleitet von Trumps Twitter-Diplomatie. Im Laufschritt, fast joggend, ging es von einem Gesprächspartner zum nächsten, um über Themen wie Gun Control, Migration, Berichterstattung und Diplomatie in Zeiten von Trump zu sprechen. Ein reichhaltiges Programm: Vom Besuch bei verschiedenen Medien, dem renommierten Pew Research Center, Treffen mit Abgeordneten, bis hin zur grandiosen Amateur Night at the Apollo Theater. Und immer wieder gab es viel Gelegenheit zum Austausch mit RIAS-Alumni in Washington und New York. Schockierend war aber auch die „Hire und Fire Mentalität“ mitzuerleben: Allein in unserer Zeit haben zwei Gesprächspartner ein Treffen mit uns abgesagt, weil sie kurzfristig gefeuert wurden.
Station Week: Houston
Meine Station-Week habe ich in Houston verbracht. In der texanischen Millionenmetropole musste ich mich erstmal zurechtfinden und durch den Schnellstraßendschungel mit dem Auto kämpfen. Ohne geht’s aber nicht.
Houston Public Media ist Teil des NPR-Netzwerks (eine Kooperation nichtkommerzieller Hörfunksender), mein Host Andrew Schneider arbeitet dort als „Politics and Government“ Reporter. Die Arbeitsbedingungen sind derzeit nicht optimal: Einen Teil der Räumlichkeiten des Senders können die Journalisten auch nach mehr als einem halben Jahr nach Hurrikan Harvey nicht nutzen. Auch einige Stadtteile von Houston leiden nach wie vor unter den Folgen des Wirbelsturms. Bei meinen Recherchen im Osten der Stadt habe ich viele nach wie vor unbewohnbare Straßenzüge gesehen. Einiges wird saniert, vieles steht zum Verkauf. Wer es sich finanziell leisten konnte, hat sein Haus verlassen. Am stärksten sind die ärmeren Bevölkerungsschichten betroffen, die meisten sind nicht versichert. Egal was die Trump-Regierung sagt, weltweit betonen Experten: Mit dem Klimawandel steigt die Wahrscheinlichkeit für Wirbelstürme wie Harvey weiter.
On the road to the border: Eagle Pass & Piedras Negras
Nach drei Tagen in Houston breche ich wie geplant Richtung Grenze auf. Ziel ist Eagle Pass in Texas an der Grenze zum mexikanischen Bundesstaat Coahuila, um zu hören, was die Menschen dort von Trumps Mauerplänen entlang der rund 3000 Kilometer langen Grenze halten. Während ich auf dem Weg dorthin einige Befürworter getroffen habe, sah es unmittelbar an der Grenze anders aus. Rund 90 Prozent der Menschen, die in Eagle Pass leben, sind Hispanics. Sie haben mehrheitlich für Hillary Clinton gestimmt.
Eagle Pass wird über zwei Brücken mit der mexikanischen Stadt Piedras Negras verbunden. Einer, der quasi am Grenzstreifen lebt, ist der 83-Jährige Charles Cunningham. Ihn habe ich besucht. Sein gesamtes Leben hat er an der Grenze verbracht, früher für die Border Patrol gearbeitet, jetzt lebt er auf einer Ranch und bewirtschaftet 800 Hektar Land. Charles Cunningham hat Donald Trump gewählt oder vielmehr gegen Hillary Clinton gestimmt, um den Sozialismus zu verhindern, wie er es formuliert, auch wenn Donald Trump eine Schraube locker habe.
Von einer Anhöhe unweit von seinem Haus, kann Charles Cunningham weit über die mexikanische Grenze schauen. Der Rio Grande trennt hier Eagle Pass von Piedras Negras. Und genau dort will der amerikanische Präsident einen Teil der Mauer bauen. Cunningham hält das für den größten Schwachsinn und sowieso viel zu teuer. Würde sie gebaut, durchquerte sie sein Grundstück – dann wäre es vorbei mit seiner Rinderzucht, seiner ganzen Existenz. Aber auch ohne Mauer ist er unzufrieden mit seiner Situation. Mehrfach wurde bei ihm eingebrochen. Mit seinen Wildkameras hält er die Eindringlinge im Bild fest. Statt Tieren sind auf einigen Fotos allerdings Männer zu sehen, die riesige Rucksäcke schultern. Marihuana sei da drin. Vielleicht sind es aber auch Migranten aus Zentralamerika oder Mexiko, die ihr Glück in den USA versuchen wollen. Mit ihnen hat Cunningham Mitleid. Oftmals hat er sie mit Wasser und Essen versorgt. Persönlich bedroht oder angegriffen wurde der 83-Jährige noch nie. Dennoch: Auf die amerikanische Border Patrol sei kein Verlass. Der ein oder andere würde sowieso mit den mexikanischen Drogenkartellen unter einer Decke stecken. Jeden Morgen dreht Cunningham in seinem Geländewagen deswegen selbst eine Kontrollrunde. Vorne auf der Ablage liegt eine Plastikpistole, mit der er sich zur Not Respekt verschaffen könne, sagt er grinsend.
In Piedras Negras, auf der mexikanischen Seite, treffe ich ein paar Tage später vier junge Männer, die im Schatten eines Baumes am Ufer des Rio Grande schlafen. Sie kommen aus Choluteca in Honduras. Der Jüngste ist 16 Jahre alt. Jair und seine Mutter haben zusammen entschieden, dass er sich Richtung USA aufmacht. Wegen den Maras, den kriminellen Jugendbanden, aber auch weil es für ihn keine Perspektive in seiner Heimat gebe, keine Arbeit. Was ihn in den USA erwartet, was so vielversprechend sein könnte, davon hat er keine Vorstellung, wenn man ihn danach fragt. Einen Schlepper kann er nicht bezahlen, er würde 5000 Dollar nehmen ohne Erfolgsgarantie. Seit zwei Monaten sind die vier Jungs aus Honduras unterwegs. Eine Mauer müssen sie noch nicht überwinden. Aber mit Donald Trump sind die Kontrollen noch stärker geworden, haben sie gehört. Immer wieder fährt die Border Patrol auf der amerikanischen Seite am Ufer auf und ab. In regelmäßigen Abständen sind auf hohen Masten Kameras installiert. Selbst die Überquerung des Flusses ist eine Herausforderung für die vier Migranten, obwohl das andere Ufer nur ein Steinwurf entfernt scheint. Der Hund eines Anglers, der sich neben ihnen niedergelassen hat, springt ins Wasser und ist in wenigen Minuten auf der andere Seite angelangt. Sie beobachten das Spektakel. Sie können nicht schwimmen, sie setzten auf Gott…
Die Begegnungen mit Charles Cunningham und den vier jungen Honduranern waren sicherlich die eindrücklichsten Momente in meiner Woche in der Grenzregion. Es gab viele weitere Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen und Perspektiven, am Ende sogar die Gelegenheit mit einem Sergeant des Sheriff’s Departments an der Grenze entlang zu fahren. Eine einzigartige Möglichkeit und Abschluss von drei inspirierenden Wochen. Danke dafür!
Bartosz Dudek, Deutsche Welle, Bonn
Die RIAS-Reise in die USA war für mich ein besonderes Erlebnis. Das hat sicherlich auch mit meinem biographischen Hintergrund zu tun. Aufgewachsen bin ich im kommunistischen Polen. Die USA waren für mich immer ein Land und Symbol der (unerreichbaren) Freiheit, die Amerikaner ein freiheitliebendes Volk das bereit ist sich für die Freiheit anderer Völker einzusetzen und notfalls auch Opfer dafür zu erbring
Washington DC: Freiheit ist nicht umsonst
Ein besonderes Moment war für mich die Besichtigung des Korea War Memorials an der National Mall in Washington gewesen. Die Inschrift „Freedom is not free“ fasst das zusammen, was die Größe Amerikas ausmacht und daran erinnert, was wir Europäer, den Amerikanern zu verdanken haben.
Persönlich bewegend war für mich der Besuch im Funkhaus des „Voice of America“ (VoA).
Ich musste daran denken, als ich als Jugendlicher nachts den Sendungen des polnischsprachigen Dienstes des VoA jenseits des eisernen Vorhangs gelauscht habe. VoA war für mich damals eine ersehnte Stimme der Wahrheit; angesichts der Realität, die mich umgarnte, wie eine Stimme von einem anderen Planeten. Die sonore Stimme des Sprechers, die in einer (auch durchaus symbolisch zu verstehenden) Dunkelheit spät nachts nach der Sendung sagte: „This program has come to you from Washington DC in the United States of America“ wird in den Ohren meiner Generation für immer DIE Stimme der Freiheit bleiben. Die Kollegen des VoA persönlich kennenzulernen, mit ihnen über meine Erinnerungen zu sprechen, den Newsroom und das historische Gebäude zu besichtigen, war für mich einer der ersten Höhepunkte des Programms.
Ein anderer Höhepunkt des Washingtoner Programms war der Besuch bei NPR und das Treffen mit dem „Racial Team“, das hinter der Sendung „Code Switch“ steht. Wie wir erfahren haben, war es wenige Jahrzehnte zuvor kaum möglich für Afroamerikaner Karriere als Journalist in einem „weißen“ Sender zu machen. Die Begegnung mit jungen und hochintelligenten Redakteuren afroamerikanischer Herkunft war vor diesem Hintergrund sehr bewegen
New York: „Seid die besten!“
Aus einem anderen Grund bewegend war für mich auch der Besuch der New Yorker Zentrale der American Jewish Conference. Bei kaum einem anderen Termin wurden wir so gastfreundlich empfangen wie hier: vor dem allseits bekannten geschichtlichen Hintergrund keine Selbstverständlichkeit. Die persönliche Note, die der Vorstandsvorsitzende der AJC, David Harris, in seiner Begrüßungsrede mitschwingen ließ, hat mich an die Geschichte meiner Familie denken lassen, allen voran an meine polnische Großmutter und an ihre beste Freundin, eine Jüdin die samt ihrer ganzen Familie von den deutschen Besatzern ermordet wurde. Ich bin stolz darauf, dass meine Familie während des Krieges unter Einsatz des Lebens ein jüdisches Mädchen, wenn auch kurz für kurze Zeit, bei sich versteckt hat. Der zutreffende Kommentar von David Harris zum neusten Holocaust-Gesetz in Polen war aber alles andere als aufbauend; tatsächlich droht das Gebäude der polnisch-israelischen Freundschaft, welches mit viel Mühe auch vom AJC aufgebaut wurde, zu stürzen.
Ein Höhepunkt anderer Art war für mich wiederum ein Vormittag in einer New Yorker Armenküche. USA ist eben ein Land der großen Kontraste. Hungrige Menschen einige Meilen von der Wall Street entfernt zu treffen ist ein Beleg dafür. Die Gespräche nach dem Essen haben mir einen kleinen Einblick in die Welt der ärmsten Amerikaner gewährt. Einige waren offensichtlich psychisch krank. Einige, wie ein gescheiterter Geschäftsmann, stimmten mich nachdenklich, wie schnell ein sozialer Abstieg erfolgen kann.
Ganz überraschend kam zum Schluss ein anderes Highlight der Gruppenreise. Das Treffen mit Kevin Jennings, Präsident des New Yorker Tenement Museum, schien zunächst nichts mehr als ein Höflichkeitstermin zu sein. Der Gastgeber entpuppte sich aber als eine große Persönlichkeit. Seine Lebensgeschichte, die er uns auf menschlich-emotionale Art erzählte, handelte von einem Jungen, der es aus ärmsten Verhältnissen zum Harvard-Absolventen und Unterstaatssekretär im US-Bildungsministerium unter Präsident Obama schaffte: Eine Personifizierung des „American Dream“. Sein Appell an uns, die Pressefreiheit gegen Populisten aller Art zu verteidigen und die Besten in unserem Beruf zu sein, wurde unerwartet zum einem aufbauenden Schlusswort des Gruppenprogramms.
Charlottesville: Rassismus und Zivilgesellschaft
Die Impulse aus der Gruppenreise begleiteten mich bei der dritten Etappe der Reise.
Ich wurde nach Charlottesville, Virginia, geschickt. Charlottesville ist eine vergleichsweise kleine Stadt, die aber in der Geschichte der USA eine wichtige politische Rolle spielte. Aus dem Umland Charlottesvilles stammen zwei Gründungsväter und Präsidenten der USA: James Madison und Thomas Jefferson. Der letzte gründete dort eine Universität, die zu den ältesten und renommiertesten der USA gehört. Der Besuch auf Gut Montpelier, wo James Madison wichtige Passagen der US-Verfassung schrieb und auf Gut Monticello, wo Thomas Jefferson den Entwurf der Unabhängigkeitserklärung verfasste, richteten meine Gedanken auf die Geburtstunde der USA mit allen dazugehörigen Widersprüchen. Denn während die Gründungsväter die aufklärerischen Ideale der „Freheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ predigten, profitierten sie auf ihren Plantagen von der Sklaverei. Auch heute ist das Thema Rassismus immer noch latent vorhanden, bestätigten zwei afroamerikanische Bürger der Stadt bei einer Gesprächsrunde, die von meiner ausgezeichneten Mentorin, NPR-Journalistin Sandy Hausmann, organisiert wurde. Das große Denkmal des Konföderierten-Generals Robert E. Lee, prominent auf einem der zentralen Plätze der Stadt errichtet, wird von den schwarzen Einwohner als eine Art Beleidigung empfunden. Andererseits, so der Bericht meiner afroamerikanischen Gesprächspartner, waren sie nach den Nazi-Aufmärschen 2017 Zeugen großer Sympathiebekundungen seitens der weißen Bewohner der Stadt: unbekannte weiße Frauen haben sie unter Tränen auf offener Straße umarmt.
Eine Erfahrung besonderer Art war meine Reise zum historischen Jamestown, Viriginia, der ersten dauerhaften englischen Siedlung in diesem Teil Amerikas. Wenig bekannt ist, dass unter den ersten Kolonisten auch Polen und Deutsche waren, die gemeinsam die dort erste Industrie Nordamerikas gegründet haben. Und es waren die Polen, die sich erstmals 1619 in der Geschichte Nordarmerikas mit einem Streik für ihre Bürgerrechte erfolgreich einsetzten. Die Interviews mit Wissenschaftlern, die ich dort gemacht habe, halfen mir bei der Recherche zu einem Artikel über das Thema.
Ein anderes journalistisches Thema, das mich in Charlottesville inspirierte, war die Geschichte von Jens Soering. Soering, Jahrgang 1966, wurde mit 18 an die University of Virginia aufgenommen. Dort verliebte sich der Sohn eines deutschen Konsularbeamten in eine Amerikanerin. Als ihre Eltern ermordet wurden wird das Paar des Verbrechens beschuldigt; Jens und seine Freundin werden anschließend zur lebenslangen Haft verurteilt. Sie sitzen bis heute im Gefängnis.
Bei einer Veranstaltung im Rahmen des „Festival of Books“, moderiert vom berühmtesten Einwohner von Charlottesville, John Grisham, wurde ein Buch vorgestellt, das diese Geschichte nachrecherchiert und zum Schluss kommt, dass Jens Soering unschuldig sei. Die anschliessende Diskussion unter Beteiligung des Autors, eines Polizisten und einer Staatsanwältin die sich heute für die Befreiung von Jens einsetzten offenbarte für mich die große Stärke Amerikas: die zivile Gesellschaft, die wohl in Jamestown, mit dem Streik der polnischen Handwerker ihre Geburtsstunde hatte und seither zum Wesen dieses großartigen Landes gehört.
Ben Fajzullin, Deutsche Welle, Berlin
Splitternackt stehe ich in der Wohnung als der Anruf kommt. Eine sehr unaufgeregte Stimme ist zu hören. Er sei Richard Quest und wolle mit mir Ben Fajzullin sprechen. Mit mir! Ich bin völlig aus dem Häuschen: Der berühmteste Wirtschaftsmoderator der Welt ruft bei mir auf dem Handy an.
Kann das sein? Aber Richard Quest hört sich doch ganz anders an. Er ist immer völlig aufgeregt und richtig durchgedreht, zumindest wenn er auf Sendung ist. Ich überlege fieberhaft.
Also wenn es wirklich Richard Quest ist, könnte es sein, dass dieser Star im echten Leben einfach stinknormal ist? Und dann hatte ich nicht von seiner komischen Geschichte im Central Park gehört? Mein Kopf dreht sich so schnell wie ein Mixer, voller Fragen und Verwirrung. Mein Gehirn wird zum Bananen-Smoothie.
Ich bin so aufgeregt! Ich muss dafür sorgen, dass er das Herzklopfen aus Berlin-Mitte nicht auf der anderen Seite des Atlantiks hören kann. Und ich sollte auch nicht jedes Mal, nachdem er mir eine ganz normale Frage gestellt hat, wie ein Schulmädchen entsetzlich kichern.
Das reicht! Ich merke, wie ich mich endlich aus der Zwangsjacke des verrückten Fans befreie und mich richtig zusammenraffe – als ob ich jetzt auf der Stelle auf Sendung gehen müsste. Gedanken ordnen. Und anziehen! Auf einmal kann ich nichts anderes hören, sehen und fühlen außer Richard und mir. Und ich merke: Quest means business, wie sein Format heißt!
Nach dem netten, kollegialen 10-minütigen Gespräch, kann ich mich darauf freuen, dass ich ihn für einen ganzen Tag auf der Arbeit bei CNN begleiten darf. Und nicht nur das. Er sagt, dass die ganze RIAS-Gruppe live dabei sein dürfe, wenn er seine Sendung aufnimmt.
Es war für mich – als Journalist – wie ein Lottogewinn! Und RIAS Präsident Erik Kirschbaum konnte sich nicht oft genug bei mir bedanken, dass ich den Kontakt hergestellt habe. Ehrlich gesagt, war ich auch verblüfft! Was ich nicht ahnen konnte: Die ganze Reise war voller Superkontakte und Networking gepackt. Ein echt faszinierender Blick hinter die Kulissen von Amerikas Top-Instituten und der Top-Sender, wo wir Experten und tolle Journalisten kennenlernen durften.
Ein Highlight war das Labyrinth unterhalb des U.S. Capitols und der Library of Congresses in Washington. Die unterirdische Stadt voller Konzernrepräsentanten, NGOs und Veteranen hat uns gezeigt, was für gewaltige Ausmaße der Lobbyismus annehmen kann und auch wie schnell man dort verloren gehen kann. Das ist uns mit einigen Kollegen passiert – und ausgerechnet an dem Tag, als wir unseren wichtigsten Gastgeber kennenlernen sollten: die Kongressabgeordneten Michael Doyle und Chuck Fleischmann.
Der Demokrat aus Pennsylvania, Doyle, widmete uns eine ganze Stunde seiner kostbaren Zeit. U.S. Präsident Trump ist das Hauptthema und auch noch: Wer ihm „bald“ folgen wird – obwohl der Kongressmann selbst keinerlei Ahnung hat, wer das sein könnte. Trump war ohnehin das Dauerthema dieser Reise.
Auch natürlich bei dem Republikaner aus Tennessee sorgt Trump für Gesprächsstoff. Fleischmann hat leider nur – ohne Witz – drei Minuten Zeit für uns. Innerhalb dieser drei Minuten erwähnte er allerdings nicht weniger als dreimal, wie dick befreundet er und Trump sind. Wir haben es verstanden und wie jeder schlaue Politiker das gerne hat, ist die Zeit so schnell vorbeigegangen, dass wir keinerlei Nachfragen stellen konnten. Und weiter ging es!
Wie man als Journalist fair und neutral über Trump berichtet, war die große Herausforderung für die Reporter, die wir bei Voice of America und NPR kennengelernt haben. Es ist ein noch größeres Problem in Deutschland, finde ich, wo die Journalisten meinen, eine Rolle zulande zu spielen haben, wo das Gute und Böse für die Zuschauer definiert werden muss. Letztendlich: Neutral ist neutral. Man kann nicht ein wenig neutral sein.
Wenn ich über die spannenden Wochen nachdenke, was mich am meisten beeindruckt hat, war die Zusammenarbeit in der Regie bei MSNBC. Die Sendung ging hauptsächlich um Trump. Jeder einzelne machte sein Job ohne zu meckern, ohne gepusht zu werden und richtig professionell. Der Anchor, Stephanie Ruhle, konnte sich auf ihre Tätigkeiten konzentrieren und war ausgezeichnet! Es war wie ein Uhrwerk. Das Resultat war eine hochspannende Sendung. Eine echte Show. Das hat mir gezeigt, wieviel es ausmacht, wenn wirklich alle an einem Strang ziehen und persönliche Befindlichkeiten hintenanstellen.
Laura Sophie Fritsch, WeltN24, Berlin
Es riecht nach kaltem Zigarettenrauch im Auto. Meine Augen tränen. Nicht vom beißenden Geruch oder vom eisigen Fahrtwind, der mir durch die geöffneten Fenster entgegenschlägt. Sondern von dem, was mir der Mann hinter dem Steuer erzählt. Es ist die Geschichte von Jason Groth, einem ehemaligen Feuerwehrmann auf Staten Island, der im Einsatz war, als die Türme des World Trade Centers am 11. September einstürzten. Meine Wut darüber, dass ich mich auf Staten Island verlaufen hatte, ist längst vergessen. Mit dem Bus wollte ich von Manhattan nach Richmond Town, eine Siedlung aus dem frühen 18. Jahrhundert und jetzt ein Freiluftmuseum, wo verkleidete Menschen rumlaufen. Nett, denke ich, als ich mir deren Webseite durchlese. Nicht nett, als ich an einer geschlossenen Bushaltestelle irgendwo auf Staten Island stehe und lese, dass der nächste Bus-Stop zwei Meilen entfernt ist. In diesem Moment taucht Jason Groth auf. Sein Auto wird gerade in einer Werkstatt nebenan inspiziert, als er mich fragt, ob ich Hilfe brauche. „My parents’ house is next to Historic Richmond Town. I can take you with me.“ Nun bin ich nicht der Typ, der einfach so in fremde Autos steigt und per Anhalter fährt. Doch als er erzählt, wer er ist und wer er mal war, steige ich ein. Ein Großteil seiner Einheit überlebte 9/11 nicht. Viele seiner Kollegen steckten im Südturm, als dieser um 9:59 Uhr, eine Stunde nach den Anschlägen, zusammenstürzte. Er selbst stand mit einem Kollegen am Fuß des Turmes. Die beiden schafften es, den herabfallenden Trümmerteilen zu entkommen. Ein Feuerwehrmann aus einer anderen Einheit und eine verletzte Frau, die nur hundert Meter entfernt waren, schafften es nicht.
“Pay attention to what he does”
20 Minuten später setzt mich Jason Groth direkt vor dem Courthouse von Richmond Town ab. Ein Foto, ein „Take care!“ und weg ist er. Zwar ist diese Begegnung eine Woche nach dem Rias-Programm passiert, doch steht sie für so viele Menschen während des US-Austauschs, die mich mit ihrer Offenheit und Hilfsbereitschaft überrascht haben. Rias bringt mich und 13 weitere Journalisten zunächst nach Washington. Viele Think Tanks, zwei Politiker und die Frage, wie macht sich Donald Trump als Präsident, der im Wahlkampf noch mit menschenverachtenden Sprüchen um sich warf. Chuck Fleischmann, ein Republikaner, der im Repräsentantenhaus den US-Bundesstaat Tennessee vertritt, würde ihm die Note „A“ geben. Mehr als 15 Minuten hat er nicht, er muss zu einer Abstimmung. Der republikanische Kongressabgeordnete Michael Doyle nimmt sich da etwas mehr Zeit für uns. Über eine Stunde dürfen wir ihn mit Fragen löchern. Uns interessieren vor allem Trumps angekündigte Strafzölle auf Stahl- und Aluminium-Importe. „Over the last year, we have learned that we should not pay attention to what the president says, but to what he does.”, sagt Doyle, der seinen Wahlkreis in Pittsburgh hat, einer alten Stahlarbeiterstadt. Dass auf Trumps Worte aber auch Taten folgen können, zeigt sich in den darauffolgenden Wochen, in denen sich der Handelsstreit zwischen den USA und Europa immer weiter verschärft. Einen Tag, nachdem ich dieses Essay verfasse, endet die Schonfrist für die Stahl- und Aluminiumimporte aus der EU.
