2014

DUKE UNIVERSITY MEDIA FELLOWSHIPS PROGRAMM 2014

Vierwöchiger Studienaufenthalt am DeWitt Wallace Center for Communications and Journalism, Duke University, Durham, North Carolina und ein Besuch in Washington D.C. und in New York City. 17. März – 11. April 2014 / 6. – 31. Oktober 2014

Im Mittelpunkt des März/April-Programms stand wie stets im Frühjahr das renommierte “Fullframe Festival“ mit Dokumentarfilmen aus aller Welt.


 


TEILNEHMERBERICHTE

Michael Stang, Deutschlandfunk, Köln

Vier Wochen lang Media Fellow an der Duke University in North Carolina, mit Zugang zu allen Veranstaltungen und Ressourcen, das klingt auch in fachfremden Ohren nach einem Highlight. Und nun, nach Ende dieses Programms kann ich dies auch empirisch bestätigen: es war nicht nur eine „teilnehmende Beobachtung“ nach Bronislaw Malinowski, sondern eine facettenreiche Erfahrung, die ich aktiv mitgestalten durfte.

Der für mich wichtigste Faktor dieser Reise war Zeit. Ich hatte Zeit, ich konnte mir diese nehmen, um zu lernen, zu erfahren, zu verstehen, zu begreifen und in Ruhe zu recherchieren, etwas, was gerade als Freiberufler nur sehr selten meinen Arbeitsalltag bestimmt. Ich bin Wissenschaftsjournalist und arbeite hauptsächlich für das Deutschlandradio und den ARD-Hörfunk. In der Regel sind Interviews von einem gewissen Zeitdruck geprägt. Hat man das Interview „im Kasten“, ist man gedanklich schon beim nächsten Arbeitsschritt, der Verwertung des geführten Gesprächs, auch wenn es die Chance auf einen Kaffee, einen Besuch des Archivs, des Labors oder das Kennenlernen weiterer Forscher gibt.

Das Leben und Arbeiten an der Sanford School of Public Policy an der Duke University erlaubte mir, aus meinem effizienten Arbeitsalltag auszubrechen. Ich hatte mir neben dem offiziellen Programm viele Termine mit Wissenschaftlern organisiert, einige Institute und Labore besucht, wie etwa das Duke Lemur Center, ich sprach mit wissenschaftlichen Assistenten, Labormitarbeitern und Studenten.

Dabei hatte ich nicht nur die Gelegenheit, die Interviews an sich zu führen, also über aktuelle und zukünftige Projekte zu sprechen, über abgeschlossene und laufende Studien und deren Ergebnisse zu diskutieren, sondern auch über Dinge, die den Arbeitsalltag an einer Universität ebenso bestimmen und für das Gesamtbild genauso wichtig sind.

Als ich Christine Drea im Institut für Evolutionäre Anthropologie traf, sprachen wir zunächst über ihre Langzeit-Forschung an Lemuren, vor allem über das Phänomen der Kindstötung bei diesen Primaten. Anschließend erzählte sie mir, dass die Universität sie ausschließlich für die Lehre bezahlt, nicht jedoch für die Forschung, zudem nur neun Monate lang, denn Semesterferien werden an der Duke University hinsichtlich der Lehre als eine Art Betriebsferien angesehen. Kurz darauf gesellte sich ihre Mitarbeitern Lydia Greene zu uns. Mit ihr sprach ich zunächst über ihr Projekt “Love is in the air“, bei dem sie das „chemische Duett“ bei Lemuren untersucht — ein Phänomen, bei dem sich erfolgreiche Elternpaare in ihren chemischen Duftstoffen nach und nach synchronisieren (Mein Beitrag im DLF dazu). Nach diesem Interview kamen wir wieder auf Finanzierungspraktiken zu sprechen, dass sie nur über Drittmittel bei Christine Drea angestellt ist, nicht jedoch bei der privaten Duke Universität, die für ihre Studierenden Jahresgebühren von mehr als US$ 60.000 erhebt.

Ich traf auch den Infektionsbiologen Charles Nunn, den ich bereits ein paar Monate zuvor bei den Göttinger Freilandtagen kennengelernt hatte. Wir nahmen beide die Gelegenheit wahr, seine Arbeitsweise und die Möglichkeiten der Forschung an seiner heutigen Arbeitsstelle in Durham mit denen vorheriger Positionen an der Harvard University, der University of California in Berkeley und Davis, dem Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University von Virginia zu diskutieren.