Auch in New York beherrscht Trumps Präsidentschaft die Gespräche. Eine Begegnung, die wir so schnell wohl nicht vergessen werden, erleben wir im Tenement Museum. Es erzählt die Geschichte von Einwanderern, die zwischen 1863 und 1935 in New York City lebten. Eine Geschichte trifft uns am meisten, die von Kevin Jennings, dem Museumschef. Warum glaubt er, dass das Land nicht nach rechts driften wird, mit einem Präsidenten, der eine Mauer an der Grenze zu Mexiko bauen will. Sein Onkel und sein Großvater waren Mitglieder des Ku-Klux-Klans, erzählt Jennings. Auch seinem Vater wurde die Mitgliedschaft angeboten, die er aber ablehnte. In diesem Umfeld wuchs Jennings auf. Heute setzt sich der 54-Jährige für homosexuelle Menschen ein. Er selbst ist schwul. Er glaubt daran, dass das Land mittlerweile so viel weiter ist und es sich noch weiter verändern wird.
Marihuana, ein Zauberer und Columbine
Nach zwei Wochen Ostküste trennt sich unsere RIAS-Gruppe. Jeder darf bei einem anderen Sender irgendwo im Land hospitieren. Für mich geht es weiter nach Denver in den US-Bundesstaat Colorado, viele liberale Ansichten und ein kollektives Entsetzen über Trump. Marihuana darf hier legal konsumiert werden. Es ist die wohl kifferfreundlichste Stadt der USA. Ob ich denn schon einen Joint in Denver geraucht hätte, fragt mich CBS-Reporter Dillon Thomas gleich am ersten Tag grinsend, als wir auf dem Weg zu einem Zauberer sind, der eine Show im Universitätsklinikum der Stadt aufführen will. Natürlich nicht, antworte ich und überlege, ob ich am Abend bei einem Pot-Shop vorbeischauen sollte. Dillon ist 25 Jahre alt, hoch engagiert und hat sich mit Leib und Seele dem Lokaljournalismus verschrieben. So ziemlich alles macht er allein. Filmen, schneiden, schreiben, vertonen und am Ende des Tages auch noch eine Schalte für die 18-Uhr-Nachrichten von CBS4. Ich bin beeindruckt. Auf dem Weg zum Dreh diskutieren wir schärfere Waffengesetze. Schon nach kurzer Zeit erkenne ich, dass neben mir ein klarer Befürworter von Waffen sitzt. Familienausflüge zu Schießständen sind für ihn normal, genauso wie einen Waffenschrank zu besitzen. Er befürwortet auch den Vorschlag von Trump, bewaffnete Lehrer könnten Amokläufer stoppen. Das Schulmassaker in Parkland mit 17 Toten ist zu diesem Zeitpunkt knapp einen Monat her. Auf dem Rückweg schweigen wir uns an. Am nächsten Morgen begleite ich CBS-Reporter Rick Sallinger zu einem Dreh. Plötzlich taucht auf der rechten Seite die Columbine High School auf. Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Vor meinen Augen erscheinen die Aufnahmen von Überwachungskameras, wie zwei Jungen mit Maschinenpistolen durch ein Schulgebäude laufen und insgesamt 13 Menschen niederstrecken. Was hier geschehen ist, hat tiefe Wunden bei den Menschen von Colorado hinterlassen, sagt Rick. Es muss sich etwas ändern. Ich erkenne, dass Amerika extrem gespalten ist. Ein Umdenken im Umgang mit Schusswaffen wird so schnell nicht möglich sein.
Das „echte“ Amerika?
Vier Tage später laufe ich beim „March for Our Lives“ in Washington mit. Schüler, Lehrer und Eltern sind gekommen, um im Schatten des Kapitols strengere Waffengesetze zu fordern. Trauer, Wut, aber auch Entschlossenheit treibt sie an. Aufgerufen haben zu der Kundgebung Schüler der Marjory Stoneman Douglas Highschool in Parkland nach dem Blutbad an ihrer Schule. „Who are we? MSD!“, schreit eine Gruppe direkt vor mir. Es ist die Abkürzung für Marjory Stoneman Douglas. „I think we’re starting a big revolution“, sagt die Schülerin Molly Rollins. Fast alle hier sind der Auffassung, dass sich schon bald die Gesetze ändern werden. Mit der Waffenlobby NRA haben sie allerdings einen mächtigen Gegner, der mit Millionenspenden an Politiker die Gesetzgebung im Land beeinflusst. Ob Amerika zum Umdenken bereit ist, will ich auch von Laureen wissen, eine Lehrerin aus dem US-Bundesstaat Connecticut. “It may not change overnight. And it may not change in a big way yet. But every voice, every sign. It all can eventually produce change. We have to believe that. Because that’s the real America.” Das echte Amerika – über diese Worte denke ich nach, als ich in den Flieger zurück nach Deutschland einsteige. Nicht sicher, ob die Amerikaner eigentlich selbst wissen, welche Seite nun die „echte“ ist. Das Land ist einfach zu groß. In das wahre Gesicht von Berlin blicke ich jedenfalls neun Stunden später an der Frankfurter Allee. Noch völlig verschlafen und im Jetlag-Modus starre ich den Verkehr an, um die Straße zu überqueren. “Guck mich nicht so an, du Ziege!“ schreit mir plötzlich ein Autofahrer entgegen. Ich bin definitiv zurück, denke ich, zücke mein Handy, tippe den Satz ein und überlege, ob das nicht ein guter Schluss wäre.
Danke Rias für die vielen wundervollen Begegnungen, die ich auf dieser Reise machen durfte. Es war eine aufregende und vor allem lehrreiche Zeit.
Louisa Maria Giersberg, Norddeutscher Rundfunk, Schwerin
Wintersturm
Noch bevor die Reise losgeht, muss eine entscheidende Frage geklärt werden: Was bringe ich eigentlich als Gastgeschenk mit? Die anderen Teilnehmer des RIAS-Frühlingsprogramms und ich tauschen uns in der gerade gegründeten What’s-App-Gruppe aus: Da werden Stifte, Tassen, Schokolade oder Lübecker Marzipan vorgeschlagen. Ich bringe meinem Host, Tom Collones, Mikro-Puschel mit – Tom sammelt sie. Und während wir alle noch am Packen sind, braut sich über der Ostküste der USA ein massiver Nor’easter zusammen – kurz gesagt ein Riesensturm. Ich will am 3. März fliegen. Am 2. bleiben alle Flieger am Boden. Die, die doch aufsteigen oder im Auge des Sturms landen müssen, berichten von dramatischen Szenen an Bord. Beste Voraussetzungen für einen entspannten Start in drei spannende Wochen.
Der Flug von Frankfurt nach Washington DC ist dann genauso wie befürchtet… die Wartezeit an der Immigration auch. Zwei Tage später geht es offiziell los – in der Rooftop-Bar des Hotels. Der erste Abend wird zur Blaupause für die kommenden zwei gemeinsamen Wochen: Trautes Beisammensein von ARD, ZDF, ntv, Welt, Deutsche Welle und RTL-Journalisten: es wird viel und lange geredet, getrunken und gelacht.
Alte Freundschaft
Ich bin in Westberlin aufgewachsen. Wenn meine Mutter mich morgens in den Kindergarten brachte, joggten auf der anderen Straßenseite amerikanische Soldaten über den Truppenübungsplatz. Manchmal guckte ich bei ihren Übungen zu, und – ja, fast wie zu Zeiten der Rosinenbomber – manchmal bekam ich candy oder chewing gum von ihnen. Ein Highlight. Weil wir in Westberlin lebten, war die latente Bedrohung „durch den Russen“ immer spürbar, sie wurde thematisiert und die Deutsch-Amerikanische Freundschaft wurde regelmäßig beschworen. Umso ambivalenter meine Gefühle für die USA heute.
Handelsbarrieren
Die USA haben einen Präsidenten, der seine Nation wieder „groß” machen möchte. Ein Weg führt über isolationistische Tendenzen. Als wir unsere ersten Schritte in Washington machen, hat Trump gerade angekündigt, Strafzölle zu verhängen. Gegen China, Südkorea, aber auch „Verbündete“ wie Kanada oder Deutschland. Die Welt ist entsetzt, die Deutschen Medien kritisieren, die als liberal verschrienen US-Medien wie CNN, Washington Post oder New York Times auch. Doch dann die erste Erkenntnis dieser Reise: Beim Besuch des demokratischen Kongressabgeordneten Michael Doyle wird klar, dass die Geschichte nicht immer Demokrat gegen Republikaner, links gegen rechts und umgekehrt lautet. Oft liegt die Spaltung zwischen Stadt und Land, Rustbelt oder Silicon Valley, Küste oder Heartland, Süden oder Norden. Michael Doyle ist für Einfuhrzölle, um die US-Stahlindustrie zu schützen. Denn er stammt aus Pennsylvania und wird von Stahlarbeiter gewählt. Seiner Meinung nach erlaubt es die derzeitige Handelspolitik anderen Ländern, ihre Produkte zu Dumping-Preisen in die USA zu bringen. Trotzdem beschwichtigt Doyle. Das Ganze sei jetzt erst mal eine Ankündigung. Trump rede und twittere viel. Was am Ende rauskomme, sei ganz anders. Einen Tag später wird Trump verkünden, dass die tariffs, die Strafzölle, kommen werden.
Zehn Meilen pro Tag
Die Termine jagen einander. Die Woche in Washington vergeht wie im Fluge. Und wir laufen – kilometerweit quer durch die Stadt. Ein Besuch im Pew Research Center verschafft mir die zweite große Erkenntnis. In einer Studie haben die Wissenschaftler Religionen in den USA untersucht. Und sie haben das größte Hindernis, gewählt zu werden, ausgemacht: Atheismus. Das sei schlimmer als Homosexualität oder eine Vorstrafe. Weil Religion eine so wichtige Rolle spiele, seien daran bestimmte moralische Vorstellungen gekoppelt und Werte, die unverhandelbar sind. Der Schutz des ungeborenen Lebens zum Beispiel, die Ablehnung von Abtreibung also.
Ein weiteres Highlight dieser Woche: Der Besuch bei NPR News. Nicht nur ist das der Hüter des Qualitätsjournalismus in den USA für mich. NPR ist auch so etwas wie ein Bollwerk gegen Fake News, Alternative Facts und Ignoranz – und dabei gänzlich unaufgeregt. Dass public radio in den USA auf Spenden angewiesen ist, war mir nicht bekannt. Dass sie, um Kosten zu sparen, oft an Universitäten angebunden sind, ebenfalls nicht. Kontaktaufnahme mit Kollegen: In dem neuen, gläsernen Gebäude lernen wir unter anderem Leah Donella von Code Switch kennen. Seit 2013 betreiben eine Handvoll NPR-Journalisten diesen Podcast ein Mal wöchentlich. Und das äußerst erfolgreich. Die Zuhörer hätten genau darauf gewartet, erzählen sie. Der Podcast beschäftigt sich mit Themen wie Rasse und Rassismus, Ethnie, Kultur. Wir, die RIAS-Gruppe, sind eine fast gänzlich weiße Gruppe. Und uns sitzen drei Schwarze gegenüber, die vom Alltagsrassismus, von der Diskriminierung und von „The Talk“ erzählen. „You don’t know what The Talk is“, fragt uns eine von ihnen. Und dann erzählen sie, wie junge Schwarze von ihren Eltern aufgeklärt werden. Nicht über Sex, sondern wie sie sich in Polizeikontrollen zu verhalten haben, wie sie deeskalieren können – (Rap-) Musik ausmachen, Hände aufs Steuer legen, freundlich mit Ja und Nein antworten… Leahs Bruder durfte nicht mit der Wasserpistole spielen – zu gefährlich, Polizisten könnten den Jungen erschießen… wir alle sind entsetzt und ehrlich bewegt.
Winter Wonderland
Der nächste Nor’easter jagt übers Land, das Weiße Haus sieht im Schnee so friedlich aus. Derweil setzen sich die Rücktritte dort fort. Allein während des dreiwöchigen RIAS-Programms treten vier hochrangige Mitarbeiter Trumps zurück beziehungsweise werden gefeuert: Wirtschaftsberater Gary Cohn, Außenminister Rex Tillerson, Trumps persönlicher Assistent John McEntee und zuletzt Sicherheitsberater Herbert McMaster. Hier herrscht Chaos und alle wissen es. Die einen sagen resigniert, dass es ja nur noch knapp drei Jahre bis zur nächsten Präsidentschaftswahl sind, die anderen machen sich bereit für die midterm elections im Herbst. Die Demokraten zeigen sich siegessicher. Und wir besteigen den Zug nach Philadelphia. Dort wird der St. Patrick’s Day freundlicherweise eine Woche zu früh gefeiert und wir geraten mitten rein. Und auch die Super Bowl Feierlichkeiten scheinen nach über einem Monat immer noch anzudauern. Nach einer wirklich kurzen Stippvisite zur Independence Hall, wo die Declaration of Independence am 4. Juli 1776 unterschrieben wurde, geht es nach New York City.
Laufen, ärgern, lachen
Dort steht der nächste Nor’easter in den Startlöchern und damit eisige Temperaturen, Graupel und Schnee. Meine Waden sind mittlerweile durchtrainiert. Erik, ein passionierter Läufer – im Sinne von überall hinlaufen, nicht joggen – reißt mich mit und so laufe ich schon mal 60 Blocks vom Central Park, an den Bürotürmen in Midtown und immer kleiner werdenden Brownstones vorbei bis nach Lower Manhattan. Kasey, unsere USA-Koordinatorin, hat zwei echte Filetstücke der Abendgestaltung für uns organisiert. Ein Story Slam im Buchladen „The Moth“ – ich lache, ich weine, es zerreißt mir das Herz, ich kann mich kaum auf dem Sitz halten, weil ich so losprusten muss. Und eine Theater-/ Gesangs-/Amateur Night im legendären Apollo Theatre in Harlem. Ich sage nur „It’s all in the middle!“ Als teambildende Maßnahme, die wir ja gar nicht brauchen, weil wir auch so schon eine phantastische Gruppe sind, ist das optimal: wir tanzen zusammen, wir grölen und verbringen einen erinnerungswürdigen Abend.
Gemeinsame Frustration erleben wir hingegen beim Besuch des AJC – des American Jewish Committee. Zwar nimmt sich David Harris, Chief Executive Officer des AJC, relativ viel Zeit für uns. Die Antworten aber sind unbefriedigend. Auf der einen Seite erklärt Harris, der AJC spreche für die Juden in aller Welt, mit Politik habe er nichts zu tun. Gleichzeitig verteidigt Harris die völkerrechtlich fragwürdige Siedlungspolitik Israels und das rigorose Vorgehen gegen Palästinenser. Die Entscheidung von Präsident Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, hält er für dringend überfällig. Einwände, der ohnehin festgefahrene Friedensprozess könnte dadurch gänzlich in Gefahr geraten, wischt er weg. Am Ende weiß ich nicht, ob ich mit einem Botschafter des jüdischen Lebens oder einem Vertreter Israels gesprochen habe.
Eine zweite Portion bitte
An einem besonders nasskalten und windigen Dienstag gehen wir kochen. Die St. James Church liegt an der Upper East Side, einem der Edelviertel der Stadt. Gegenüber ist eine französische Patisserie, in der sechs Macarons mehr als 20 Dollar kosten. Die Ladies, die in die Kellerräume der Kirche gekommen sind, um die Obdachlosen wie jede Woche zu bekochen, sind aus dem „Kiez“ und weiß. Wie üblich bei reichen Amerikanern setzen sie auf Understatement. Protzen schickt sich nicht. Dafür gehört ehrenamtliches Engagement dazu. Wo der Staat für seine Armen, Kranken und Abgehängten nicht sorgt, übernimmt die Zivilgesellschaft. Heute helfen auch wir und bereiten Chicken Parmigiana, Nudeln mit Tomatensauce und Salat für 100 Leute vor. Später streifen wir uns Plastikhandschuhe über und teilen das Essen mit einem Lächeln aus. Es sind zum großen Teil Schwarze, die sich durch die Türen schieben, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Einige haben Plastiktüten mit ihren Habseligkeiten dabei, manche sind eine olfaktorische Herausforderung, andere haben sich besonders ordentlich angezogen. Ich muss an das Team von Code Switch denken. Warum sitzen an den zehn Tischen fast nur Schwarze?
16 Margheritas!
Noch nie war eine RIAS-Gruppe größer. 14 Teilnehmer plus Kasey und Erik – zwei Wochen lang zusammen geschweißt durch straffe Zeitpläne, die Suche nach der richtigen Bahn, dem richtigen Bus, der richtigen Hausnummer und das Gefühl, Teil von etwas Großartigem zu sein. Am 16.03. feiern wir noch mal. Dann trennen sich unsere Wege – wir sind die erste Gruppe, bei der die Station week am Ende liegt. We are super Alumni!
Spartanburg South Carolina
Ich finde fliegen furchtbar. Auf die Erfahrung, in einem fliegenden Hamsterkäfig zu reisen, hätte ich also verzichten können. Business Jet, bitte Kopf einziehen. Zwischen der dünnen Luft draußen und meiner angsterfüllten beschleunigten Atmung drinnen sind gefühlt zwei Millimeter Pappe. Wie immer ein Wunder für mich: ich komme unbeschadet in den Südstaaten an. Mein Host, Tom Collones, Kamerareporter bei WSPA, holt mich ab. Ehrensache. Natürlich zeigt er mir sofort das „Funkhaus“.
Basketball schlägt Nachrichten
Schnell wird klar: die Resource Mensch wird hier nicht geschont. Das Gebäude ist bunkerartig, flache Decken, Großraumbüros. Und ob CNN, Blomberg oder WSPA: die Räume haben keine Fenster – frische Luft oder Tageslicht… ist nicht. Es ist Sonntagabend – nur noch im Schaltraum wird gearbeitet. Zwei Kollegen überwachen etwa 40 Bildschirme. Hier werden normalerweise zwölf verschiedene Regionalprogramme auseinander geschaltet. Dachsender ist CBS. Jedes Regionalfenster hat seine eigene Werbung und feste Slots, zu denen sie laufen muss. In der Regel spielt sie ein Computer ab und grätscht unerbittlich ins laufende Programm rein, wenn die Zeit gekommen ist. Nur deswegen sitzt hier noch jemand. Um, was selten vorkommt, händisch das Programm vor der plötzlichen Pause zu retten. Zur Zeit aber herrscht March Madness – die College Basketball Teams spielen gegeneinander und die Amerikaner sind verrückt danach. Dem wird alles untergeordnet. Deswegen fallen heute auch die Nachrichten aus. Gerade spielt der Heimatclub: Clemson University (South Carolina) gegen Auburn University (Alabama). Clemson gewinnt: 84 zu 53.
Einsparpotential
Studiokameraleute gibt es hier schon seit Jahren nicht mehr, wird mir erklärt. Die vier starren Kameras werden ferngesteuert. Ranfahrten oder andere Spielereien gibt es nicht. 9:30 Uhr Redaktionskonferenz. Die anwesenden Frauen sind wie aus dem Ei gepellt. Make-up und Haare sitzen – jede von ihnen könnte sofort vor einer HD-Kamera on air gehen. Das gehört in den Staaten offenbar dazu. Neben den fünf Reporterinnen im Raum sind noch drei in den Außenstellen des Senders zugeschaltet: Anderson, Greenville, Asheville. Ich bin beeindruckt: jede von ihnen hat ein bis zwei frische Themen parat. Gemeinsam wird entschieden, was heute umgesetzt werden soll und dann werden Teams gebildet. Eine Reporterin – ein Kameramann. Wie mir Tom später erzählt, ist die Situation bei WSPA äußerst bequem – in vielen anderen Sendern müssten die Reporter längst alles selbst machen. Ich stelle mir das vor: ein Deutsches regionales Nachrichtenmagazin ausschließlich von VJs umgesetzt… Prädikat: nicht wünschenswert.
Early bird
Toms normale Schicht beginnt um 3:30 Uhr – morgens! Und geht bis mittags. Seine Aufgabe besteht im wesentlichen darin, irgendwo im Dunklen eine Kamera aufzustellen, eine Antenne auszurichten und alle halbe Stunde die Live-Schalte des ihm zugewiesenen Reporters zu sichern. Nächste Erkenntnis: amerikanische Sender sind besessen von Live. In diesem Fall sind wir auf den Parkplatz des Zoos von Greenville gefahren und haben dort Tobias getroffen. Der junge Reporter ist gerade aus Texas hergezogen und friert – obwohl es eigentlich schon viel wärmer sein müsste, sind es gerade mal zwei Grad Celsius. Tobias hat recherchiert, dass die ersten Bienen aufgetaucht sind und die Gäste des Parks belästigt haben. Also erzählt er von 4:30 Uhr an halbstündig in einer etwa einminütigen Live-Einblendung, dass die ersten Bienen aufgetaucht sind, dass jeder seinen Müll aufheben und mitnehmen soll, dass Bienen wichtig für die Natur sind und dass sie auf keinen Fall erschlagen werden dürfen. Mein Gefühl: ein ordentlich gedrehter Beitrag mit ein bisschen Archivmaterial von summenden Bienchen und aussagekräftigen O-Tönen hätte das Problem besser rübergebracht.
Crash boom bang
„No concealed weapons!“ Dazu eine rot durchgestrichene Pistole. Diesem Schild begegne ich an Banken, Läden und öffentlichen Einrichtungen. Ich frage Tom, was es damit auf sich hat. Tom hat zwar keine Waffe. Er weiß aber, dass die Südstaatler ihre Pistolen und Gewehre lieben. Und in vielen Staaten gibt es Conceiled Weapon Permits. Dadurch sollen Waffenbesitzer ihre Waffen jederzeit mitführen können, das sei ja schließlich von der Verfassung und dem Second Amendment ausdrücklich erlaubt, und sie nicht im Auto lassen müssen – wo sie dann gerne gestohlen werden – oder zu Hause, wo sie einem nichts nützen, wenn man unterwegs überfallen wird. Aber viele Business owner wollen dann eben doch nicht, dass jemand mit Waffe, versteckt oder auch nicht, in ihr Geschäft spaziert. Aber ich bin schließlich Journalistin geworden, weil ich neugierig bin. Also bitte ich Tom, einen Kontakt zu einem Schießstand herzustellen. Noch am selben Tag fahre ich zu Wesley. Er hat vor kurzem den Waffenladen mit Schießstand an einem Country Highway gekauft… und das Geschäft läuft gut. Kurz bevor wir in die Staaten geflogen sind, hatte es erneut ein Schulmassaker gegeben. Am 14. Februar erschoss ein 19-jähriger ehemaliger Schüler 17 Jugendliche und Lehrer an der Douglas Highschool in Parkland, Florida. Präsident Trumps Vorschlag, um solche Amokläufe in Zukunft – endlich – zu unterbinden, so simpel wie schockierend: die Schulen müssten wieder stark gemacht werden, indem man die Lehrer bewaffnet. Und Wesley nickt heftig, als ich ihn darauf anspreche. Genau so muss man das machen. Das Recht auf Waffenbesitz sei durch die Verfassung gedeckt. Außerdem müsse jeder in der Lage sein, sich selbst zu schützen. Um zu erfahren, was so faszinierend am Schießen ist, möchte ich es probieren. Ich schieße mit einer 22er und einer 9mm-Waffe, einmal mit Schalldämpfer einmal ohne, und zwar immer auf das selbe Ziel: auf das Herz eines stilisierten Mannes. Archaisch. Aber, das gebe ich zu, es macht Spaß. Ich verstehe, dass man regelmäßig auf den Schießstand kommt, dass man da Stress abbauen und sich mit anderen messen möchte. Warum jemand draußen mit der Knarre rumrennen will und darf, bleibt mir ein Rätsel.
Ambivalent
Mein letzter Tag ist gekommen. Es gibt noch mal burger, onion rings und fries bei Fuddruckers, Toms Lieblingsrestaurant. Und wir besuchen noch schnell die Berliner Mauer. Mitten in der Pampa, vor dem ältesten ausländischen Industriebetrieb South Carolinas, der deutschen Textilfirma Menzel, stehen zwei Originalteile – mit den berühmten Zitaten von Präsident Kennedy „I take pride in the words: Ich bin ein Berliner“ und von Präsident Reagan „Mr. Gorbatchev, tear down this wall!“
Hier schließt sich der Kreis. Meine eigene Lebensgeschichte ist mit der US-amerikanischen Geschichte verwoben. Aber wie fällt mein Urteil aus? Immer noch ambivalent – wie könnte es anders sein… Ein Land, das seine Bürger nicht ordentlich krankenversichern kann oder will, eine Nation, die es zulässt, dass Kinder regelmäßig Kinder erschießen, ein Präsident, der den erzkonservativen Nachrichtensender Fox als Quelle seines Wissens und als Grundlage seines Handelns nimmt… aber eben auch ein Land, das vor Schönheit und Naturwundern nur so strotzt, in dem die Menschen hilfsbereit sind und sich nach dem Befinden erkundigen. Ich bin hin und her gerissen zwischen Faszination und Ablehnung, zwischen „wird schon“ und „oh je, wo soll das bloß hinführen?“ Aber ich habe so viele tolle, engagierte Amerikanische Journalisten kennen gelernt, die besonnen und mit Weitblick tun, was wir alle tun müssen: Fakten präsentieren, analysieren und dem Volk erklären. Gebetsmühlenartig. Also ist mir doch nicht so bang ums Herz. Im Gepäck habe ich viele Themenideen, wundervolle Erinnerungen an drei unvergessliche Wochen und im Handy die Kontaktdaten von 13 Deutschen Journalisten, die diese Erfahrungen mit mir teilen.
Es war großartig und ich freue mich auf ein Wiedersehen!
Marcel Grzyb, RTL, Köln
„Trump? Der Mann ist ein Witz“, sagt unser Fahrer, während das Taxi am Washington Memorial vorbeifährt. Er ist vor fast 40 Jahren aus dem Iran in die USA ausgewandert. „Amerika ist größer als Trump und wird immer Amerika bleiben“, sagt er. Das Land habe sich schließlich immer weiter entwickelt und ihm dabei viele Chancen gegeben. Sätze, wie diese, hören wir oft in den nächsten Tagen. Optimismus in turbulenten Zeiten. Neben Russlandäffäre und Berichten über Trumps Beziehung zur Pornodarstellerin Stormy Daniels diskutiert das Land über schärfere Waffengesetze. Drei Wochen zuvor hatte ein 19-Jähriger in Florida 17 Menschen in einer Schule erschossen. Trump schlägt vor, Lehrer zu bewaffnen und hätte sich, nach eigener Aussage, selbst dem Täter entgegengestellt – auch ohne Knarre. „Das ist doch alles Wahnsinn“, meint unser Taxifahrer.
Wir wollen den Wahnsinn verstehen. Drei intensive Wochen liegen vor uns – drei Wochen USA in allen Facetten. Schon bei unserem ersten Treffen in einer Rooftop-Bar über Washington wird klar – auch unsere zwölfköpfige Journalisten-Truppe ist ein bunter Haufen. Von RTL bis Deutschlandfunk-Kultur, von Ende 20 bis Mitte 50, einmal Querbeet durch die deutsche Rundfunklandschaft. RIAS-Direktor Erik Kirschbaum und seine Nordamerika-Assistentin KC Schillhahn haben ein spannendes, dicht getaktetes Programm vorbereitet. Bereits die ersten Tage in Washington haben es in sich. Wir treffen Kongressabgeordnete der Republikaner und Demokraten. Glühende Trump-Anhänger, wie Gegner. Besichtigen die TV- und Radiostationen von Voice of America, NPR und die Kollegen des ZDF, bekommen Einblicke in die Hintergrundanalysen der großen Thinktanks. Wir diskutieren über Alltagsrassismus, soziale Ungleichheit und die Machtfülle des Präsidenten. Größer als die Verwunderung über Trump und seine Wählerschaft ist bei vielen in Washington jedoch das Vertrauen in die eigene 230-jährige Verfassung. Der Glaube an Gerechtigkeit – und Abseits von Fox-News und Co. eben auch an seriöse Medien, die jeden Tweet, jeden Halbsatz des 45. US-Präsidenten sezieren. Die politische Berichterstattung, das hören wir überall, ist umfangreicher, schwieriger geworden. Mehr Live-Schalten, Hintergrundberichte, Reisen ins rätselhafte Trump-Land. Dorthin, wo sich viele Amerikaner abgehängt fühlen – in South Dakota, Texas oder Ohio. Einige von uns werden dort ihre Station Week verbringen. Verstehen, neue Eindrücke und Perspektiven bekommen – das liefert RIAS jeden Tag. Viel Gesprächsstoff für unsere gemeinsamen Abende im blühenden Washingtoner Nachtleben. Washington? Von langweiliger Beamtenstadt keine Spur.
Über Philadelphia, geht es weiter nach New York, New York!
Allein jeder Weg zum nächsten Termin wird hier zum Sightseeing-Erlebnis. Wir sprechen mit Größen aus Gesellschaft und Politik, wie Phil Murphy. Der Gouverneur von New Jersey war bis 2013 US-Botschafter in Berlin – nicht wenige trauen ihm in ein paar Jahren die Kandidatur fürs Weiße Haus zu. Konzerte in Harlem, Alumni-Treffen bis nach Mitternacht, und jeden Tag weitere US-Sender. Wir sind dabei als Megyn Kelly ihre Live-Show moderiert, besuchen Bloomberg und CNN. Im Studio am Columbus Circle treffen wir Anderson Cooper und Richard Quest. Meet and Greet mit den Popstars des Nachrichten-Journalismus. Cooper hat mehr als 10 Millionen Follower bei Twitter – zum Vergleich: Claus Kleber folgen immerhin rund 300 Tausend. CNN Money-Chef Rich Barbieri nimmt sich Zeit mit uns über die wirtschaftlichen Spannungen zu sprechen. Über Trumps Pläne bald Strafzölle auf Stahl, Produkte aus China und deutsche Autos zu verhängen. Von Letzteren rollen so einige über die Straßen New Yorks – viele aber eben nicht in Deutschland vom Band, sondern in den US-Fabriken von BMW, VW und Daimler.
Überraschend eindrucksvolle Begegnungen erleben wir oft abseits der großen Sender. In einer liberalen Kirchengemeinde kochen wir gemeinsam für Arme und Obdachlose ein Drei-Gänge-Menü. Wir lachen viel. Die Menschen sind neugierig und erzählen uns aus ihrem Leben. Über die Enttäuschungen junger Migranten, verlorene Träume – und den harten Alltag auf den kalten Straßen von New York. Wir sind dankbar für diese Erfahrungen und liegen uns am Ende der zwei ersten Wochen in den Armen – jetzt trennen sich unsere Wege.
Für meine Station Week fliege ich nach Atlanta. Bei meiner Ankunft: Sonne statt Schmuddelwetter. In Georgia ist bereits der Frühling angekommen. 4 Tage lang hospitiere ich beim n-tv-Partnersender CNN. Das imposante World Headquarter am Centennial Olympic Park gehört zu den Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt. Ein klotziger Betonbau, der den Geist der 70er atmet – eine bewährte Bastion in Zeiten von Fake News. Das Team vom Newsroom hat ein tolles Programm auf die Beine gestellt. Ich lerne viele Kollegen kennen: von den Auslands-Producern, über die Digital-Redakteure, bis zu den Moderatoren. Bin dabei, wenn International-Chef Tony Maddox mit seinem Team konferiert und über die Themen des Tages diskutiert. Viel Trump – Maddox sagt, er sei „good for business“.
CNN hat sich den Kampf gegen „Fake News“ auf die Fahne geschrieben. Facts first, Meldungen werden penibler denn je recherchiert. Zuviel Unsinn geistert durchs Netz, und auf Twitter hat der Präsident den Finger immer am Abzug – die Taktzahl ist hoch, auch im Newsroom. Dort und nach Feierabend an der Bar begegnen mir viele liebe Menschen, die stolz darauf sind für diesen Sender zu arbeiten.
Bevor ich die Heimreise antrete mache ich noch einen Spaziergang. Durch das Viertel, in dem Martin Luther King aufwuchs und predigte – Plakate kündigen die Gedenkfeierlichkeiten zu seinem 50. Todestag an. Kings Botschaft lebt weiter. Atlanta ist eine weltoffene, junge Stadt. Eine demokratische Insel im republikanischen Georgia. „Amerika ist mehr als Trump“, sagt mir ein Afroamerikaner, der in einem Café in Midtown arbeitet. Es stimmt.
Mit der Teilnahme am RIAS-Austauschprogramm verbinde ich eine der großartigsten Erfahrungen in meinem Berufsleben als Journalist. Die drei Wochen in den Vereinigten Staaten gaben mir nicht nur die Chance das mediale und politische Innenleben des Landes, sondern auch viele sympathische Kollegen aus den USA und Deutschland kennenzulernen. Über den Tellerrand hinauszuschauen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen. Tolle Erinnerungen – und Verbindungen, die bleiben. Das ist, soviel sei noch gesagt, kein Witz.
Viktoria Kleber, Rundfunk Berlin-Brandenburg, ARD, Berlin
Mit RIAS in South Dakota, in the Middle of Nowhere – aber so was von eine Reise wert!<
„Endlich“, denke ich, „endlich ist es soweit“, als ich am dritten Tag meiner Station Week mit der Reporterin Sandy im Auto sitze um nach Brandon zu fahren, einer Kleinstadt im Osten von South Dakota. Sie will den Polizeichef interviewen, laut einer Studie ist Brandon der sicherste Ort im Mittleren Westen. Die Redaktion hat angekündigt, dieser Polizeichef sei ein konservativer Mann und vielleicht ist das endlich meine Chance, mit einem tief überzeugten Trump Wähler zu sprechen.
Knapp 62 Prozent haben in South Dakota 2016 für Donald Trump gewählt. Für mich ein Grund um in die Provinz zu gehen. Ich will die Wähler kennen und verstehen lernen. Eigentlich, so müsste man denken, stehen die Trump-Unterstützer hier an jeder Ecke. Doch nun will es keiner gewesen sein. Es ist ruhig geworden, wenn es um den Präsidenten geht. „Viele haben Angst sich zu äußern“, sagt Sandy. „Die politischen Debatten sind seit dem letzten Wahlkampf so hässlich geworden und haben eine große Kluft in das Land gerissen.“ Wer sich heute politisch positioniert, laufe Gefahr seinen Job zu verlieren. So ist es einigen hier ergangen. Politische Ansichten werden in South Dakota in diesen Tagen persönlich genommen.
„Hillary for Prison“ steht im Polizeipräsidium“
Wir kommen in Brandon an. Der Polizeichef freut sich über den Besuch von Kelo-TV. Der Sender ist Marktführer in der Region und fokussiert sich auf Lokalpolitik. Wenn Keloland-News 4 Mal am Tag on Air geht, dann schauen rund 35 Prozent der Zuschauer in South Dakota zu. Eine starke Quote, das weiß auch der Polizeichef.In seinem Regal steht ein Bild, das ihn und Präsident Bush jr. zeigt. Der, so wird er später sagen, wohl der beste Präsident in der US-Geschichte war. Am Kühlschrank des Polizeichefs hängt ein Magnet: „Hillary for Prison“. Es zeigt die ehemalige Präsidentschaftskandidatin in einem orangen Anzug hinter Gittern. Als ich ihn – nachdem die Kamera abgeschaltet ist – vorsichtig darauf anspreche, erklärt er mir, dass Clinton das Land mit ihren E-Mails in große Gefahr gebracht habe und bis heute nicht dafür bestraft wurde. Dennoch, so erzählt er weiter, könne er sich nicht daran erinnern, wie dieser Magnet an seinen Kühlschrank geraten sei. Er passe wohl nicht in ein Polizeipräsidium. Er nimmt ihn ab und drückt ihn mir in die Hand. „Kannste haben“, sagt er. Über Trump will er nicht sprechen. Und nicht nur er: Auch in den Nachrichten bei Kelo spielen Trump und die Bundespolitik kaum eine Rolle. In South Dakota, einem Staat in dem die Mehrheit der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt, bringt Wetter mehr Quote als Politik und somit Geld in die Kassen.
In the Middle of Nowhere aber technisch Upfront
Doch dass es hier viele Trump-Anhänger gibt, das merkt die Redaktion täglich: Auf Facebook, Instagram und Twitter wird Kelo täglich mit Vorwürfen von „Fake News“ konfrontiert. Im Internet veröffentlichen die Reporter zu ihren Geschichten oft zahlreiche Dokumente, die ihre Fakten belegen. Zu einem Dossier gab es ein über 150-Seiten langes PDF-Dokument gefüllt mit Zahlen. „Die schaut sich zwar kaum ein User an“, sagt der Producer Michael, „aber es stärkt unserer Glaubwürdigkeit.“
Die Reporter haben ein beeindruckendes Arbeitspensum: Sie produzieren täglich eine Geschichte von der Recherche über den Dreh und Schnitt bis zum Texten und Vertonen komplett alleine. Selbst wenn sie vor Ort live schalten, machen sie das im Alleingang. Hinzu kommt während jeder Produktion mindestens ein Tweet oder Post auf Instagram oder Facebook und zum Schluß wird auch noch „Alexa“ bestückt – die Sprachassistentin von Amazon, die auf Aufforderung in South Dakota die Nachrichten von Kelo abspielt. Die Prärie der USA ist der deutschen Fernsehlandschaft technisch voraus und vor allem auf allen Kanälen. Doch in erster Linie geht es in den USA um profitable Fernsehsender, erst an zweiter Stelle steht die Qualität.
Knarren, Reservate und ein Trump-Fan
Am nächsten Tag bin ich als Studiogast in der Talkshow „Keloland-Living“ zu Gast. Ich erzähle dem Moderator über RIAS, über meine Erfahrung in New York, Washington und vor allem in South Dakota: dass ich zum ersten Mal eine Knarre in der Hand hatte und in einem Waffenladen auf eine schwarze Silhouette aus Papier geschossen habe – ein befremdliches Gefühl. Ich berichte auch über die Momente, die mich hier nachdenklich stimmen: Meinen Besuch im Yankton Reservat, wo amerikanische Ureinwohner in heruntergekommenen Hütten wohnen ohne Aussicht auf Arbeit, in einer Gegend ohne Telefon- geschweige denn Internetempfang. Zum Schluss erwähne ich noch kurz den Präsidenten: dass er für viele Deutsche bis heute ein unverstandenes Phänomen ist.
Als ich aus dem Studio komme, klingelt schon das Telefon. Eine Dame aus Hull, einem kleinen Örtchen mit 200 Einwohnern ist dran und möchte mir erklären, warum dieses Land Trump braucht. „Na, endlich!“, denke ich. „Trump scheut sich nicht sich gegen andere Nationen aufzulehnen um sich für unsere Interessen einzusetzen“, sagt sie. „Und auch für uns kleine Leute ist er da.“ Was sie von den Skandalen des Präsidenten halte, frage ich. „Trump hat sich verändert.“, sagt sie. „Früher wäre er der Typ „grab them by the pussy“, heute würde er das nicht mehr machen.“ Und wenn ich wüsste, erzählt sie weiter, wie viele Männer Hillary Clinton schon unter ihren Rock gelassen hätte. „Dass Trump so ein schlechtes Image hat“, fährt sie fort, „liegt vor allem daran, dass die Demokraten nur am Rumheulen sind. Sie beschweren sich über die teuren Rechnungen, seine Flüge nach Florida, dabei hat Obamas Schwiegermutter, die mit im Weisen Haus wohnte, genau so hohe Kosten verursacht.“ Wir telefonieren 53 Minuten. Dann stelle ich fest: Fakten werden passend zu den Emotionen erstellt, erfunden oder weggelassen. Das gilt nicht nur bei Trump-Anhängern, sondern auch bei ihren Gegnern, nicht nur im privaten sondern spiegelt sich auch in der Medienlandschaft wider.
In diesen politisch bewegten Zeiten drei Wochen in den USA zu verbringen und in die US-Medienwelt einzutauchen, ist eine großartige Erfahrung gewesen. Die Reise hat mich aufgewühlt: Weil die Gesellschaft gespalten ist und nicht alle darin einen Platz finden. Das habe ich im Reservat erlebt, im Austausch mit Afro-Amerikanern und auch als wir in New York Obdachlose in einer Kirche bekocht haben. Gleichzeitig bin ich beeindruckt wie hoffnungsvoll viele Amerikaner sind, dass sich dieses Land wieder öffnet und auch darüber wie viele Amerikaner sich in ihrem Berufsleben immer wieder neu erfinden. Wie mutig sie sind, sich auf neue Dinge einlassen. Vor allem aber bin ich dankbar, dass RIAS mir so einen diversen und hintergründigen Einblick ermöglicht hat. Ich kehre inspiriert nach Deutschland zurück
Hanna Klouth, RTL, Köln
In diesem Land will niemand meine Stimme hören – ein Satz der mir auch heute, fast einen Monat später, noch immer im Kopf hängt. Es ist die zweite Woche unseres Programms und ich stehe im Essensraum der St. James Church. Diesen Satz sagt mir einer der Obdachlosen, die hierhergekommen sind um ein warmes Essen zu bekommen. Wir haben es Ihnen zubereitet – gemeinsam mit Bob und den vielen freiwilligen Frauen, die aus der Umgebung kommen und regelmäßig helfen. Es ist Teil unseres Programms an diesem Tag: essen zubereiten, Ausgabe und natürlich aufräumen. Doch zu unserem Programm gehört auch: Zuhören. Den Menschen, die an diesem Tag in die Räume der Kirche gekommen sind, weil sie keine andere Wahl haben. Weil sie froh sind ein warmes Essen zu bekommen und sich einfach mal aufwärmen zu können.
Bob und dem Rest seines Teams ist es besonders wichtig, den Menschen hier etwas zu bieten. Sie sollen sich wie in einem richtigen Restaurant fühlen – es gibt weiße Tischdecken, richtiges Geschirr, eine liebevolle Blumendekoration und es gibt sogar Nachtisch. Wir kümmern uns in 2er Teams immer um einen Tisch, sorgen für genug zu trinken und eventuell noch für eine zweite Portion – heute: Salat, Pasta und Hähnchen überbacken mit Käse – was auch sonst außer Käse möchte man nach diesen 3 Wochen USA fast sagen.
Dieser Termin hat mich, abseits der vielen Highlights die wir hatten, am stärksten beeindruckt, denn die Geschichten der Menschen, ihre Gesichter, haben mir gezeigt, wie sehr Politik und Wirklichkeit auseinander driften. Und trotzdem hat mich an diesen Tag eins am meisten beeindruckt: die Dankbarkeit, die Freude, die diese Menschen uns entgegengebracht haben, wie sie uns aufgenommen haben und uns ihre Geschichten erzählt haben. In diesem Land will niemand meine Stimme hören – dieser Satz kommt von einem Mann, der mittlerweile auf New Yorks Straßen lebt, vor ein paar Jahren war er Journalist. Er ist nicht in den USA geboren, kommt aus Ägypten, doch seine Papiere seien Eins a, erzählt er. Aber das interessiere niemanden hier. Er habe keine Chance in diesem Land.
Dieses Gespräch hängt mir nach. Vor allem als wir die Kirche wieder verlassen. Bis zum nächsten Termin ist etwas Zeit und wir schlendern durch die Nachbarschaft der St. James Church. 5th Avenue – mehr muss man dazu eigentlich nicht sagen. Extremer könnte dieser Unterschied nicht sein. Menschen die nichts mehr haben, keinen Job, keine Existenz, kein Dach über dem Kopf. Auf der anderen Seite die Upper Class – bunte schrille Schaufenster. Doch das ist es dieses Land voller Gegensätze, immer noch so faszinierend. Auch nachdem für mich mittlerweile dritten Besuch.
Washington, die Stadt der großen Politik, die mittlerweile nur noch von Trump beherrscht wird. Und das ist es auch, was unsere Reise beherrscht: Trump. Vor allem natürlich bei den Terminen in Washington. Its all about Trump! He is embarassing us! The work in the white House is chaotic! Sätze, die wir im Gespräch mit Congressman Doyle, offensichtlich einem Demokraten, hören. Trump liebe es zu irritieren und unberechenbar zu sein. Und wenn er eins ist, dann wohl das: unberechenbar. Unsere Reise fällt in eine spannende Zeit: Trump bringt Strafzölle auf Stahl ins Spiel. Ein Plan, den Demokrat Doyle nur als Drohung und politischen Schachzug kurz vor der Nachwahl in Pennsylvania ansieht. Abwarten sagt er. Zwei Tage später macht Trump ernst. Unberechenbar. Gespräche mit Journalisten zeigen: seit Trump im Amt ist, sind sie von ihm gesteuert. Was macht er, was twittert er, und ist er dieser Meinung auch noch 2 Tage später? Und man merkt immer wieder, sind es auch nur die kleinen Gespräche an der Hotelbar oder im Hotelaufzug mit eigentlich fremden Menschen: Trump polarisiert. Trump spaltet – dieses Land.
Es geht nach New York. Mit dem Zug. Wir wollen einen Stopp in Philadelphia einlegen. Und diese Zugfahrt ist besonders für mich. Zum ersten Mal bin ich außerhalb der großen Metropolen Washington und New York unterwegs. Abseits der Highways, die diese Städte verbinden. Denn bislang bin ich diese Strecke nur mit dem Bus gefahren. Jetzt eben Zug. Und nicht umsonst sagt man, dass man die Länder erst richtig kennenlernt, wenn man die öffentlichen Verkehrsmittel nutzt. Wir fahren entlang vieler kleiner Ortschaften – furchtbar runtergerockter Ortschaften. Es ist dreckig, außer der nächsten Mal gibt es in diesen Orten nichts. Der Satz „Make America Great again“ packt die Menschen hier bei ihren tiefsten Träumen und Wünschen. Trump spricht ihre Sprache, macht ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben – deswegen haben sie ihn gewählt.
Die Woche in New York verschafft uns allen, abgesehen vom Besuch bei Gouverneur Murphy, eine kleine Trump Pause. Hier beeindruckt mich neben dem Besuch in der St. James Church und den dortigen Gesprächen, vor allem unser Termin im Tenement Museum. Ein Museum, zum Großteil noch so erhalten, wie Einwandererfamilien darin gelebt haben. Eine bewegende Führung. Noch bewegender ist aber unser anschließendes Gespräch mit dem Museums-Präsidenten, Kevin Jennings. Ein Gespräch, das von der Einwanderungspolitik Donald Trumps geprägt ist. Denn auch Jennings Familie ist vor vielen Jahren in die Staaten gekommen. Eine multikulti Familie, wie uns seine Familienfotos, die er uns zeigt, bestätigen. Er erzählt seine Geschichte und die seiner Mutter, die nie aufgeben hat – für ihre Kinder gekämpft hat. Er hat Tränen in den Augen als er über sie spricht und über die momentane Situation für Einwanderer in den USA – und seine Tränen sind nicht die einzigen in dem Raum. Ans Aufgeben zu denken, dafür ist es zu spät, sagt er. Und damit hat er mehr als Recht.
Diese Geschichten, diese Momente sind es, für die ich RIAS unglaublich dankbar bin! Die Reise hat mich nachdenklich gemacht, meinen Horizont erweitert. Und mich meinem absoluten journalistischen Vorbild nah gebracht: Anderson Cooper. Einmal mit Cooper im CNN Gebäude vor dem Aufzug in eine Handykamera lächeln, kann ich jetzt auch von meiner Bucketlist streichen. Danke RIAS für drei inspirierende Wochen, voller Highlights, die ich jetzt, einen Monat später, immer noch nicht alle realisiert und verarbeitet habe.
Bianca Leitner, ARD, Hamburg
Bericht aus den bubbles und fly-over-States
Ich sitze am Sunset Blvd und esse mexikanisch, als draußen plötzlich jemand zu schreien beginnt. Ein etwas angeranzt aussehender Mann springt wild vor den Autos hin und her und schreit wie von Sinnen. Mehrere Streifenwangen nähern sich und fahren langsam auf ihn zu. Der Mann brüllt und greift sich hinten in den Hosenbund, so als wolle er eine Waffe ziehen. Er ist nur ein paar Meter entfernt. Die Menschen auf der Restaurant-Terrasse stehen auf und halten ihre Handys auf die Szene. Drinnen ruft eine Kellnerin: Close that door now, that man has a gun! Ich schwanke zwischen Handy ziehen und mich unter dem Tisch zu verstecken. Der Mann läuft weiter den Sunset Blvd hoch. Vier Streifenwagen im Schritttempo hinter ihm her. Die Leute um mich herum sitzen wieder und schlürfen ihre Margaritas.
Wenige Stunden zuvor waren tausende Jugendliche nur ein paar Blocks entfernt für den „march for our lifes“ auf die Straße gegangen, zehntausende im ganzen Land. Für schärfere Waffengesetze. Für ein Leben ohne die Angst, jederzeit von einem durchgeknallten Typen erschossen werden zu können.
Zwei Seiten einer Medaille. Beides sind die USA. Ein Land der Extreme, ein gespaltenes Land. Ein Land mit unermesslich viel Reichtum, nicht nur an Geld, sondern auch an Kreativität, Möglichkeiten und Vielfalt. Aber auch mit erschreckend viel Armut, nicht nur finanzieller Art, sondern auch an Bildung, Essenskultur und Interesse am Rest der Welt.
Um das zu sehen braucht man nicht in die sogenannten fly-over-States zwischen Ost- und Westküste zu fahren. Man sieht es überall, auch und gerade in den bubbles Washington, NY, LA.
Waffengewalt und Armut. Zwei Themen die einen anspringen, wenn man in die USA reist. Genau wie Immigration. Sei sie nun legal oder illegal. Kein Restaurant, in dem nicht ein Mexikaner, oder Latino kellnert, oder für ein paar Dollar Autos parkt. Und hinter jedem einzelnen steht eine unerzählte Geschichte.
So wie die von Raquel, 22. Sie mag keine Pasta. Sie hat sich zu viele Jahre von Pasta ernährt. Als sie alleine mit ihrem Bruder in den USA lebte und zur Schule ging. Ihre Eltern hatten die beiden aus Mexiko in die USA gebracht, eine Wohnung angemietet und waren wieder gegangen. Raquel war 16 und völlig überfordert. Sie durfte nicht negativ auffallen. Niemand in der Schule durfte wissen, dass sie allein und illegal hier lebt. Sie schaut in mein ungläubiges Gesicht und lächelt zaghaft. Sie habe viel geweint und lange nicht mit ihrer Mutter gesprochen. Inzwischen habe sie ihr aber verziehen. Sie habe es gut gemeint. Es gäbe viele wie sie, sagt Raquel. Sie könne sie leicht im Supermarkt am Inhalt ihrer Einkaufswagen identifizieren. Pasta, Milch, Hühnchen. Alles was schnell und einfach geht.
Eine Welt von der wir keine Ahnung haben, zu der wir keinen Zugang haben. Für die wir kaum ein Gefühl entwickeln können.
An vielen Orten in den border-states gibt es einen regen Grenzverkehr. Nicht alle Mexikaner wollen dauerhaft in die USA. Die 80jährige Maria zum Beispiel geht einmal die Woche über die Grenze, um in den USA günstig Plastikwaren zu kaufen, die sie dann in Mexiko weiter verkauft. Und sie liebt das chinesische Restaurant auf der US-Seite in El Paso. Gibt es bei ihr zuhause nicht. Umgekehrt gibt es jede Menge Amerikaner, die auf mexikanischer Seite zum Arzt gehen, weil es so gut und wesentlich günstiger ist. Auf Präsident Trump angesprochen schüttelt Maria mitleidig den Kopf: „El pobre es tan tonto“. Der Arme sei so dumm.
“Trump does’t have any idea what is happening here. A lot of people who are not from here or never have been here don’t understand what’s going on in the border states”, sagt ein Unternehmer aus der Grenzregion. “They just think there are thousands of people waiting on the other side of the fence to come takeover our jobs and live here. But that is not true. Many of them would just like to cross to work for a season or short-term and than go back.”
Zum Schluss noch ein paar bemerkenswerte quotes von real people, die mir auf der Reise ans Ohr gekommen sind:
„If you ask me what you can do. Be the best journalist you can probably be. Because free press is the key to a free society.” Kevin Jennings, President Tenement Museum
“Loosen up. Everybody here has problems. Tomorrow is just another day”
Capone, Host Apollo
“What do you think of being up so high in NYC?” Mutter zu ihrem 3jährigen Sohn im One World Trade Center. Antwort: „I feel like a giant!“
„We are living people. We don’t want to be remembered as dead by you walking over the Stolpersteine in your cities. “ David Harris, CEO Global Jewish Advocacy
“Don’t leave your phone. I have my own.” Toilettenfrau im Apollo
Und zu guter Letzt:
“Wo ist Bartosz?”, alle
Isil Nergiz, Deutsche Welle, Berlin
Woche 1 – Washington, D.C.
Das politische Machtzentrum der USA unter Donald Trump
Gemeinsam mit dreizehn JournalistInnen aus Deutschland hatte ich das große Glück, genau 13 Monate und 14 Tage nach der Amtseinführung von Donald Trump, mein RIAS-Stipendium in den USA antreten zu dürfen. Warum ich das so genau weiß – wie lange Donald Trump am ersten Tag des RIAS-Frühjahrsprogramms 2018 im Amt war? Weil es unserer Gruppe bereits am ersten Tag in Washington, D.C., bei zwei von drei Terminen mehrmals genannt wurde. Etwas mehr als ein Jahr nach diesem historischen Wahlsieg von Donald Trump die Möglichkeit zu haben mit Politikern, hochkarätigen ExpertInnen und Washingtonians, die nach eigenen Angaben niemals geglaubt hätten, dass ein Wahlsieg von Donald Trump möglich wäre, lange ausführliche Gespräche führen zu können, war wirklich sehr aufschlussreich und vom ersten Tag an, das was ich von dieser Reise erwartet und erhofft hatte. Ich schließe mich also meinen RIAS-Fellows an: diese Reise war auch für mich eine Erfahrung, die ich auf professioneller, wie auch auf menschlicher Ebene nicht missen möchte.
Molly Reynolds, vom Brookings Institute, hat am ersten Tag unser Wissen zum Gesetzgebungsverfahren in den USA aufgefrischt. Das war sehr hilfreich bei den Terminen am Capitol Hill beim demokratischen Congressman vom Swing State Pennsylvania, Mike Doyle, und dem republikanischen Congressman aus Tennessee, Chuck Fleischmann. Bei knappen und informativen Vorträgen im Pew Research Center lernten wir, dass 90 Prozent der AmerikanerInnen sich als religiös bezeichnen. Interessant fand ich, angesichts aktueller Muslim Ban-Diskussionen in den USA, dass nur ein Prozent der AmerikanerInnen muslimischen Glaubens ist. Sehr beeindruckt hat mich unser Gespräch mit der sehr jungen und emanzipierten Code Switch-Redaktion von NPR. Code Switch ist ein wöchentlicher Podcast, der sich explizit mit Themen rund um Race, ethnische Zugehörigkeit und Kultur befasst. Während des Gesprächs hatte ich das Gefühl, dass eine ähnliche Redaktion auch für den deutschen Öffentlich-rechtlichen Rundfunk sehr erstrebenswert wäre, aber bedauerlicherweise der öffentliche Diskurs zur Thematik in Deutschland noch weit davon entfernt ist.
Ob bei offiziellen Terminen mit Politikern, Stopps bei Forschungsinstituten oder Gesprächen mit JournalistInnen – ein Thema hat sich, wie erwartet, konsequent durch unser komplettes D.C.-Programm gezogen: Donald Trump.
Woche 2 – Zwischenstopp in Philadelphia
“E pluribus unum” – “Out of many, one” – “Aus vielen eines”
Auf dem Weg nach New York City haben wir einen kurzen Zwischenstopp in Philadelphia gemacht. Wir haben eine Tour durch die historischen Räumlichkeiten der Independence Hall, der Ort an dem die Unabhängigkeitserklärung und die Verfassung der Vereinigten Staaten unterzeichnet wurden, gemacht. Ein schöner Nebeneffekt unseres Aufenthalts in Philly war, dass zufällig an dem Tag die St. Patrick’s Day-Parade stattfand.
New York City – “You have to climb a mountain before you can enjoy the view.”
New York City – die Stadt, die niemals schläft. Gleich wie D.C., hatte ich auch NYC zuvor besucht. Aber NYC ist einfach immer wieder atemberaubend – vor allem wenn man dank RIAS im 18.Stock eines futuristischen Hotels, einen Block entfernt vom Times Square, wohnen darf.
Sehr viele Menschen arbeiten zwar in NYC, aber nur wenige können es sich leisten in NYC zu wohnen. Das konnten wir gleich am ersten Tag mit eigenen Augen feststellen, als wir früh morgens, entgegen dem Berufsverkehr, nach New Jersey fuhren, um den ehemaligen US-Botschafter in Berlin und jetzigen Govenor von New Jersey, Phil Murphy, zu treffen. Den Rest der Woche hatten wir mehrere Besuche bei renommierten Medienhäusern, wie CBS, NBC, Bloomberg und CNN. Eines meiner Highlights war es, ganz zufällig Anderson Cooper im CNN Gebäude zu treffen – Selfie-Alarm. Neben vielen offiziellen Terminen hatte RIAS auch hervorragendes Abendprogramm für uns geplant. Einer der schönsten Abende der Reise war für mich der Besuch der “Amateurs Night” im legendären Apollo Theater in Harlem. Eine weitere Bereicherung war definitiv der Besuch und das Gespräch mit dem Direktor des Tenement Museums. Das Museum befindet sich im ehemaligen “Little Germany” oder “Kleindeutschland” – heute einer der angesagtesten Stadtteile NYCs, Lower East Side – und befasst sich mit der Geschichte der ImmigrantInnen aus Europa in NYC im 19. und 20. Jahrhundert. Vor unserem Besuch mit RIAS im Tenement wusste ich nicht, dass alleine 1850 mehr als 800.000 deutsche Wirtschaftsflüchtlinge über NYC in die USA immigriert sind. 1855 war NYC die Stadt, nach Berlin und Wien, mit dem drittgrößten deutschen Bevölkerungsanteil weltweit. Angesichts der aktuellen Flüchtlingsdebatte in Deutschland, hat mich unsere Tour und das anschließende Gespräch mit dem Direktor des Tenement, Kevin Jennings, welcher zuvor stellvertretender Staatssekretär im Bildungsministerium unter Barack Obama war, emotional sehr aufgewühlt.
Und dann hieß es auch schon Abschiednehmen von meinen großartigen #RIASSPRING18-Fellows. Nach zwei intensiven Wochen zusammen in D.C. und NYC mussten wir uns für den letzten Teil unseres RIAS-Stipendiums trennen und über das ganze Land verstreut unsere Station Weeks antreten.
Woche 3 – Station Week at WTOL in Toledo
“I am on assignment about 1 hour away covering this whole month a death penalty murder trial – if you would like to come with me – you are welcomed.”
Dieses Angebot kam von meinem Host, Viviana Hurtado, einer erfahrenen Nachrichtenmoderatorin und Reporterin aus Kalifornien mit argentinischen Wurzeln, die nach jahrelanger Arbeit für die großen TV-Sender der USA in D.C. und NYC, in den Mittleren Westen zum kleinen Lokalsender WTOL, geflüchtet ist.
Ob ich bei der Berichterstattung über einen Mordprozess mit einem möglichen Todesstrafe-Urteil dabei sein will? Ich hatte mir zwar einiges von meiner Station Week erwartet und ich wusste auch, dass mehr als die Hälfte der US-Bundesstaaten die Todesstrafe noch vollstrecken, dennoch hatte ich mit diesem Thema nicht gerechnet. Der Prozess war am Fulton County Courthouse – Trumpland – wie Viviana meinte. 65 Prozent der WählerInnen in Fulton County haben bei der Präsidentschaftswahl 2016 Donald Trump gewählt. Im Prozess wurde dem 56-jährigen James Worley vorgeworfen eine junge Studentin ermordet zu haben und tatsächlich bekam der Angeklagte aufgrund der Beweislage die Höchststrafe – die Todesstrafe. Die Tage an denen ich Viviana zum Prozess begleitet habe, waren zwar lehrreich, aber als Europäerin, dann doch sehr befremdlich.
Mein Fazit:
Obwohl ich schon mehrmals in den USA war und mit AmerikanerInnen befreundet bin, haben sich mir in diesen sehr intensiven drei Wochen, ganz neue Perspektiven auf dieses riesige Land aufgetan. Beruflich gesehen ist das für mich, vor allem in diesen turbulenten politischen Zeiten, goldwert. Ich habe dank RIAS großartige Menschen kennenlernen dürfen, neue Kontakte geknüpft und vor allem neue Freunde gewonnen. Also, bewerbt Euch! Profitiert auch von dieser einmaligen Gelegenheit, die USA in so vielen unterschiedlichen Facetten kennenzulernen und werdet auch Teil einer transatlantischen Familie.
Eberhard Schade, Deutschlandradio, Berlin
Good news first: Die USA leben, stehen noch. Das System der checks and balances funktioniert. Die Institutionen der US-amerikanischen Republik sind zwar einem ständigen Stresstest ausgesetzt, bisher aber haben sie gehalten. Und: die Herausforderung Trump hat offenbar einige US-Medien in ihrer watchdog-Rolle bestärkt. So sind die großen, liberalen Zeitungen wie die Washington Post und die New York Times sowie der lose Verbund nicht kommerzieller Hörfunksender NPR dem steten Entsetzen über Trumps Worte, Gesten und Ankündigungen mit einer Aufstockung ihres Personals entgegengetreten.
Die Post und die Times haben ihre Investigativ-Abteilungen verstärkt, NPR hat, wie wir bei einem Besuch in der Washingtoner Zentrale erfahren, u.a. einen sog. Race-Desk geschaffen, um der Verachtung für Andersfarbige, Andersdenkende mit Themensetzung über genau jene Gruppen entgegenzutreten. Die Leser und Hörer danken es ihnen, die Auflage bzw. Reichweite steigt.
Und dennoch bleibt auch 15 Monate nach Amstantritt von Donald Trump der Eindruck, dass auch die souveränsten Medienmacher seit dem Amtsantritt des 45. Präsidenten nicht zur Ruhe kommen, eine gewisse Grundnervösität bleibt. Die drückt sich z.B. darin aus, dass der CvD des zur NPR-Familie gehörigen Senders KQED in San Francisco während des morgendlichen Talk-Formats gleich dreimal ins Studio stürmt, nur weil der Präsident mal wieder spontan eine Pressekonferenz anberaumt hat. Oder die ZDF-Korrespondentin nach unserem Hintergrundgespräch „unmöglich“ auf ein Bier mit uns kommen kann, flimmert doch gerade die nächste Eilmeldung über ihren TV-Bildschirm.
Muten Trumps stete Ankündigungen und Drohgebärden auf den ersten Blick an wie eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, beschleicht einen nach drei Wochen im Land das Gefühl, dass es sich hierbei in Wahrheit um perfekt funktionierendes Marketing handelt.
Das Land soll offenbar nicht zur Ruhe kommen. Und der Präsident um jeden Preis im Gespräch bleiben. Sei es durch einen weiteren Rücktritt in seinem Beraterkreis, Drohgebärden gegenüber Kim Jong Un, Strafzollankündigungen und simultanes Händeschütteln mit heimischen Stahlarbeitern aus Pittsburgh oder neue Enthüllungen des Pornostars Stormy Daniels.
Laut Umfragen des Pew Research Center schöpfen die Demokraten Hoffnung, im November bei den midterm elections mit einer demokratischen Mehrheit im Repräsentantenhaus, den Albtraum mit Trump und einem republikanischem Kongress zu beenden. Ich bin da skeptisch. Auch, weil ich im Autoradio das Ergebnis einer anderen Umfrage höre: in der ist Trumps Popularität von zuletzt 39 auf 42 Prozent gestiegen.
März 2018. Die Schnellbahn bringt mich in 20 Minuten vom Flughafen San Francisco ins Stadtzentrum. Und mitten hinein in das kaputte, kranke Amerika. Die Ankunft an der Mission Street ist ein Schlag in die Magengrube. Überall Drogen –und Medikamentenabhängige und Obdachlose. Heroinspritzen und Nadeln mitten auf dem Gehsteig, ganze Straßenzüge sind zu Zeltstädten mutiert.
Einen direkten Zugang zum Thema Obdachlosigkeit vermittelte uns bereits in New York Rias-Alumni Bob Jamieson, der in der St. James Church ein ganz wunderbares Projekt für Bedürftige unterstützt. Unsere Gruppe hatte ihm einen Vormittag lang bei der Zubereitung eines Mittagessens geholfen. Danach hatte jeder von uns Gelegenheit, mit den Menschen, die es in Anspruch nehmen, ins Gespräch zu kommen. Joseph Vaughan, arbeitsloser Musiker und ich sind seitdem pen palls und wollen uns regelmäßig Postkarten schreiben.
Auch während meiner Wahlstation beim Radiosender KQED in San Francisco lässt mich das Thema nicht los. Sei es auf einer hitzigen Debatte der Kandidatinnen und Kandidaten um das Bürgermeisteramt der Stadt oder bei meiner Recherche über Co-Living Spaces, bei der ich auf eine Immobilie stoße, deren Eigentümer zuerst Bedürftige auf die Straße setzt, um danach 35 Feldbetten für horendes Geld an junge jobsuchende Programmierer und App-Entwickler zu vermieten.
Hohe Mieten, Häuserspekulation, Gentrifizierung, die Frage „Wem gehört die Stadt?“ treibt die Menschen in vielen großen Städten um, auch hier in der Bay Area. Und es ist auch das Thema des ersten Podcasts, an dem ich gleich am ersten Tag bei KQED mitarbeite. Neben dem Inhalt interessiert mich vor allem die Machart und wie viele Redakteurinnen und Redakteure daran wie lange sitzen. Die Antwort: für einen Podcast von sieben Minuten sind es drei, und sie haben den ganzen Tag! Das ist anders als in der deutschen Radiolandschaft, deshalb klingt The Bay dann eben auch anders. Persönlich, anregend und komponiert wie ein feines Hörstück.
Und: KQED macht Podcasts, die zu allererst als Podcasts gedacht sind und beim Hörer, aber auch innerhalb des Senders ein hohes Ansehen genießen. Auf der Website werden sie gleich unter dem Aufmacher, der Top-News, prominent beworben. Der Aufwand lohnt sich: die Abrufzahlen sind beeindruckend. Inhaltlich hervorzuheben ist der KQED-Podcast Bay Curious, der ausschließlich Hörerfragen nachgeht und auf diese Weise zusätzlich Hörer bindet.
Ansonsten ähneln sich trotz aller Unterschiede im Aufbau der öffentlich-rechtlichen Systeme die alltäglichen Arbeitsabläufe sehr. Und die Tendenz, dass On-Air-Redakteure ihre Inhalte selbst online aufbereiten und verwerten, ist, zumindest bei KQED, längst Realität. Doch auch die Kompetenz des konvergenten Redakteurs hat seine Grenzen – nämlich dort, wo professionell erlerntes Handwerk einen echten Mehrwert schafft. So gibt es bei KQED eine feste Fotografin, einen Videojournalisten und eine Kollegin, die sich ausschließlich mit Datenjournalismus beschäftigt. Neben einem ganzen Bataillon netter KollegInnen, die mir einen tollen Einblick in ihre Arbeit gewährt haben und mir und sich gegenseitig mit sehr viel Wertschätzung begegnet sind und begegnen.
Sarah Schmidt, RTL, Berlin
„Now you’re in New York. These streets will make you feel brand new, big lights will inspire you.“ Alicia Keys und Jay-Z schallen uns aus dem Lautsprecher entgegen, während wir mit der Staten Island Ferry auf die Stadt zufahren. Links zieht die Freiheitsstatue vorbei, vor uns glitzert die Skyline im Sonnenuntergang. Zugegeben, „brand new“ fühle ich mich nicht gerade, zumindest nicht körperlich. Zwei Wochen RIAS-Powerprogramm fordern so langsam ihren Tribut. Alles schnell vergessen, wenn ich daran denke, was wir erlebt haben! Beeindruckt haben mich alle Termine, doch einige auch ganz persönlich berührt: Zum Beispiel unser Besuch beim NYPD. Wir werden vorgelassen bis ins Herz der Polizeibehörde, der Kommandozentrale. Hier flackern die Flugzeuge am Himmel über den Vereinigten Staaten als kleine Punkte auf den Monitoren. Die Aufzeichnungen der Überwachungskameras flimmern daneben, und nicht nur ich frage mich, wie oft unsere RIAS-Gruppe während unseres Besuchs wohl gefilmt worden ist. Fällt ein Schuss, wird das NYPD automatisch informiert – per ShotSpotter, einem Sensor, der Schussgeräusche erkennt und einen Alarm abgibt.
Einer der Polizisten, die uns Rede und Antwort stehen, ist Carlos. Er erzählt mir am Ende des offiziellen Termins vom prägendsten Tag seiner Karriere: Seinem Einsatz am 11. September 2001. Wie er im Nordturm stand und das Grollen hörte, als der Südturm in sich zusammenbrach. Wie er und seine Kollegen in einen nahen Burger King flohen, um Schutz vor der Aschewolke zu suchen. Wie Menschen verzweifelt auf eingelegten Gurken des Fast-Food-Restaurants kauten, um den Staub loszuwerden, der ihnen die Atemwege verstopfte – Eis oder Getränke waren ausgegangen. Dass er auch heute noch Kollegen an Krebs verliert, möglicherweise ausgelöst durch den giftigen Staub, der mal das World Trade Center war. Und mir wird noch klarer: Das Trauma, das dieser Tag bei vielen Amerikanern hinterlassen hat, ist so viel größer, als ich mir das je vorstellen kann. Noch auf dem Hinflug hatte ich die Ansagen der Stewardessen belächelt, dass in den Gängen bloß keine Gruppen gebildet werden dürfen – und damit war schon die Warteschlange aus zwei sich völlig unbekannten Personen vor der Flugzeugtoilette gemeint. Hier, im Gespräch mit Carlos, kann ich das Sicherheitsbedürfnis der Amerikaner, ausgedrückt in für uns Europäer zugegeben manchmal befremdlich wirkende Sicherheitsmaßnahmen, etwas besser nachvollziehen.
Ein anderes Thema, das sich wie ein roter Faden durch unseren Aufenthalt zieht, ist – natürlich – Trump. Während unserer Reise verhängt er die Einfuhrzölle auf Stahl und Aluminium. In den US-Nachrichtensendern ist er rund um die Uhr omnipräsent: Trump und Stormy, Trump und Nordkorea, Trump und die Zölle. Auch das ist etwas, das ich lerne und das mir ein ungutes Gefühl gibt: Er dominiert die Berichterstattung der großen Networks, die sich zum Teil monothematisch den ganzen Tag nur mit dem US-Präsidenten beschäftigen – mal mit seiner Politik, häufiger mit den Affären um seine Person. Es scheint zu stimmen: Trump ist gut fürs Business, zumindest, was die Medien angeht. Andere Themen fallen da auch mal hinten runter.
„What do people in Europe think about our government?“, ist wohl eine der Fragen, die mir nach der Frage zu meinem Namen am häufigsten gestellt wird. Meistens auch in dieser Reihenfolge. Selten bin ich bei meinen vorherigen USA-Aufenthalten so schnell auf das Thema Politik gekommen. In vielen unserer Gespräche mit Trump-Gegnern macht sich auch noch über ein Jahr nach der Wahl eine gewisse Ratlosigkeit breit: Wie konnte das passieren? Und: Wie sehr verändert seine Präsidentschaft die amerikanische Gesellschaft? So richtig zufriedenstellend erklären kann uns das keiner. Je weniger die Amerikaner darauf Antworten finden, desto größer auch meine Ratlosigkeit. Dabei ich hatte mir doch hier erhofft, Antworten auf die Fragen zu finden, die uns in Europa ja auch beschäftigen: Wie sollen wir umgehen mit Populisten, die von „Fake News“ sprechen, Minderheiten ausgrenzen und ganz offen diskriminieren? Umso beeindruckter bin ich von all den US-Kollegen, die wir treffen. Von Resignation keine Spur – trotz all der Beschimpfungen und Anfeindungen, die sie wegen ihrer Berichterstattung mittlerweile in Kauf nehmen müssen. Ganz nach dem Motto der ehemaligen First Lady Michelle Obama: „When they go low, we go high.“
Unvergessen bleibt mir auch Kevin Jennings, der Präsidenten des Tenement-Museums in New York. Er erzählt uns seine ganz persönliche Geschichte. Von seiner Mutter, die man wohl als konservative Hardlinerin beschreiben darf. Und dann zeigt er uns seine Familienfotos: Er mit seinem Partner, ein glückliches, offen bekennend homosexuelles Paar. Und die schwarzen Enkelkinder eben jener Hardlinerin, Jennings Nichten und Neffen. Wenn eine Familie innerhalb von ein oder zwei Generationen eine solche Entwicklung durchlaufen könne, dann könne er nicht anders, als auch für die amerikanische Gesellschaft hoffnungsvoll sein. Ich bin nicht die einzige, die bei dieser flammenden Rede ein oder zwei Tränen herunterschlucken muss und so gerne glauben will: Ja, es gibt Hoffnung!
An all das muss ich denken, während ich mit den anderen RIAS-Fellows mit der Staten Island Ferry in den Sonnenuntergang schippere.
Ortswechsel: Wieder ein Sonnenuntergang, diesmal über L.A., wo ich die letzte Station des RIAS-Programms verbringen werde. Ich stehe auf der Dachterrasse des Waldorf Astoria, in der Hand einen Martini und proste meinem Host Frank Mottek zu, der die Szenerie mit meinem Smartphone festhält. „I’ll give you the 5-star-L. A.-experience“, verspricht er mir und ich zweifle daran nicht eine Sekunde. Nächster Stopp: das Promi-Restaurant Spago. Hier kocht Wolfgang Puck, der auch die Stars beim Governors Ball nach den Oscars seit über 20 Jahren verköstigt und seinen eigenen Stern auf dem Walk of Fame hat. Wir essen nicht à la carte, sondern den Geheimtipp, den man nicht auf der Karte findet: Wiener Schnitzel. Klar, bei einem österreichischen Koch. Und weil zur 5-star-L.A.-experience natürlich auch die Stars dazugehören, hat Frank seinen Freund Frédéric Prinz von Anhalt, Ehemann der verstorbenen Hollywood-Diva Zsa Zsa Gabor, eingeladen, uns auf einen Drink zu treffen. Wie selbstverständlich hofiert Frank mich – eine für ihn ja völlig Fremde – während meines gesamten Aufenthalts: Blick hinter die Kulissen bei CBS, die Late Late Show mit James Corden. Und das Beste: Er teilt sein Netzwerk mit mir und seine Freunde. So lerne ich Tom LaBonge kennen, der als Politiker über Jahrzehnte die Geschicke der Stadt gelenkt hat, und dem vor allem der Austausch mit Deutschen am Herzen liegt. Schließlich hat er die Städtepartnerschaft zwischen Los Angeles und Berlin lange Jahre geprägt. Er nimmt mich mit auf die Spitze des Rathauses (für Touristen eigentlich nicht zugänglich), zu den besten Foto-Spots am Hollywood-Sign, die noch nicht völlig überlaufen sind, und lädt mich sogar zu sich nach Hause ein. Ich erlebe in einer bunt gemixten Gruppe Amerikaner mein erstes amerikanisches Barbecue, während über den Hollywood Hills die Sonne untergeht. Und fühle mich dabei so willkommen, dass es sich fast ein bisschen wie ein Zuhause anfühlt, über 9000 Kilometer entfernt von Berlin.
Das gleiche Gefühl vermittelt mir auch mein zweiter Host Miguel Marquez. Er ist CNN-Korrespondent in Los Angeles, aber oft im ganzen Land unterwegs. Ich habe Glück und erwische eine Woche, in der er von L. A. aus berichtet. Und so kann ich ihn und sein Team begleiten, während sie über den „March for our lives“ für strengere Waffengesetze berichten. Die mutigen Überlebenden der Schulmassaker, die auf der Bühne vor Tausenden Menschen von ihren Erlebnissen erzählen, all die Schüler mit ihren Plakaten – auch das werde ich so schnell nicht vergessen. Überwältigt von diesen Eindrücken kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass sich an den Waffengesetzen nichts ändern wird. Zumal diese Faszination für Waffen für mich als Nicht-Amerikanerin ja sowieso schwer nachvollziehbar ist. Diese Teenager müssen doch was bewegen, denke ich, und mag Miguels Einschätzung gar nicht glauben, dass am Ende doch alles beim Alten bleibt. Heute fürchte ich, dass er Recht behalten wird. Von Miguel erfahre ich auch, wen ich im Hinblick auf die nächsten Präsidentschaftswahlen im Auge behalten sollte. Den Mann, der dem jetzigen Präsidenten beim Anti-Waffen-Protest auf der Bühne entgegenruft: „Wake up Mr. President and get the hell out of the way.” L. A.s demokratischer Bürgermeister Eric Garcetti weiß offenbar, wie man den richtigen Ton trifft und die Menge begeistert.
Begeistert bin vor allem ich. Selbst über meine RIAS-Woche hinaus halten Miguel, Frank und Tom den Kontakt. Während ich in meinem anschließenden Urlaub nach San Francisco reise, versorgen sie mich mit Tipps, Miguel hat mir gleich die ganze Route inklusive Restaurant- und Hoteltipps geplant, die nur Locals kennen. Sie rufen an, um sich zu erkundigen, ob es mir gutgeht oder begeistern sich einfach über die Fotos, die ich ihnen schicke.
Das ist wohl das, das am unvergesslichsten sein wird nach diesen vier spannenden Wochen mit RIAS: Die Offenheit, Herzlichkeit und Gastfreundlichkeit der Amerikaner, die jede meiner Begegnungen so persönlich und besonders gemacht und meine Erwartungen absolut übertroffen haben. Basis dafür war RIAS. Sowohl Miguel als auch Frank sind Alumni und versicherten mir immer wieder: „I had a great time in Germany, so I’ll give you the best time here!“
Danke RIAS Berlin Kommission für all die wunderbaren Begegnungen und Erlebnisse! Danke an meine absolut fantastischen Hosts Frank und Miguel – you guys are the BEST! An Tom, ohne den ich L. A. niemals so kennen und lieben gelernt hätte! Und natürlich an die BEST-RIAS-GROUP-EVER! Ich hatte mit Kollegen gerechnet und habe Freunde gefunden. Was für ein Erlebnis! I had a blast!
Anna-Maria Schuck, Zweites Deutsches Fernsehen, Mainz
„We will celebrate a Holy Mass in just a few minutes in the little chapel right across the street. Everybody is more than welcome to attend (…) Welcome to Dallas!“ Eine freundliche, helle Frauenstimme singt durch die Lautsprecheranlage am Flughafen Dulles. Es sind die ersten Worte auf texanischen Boden, die ich höre. Ich habe noch kein Gepäck, keinen Mietwagen, keine Ahnung, wo genau der Ausgang ist. Aber: Ich weiß jetzt, wo ich beten kann. Right across the street. Welcome to Texas!
Es ist das erste Klischee auf meiner Reise, das bestätigt wird. Einige weitere würden folgen. So viele andere würden der Realität nicht Stand halten. Mein Host Lane hatte mich gewarnt: „You’re in the Buckle of the Bible Belt, Anna. It’s all about faith, food and family here!“ Großartig, denn genau das hatte ich gesucht: ein Amerika, das sich von der Ostküste aus nicht begreifen lässt, eines, das man erleben muss, um es zu verstehen. Viele, mit denen ich spreche, bezeichnen sich selbst als konservativ, aber nicht im Trump’schen Sinn. Viel zu polarisierend. Viel zu populistisch. Gewählt haben sie ihn trotzdem – „because everyone is better than Hillary.“
Ich verbringe meine Station Week in Tyler, Texas, knapp drei Stunden Autofahrt östlich von Dallas. In the middle of nowhere land. So fühlt es sich an nach einer Woche New York City und einer in Washington D.C. Drive-In-Restaurants, Supermärkte und Kirchen stehen Spalier an den breiten Highways, die den Ort unter sich aufteilen. Ohne Auto geht nichts. Mit Auto alles. Mein Host ist Lane Luckie, Moderator von „Good Morning East Texas“, dem Morgenmagazin vom ABC-Affiliate KLTV.
Trotz vieler regionaler Konkurrenten ist KLTV unangefochtener Marktführer in East Texas. „Proud of East Texas“ – das Schild am Eingang – ist Gesetz. Die Redaktion produziert für Channel 7 über den Tag verteilt fünf verschiedene Nachrichtensendungen mit regionaler, nationaler und – selten – auch internationaler Stoßrichtung. „Crime“ und „weather“ laufen immer. „Entertainment“ und „politics“ eher selten.
In Zeiten von Präsident Trump vielleicht gar nicht so schlecht, sagt mir General Manager Pat Stacey. Einige Monate nach der Präsidentenwahl hatten aufgebrachte Bürger vor den Türen des Senders demonstriert, Mitarbeiter bedroht. Die Befürchtung: KLTV könne als Tochterunternehmen die politische Stoßrichtung des eher progressiven nationalen Senders ABC übernehmen. Trumps „War on Media“ war auch in Tyler, Texas angekommen.
Anders als ich erwartet hatte, stimmen die Kollegen bei KLTV nicht ins allgemeine „Trump Bashing“ ein. Viele, mit denen ich spreche, attestieren den Medien selbst eine Mitschuld an der sich polarisierenden US-Gesellschaft. Viele würden unter Trump entweder zu politischen Aktivisten oder nach dem Prinzip „feed the cow“ arbeiten: „Gebe den Menschen die News, die ihr Weltbild bestätigen, um sie zum Einschalten zu bewegen. That’s better for the ratings – and for commercials!“ Aber das ist kein verantwortungsvoller Journalismus! Bei KLTV versucht man deshalb auf lokale Themen und klassische Nachrichtenberichterstattung zu setzen. Kommentare schaffen es in der Regel nicht ins Programm.
Besonders beeindruckt hat mich die Digitalstrategie von KLTV. Ergänzt wird das lineare Hauptprogramm nämlich um viele außergewöhnliche digitale Angebote: den eigenen Streaming-Kanal „East Texas Now“, der 17 Stunden pro Tag live sendet – ausgestrahlt über Apple TV oder Amazon Fire – und sieben Special-Interest-Apps fürs Wetter oder Highschool Football. In der Redaktion selbst gibt es schon lange keine klassische Arbeitsteilung mehr: Der Reporter ist Autor, Kameramann, Ton-Assi und Social-Media-Redakteur in einer Person – und wird nach zwei, drei Jahren oft auch Moderator. Eine Macher-Mentalität, die beeindruckt und ansteckt.
Auch ich werde von Anfang an in die redaktionelle Arbeit eingebunden, arbeite mit dem Digitalteam, produziere einen Beitrag für KLTVs Nachrichtensendung um 17 Uhr – und werde schon an Tag 1 gebeten, als Gast ins Studio zu kommen. „Just to say hallo“, sagt mir Moderator Jeremy Butler. „Sure. When?“ – „What about now?“ Wie lange kann das schon dauern?, denke ich mir. Fünf Minuten. Vielleicht. Kurzes Hallo, kurze Vorstellung, thanks and bye. Zwei Stunden später unterbricht uns ein Schaltgespräch, das in die Live-Sendung drängt. Zu dem Zeitpunkt hatten wir über RIAS, den Status der deutsch-amerikanischen Beziehung unter Trump, die schwierige Regierungsbildung in Deutschland, die Unterschiede zwischen unseren Mediensystemen gesprochen. Mein Mund ist trocken, meine Stimmung auf dem Höhepunkt. „It was so nice talking to you“, sagt mir Jeremy später. Die Wahrheit ist: Ihm waren in der laufenden Sendung zwei Themen weggebrochen, die er spontan kompensieren musste. Keine Seltenheit.
Dank meines beeindruckend gut vernetzten Gastgebers Lane beschränkt sich meine Texas-Erfahrung aber nicht nur auf die Redaktionsräume von KLTV. Ich bekomme „Behind the Scenes“-Führungen im TV-Museum und bei der örtlichen Lokalzeitung, genieße Stanley’s Famous Barbecue, eine Weinprobe der Kiepersol Estates Winery – und mache eine Erfahrung, die mich aus meiner eigenen Komfort-Zone drängt: Ich schieße zum ersten Mal mit einer Waffe.
Wir starten im örtlichen Walmart. In der Reihe mit den pinken „lady guns“ werden wir fündig. Gleich neben den aufblasbaren Planschbecken für Kinder: Munition. Wir fahren raus aufs Land und hören schon von weitem Schüsse. Der freundliche Betreiber der „Pistol Pit“ händigt uns gegen jeweils 20 Dollar eine Papier-Zielscheibe aus – und strahlt mich übers ganze Gesicht an: „U gonna love it!“ Ich schieße ein paar Mal. Das reicht. Um zu wissen, wie es ist. Und bin dankbar für diese Erfahrung. Einmal mehr. Danke, Lane.
Danken muss ich auch RIAS – insbesondere Erik Kirschbaum, K.C. und der Berliner Crew rund um Isabell Hoffmann – für ein großartiges Programm und „the expericence of a lifetime“. Während der Obama-Administration hatte ich in den USA studiert und gearbeitet. An der Ostküste. Ich lebte in einer von vielen Blasen. Ich wollte wissen, was sich seit Trump, durch Trump verändert hat. Meine persönliche Antwort nach drei Wochen ist: eigentlich nicht viel. Natürlich ist die US-Gesellschaft seither noch polarisierter, ist der politische Tonfall härter geworden. Entwicklungen, die durch Trump vielleicht katalysiert wurden, aber schon lange vor Trump eingesetzt haben.
Besondere Highlights unserer gemeinsamen Washington-Woche sind für mich die Treffen im Kapitol mit den Kongressabgeordneten Doyle (D, Pennsylvania) und Fleischmann (R, Tennessee) – und natürlich unser Abstecher nach New Jersey zum möglichen nächsten Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und früheren US-Botschafter in Deutschland: Gouverneur Phil Murphy.
Besondere Highlights unserer gemeinsamen New-York-Woche sind für mich die „Behind the Scenes“-Eindrücke in den großen Medienhäusern: die „Meghan Kelly Today“-Show bei NBC, der inspirierende Rundgang durch ein so innovatives Unternehmen wie Bloomberg, das Treffen mit „the Voice“, die wir jeden Tag in der U-Bahn hören („Stand clear of the closing doors, please!“) – und natürlich die Gespräche mit Richard Quest und Anderson Cooper bei CNN („Confess: I never take selfies but this time – damn – I couldn’t resist…“).
Besonders beeindruckt haben mich hier unsere Aktivitäten fernab des „Suit and Tie“-Programms. Das großartige Apollo Theater in Harlem und die Arbeit in der Suppenküche der St. James Church, in der wir für Obdachlose gekocht haben – und mit vielen später ins Gespräch gekommen sind. Hier zeigen sich die Versäumnisse eines Staates ohne soziale Absicherung am ehesten.
Für all diese wirklich einzigartigen Erlebnisse bin ich RIAS unendlich dankbar. Und für eine großartige Gruppe, die sich aufgrund der unterschiedlichen Altersstruktur und Arbeitsorte wahrscheinlich nie kennengelernt hätte und durch die gemeinsamen Erfahrungen zusammengeschweißt wurde („It’s all in the middle…“). Miss y’all! Lasst uns das RIAS Netzwerk weiterspinnen!
Friedel Taube, Deutsche Welle, Berlin
In der Abendsonne laufe ich durch die verlassenen Straßen von Eagle Pass, Texas. Obwohl es gerade mal kurz nach 17 Uhr ist, ist die Straße menschenleer. Wozu sollte man sich hier auch länger aufhalten? Das letzte Geschäft hat hier ganz offenbar schon vor langer Zeit geschlossen – die Tür ist verrammelt, Klebeband hält die zersplitterte Schaufensterscheibe nur notdürftig zusammen. 26.000 Einwohner zählt der Ort direkt an der mexikanischen Grenze, und viele Dinge, über die Amerika im Jahr 2018 diskutiert, kann man hier wie unter einem Brennglas beobachten. Und die „retail apocalypse“, das Sterben des Einzelhandels und der Niedergang vieler Innenstädte, ist nur eines davon.
Denn 200 Meter weiter ist die Straße plötzlich deutlich belebter. Wir sind am Rio Grande, bzw. Rio Bravo, wie er auf der anderen Uferseite heißt. Ich begleite meine Gastgeber von Fox 29 San Antonio, einem Regionalableger der Fox-Gruppe, auf Drehreise entlang der Grenze. Ein schlichtes grünes Schild zeigt die Richtung an: geradeaus geht es direkt nach „Mexico“, daneben noch der dringende Hinweis an die Texaner: „Illegal to carry Firearms into Mexico. PENALTY – PRISON“. Kaum ein Thema war seit der Wahl Donald Trumps zum 45. US-Präsidenten in den Medien präsenter als dessen Pläne, eine Mauer entlang der Grenze zu bauen – also genau hier, wo ich jetzt stehe. Was halten die Menschen, die hier anstehen davon? Ich lerne am Abend Alexandra kennen. Sie und meine Gastgeberin Yami Virgin von FOX29 in San Antonio kennen sich seit Jahrzehnten, Alexandra ist die Mutter von Yamis bester Freundin und Mexikanerin, die aber seit Jahrzehnten in Eagle Pass auf US-Seite wohnt. Eine Mauer? „Unvorstellbar“, sagt sie resolut. Von der einen auf die anderen Seite zu pendeln ist für sie vollkommen normal. Zum Essen oder zum Sportkurs ins benachbarte Piedras Negras zu fahren ist für sie und hunderte andere vollkommen normal.
Wie durchlässig diese Grenze ist – die sich viele Europäer wahrscheinlich eher als Bollwerk vorstellen – demonstriert sie direkt im Anschluss, als wir in ihrem Wagen über die Brücke fahren. Kein Warten in der Schlange, weder Aus- und nicht einmal eine Einreisekontrolle auf mexikanischer Seite, und keine 20 Minuten später sitzen wir in ihrem Lieblingsrestaurant in Piedras Negras, einer großen, belebten Stadt. Ich lerne, dass dieses Zusammenleben der Menschen beiderseits des Flusses völlig normal ist. Und, dass – obwohl Texas als der republikanische Musterstaat schlechthin gilt – hier an der Grenze bei Weitem nicht die Mehrheit für Donald Trump gestimmt hat.
Gleiches gilt im Übrigen auch für die Stadt, in der ich im Rahmen meiner Station week arbeite – San Antonio im Süden von Texas. Die Mehrheit bezeichnet sich hier als Latinos oder hat zumindest lateinamerikanische Wurzeln, auch hier ist vom Klischee-Texas wenig zu sehen. Auch mein Partnersender FOX29 hat, auch wenn es Fox im Namen trägt, mit FOX News dem vermeintlichen Lieblingssenders des US-Präsident zu tun. Weder inhaltlich und schon gar nicht ideologisch.
Immer wieder auf Unerwartetes zu treffen – in einem Land, von dem man glaubte eigentlich alles oder zumindest doch sehr viel zu wissen. Das ist das, was meinen dreiwöchigen Aufenthalt als Fellow der RIAS Berlin Kommission in den USA wohl am stärksten kennzeichnet.
Ganz in diesem Zeichen standen auch die ersten zehn Tage des Stipendienaufenthalts, die ich gemeinsam mit der ganzen Gruppe in Washington und New York verbrachte. So schwer es auch fällt etwas hervorzuheben: Die Begegnungen mit den Journalistenkollegen aus den USA waren hier am faszinierendsten. Der Besuch bei Voice of America, gelegen direkt an der Mall in Washington, war besonders für mich als Mitarbeiter der Deutschen Welle spannend. Der US-amerikanische Auslandssender steht doch sehr oft vor der den gleichen Herausforderungen wie wir und arbeitet überraschend ähnlich – gerade, wenn es darum geht, zentrale Inhalte schnell allen Sprachredaktionen zugänglich zu machen. Der gegenseitige Austausch war hierbei sicher für beide Seiten fruchtbar.
Ebenso hervorheben möchte ich den Besuch bei National Public Radio in Washington. Nach der Führung durch das imposante neue Sendegebäude lernten wir hier einige Mitarbeiter des „Race desk“ kennen – einer Redaktion, die ihren Fokus speziell um Themen rund um Fragen des Zusammenlebens der verschiedenen Ethnien in den USA legt. Das Thema Rassenungleichheit erhitzt regelmäßig die Gemüter in den USA. NPR widmet sich dem Thema multimedial mit seinem Format „Code Switch“. An die Diskussion mit den drei Redakteuren vom „Code Switch“-Team werde ich mich noch lange erinnern – besonders dann, wenn ich selbst in meiner Redaktion mit dem Thema konfrontiert bin.
Ein weiterer Termin, der mir besonderen Eindruck gemacht hat und den ich nicht unerwähnt lassen möchte, war das Treffen mit Bedürftigen in New York City in den Räumen der St. James-Gemeinde in der Nähe des Central Parks. Bei dem Event kochten wir – die ganze RIAS-.Journalistengruppe – ein Essen für obdachlose New Yorker, die wir im Anschluss auch ähnlich wie in einem Restaurant bedienten. Der direkte Kontakt gab Gelegenheit zu vielen Gesprächen, die einen intimen Einblick in die Lebenswirklichkeit sozial Bedürftiger in New York gaben. Dabei wurde deutlich, dass es in den USA noch viel mehr auf solch caritatives Engagement der Bürger ankommt als in Deutschland. Dass die soziale Absicherung von Seiten des Staates in den USA bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie in Deutschland, war mir zwar auch vor der Reise klar – der Besuch in der St. James Gemeinde führte mir aber erstmals die Folgen davon ganz persönlich und direkt vor Augen.
Die Reise mit der RIAS Berlin Kommission hat mir die USA auf eine Art und Weise nähergebracht, wie es ein privater Aufenthalt niemals vermocht hätte. Ich bin mir sicher, auch in Zukunft sehr von dieser Zeit profitieren zu können – vor allem aber von den Kontakten, die ich knüpfen konnte und den Menschen, die ich getroffen habe.
TELNEHMER ?
USA- Herbstprogramm
Vierzehn deutsche Journalisten in den USA:
Programm in Washington, DC und New York; individuelles Rundfunkpraktikum.
Patricia Adenauer-von Berg, RTL, Köln
Das RIAS-Herbstprogramm hat meine Erwartungen übertroffen. Zunächst war der Zeitpunkt ideal: kurz vor den Midterms. Sehr aufschlussreich waren für mich die Gespräche in den demokratischen Wahlkampf-Büros und der Termin mit dem ehemaligen Kongress-Abgeordneten und Republikaner Charlie Dent. Wie geht man mit dem politischen Gegner um? Wie wichtig sind die Wahlkassen? Wie läuft der Wahlkampf an der Haustür ab? Und wie ist das Verhältnis der Republikaner zu ihrem Präsidenten? Diese Termine haben mir neue und tiefe Einblicke in den US-amerikanischen Wahlkampf gegeben. Interessant fand ich, wie die Demokraten in ihrem Wahlkampf darauf setzen, mit den Themen zu punkten und den republikanischen Gegenkandidaten mit Präsident Trump gleichzustellen. Dabei kämpfen sie gegen Republikaner mit prallgefüllten Wahlkassen, oft in mehrstelliger Millionenhöhe, einer gespaltenen eigenen Partei und einer wahlmüden Anhängerschaft. Bei dem Republikaner Charlie Dent ist mir vor allem die Taktik in Erinnerung geblieben, den politischen Gegner niederzuringen und nicht mehr aufstehen zu lassen, eine Distanz zu Präsident Trump zu vermitteln, zahlreiche Themen wie beispielsweise den Klimawandel herunterzuspielen und deutlich zu machen, wie der Fall um den jetzigen Richter am Supreme Court Brett Kavanaugh die Republikaner stärkt, statt sie zu schwächen.
Dabei waren für mich zwei grundsätzliche Aspekte des Wahlsystems besonders überraschend: Gerrymandering – der Zuschnitt von Wahlbezirken um die eigenen Erfolgsaussichten zu steigern – und das Registrieren um überhaupt wählen zu können. – Liegen die Öffnungszeiten zur Registrierung beispielsweise in der klassischen Arbeitszeit oder wird ein Führerschein zur Identifizierung verlangt, haben es vor allem arme Menschen schwer, überhaupt zu wählen.
Die Gespräche mit Journalisten bei u.a. NPR, CNN, WNBC, New York Times und Vice waren bei all dem ein doppelter Gewinn: einerseits Einblick in die aktuellen Themen – wie Midterms, Kavanaugh Hearings, der Mord an Journalist Khashoggi – und andererseits Einblick in die journalistische Arbeit. Wie wird ein Thema gecovert, welche Themen eignen sich für welches Publikum, wie gehen die Kollegen mit dem Vorwurf der `Fake News` um? Bei diesen Terminen konnte ich außerdem Kontakte schließen, die es mir während meiner Station Week ermöglicht haben, die digitale Arbeit an den Video Desks verschiedener Medienhäuser besser kennenzulernen. Ich bin in New York geblieben und war u.a. bei der New York Times, TIME Magazine und Vice. – Ich bin dort auf leidenschaftliche Journalisten mit viel Herzblut gestoßen. Alle hatten einen klaren Blick, welche Kriterien ihre Geschichte erfüllen muss, wie sie sie im eigenen Haus pitchen und als erfolgreiches Video umsetzen. Ganz nebenbei wurde mir dabei schnell klar, welchen Wert das Netzwerk einer so renommierten Universität wie Columbia hat, wenn es um eine journalistische Karriere geht. Neben den inhaltlichen Erkenntnissen möchte ich mir vor allem den `Spirit`, den ich bei unseren amerikanischen Kollegen erlebt habe, bewahren.
Aber da ist noch ein anderer Termin, der besonders hervorsticht und mir immer in Erinnerung bleiben wird: das Kochen für Obdachlose in der St. James Church. Unterschiedlichste Lebensgeschichten haben die „Gäste“, wie sie in St. James heißen, in diese prekäre Lage gebracht. Für uns waren das nur ein paar Stunden, aber die haben deutlich gemacht, wie schnell sich das Leben ändern kann und wie dankbar wir sein können.
Matthias Bähr, Reuters, Berlin
Amerika hat gewählt und die Demokraten haben mit der Mehrheit im Abgeordnetenhaus einen wichtigen Erfolg errungen. Denn auch wenn es den Republikanern gelungen ist ihre Dominanz im Senat weiter auszubauen, wird US-Präsident Trump nun in wesentlichen Punkten wie dem Haushalt mit der Opposition ringen müssen und nicht mehr durchregieren können.
Amerika hat also gewählt, doch es bleibt, was es vor den Midterms Anfang November war: Ein zutiefst gespaltenes Land, eine in weiten Teilen bis zur Unversöhnlichkeit polarisierte Gesellschaft und ändern dürfte sich daran wohl auch so schnell wenig. Dieser Befund hat sich mir im Oktober vor den Wahlen während der dreiwöchigen RIAS-Reise durch die Metropolen, Schaltzentralen und Denkschmieden der USA regelrecht aufgedrängt. Während dieser unglaublich intensiven Zeit, die ich mit einem guten Dutzend erfrischend motivierter und smarter Kolleginnen und Kollegen aus Deutschlands öffentlich-rechtlichem und privatem Funk und Fernsehen verbracht habe, sind wir den unterschiedlichsten Menschen begegnet, die diesen Befund immer wieder bestätigten.
Natürlich ist das politische System der USA mit seinem Zwei-Parteien-System grundsätzlich sehr viel kontoverser angelegt als das konsensorientierte bundesdeutsche. Politik in den Vereinigten Staaten ist eben ein ‚tough sport‘, verriet uns Charlie Dent, bis letzten Mai republikanischer Abgeordneter aus Pennsylvania. Der sogennate RINO (‚Republican In Name Only‘) und Trump-Kritiker gewährte uns einen offenen Blick hinter die Kulissen und auf das Arsenal erfolgreicher Lobbyisten und Wahlkämpfer in der US-Hauptstadt. Sein Tip: “Schmeiss Dreck auf deinen Gegner und wenn er am Boden liegt, stell Deinen Fuß auf seinen Nacken und lassen ihn nicht wieder hochkommen.“
Klingt nach harten Bandagen, negative campaigning nennt man das, Trump-Style eben. Doch der und die seinen haben darauf kein Monopol in der heißen Wahlkampfphase: Ein Wahlkampfauftitt des demokratischen Gouverneurskandidaten von Maryland, Ben Jaelous, im Washingtoner Studentenvorort College Park ließ uns deutsche Besucher nicht wenig staunen darüber, wie laut und leidenschaftlich so ein Polit-Show sein kann: samt mitreißenden Rednern, jubelndem Publikum und prominenter Unterstützung, etwa von CNN-Moderator Van Jones oder dem Comedian Dave Chappelle. An Selbst- und vor allem Sendungsbewusstsein mangelte es dem Kandiaten jedenfalls so wenig wie an Kampfeswillen gegen die Trump-Administration: „Die wichtigsten Wahlen unseres Lebens“, seien die Midterms, um den unkontrollierbaren Mann im Weißen Haus wieder in die Schranken zu weisen.
Das wollten zweifellos auch die hunderten Demonstranten, die am 6. Oktober zwischen Supreme Court und Capitol bis zuletzt lautstark und empört gegen die Nominierung des überaus umstrittenen Bundesrichters Kavanaugh protestierten. Nur wenige seiner Unterstützer wagten sich an diesem Tag hierher und die wurden schnell von der Polizei abgeschirmt. Beide Seiten standen sich schreiend gegenüber, die Stimmung war geladen, Zuhören steht nicht hoch im Kurs derzeit. Im Gegenteil: Nur wenige Wochen nachdem wir unsere Kollegen bei CNN in New York besucht hatten, ging hier eines von mehreren verdächtigen Paketen an Trump-Kritiker ein und löste einen Bombenalarm aus.
Wie es sich für erfahrene und für ihren zweifelsfreien Arbeitsethos renomierte Journalisten anfühlt, plötzlich verunglimpft und auf eine Seite des politischen Konflikts gedrängt, kurz zu‚ fake news‘ abgestempelt zu werden, davon konnten wir viel von unseren Kollegen in Manhattan erfahren: Für CNN oder MSNBC ist die Gegnerschaft zu Trump längst zum Teil der eigenen Identität und Überlebensstrategie geworden, für die Macher des erfolgreichen New York Times Podcasts ‚The Daily‘ war Trumps Erscheinen und Wahl gar die Initiation und eines der Geheimnisse ihres Erfolgs. Davon durften wir uns selbst bei einem äußerst inspirierenden Treffen mit dem Kopf des Formats, Michael Barbaro, und seiner Kollegin, RIAS-Alumni Clare Toeniskoetter, in den heiligen Hallen der NY-Times ein Bild machen: Eins meiner persönlichen Highlights in New York, gefolgt vom Besuch eines weiteren Mediums, das derzeit für mich den ‚state of the art‘ symobolisert: Vice – hier nennt man einander Filmemacher und nicht Journalist, Director of Photography statt Kameramann. Und von den Budgets, die den durch die Bank deutlich jüngeren Kollegen hier für ihre 20- bis 30-Minüter für das tägliche innovative News-Format ‚Vice on HBO‘ zur Verfügung steht, kann unsereins nur träumen.
Als wäre die von unseren RIAS-Mentoren K.C. Schillhahn und Erik Kirschbaum großartig eingefädelte und moderierte gemeinsame Zeit in Washington und New York City nicht schon Inspiration und Superlative genug gewesen, verschlug es mich in meiner dritten Woche ans andere Ende des Landes. Nach Los Angeles! Zugegeben: Die Küsten sind blau, weitgehend liberal, und Trump-Versteher findet man hier weit weniger als in der vermeintlich roten Mitte der Vereinigten Staaten. Doch auch wenn die Menschen unter den phänomenalen kalifornischen Sonnenuntergängen deutlich entspannter wirken als sechs Flugstunden weiter östlich, reich an extremen Eindrücken in jeder Hinsicht war auch die Stadt der Engel für mich:
Von ‚The Voice of Business in LA‘, dem einmaligen Radiomoderator Frank Mottek, der mich nach einem prallgefüllten Tag im Sender KNX samt Interview mit dem republikanschen Gouverneurskandidaten John Cox mit nach Beverly Hills nahm. Nachdem wir in seinem 1964er Mercedes-Coupé über den Rodeo Drive gecruised sind und man uns zum Dinner im Nobelrestaurant Spago dank Frank wie Stammgäste bewirtet hat, freuten wir uns beim Absacker in der Bar des neuen Waldorf Astoria darüber, dass RIAS uns zusammen gebracht hat.
Tags drauf fand ich mich am anderen Ende der Nahrungskette wieder. Meine gerade erst kennengelernten Reuters-Kollegen waren so froh über meine Verstärkung, dass sie mich gleich mit Kamerafrau dorthin schickten, wo sie selbst nur ungern hingehen: Nach Skid Row. Hier in den Straßen am Rande des Downtowns kann man die glitzernden Fassaden der Bürotürme zwar noch sehen, aber von dem Glanz fällt nicht viel ab für die mehreren hundert Menschen, die auf der Straße leben. Unter improvisierten Planenverschlägen, behelfsmäßigen Zelten oder einfach auf dem Boden haben Obdachlose etliche Kreuzungen und ganze Blocks zu ihrer Bleibe gemacht – und täglich werden es mehr. Mir verschlug der Anblick die Sprache, so etwas hatte ich zuletzt in den Slums von Bogota gesehen. Doch für Paul ist das hier seit Jahren Alltag, der 50-jährige Veteran aus Beaumont, Texas bat uns in sein Zelt und erzählte was vielen hier zu schaffen macht: die zunehmende Gewalt auf der Straße, der Alkohol und die Drogen. Er selbst halte sich da raus so gut es eben gehe, sagte er – und ausgesucht habe er sich das natürlich auch nicht „Hell no! But these things happen.“ Er hatte eben Pech. Doch davon unterkriegen lassen kommt für ihn nicht in Frage – Er gehe wählen, erzählt er uns. „Denn wer das nicht tut, der kann sich auch nicht beschweren, wenn nichts passiert“, so Paul.
Den Namen Trump nahm er nicht in den Mund, und ist damit eine der ganz wenigen Ausnahmen unter all meinen Begegnungen in diesen drei Wochen. Denn egal, mit wem ich sonst ins Gespräch kam: Vom Uber-Fahrer, der sich vehement für die Mauer nach Mexiko ausspricht, „weil ja sonst die ganzen Moslems zu uns kommen.“ (sic!) bis zum legendären Bill Whitaker von ‚60 Minutes‘, den ich an einem RIAS-Alumni-Abend das Glück hatte zu treffen: Nach wenigen Minuten landeten wir immer bei dem Mann, der keinerlei Interesse daran zu haben scheint, diese Spaltung im Land zu überbrücken, sondern sie vielmehr immer weiter zu vertiefen: Donald Trump. Ein Mann, der die Welt in Freund und Feind einteilt, einfache Antworten auf höchst komplexe Fragen parat hält und auch genau danach handelt. Und auch wenn etliche Republikaner diesen Mann nicht mögen, begehren nur die wenigsten gegen ihn auf. „Politik ist hier ein bisschen wie Football“, so formulierte es einer. „Man hält eben zu seinem Team!“ Es spricht derzeit nicht viel dafür, dass sich das bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2020 grundlegend ändert.
Nina Behlendorf, ZDF, Mainz
„Make america great again“, rufen die einen. „Be the change, vote Democrats“, fordern die anderen: Die Midterm-Wahlen stehen an; Halbzeit nach zwei Jahren US-Präsident Donald Trump. Auch wenn er nicht selbst zur Wahl steht: Bei dieser Wahl im Herbst 2018 dreht sich fast alles um Trump. Und mit RIAS habe ich die Chance, mittendrin zu sein – gemeinsam mit einer sehr tollen Journalisten-Gruppe aus Radio, Fernsehen, Nachrichtenagenturen und Online. Das Programm ist vielversprechend und vollgepackt: Gespräche mit Politikern, Parteien und gesellschaftlichen Interessengruppen, Inside Views bei Fernsehsendern und Radiostationen, dazu spannende Termine abseits der politischen und journalistischen Agenda. Und trotz des breiten inhaltlichen Fächers kommen wir bei fast jedem unserer RIAS-Termine in diesem Herbst 2018 irgendwann auf Trump zu sprechen. Schließich setzt er bei diesen Midterm-Wahlen den Ton. Mal wieder, muss man im Jahr zwei seiner Präsidentschaft sagen.
Ich erlebe, wie sehr Trump popularisiert und polarisiert, etwa bei Anna Schiller und Alec Tyson vom PEW Research Center, dem selbst ernannten „Fact Tank“ der Hauptstadt. Anders als die Präsidenten zuvor teile Trump die Welt in ein Freund-Feind-Schema, so das Urteil der beiden Analysten: Wer nicht für Trump ist, ist gegen ihn. Und das verändert auch langfristig etwas im Land, zeigen die PEW-Analysen deutlich: Parteien und Wähler driften auseinander. Republikaner wie Demokraten positionieren sich in den letzten Jahren weiter an den Rändern, die einst breite Mitte schrumpft unter Trump zusammen.
Zu was diese extreme Polarisierung führen kann, erfahren wir im Gespräch mit einem Politiker. Oder besser: Ex-Politiker. Denn auch diese politische wie gesellschaftliche Polarisierung hat Charlie Dent dazu gebracht, das Handtuch zu schmeißen, erzählt er uns im Hintergrundgespräch. Dent gilt als RINO, ein „Republican in name only“, und saß seit 2004 im US-Repräsentantenhaus. Im Mai dieses Jahres aber trat er zurück. „Der gegenseitige Respekt ist verloren gegangen“, sagt Dent. Und meint damit die Zeit seit Trump. Der sei unberechenbar und eine Herausforderung für seine Partei. „Trump hat die Republikaner verändert, sie übernommen“, meint Dent. Trump dirigiere die Republikaner, treibe sie vor sich her.
Und die Demokraten? Die sprechen zwar – wie etwa Kathleen Matthews bei unserem Besuch im Maryland Coordinated Campaign Head Quarter – von den Midterms als den „vielleicht bedeutendsten Wahlen unserer Zeit“ und wollen das Land wieder „back on track führen“. Ihr Rezept dagegen? Eine höhere Wahlbeteiligung. Und ihren Kandidaten Ben Jealous so weit als möglich abgrenzen von Positionen des US-Präsidenten. Denn Trump sei „toxic“ und hätte in Maryland, einem der landesweit „demokratischsten“ Staaten, kaum Unterstützer. Deutlich wird aber auch: Jenseits vom „No to Trump“ fehlt es an einem inhaltlichen Konzept, wie die Demokraten es bei den nächsten Präsidentschaftswahlen mit Trump aufnehmen können: Was hat die Partei gelernt aus der Clinton/Sanders-Schlappe? Mit welchen Köpfen, welchem Programm wollen sie es angehen? Darauf gibt es zumindest hier nur Schulterzucken. Und ich fühle mich irgendwie an die Misere der Sozialdemokratie in Europa erinnert. Haben Politiker jenseits und diesseits des Atlantiks in diesem Punkt etwas gemeinsam?
Auf den Straßen dagegen ist die Anti-Trump-Bewegung lebendig. Das merken wir etwa bei den Protesten zur Vereidigung von Trumps umstrittenem Richterkandidaten Brett Kavanaugh, bei denen sich Hunderte vor dem Kapitol versammeln. Oder beim Besuch der Indivisibles vor den Toren New Yorks. Die Grassroots-Bewegung rund um Shannon Powell ist eine von tausenden kleinen Gruppierungen, die der Politik Trump etwas entgegensetzen will. Mit viel Energie, Eigeninitiative und Enthusiasmus unterstützen sie lokale Kandidaten (der Demokraten), organisieren Demos, überzeugen Nachbarn und Kollegen davon, wählen zu gehen. Weil jede Stimme zählt – besonders dann, wenn nur der wählen kann, der sich hat registrieren lassen. Für mich spannend: Es sind die Jungen, die diese beispiellose politische Bewegung tragen, abseits der klassischen Partei-Strukturen, weil die für sie keine Heimat mehr bietet.
Eine RIAS-Woche und eine Amtrak-Fahrt später liegt der Focus in New York ganz klar auf den Medien: Wir sind live bei der inzwischen abgesetzten Meghan Kelly-Show, besuchen WNBC, die New York Times, Vice und CNN und blicken dank Michael, Tiffany, Claire, Hendrik, Jessica (und bei NPR: Stacey) überall hinter die Kulissen. Wirklich beeindruckend, wie herzlich wir empfangen werden, wie viel Zeit sich die RIAS-Alumni nehmen, um mit uns über ihre Arbeit und die Herausforderungen in Zeiten von Trump sprechen. Was ich von der Arbeit der Kollegen außerdem mitnehme: ihr Herzblut, ihre Professionalität im Job, den sie nicht immer unter einfachen wirtschaftlichen Bedingungen machen.
Wirklich besonders aber in diesen ersten beiden RIAS-Wochen sind für mich die Termine abseits der großen Agenda: die Stippvisite auf dem Campus in Maryland bei einer CampaignRallye, das Kochen für die Obdachlosen in der New Yorker St. James Church, die Treffen mit den RIAS-Alumni am Freitagabend in Washington und New York. Weil diese Abwechslung gut tut im engen Terminkalender, weil wir mitten drin sind im echten Leben, weil wir mitmengen und mitmachen. Genau das ist es, was das Programm lebendig macht und dafür sorgt, dass ein wirkliches Netzwerk entsteht!
Nach zwei Wochen an der trubeligen Ostküste ist die Station Week in Oregon für mich als begeisterte Triathletin der perfekte Abschluss. Es geht ins Outdoor-Paradies Bend im Bundesstaat Oregon; rund 90,000 Einwohner, die meisten davon Demokraten. Eine Insel inmitten des eher republikanischen Farm-Landes. Mein Host Lee Anderson ist Anchor der Spätnachrichten bei KTVZnewschannel21, einem NBC-affiliate. Und er ist ein RIAS-Urgestein, das alljährlich Teilnehmer empfängt und ihnen ein wirklich tolles Programm bietet: Bevor es um 15 Uhr in seine Spätschicht geht, zeigt er mir, warum sie von ihrer Stadt hier nur als „beautiful Bend“ sprechen: der Deschutes River, die grandiose Aussicht vom Vulkankegel „Pilot Butte“, das nahe Ski-Paradies Mount Bachelor, dazu die kleinen Shops und Restaurants Downtown und im OldMillDistrict…In Bend kann man es wirklich aushalten!
Von Lee einmal abgesehen, sind die meisten bei KTVZ Berufs-Einsteiger und echte Allrounder: Drehen, Schalten, Schneiden, eine Sendung fahren und moderieren, nebenbei Social Media – das ist für sie Alltag. Und etwas komplett anderes als meine Arbeit für hintergründige, investigative Filme, aber vielleicht auch gerade deshalb: beeindruckend! Es geht in meiner station week um die kleinen Stories: unerwünschtes Graffiti, Glatteis-Unfälle, Gerichts-Prozesse. Ich bin im Studio und in der Regie dabei, unterwegs mit Kameramann Steve (ebenfalls RIAS-Alumni) und den Reportern. Und nach knapp einer Woche Lokaljournalismus gibt es zum Ende doch noch einmal große Politik: Senator Ron Wyden kommt für ein Live-Interview im Studio vorbei. Was der Demokrat von Zwischenwahlen erwartet? „Eine sehr hohe Wahlbeteiligung in Oregon und anderswo. Weil für die Menschen so viel mehr auf dem Stimmzettel steht als nur diese Wahl.“
Was bleibt nach diesen drei Wochen im Herbst 2018? RIAS hat nicht nur mein Wissen und mein Verständnis für die USA in den Zeiten von Trump geschärft, sondern auch den Blick auf meine eigene Arbeit: ein Auseinanderdriften der politischen Lager, Polarisierung und Popoulismus, weniger Vertrauen in uns Medien – die journalistischen Herausforderungen sind dies- und jenseits des Atlantiks gar nicht so verschieden. Umso wichtiger ist es, genau hinzusehen. Das nehme ich mit. Genau wie die vielen wunderbaren RIAS-Kontakte!
Frank Hofmann, Deutsche Welle, Berlin
Midterm-Wahlen in Zeiten von Trump
Die Zahlen des Pew Research Institutes wirken nach: Die USA sind eine polarisierte Gesellschaft zwischen Trump-Fans und seinen Gegnern. Das Besondere: Die Entwicklung hat schon lange vor den letzten Präsidentschaftswahlen begonnen. Und die dritte These: Die Menschen unterschiedlicher politischer Wählerlager reden nicht mehr miteinander, der Bruch geht mitten durch die Esszimmer-Tische, mitten durch Amerikas Familien. Trump ist der Präsident, der ohne Mehrheit an der Wahlurne regiert. Die USA 2018 sind eine desintegrierte Gesellschaft, der das Einende, das Brückenbauen abhanden gekommen ist und damit womöglich der Markenkern der Vereinigten Staaten von Amerika.
In diesen Zeiten die letzten Wahlkampf-Wochen vor den ersten Zwischenwahlen des Präsidenten Donald Trump mit der RIAS Berlin Kommission begleiten zu dürfen, ist ein Privileg. Und es zeigt sich schon jetzt, zwei Monate danach: Eine Erfahrung, die nachhaltig wirkt. Denn die Erkenntnis, dass das Unvermögen dem (politischen) Gegner die Hand auszustrecken, wo es Gemeinsamkeiten gibt, auch Europa zunehmend prägt. Im Umkehrschluss heißt das aber auch: Wer eben versucht Brücken zu bauen, hat womöglich die besten Chancen, die tiefen gesellschaftlichen Risse zu überwinden, die der Rechtspopulismus, die nationalistischen und rassistischen Strömungen bereits in den westlichen Gesellschaften gerissen haben.
Bezogen auf das transatlantische Verhältnis zeigt sich das diesen Herbst vielleicht vor allem in einer Personalie: Charles Dent, der Republikaner aus Pennsylvania. Er ist der einzige Vertreter der G.O.P., der bereit ist mit den Rias-Reisenden zu sprechen. Er ist nicht im Wahlkampf, weil er seinen Abgeordneten-Sitz zur Verfügung gestellt hat. Im Gespräch wird schnell deutlich: Auch wegen Donald Trump. Er kommt schnell auf das jahrelang wichtigste handelspolitische Projekt zwischen Europa und den USA: „TTIP“, sagt Dent, „wäre schnell durch den Kongress gekommen.“ Doch jetzt sind die Zeiten andere. Und im Weißen Haus regiert ein Präsident, der das Narrativ pflegt, dass die Handelsbeziehungen gegenüber den USA unfair seien. Dabei gehe es am Ende nur bedingt um Europa, sondern vor allem um China. Ob der Weg zu einer für die USA günstigeren Handelsbilanz mit China über die Brüskierung der Partner in Europa führen kann? Charles Dent zweifelt und sieht den neuen Populismus auf der rechten wie der linken Seite des politischen Spektrums: „Mit Donald Trump und Bernie Sanders haben beiderseits zwei unkonventionelle Charaktere ihre jeweiligen Parteien gekapert.“ Dent reist ein paar Wochen nach dem Gespräch wie so oft zu den Feierlichkeiten zum 9. November in die deutsche Hauptstadt, dem Tag als 1989 die Berliner Mauer fiel. Der Kreis überzeugter Transatlantiker aus den USA, die es ihm gleich tun – ist sehr klein. Wo ist das transatlantische Verhältnis auf der politischen Landkarte seit Beginn der Trump-Administration zu verorten? Die Hinweise darauf sind so rar gesägt in diesem Wahlkampf-Herbst 2018, dass eine belastbare These nicht zu entwickeln ist.
Die USA sind politisch mit sich selbst beschäftigt. Und der wichtigste Indikator sind die Fieberkurven der politischen Gespräche nach jedem neuen Tweet aus dem Weißen Haus und die sich daran entfachenden Diskussionen zwischen den politischen Lagern. Es lohnt deshalb der Blick auf den Wandel der Medienlandschaft im Land mitten in der digitalen Revolution. Die Bandbreite ist groß: Vom Besuch in der NBC-Show der früheren Fox-Moderatorin Megyn Kelly, NPR, Vice Magazine, CNN und der New York Times. Was auffällt ist, dass sich alle besuchten Redaktionen im digitalen Wandel positionieren, dies aber in höchst unterschiedlicher Form. Dabei steht Megyn Kelly vielleicht am ehesten im Strom des durch den Social Media getriebenen Populismus. Wenige Wochen nach dem Besuch ihrer Vormittags-Show wird die Sendung abgesetzt. Kelly stolpert über eine Moderation, die das Stammpublikum ihres neuen Senders als rassistisch einstuft. Vertragsauflösung. Karriereende wahrscheinlich.
Interessant, dass sich gerade zwei Traditionsmedienhäuser und der erfolgreichste Newcomer bewusst von den Social Mediaströmen abkoppeln wollen. So der Eindruck bei der New York Times: Der Podcast „The Daily“ mit seinem Anchor Michael Barbao ist erfolgreich, weil er sich mit seinen Themen außerhalb der politischen Mainstream-Diskussion positioniert. Mehr als eine Million Zuhörer geben den Machern Recht. Dass die NYT nun auch auf Video-Formate setzen will, lässt aufhorchen. Nicht minder erfolgreich aus der Nische heraus ist die Online-Sondersektion „Code Switch“, produziert in der Sendezentrale des National Public Radio in Washington D.C. an einem „Race Desk“. Der publizistische Erfolg der Themen über „Rasse und Identität“ – sei es über die Geschichte des Ku Klux Klan und die Idee weißer Vorherrschaft heute bis hin zu Berichten über explizit „schwarzer Literatur“ oder Portraits über berühmte Mainstream-Künstler wie den Stand-Up Comedian Chris Rock – zeigen eine interessante Entwicklung im digital publishing. Offenbar sucht das Publikum gerade in Zeiten der durch die sozialen Medien befeuerten Aufreger-Nachrichten Nischen des Hintergrunds, in denen sie nachhaltig bekommen, was sie suchen und erwarten. Es gibt also offenbar die Tendenz zum Themen-„Framing“. Das unterstreicht schließlich der erste RIAS-Besuch beim Vice Magazine seit langem. Der Marktführer bei den jungen Mediennutzern besetzt mit seinem Dokumentarfilm-Fenster bei HBO eine an sich traditionelle TV-Plattform und hat damit stabil hohe Zuschauerraten in der jungen Zielgruppe. Und das selbst mit Themen wie „It’s Super Dangerous to Be a Journalist in the Philippines“. Offenbar bringt hier die Mischung aus Thema und Umsetzung einen gewissen Erfolg in der Nische. Das wichtigste bei der „Programmierung“, also ihrer Themensetzung, sei „to zig when others zag“. Die Macher um Executive Producer Subrata De, die ihren Weg über Stationen bei ABC, NBC und MSNBC zu Vice fand, wie der Deutsche Hendrik Hinzel, suchen ihren Weg alternativen Storytellings und sind dabei nicht sehr weit entfernt von ähnlichen Ansätzen bei New York Times und NPR. Das heißt: Der US-Medienmarkt versucht eben doch zumindest in der Nische mit hoher Kreativität und Veränderungsbereitschaft aber mit doch klassischen journalistischen Ansätzen die Digitalisierung zu gestalten. Dass womöglich gerade der Verzicht auf das klassische Handwerk bei den großen TV-Networks die oberflächlichen populistischen politischen Auseinandersetzungen befeuert hat, resümiert im Gespräch ein großer Journalist des amerikanischen Fernsehens. Emmy-Preisträger Robert Jamieson hat sich seit seinem Ruhestand 2009 zurückgezogen und hilft drei Tage die Woche der Armenküche in der progressiven St. James Kirchengemeinde in New Yorks Upper Westside. In der Kirche konnte sich schon der südafrikanische Bürgerrechtler Desmond Tutu zurückziehen. Hier wurde schon vor ein paar Jahrzehnten die Ehe für alle von der Kanzel herab unterstützt. Hier also hat der langgediente Fernsehkorrespondent Robert Jamieson eine ganz eigene Erklärung für die hohe Temperatur der rechtspopulistischen Debatten in den USA. „Früher“, sagt Jamieson, „sind wir in jedem Wahlkampf bis in die letzten Ecken der amerikanischen Provinz gegangen, um über die Sorgen und Nöte der Amerikaner zu berichten.“ Das sei vorbei. Wer aber den Puls Amerikas nicht wirklich spürt, kann auch keine Brücken bauen.
Nina Lammers, RTL, n-tv, Berlin
Politik – “If it doesn´t get lost”
Matt hatte Glück, denke ich: Er kann wählen, denn er hatte einen Lehrer, der sein Schüler dazu drängte, sich registrieren zu lassen. Der Lehrer brachte Matt das dazu notwenige Formular mit in die Schule. Matt füllte es aus und schickte es an das registration office. „Erst wenn man das Formular losgeschickt hat, kann man in den USA wählen?“, will ich wissen. „If it doesn´t get lost“, sagt Matt. Der junge Demokrat, der sich Upstate New York als Wahlkampfhelfer engagiert, sagt das ganz sachlich – ohne Zynismus oder ironischen Unterton. WENN DAS FORMULAR NICHT VERLOREN GEHT. Kann offenbar passieren… Bei uns in Deutschland wäre das ein Skandal: Ein Staatsbürger kann keinen Gebrauch von seinem Wahlrecht machen. Das würde unser Verständnis von Demokratie aushebeln. Nicht so in den USA. Ich lerne auf unserer RIAS-Reise, in der es oft um die bevorstehenden midterms geht, was voter suppression bedeutet: Die Grenzen von Wahlbezirken werden zugunsten der regierenden Partei einfach neu gezogen, Menschen werden durch Schikanen daran gehindert zu wählen. So erzählten uns die Journalisten von Code Switch zum Beispiel, dass Schwarze oft sonntags nach der Kirche zusammen mit Bussen zum Wahllokal fahren um dann wenige Tage vor der Wahl ihr Kreuz zu machen. Doch es kommt vor, dass sie aufgehalten werden. Eine auf Rassismus basierende politische Schikane: Schwarze wählen eher die Demokraten. Wo bleibt der Aufschrei, frage ich mich, wieso klagt niemand gegen diese Demokratie-Verstöße und wie demokratisch ist die mächtigste Demokratie der Welt eigentlich?
Oft habe ich nach den Terminen mit den Gesprächspartnern während des RIAS-Programms noch mehr Fragen als vor den Gesprächen. Ein gutes Zeichen dafür, wie interessant sie waren: sie haben sich nie erschöpft, meist hätte ich noch Stunden weiterdiskutieren können – vor allem mit den Kollegen von Code Switch, dem AJC und Charlie Dent.
Soziales – Sie sind wie wir
„Ich bin auch Journalistin“, sagt die Frau mit den langen Haaren, während sie in ihren Kaffee pustet, „ich habe für National Geographic gearbeitet“. Wir unterhalten uns über ihre Auslandsreisen. Es könnte ein ganz normales Gespräch unter Kollegen sein, würde es nicht in der St. James Church in New York stattfinden und würde ich hier kein Essen an sie verteilen, weil sie sich selbst eine warme Mahlzeit nur schwer leisten kann. Während der gesamten Reise sind Obdachlosigkeit und Armut immer wieder ein Thema. Sogar schon vor der Reise: Mein Host in Las Vegas bereitete mich darauf vor, dass der Sender in einem Stadtviertel liegt, in dem viele Menschen in Zelten am Straßenrand wohnen. Noch nie habe ich in einem westlichen Land so viele Obdachlose gesehen, wie in den USA – egal ob in Washington, New York oder eben Las Vegas. Durch das kaum vorhandene Sozialsystem rutschen Menschen leicht in die Armut ab: ein Mann erzählt mir bei der Armenspeisung in der St. James Church, er sei Busfahrer, habe nur wenig Geld, weil er gerade zwischen zwei Jobs sei. Bei uns hilft dann erst mal das Arbeitslosengeld – hier hilft offenbar niemand. Viele werden arm, weil irgendetwas in ihrem Leben mal nicht nach Plan lief – zum Beispiel Krankheit, Scheidung, Jobverlust – so wie bei der Journalistin, die für National Geographic gearbeitet hat. Dann sind sie plötzlich so arm, dass sie nicht mehr genug zu essen haben, auch wenn man ihnen das nicht gleich anmerkt: viele können sich gut ausdrücken, wirken gebildet. Würde ich hier leben, hätte ich eine größere Abstiegsangst als in Deutschland. Von den Menschen in der St. James Church trennt uns nur ein Schicksalsschlag oder ein unglücklicher Zufall.
Kultur – Alle Hände hoch
„Will jemand noch was zur den Themen von heute sagen?“ fragt Megan Kelly das Publikum nach der Show. Sofort gehen unzählige Hände hoch. Das Publikum diskutiert in klar strukturieren persönlichen Redebeiträgen. Ob Grundschüler eine einvernehmliche Zustimmung voneinander brauchen, BEVOR sie sie einander berühren – zum Beispiel vor Umarmungen. Es entsteht eine lebhafte und kontroverse Diskussion. Deutsche sind in solchen Situationen viel zurückhaltender, trauen sich oft nicht vor Unbekannten zu sprechen, vielleicht aus Angst aufzufallen oder etwas Falsches zu sagen.
Hier ist da anders. Ob im Apollotheater in Harlem, bei Megan Kelly (die wegen Rassismus-Vorwürfen kurz nach unserem Aufenthalt in den USA ihren Job verlor) oder bei der Ben Jealous-Wahlkampfveranstaltung in Maryland – wo Amerikaner aufeinander treffen geht es hoch her. Das Publikum ist laut, es finden mal hitzige Diskussionen, mal Austausch oder sogar riesen Partys statt. Manchmal auch alles gleichzeitig. Das gibt ein Bild einer Gesellschaft, die miteinander redet und sich bei all dem Individualismus der Amerikaner trotzdem für den anderen interessiert. Auch wenn die Fronten in der Politik unrettbar verhärtet erscheinen und die Kluft zwischen Demokraten und Republikanern gefühlt mit jedem Tag tiefer wird – die Menschen im Land heben weiter ihre Hände. Sei es um zu protestieren oder im Takt zu klatschen. Und so war der Austausch mit den Menschen auf der Straße, bei Versammlungen oder bei Drehs in Las Vegas neben den interessanten politischen Diskussionen ein Highlight der Reise, die ich lange nicht vergessen werde.
Christine Langer, SWR, Baden-Baden
Es war ein heißer Herbst in Washington D.C. und New York City. Nicht nur wegen der 27 Grad Celsius bei mehr als 90 Prozent Luftfeuchtigkeit in Businesskleidung. Es war auch politisch heiß! Denn wir haben als Journalistengruppe die Vereinigten Staaten kurz vor den Midterm Elections 2018 besucht.
Die Einblicke in die US-Politik und den Wahlkampf waren einmalig und augenöffnend. Egal ob beim Besuch von demokratischen Wahlkampf-Büros oder politischen Aktivisten in Maryland und New York State, beim Gespräch mit Kongressabgeordneten in Capitol Hill oder den amerikanischen Kollegen vor Ort. Viele von uns waren nach kurzer Zeit erstaunt und ungläubig ernüchtert: Ja, Donald Trump wird vermutlich in zwei Jahren als Präsident der USA wiedergewählt, denn die Demokraten haben keinen konkreten Plan oder Ansatz, wie sie das Amt wieder zurückgewinnen könnten.
Auch andere Ansichten haben erstaunt. Zum Beispiel die eines Republikaners und ehemaligen Abgeordneten, der keine Vision davon hat, wie Klimapolitik ohne Kohle und Atomkraft aussehen kann.
Und immer wieder Thema: Das komplizierte Wahlsystem, das es vielen Amerikanern sehr schwer macht, überhaupt zu wählen, oder ihnen zumindest große Steine in den Weg legt. Oder das System des Gerrymandering, bei dem Wahlbezirke so zurechtgebogen werden, dass gewisse Wählerlager einbezogen oder ausgegrenzt werden. Vieles davon hat man davor schon gehört, aber wenn man es vor Ort erfährt, wird die Dimension und und vor allem die Auswirkungen davon viel deutlicher.
Außerdem haben wir die sehr amerikanische Seite des Wahlkampfs kennengelernt, als wir bei der Rallye des Gouvaneur-Bewerbers von Maryland, Ben Jealous, dabei waren. Es war ein Erlebnis zu sehen, wie Politiker ihre Zuhörer mitreißen und wie das Publikum unbefangen Emotionen äußert. Ein bisschen was davon würde der deutschen Politik und dem deutschen Wahlkampf sicherlich gut tun.
Für mich war es besonders wertvoll, Einblicke in die digitalen Bereiche der US-Medien zu bekommen. Welche Podcasts funktionieren gut und werden nachgefragt, wie sind die digitalen Abteilungen und Teams aufgestellt und organisiert, welche Strategie wird verfolgt, wie läuft die Zusammenarbeit der „klassischen“ und der digitalen Ausspielwege. Zu den Highlights hat für mich der Besuch bei der New York Times und das Treffen mit den Machern des Podcasts „The Daily“ gehört. Dem Podcast folge ich seit langem. Wie so viele unserer Termine war auch das nur möglich durch die Kontakte von RIAS bzw. der RIAS Alumni in den einzelnen Medienhäusern, wie CNN, NBC, NPR, VICE. Ein exklusiver Blick hinter die Kulissen.
Womit wir beim großen Thema Netzwerk sind. Ich kann jetzt auf einen großartigen Kreis an kreativen, unglaublich netten und offenen Menschen zurückgreifen, meine eigene RIAS-Gruppe selbst, aber auch die vielen Kontakte zu Kollegen vor Ort. Irgendjemand kennt immer jemanden, der jemanden kennt.
Einen echten Eindruck vom journalistischen Alltag in den USA habe ich dann bei meiner Station Week beim NPR-Sender KUOW in Seattle bekommen. Sehr interessierte Kollegen, unkomplizierte Abläufe und die Erkenntnis: Im Alltag haben wir alle die gleichen Herausforderungen zu meistern, auch wenn die Lösungsansätze sich durchaus unterscheiden können.
Für mich war es mein erster Besuch in den USA und von den vielen Eindrücken werde ich noch lange zehren und profitieren. Ein paar der USA-Klischees haben sich für mich erfüllt: Die Klimaanlagen sind wirklich nahezu überall auf frostige Temperaturen eingestellt, Coffee-to-go-Becher und Essen auf Plastik lassen sich sehr schwer vermeiden, in New York läuft alles im Stechschritt-Tempo. Anderes wurde widerlegt: Es gibt nicht überall nur Fastfood, ein Taxi ranzuwinken ist leichter als gedacht und viele Amerikaner engagieren sich für ihr Land, derzeit vielleicht mehr denn je. Und etwas war unerwartet: Die Amerikaner hupen im Straßenverkehr wie die Italiener – und fahren auch so ähnlich.
Vielen Dank an alle bei RIAS Berlin für diese Möglichkeit und das intensive Programm vor Ort! Zeit für zwei kleine Insider: Dizzledoo und lets live #wonderfultogether.
Meggin Leigh Doody, Deutsche Welle, Berlin
My trip to New York in October 2018 thanks to Erik Kirschbaum and the RIAS Berlin Kommission was an incredible and enlightening experience. Erik and KC Schillhan created a rigorous program which gave us an up close and personal look into how our US counterparts create television.
Due to work constraints, I could only take part in the New York portion of the trip, but from the start, the meetings and talks with our American counterparts offered an interesting view on politics and media affairs in the United States.
Our group consisted of journalists with diverse backgrounds in all broadcast media. The weeklong meetings in New York applied to all of us, regardless of background. For example at The New York Times, we had up one-on-one meetings with the producers and the host of the daily podcast “The Daily.” While a giant in print media, our visit demonstrated how social media and podcasts serve as cross-media platforms for all journalists and the success that can be had with a simple but good idea.
At HBO’s Vice’s office, we got an insider’s look into how private television is produced and how no expense is spared when it comes to quality television images. The staff at VICE was quite young and seem willing to sacrifice great portions of their private lives to build a career making award-winning TV programs. It was interesting to see how this program is structured and the hierarchy of the HBO office. The average age there was 30.
In contrast, CNN offered a behind-the-scenes look at how 24 hour news is done. We learned how the number one name in news uses social media, namely Twitter, to track down breaking stories and those behind them. The staff there were also dedicated and willing to sacrifice large portions of their personal lives for the love of the job.
All in all, the RIAS trip to New York gave me a fresh perspective into how television news is produced in the USA. I was able to bring that perspective back to DW and share it with my colleagues and managers here. I also highly recommend the program for young managers in German media outlets.
Catherine Martens, Deutsche Welle, Brüssel
Steffi Orbach, WDR, Köln
Frank
In der St. James Church auf der Upper East Side wird jeden Dienstag gekocht– für die Armen und die Obdachlosen. Bob Jamieson organisiert das, er ist RIAS-Alumni und hat uns eingeladen, mitzuhelfen. Es gibt Hähnchen heute, Nudeln und Salat, danach Schokoladenkuchen. Acht große Tische werden eingedeckt und mit den Blumen aus dem letzten Gottesdienst dekoriert. Ich bekomme einen Tisch zugewiesen, um den ich mich kümmern soll.. Gegen zwölf gehen die Türen auf und die Tische füllen sich schnell, alle haben Hunger. Hier muss niemand anstehen für sein Essen, wer kommt, wird bedient. An meinem Tisch fällt mit sofort ein Mann auf. Seine Haare sind frisch gewaschen, er trägt saubere Kleidung. Die meisten an meinem Tisch essen und gehen direkt wieder, er aber bleibt sitzen. „What part of Germany are you from?“ fragt er mich. „Cologne“, sage ich. Hat er schon mal gehört. Er heißt Frank, ich schätze, dass wir etwa gleich alt sind. Früher sagt er, hatte er ein ziemlich normales Leben. Viel Geld hatte er nicht, als Schreiber und Musiker hat er sich durchgeschlagen. Es ging. Eine Zeitlang. Irgendwann konnte er seine Miete nicht mehr bezahlen, der Vermieter setzte ihn vor die Tür. Frank stand auf der Straße. Geld für eine neue Wohnung hatte er nicht. Ein paar Wochen konnte er bei Freunden unterkommen. “Aber weißt du – deine Freunde helfen dir irgendwann auch nicht mehr. Und dann bist du auf dich gestellt.“ Frank zog weiter in ein Shelter – ein Obdachlosenheim. Aber diese Plätze sind die Hölle, sagt er. Sie sind dreckig, sie sind laut und alles, was nicht niet-und nagelfest ist, verschwindet. „Aber gibt es da denn nicht Aufpasser?“ frage ich. „Das sind die Schlimmsten“. Frank zieht wieder raus auf die Straße. Er schläft in Parks, wenn es regnet, in der Subway. Das ist aber nur im Sitzen erlaubt. Wer sich hinlegt, wird rausgeworfen. „Und da haben sie mir meinen Rucksack geklaut“ sagt er, „mit zwei USB-Sticks drin. Mit allem, was ich geschrieben habe. Mit Songs, die ich komponiert habe. Alles weg. Jetzt hab ich nichts mehr“. Tagelang hat Frank die Mülleimer in der Gegend abgesucht, in der Hoffnung, seinen Rucksack wiederzufinden oder zumindest die beiden Sticks. Vergeblich. „Wie schaffst du es, dass du so gepflegt aussiehst?“, frage ich. Er lacht. „Ist nicht einfach“. Manchmal braucht er einen halben Tag um einen Ort zu finden, an dem er sich waschen kann. „Diese Stadt macht es Obdachlosen nicht leicht“, sagt er. Viele öffentliche Toiletten wurden geschlossen, Parks und die Subway werden nachts zugemacht. Bänke haben jetzt Trennbalken – damit sich die Obdachlosen auch tagsüber nicht mehr hinlegen können. Alles, was er besitzt, hat er immer dabei in zwei großen Tüten. Früher konnte er die auch mal einschließen, aber jetzt nicht mehr. Öffentliche Schließfächer gibt es kaum noch, aus Sicherheitsgründen. Aber Frank glaubt, nicht nur deshalb. „Auch wegen uns. Sie wollen uns hier nicht.“ Seine letzte Adresse war eine noble. 5th Avenue, Ecke 50th Street. Auf den Stufen von St. Patrick’s Cathedral hat Frank geschlafen – etwas geschützt vor Regen und Wind. „Früher hab ich mir immer die Obdachlosen angesehen, wie sie in Kartons liegen und dachte – was für ein Quatsch“. Als er sich selbst zum ersten Mal selbst in einen Karton legt, wußte er- kein Quatsch. Warm ist es. Aber mit diesem Schlafplatz ist es nun auch vorbei. Der Pfarrer will keine Obdachlosen mehr vor seiner schönen Kirche. Frank muss weiterziehen. Wohin, das weiß er noch nicht. Eines Tages, sagt er, will er wieder schreiben – über sein Leben als Obdachloser in New York.
Daniel Pokraka, BR, Berlin
Gespaltene Gesellschaft, jede/r in seiner/ihrer Filterblase – ja, klar, hatte ich gehört, ist auch in Deutschland zum Teil schon so. Aber wie bedenklich die Lage in den USA wirklich ist, das hatte ich nicht gedacht, und es ist ein bisschen schade, dass die Diagnose „tief gespaltene Gesellschaft“ die inhaltliche Quintessenz von drei großartigen Wochen im RIAS-Herbstprogramm ist.
Zu merken war es fast jeden Tag, und teilweise wird es erst in der Nachbetrachtung so richtig deutlich: die politischen Lager, die ihnen Nahestehenden und ihre potenziellen Wähler misstrauen einander, beschimpfen einander, warnen voreinander, teilweise bis hin zur Verachtung.
Dabei sind Wahlkampfauftritte, Plakate, Fernseh- und Radiospots fast noch das Harmloseste. Zwar klingt es für deutsche Ohren befremdlich, wenn man auf der Fahrt durch Kalifornien einen Countrysender hört, auf dem man alle halbe Stunde per Wahlwerbespot davon unterrichtet wird, dass die zur Wahl stehende Kandidatin der Demokraten mit Vorliebe Steuergelder verschleudere und mit Absicht kriminelle Ausländer ins Land hole. Allerdings dürften dieser scharfe Ton und die Überspitzung so gerade noch als traditioneller amerikanischer Wahlkampf durchgehen. So hatten uns in New York und Washington auch Wahlkämpfer der Demokraten erklärt, dass man sich traditionell und selbstverständlich großflächig der Strategie des „negative campaigning“ bediene. Zu sehen war das auch bei der Gouverneurswahl in Oregon: Über das Programm der Gouverneurskandidaten Brown und Buehler wurde man eher vom jeweiligen Gegner informiert entsprechend kritisch.
Das allein wäre allerdings noch nicht das entscheidende Indiz für die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft. Wahlkampf eben.
Eindrücklich waren in dieser Hinsicht zum Beispiel die Gespräche in und um Washington und New York mit demokratischen und republikanischen Politikern, bzw. deren Mitarbeitern und Wahlkämpfern. Die ideologische Spaltung, das Gegeneinander innerhalb der Gesellschaft, war bei diesen Treffen immer Thema – aber fast nie wurde eine Strategie, oft nicht einmal der Willen, deutlich, diese Spaltung zu überwinden. So bleib nach dem Gespräch mit einem ehemaligen Kongressabgeordneten der Republikaner der Eindruck, die Bereitschaft, andere Ansichten als die eigenen für bedenkenswert zu halten, fehle völlig. Die Treffen mit Vertretern der Demokraten – Mitarbeiter von Abgeordneten, Wahlkämpfer – hinterließen den Eindruck, die Niederlage bei der Präsidentenwahl 2016 sei kaum aufgearbeitet. Ein Eingeständnis des Offensichtlichen etwa, einen großen, womöglich wachsenden, Teil seiner potenziellen Wählerschaft nicht (mehr) zu verstehen, ist mir jedenfalls nicht erinnerlich.
Was unsere journalistischen Gesprächspartner betrifft, so waren diese sicher mehrheitlich mindestens republikanerkritisch und eher den Demokraten zugeneigt. Einen journalistisch-distanzierten Hehl aus ihrer Überzeugung – und ihrer Abneigung, bis hin zu Scham – gegen Präsident Trump machten viele nicht. Das war ich Washington und New York so, und vor allem auch im als linksliberal bekannten Portland. Dazu kommen die Geschichten mehrerer Journalisten-Kollegen, die von Rissen berichten, die mitten durch die Familien gehen – „bei Tisch besser nicht über Politik reden“. Diskussionskultur im Trump-Amerika.
Eine ernüchternde RIAS-Bilanz? Keineswegs! Vor der Reise hatte ich mir erhofft, einen Einblick zu kommen, wie polarisiert die amerikanische Gesellschaft wirklich ist. Schwierig genug, wenn man drei Wochen „nur“ an der Ost- und der Westküste verbringt. Aber meine RIAS-Zeit hat das geleistet: Einblicke in die Medienlandschaft, ins politische System, in die Gesellschaft. Interessante Gesprächspartner, tolle Kollegen und eine großartige Organisation. Und: viele (vermeintlich) unpolitische Begegnungen; Gespräche mit Taxifahrern, Kneipengästen, Supermarkt-Kassierern und Diner-Bedienungen. Die zwar in manchen Fällen auch die gesellschaftliche Spaltung verkörpern – die aber mit all ihrem Einsatz, ihrer Leidenschaft und ihrer Herzenswärme auch Hoffnung machen. Darauf, dass die übergroße Mehrheit der Gesellschaft wieder zueinander findet.
Martin Richter, Phoenix, Bonn
Gänsehaut – die ganze Situation wirkt auf mich so unwirklich, dass ich mich erstmal fassungslos und mit deutlich spürbarer Gänsehaut in der Halle des Mabee Center in Tulsa, Oklahoma umsehe. Gut 2000 Menschen sprechen dem Pastor auf der Bühne nach und danken Gott, dass er ihnen Donald Trump als Präsidenten der Vereinigten Staaten gesandt hat. Ich bin wirklich sprachlos.
Im Vorfeld der Midterms 2018 ist US-Vizepräsident Mike Pence zu einem Wahlkampftermin im Herbst nach Tulsa, Oklahoma gekommen, wo ich im Rahmen des RIAS Programms meine Medienstation bei einem örtlichen TV-Sender absolviere. Doch bevor Pence sich an die Menge seiner republikanischen Anhänger wendet, findet im gläubigen Oklahoma zunächst ein Gottesdienst statt.
Einer von vielen Momenten, die mir als besondere Erinnerung an eine Reise bleiben, die im besten Sinne spannend und bereichernd für mein persönliches und journalistisches Leben war.
Dank RIAS durfte ich drei Wochen lang das gesellschaftliche und politische Leben in den USA im Herbst 2018 erleben und ich bekam Einblicke, die weit über den Blickwinkel eines Journalisten hinausgingen. In einer Gruppe von 15 Kollegen und Kolleginnen aus Radio, TV, Nachrichtenagenturen und Online hatten wir die Gelegenheit, uns in zahlreichen Gesprächen mit Politikern, Parteien, Umfrageinstituten und Interessengruppen in Washington und New York ein umfassendes Bild über die US-Politik und den Wahlkampf unmittelbar vor den Midterms zu machen.
KC Schillhahn und Erik Kirschbaum hatten ein spannendes und anspruchsvolles Programm zusammengestellt, dass uns mit Journalisten u.a. von NPR, CNN, WNBC und New York Times zusammenbrachte. Aktuelle Themen standen bei den Diskussionen im Vordergund: die Situation vor den Midterms, der Fall Kavanaugh, der Mord an dem Journalisten Khashoggi, der politische Zustand in Washington, das angespannte Verhältnis von Republikanern und Demokraten im Kongress. Aber auch die unterschiedliche journalistische Arbeit der Kollegen in den USA konnte von uns unmittelbar betrachtet und im direkten Austausch diskutiert werden.
Wir durften ausführlich hinter die Kulissen der Medieninstitutionen blicken (im wahrsten Sinn des Wortes), fanden viele Gemeinsamkeiten was die Herangehensweise von Themen angeht, aber auch viele kontroverse Diskussionspunkte. Donald Trump spaltet mit seiner Politik wie kein Präsident zuvor die US-Gesellschaft und diesen Riss zeigten uns auch sehr deutlich die Begegnungen während des RIAS Programms. Kaum ein Termin, an dem nicht über die gesellschaftlichen und politisch polarisierenden Auswirkungen oder über das getrübte transatlantische Verhältnis angeregt diskutiert wurde. Ob ein Ex-Politiker wie der Republikaner Charlie Dent, der das raue politische Klima in Washington deutlich ansprach oder die Vertreter der deutschen Botschaft in Washington, die sich zur aktuellen Lage und zum komplizierten Umgang mit der US-Regierung unter Trump äußerten – das RIAS Programm sorgte für Einblicke und Treffen, die prägend waren.
Vor allem aber bleiben für mich die Begegnungen abseits des offiziellen Programms von nachhaltiger Erinnerung. Das Kochen für Obdachlose in der St.James Church in New York unter Bob Jamieson, die persönlichen Gespräche mit diesen Menschen nach dem gemeinsamen Essen waren für mich in jeder Hinsicht sehr besonders und hinterließen einen tiefen Eindruck.
Nach zwei Wochen intensiven Erfahrungen an der Ostküste trennte sich unsere RIAS-Gruppe. Jeder Teilnehmer durfte bei einem anderen Medienunternehmen in den USA hospitieren. Ich durfte bei dem lokalen TV-Sender KJRH2 in Tulsa, Oklahoma den Kollegen bei ihrer täglichen Arbeit über die Schulter schauen. Beeindruckend, wie die ReporterInnen ihre Termine und Themen in den Konferenzen selbst vorstellten, diese nicht nur im analogen Programm, sondern in allen digitalen Medien gleichzeitig und in verschiedenen Versionen verbreiteten. Auch in Oklahoma, durch und durch Trump Country, waren die bevorstehenden Midterms das beherrschende Thema. Ob tagsüber in der Redaktion oder abends beim Feiern auf dem 40. Oktoberfest – der Austausch mit Amerikanern über ihr Land und die Politik blieb immer spannend. Anfangs war ich noch skeptisch, ob eine Medienstation im Mittleren Westen wirklich so aufregend ist – im Nachhinein waren diese Tage sehr hilfreich, um die Menschen in den sogenannten „flyover“ Staaten besser zu verstehen.
Die Zwischenwahlen in den USA waren natürlich DAS beherrschende Thema unserer RIAS Reise im Herbst 2018. Kann es einen spannenderen Zeitpunkt für einen solchen Austausch geben? Wohl kaum. Für meinen Sender phoenix durfte ich im Anschluss an das RIAS Programm in einer einwöchigen Reportertour quer durch die USA reisen. Von Kalifornien aus führte mich die Reise über Arizona und Texas nach Pennsylvania und schließlich zur Wahlnacht Anfang November wieder zurück nach Washington DC, wo meine USA Reise mit RIAS Wochen zuvor begann. Dank der Termine und der Begegnungen während des RIAS Programms in Washington DC konnte ich Interviews mit Abgeordneten und Experten zu den Midterms unmittelbar und aktuell in meine Arbeit mit einfließen lassen. Ein unschätzbarer Zugewinn!
Das RIAS Netzwerk der Alumnis in den USA und in Deutschland half und hilft mir, für mein privates und berufliches Leben Kontakte zu knüpfen, die noch weit über die Zeit im Herbst 2018 Bestand haben werden. Herzlichen Dank also für die Möglichkeit, am RIAS Herbstprogramm teilnehmen zu dürfen!
Peter Schubert, MDR, Leipzig
„I think we should cover the elections in Bavaria.“ Montagfrüh 8:30 Uhr in Boston. Etwa zwanzig Journalisten sitzen um einen großen Tisch. Redaktionskonferenz bei „The World“. Die Chefin vom Dienst steht vor einer Tafel. Sie hat mit Kreide die Themen des Tages darauf geschrieben. Es soll um die Entführung eines Journalisten in der Türkei gehen, um eine Betonkugel in der Arktis – und um die Wahl in Bayern. „What could be an angle for us?“ Sie blickt in meine Richtung. Ich bin verwirrt. Bayern in Boston? Wirklich jetzt? Es ist mein erster Tag in der Redaktion. Vor gerade einmal zehn Minuten bin ich angekommen.
Nur wenige Tage zuvor in New York. Wir, die deutschen Journalisten des RIAS-Programms, besuchen die Creme de la Creme des amerikanischen Medienbetriebs. Wir sind zu Gast in den Studios des landesweiten Fernsehsenders NBC. Wir reden bei der New York Times mit Michael Barbaro über seinen Erfolgspodcast „The Daily“. Wir sind bei Vice in Brooklyn und erfahren welche Erzählansätze die Journalisten dort für Ihre Dokus suchen. Jeder Termin ist spannend. Aber jeder Termin dreht sich letztlich um den Fixstern USA. Um Donald Trump, die bevorstehenden Midterm-Elections und die Kavanaugh-Debatte. Sobald die Rede auf deutsche Politik kommt, ist die Antwort bei allen gleich. Den amerikanischen Zuschauer würden internationale Nachrichten kaum interessieren. So gern sie berichten würden, aber sie müssten an ihr Publikum denken.
Trotzdem sind die deutsch-amerikanischen Beziehungen das Grundrauschen der Reise. Viel ist passiert in den zwei Jahren der Präsidentschaft Trumps. Selbst Instanzen wie die NATO scheinen inzwischen infrage zu stehen. Die Berichterstattung über den US-Präsidenten ist in Deutschland ausufernd. Kaum eine Nachrichtensendung, die ohne Neuigkeiten aus dem Weißen Haus auskommt. Über Deutschland wird in den USA dagegen kaum berichtet. Im Washingtoner Pew-Research-Institute erfahren wir, dass eine Mehrheit der Deutschen die Beziehungen zwischen beiden Ländern mittlerweile skeptisch sieht. Ganz im Gegensatz zu den Amerikanern. Die sind nach wie vor positiv gegenüber Germany eingestellt. Resultat der unterschiedlichen Medienaufmerksamkeit?
Hier in Boston gibt man sich jedenfalls Mühe, auch vom anderen Ende des Atlantiks zu erzählen. The World ist eine Radiosendung, die explizit über internationale Themen berichten soll. Das Programm wird vom Bostoner Sender WGBH produziert. Er ist Teil des öffentlichen Rundfunks. Die Show wird in die gesamte USA ausgestrahlt. Mit Erfolg. Drei Millionen Menschen erreicht sie pro Woche.
Die Journalisten hier sind außergewöhnlich international, kommen aus Mexiko oder Russland, verbringen ihre Ferien in Laos, interessieren sich für Europa und die Meinung des deutschen Gastes. In den nächsten Tagen werden wir über Sprachkurse in Rom und russische Kultur in Israel reden. Ich lese für die Morgensitzung deutsche und französische Zeitungen und hoffe, dass ich Themen beisteuern kann, die die Redaktion noch nicht kennt.
Und die Bayernwahl? Ich arbeite gleich am ersten Tag mit einer Kollegin an einem „Five-Minute-Package“. Der Ansatz ist schnell klar: Die CSU hat mit einer widersprüchlichen und teils populistischen Rhetorik verloren. Die Grünen haben mit einer klaren flüchtlingsfreundlichen Position gewonnen. So hat es am Morgen auch schon die BBC gemeldet.
Aber was hat das eigentlich mit Angela Merkel zu tun? Wie genau ist die Verknüpfung zwischen CDU und CSU? Und wer könnte diese Zusammenhänge in einem kurzen Interview klar machen? Mir wird bewusst, selbst dem eher gebildeten Hörer von „The World“ fehlt viel Vorwissen, das nur in Deutschland selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Vielleicht kann diese Hintergründe am besten ein amerikanischer Journalist erläutern, der in Deutschland lebt? Es ist Mittag in Boston. Noch drei Stunden bis zur Live-Sendung…
Miriam Steimer, ZDF,Mainz
station week FOX 29 San Antonio, Texas
„Das ganze Land redet über die Grenze“, sagt Yami und verdreht die Augen. „Dabei wissen die meisten überhaupt nichts über die Grenze. Wir hier sind es, die direkt dran leben.“ Meine Gastgeberin während der station week des RIAS-Stipendiums arbeitet in San Antonio (Texas) für den TV-Sender FOX 29. Es vergeht keine Woche, in der sie nicht über Themen berichtet, die mit dieser Grenznähe zusammenhängen: über Drogen- und Waffenschmuggel, die Ausbeutung von Arbeitnehmern ohne offiziellen Aufenthaltsstatus oder das Geschäft von Schlepperbanden.
„Ich glaube nicht, dass eine Mauer die Probleme wirklich lösen kann“, sagt Andrew beim Abendessen. Aber er hält Donald Trump zu Gute, dass er das Problem wenigstens wahrnimmt und angeht. Er ist beruflich in San Antonio, eigentlich wohnt er vier Stunden weiter südlich: Das Land seiner Ranch reicht bis zur Grenze. Seine Sitznachbarin schüttelt den Kopf: „Was soll so ein Zaun schon ändern? Das ist doch völlig unrealistisch.“ Während des Essens erzählt Andrew von Menschen, die er auf seinem Grundstück aufgegriffen hat: orientierungslos, am Verdursten, von Schleppern misshandelt und ausgesetzt. Andrew hofft, dass ein Zaun an der Grenze diese Menschen vor einem solchen Schicksal bewahrt – oder zumindest, dass er ihnen dann nicht mehr auf seinem Grundstück begegnet. „Aber mit wem rede ich? Ihr in Deutschland kennt Euch ja aus mit Zäunen“, sagt er. Zäune, Flüchtlingspolitik, Trump, Merkel, Drogen. Es wird ein langer Abend in San Antonio.
Das Gespräch ist besonders spannend, weil ich in den vergangenen 14 Tagen jede Menge Gesprächsmunition gesammelt habe: Bei vielen spannenden Terminen während der RIAS-Wochen in Washington und New York – bei Treffen mit Politikern beider Parteien, Gesprächen mit Amerikanern über ihre Alltagsprobleme, mit amerikanischen RIAS-Stipendiaten, Zivilorganisationen und Forschungsinstituten. Außerdem durfte ich bei CNN, FOX, NBC, NPR, NYT oder VICE hinter die Kulissen schauen. Mit den spannenden Einblicken, die mir das RIAS-Programm ermöglicht hat, bin ich bestens gewappnet, um wenige Tage später von Deutschland aus die midterm elections zu verfolgen.
Christopher Wittich, n-tv, Köln
RIAS-Community, eine nachhaltige Lebenserfahrung.
Es war an einem Freitag, ich saß im Zug auf der Strecke von Frankfurt am Main nach Köln. An der Bahnstation Frankfurt Flughafen stieg ein Gast zu. Er hatte den Platz neben mir reserviert. Wir kamen ins Gespräch.
Sein Name war Alex, er kam aus Houston, Texas. Nach kürzester Aufwärmzeit waren wir direkt im Fragenaustausch. Ich: Was denkst du über Beto O’Rouke? Er: Wie steht es um die Europäische Union? Ich: Wird Donald Trump wiedergewählt? Er: Was kommt nach Merkel?
Nach diesen Fragen begann ein intensiver Austausch über die gesellschaftliche Situation in den USA. Er war sehr erstaunt, wie gut ich informiert war. Ich konnte ihm von der Rias-Reise berichten, die einen entscheidenden Einfluss auf meine Kenntnisse hat.
Drei intensive Wochen, kurz vor den ersten Mid-Term-Elections von Donald Trump, 2018 haben dieser Unterhaltung mehr Tiefe gegeben. Natürlich war und bin ich als Journalist grundsätzlich über die Situation in den vereinigten Staaten informiert, aber diese Reise hat den Horizont spürbar erweitert.
Die Unterhaltung mit dem ehemaligen republikanischen Kongressabgeordneten Charlie Dent aus Pennsylvania war dafür ein wichtiger Aspekt. Dieser Termin sticht für mich in besonderer Weise heraus.
Dent hatte vor dem Besuch den Kongress verlassen und wurde Lobbyist. Dadurch war er in dem, was er berichten konnte und vor allen Dingen wie deutlich er es formulieren konnte, völlig frei. Seine Ansichten waren in Bezug auf Klimapolitik und Wahlkampf gleichermaßen aufschlussreich und natürlich für europäische Ohren durchaus verwunderlich. Diese Unterhaltung machte für mich den Unterschied. Mir wurde klar, warum ein Trump möglich war und Teile des Landes ihn in dem Maße unterstützen.
Nicht minder interessant, aber rein von den Standpunkten näher an der europäischen Union waren die Termine mit den Demokraten. Dass wir Wahlkampf in den USA ganz dicht erleben konnten, war eine herausragende Möglichkeit, die uns mit der Reise ermöglicht wurde. Sowohl der Besuch in den zwei Wahlkampfbüros als auch die Gespräche mit den Wahlkämpfern selbst haben mich nachhaltig beeindruckt.
Die Abwechslung in der Auswahl der Gesprächspartner ist deswegen großartig gewesen. Weil man das, was man von politischen Akteuren erfahren hatte, direkt beim Besuch des PEW-Research-Centers mit statistischen Erhebungen einordnen und auf den Wahrheitsgehalt prüfen konnte. Die Sicht der Forscher half in entscheidender Weise dabei, sich ein Gesamt-Bild machen zu können.
Diese politischen Termine wurden ergänzt durch die New-York Woche, die im Zeichen der Berichterstattung stand.
Viele Termine mit hochrangigen US-Journalisten in namhaften Medienhäusern, vermittelten ein Bild vom aktuellen Zustand der publizistischen Arbeit in den Vereinigten Staaten.
Die New-York-Times besuchen und dort mit den Podcast-Produzenten von „The Daily“ reden zu können, brachte einen Einblick in moderne Erzählformen in einer der bedeutendsten Zeitungsredaktionen der Welt. Ein nachhaltig beeindruckender Moment der Reise.
Für mich als Journalist des deutschen Nachrichtenfernsehens war es natürlich ein großer Moment, eine Führung durch die New Yorker Redaktion von CNN zu bekommen. Es war in meinem Fall die Einstimmung auf meine Station Week. Denn wenige Tage nach der Führung hatte ich die Möglichkeit, zu lernen wie CNN arbeitet. Welche Unterschiede zwischen den verschiedenen Ausspielwegen (Domestic, International) bestehen. Zwei Tage dort ganz dicht am Produktionsgeschehen gewesen sein zu können und sowohl Abläufe als auch Entscheidungswege zu verstehen, war sehr hilfreich.
Abschließend sei noch ein besonderer Moment erwähnt, der auf den ersten Blick bei einer Journalistenreise gar nicht als solcher gesehen werden könnte. Wir haben als Gruppe bei der Zubereitung eines Mittagsmenues für Bedürftige geholfen. Während der Essens-Ausgabe war Zeit, mit den Menschen zu reden.
Wir haben in der St. James Church bei Bob Jamieson Menschen kennenlernen dürfen, die mich nachhaltig beeindruckt haben. Sie haben mit allem, was sie gesagt haben, demonstriert, dass Sie an den amerikanischen Traum glauben. Trotz Trump, mit dem meine Gesprächspartner unzufrieden waren und trotz ihrer Situation.
Man läuft so schnell Gefahr, sich ein einfaches Bild einer Nation zu machen, bei der der Präsident so stark im weltweiten medialen Fokus steht. Doch diese Reise machte deutlich, dass die Vereinigten Staaten mehr Facetten haben, als die einfach anmutenden Positionen ihres 45. Präsidenten.
Vielen Dank, dass ich an dieser Reise teilnehmen durfte und ich zu einem Alumni des RIAS-Netzwerks werden konnte.