Aber nicht nur aktuelle Forschungsprojekte, die direkt an der Duke Universität laufen, standen im Fokus meiner Recherchen. Als ich den Paläoanthropologen Steven Churchill traf, unterhielten wir uns ausschließlich über seine Aktivitäten in Südafrika, allem voran über die Ausgrabungen der “Rising Star Expedition“. Ein Beitrag über das tagesaktuelle Projekt lief kurz darauf im Deutschlandfunk in der Sendung “Forschung aktuell“.

Ebenso wurde noch während meines Aufenthalts mein Beitrag über das Forschungsprojekt von Richard Kay gesendet, der es trotz Abwesenheit vieler wichtiger Fossilien aus der Frühzeit der Neuweltaffen in Südamerika schaffte, deren Besiedlung und frühe Vielfalt zu rekonstruieren.

Bevor ich jedoch in den Genuss des Studierendenlebens in Durham kam, standen Reisen nach New York City und Washington, DC, auf dem Programm. In New York besuchte ich Mark Desire am Office of Chief Medical Examiner. Dort arbeitet er als stellvertretender Direktor in der Abteilung für forensische Biologie, wo er unter anderem die Trade Center DNA Identification Unit leitet. Auch nach mehr als zwölf Jahren seit den Terroranschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 suchen rund um die Uhr vier Experten nach identifizierbaren menschlichen Überresten, um den Tod zahlreicher Opfer zu bestätigen. Von den 2.753 Toten konnten die Forscher bislang 1.635 identifizieren. In New York hatte ich die Gelegenheit, mir die Labore und die Archive anzuschauen, zudem konnten wir ausführlich über neue Methoden der DNA-Identifizierung sprechen. Meine Reportage über das einzigartige Identifizierungsprojekt lief kurze Zeit später ebenfalls im Deutschlandfunk.

Die DNA-Identifizierung war auch Thema eines Besuchs in Washington, D.C. am Department of Forensic Sciences, das zum District of Columbia City Council gehört. Ich traf Direktor Max Houck, der ein international anerkannter Rechtsmediziner ist, und viele große Projekte geleitet hat. Wir sprachen über die neuen Möglichkeiten der DNA-Analyse, allem voran über das „Wollen-Können-Dürfen“ (Gerhard Vollmer). Aktuelle Einblicke in die dortige Forschung gewährte anschließend Christopher Maguire.

In Washington erfüllte ich mir einen lang gehegten Wunsch und besuchte das Smithsonian National Museum of Natural History, wo ich den Paläontologen Nick Peynson traf. Er berichtete unter anderem über seine Ausgrabungen in Chile, wo bei einem Straßenbau zahlreiche Fossilien großer Meeressäuger gefunden wurden, die auf mehrfache Wellen eines Massensterbens hindeuten. Anschließend führte er mich durch das riesige Fossilienarchiv des Museums.

Dies sollen nur einige Beispiele für Termine sein, die ich neben denen des offiziellen Programms als Media Fellow an Duke University wahrnehmen konnte. An der Sanford School of Public Policy dann hatte ich die Gelegenheit, meinen Kollegen aus Südafrika, Tunesien, den USA, Südkorea und China das Projekt HOSTWRITER vorzustellen. Bei diesem sozialen Netzwerk handelt es sich um ein gemeinnütziges Netzwerk von und für Journalisten, eine Kombination aus Recherchehilfe und Couchsurfing, alles nach dem Motto: find a story — find a colleague — find a couch. Über meine ehrenamtliche Tätigkeit als Botschafter für Deutschland und die USA gibt es mehr Informationen an dieser Stelle.

In den regelmäßigen “media challenges“ stellten meine Kollegen ihre tagtäglichen Herausforderungen in der Arbeit vor, neben dem Arbeitsalltag diskutierten wir Themen wie Korruption, den arabischen Frühling, Rassismus, Pressefreiheit, investigativer Journalismus, Wissenschaftsjournalismus, Netzwerke und Politik — nicht nur während dieser Sitzungen, sondern nahezu jeden Abend, oftmals stundenlang. Gerade dieser internationale Austausch war ein großer Gewinn für mich.

Die offiziellen Termine in NYC und Washington, D.C., etwa ein Besuch der NBC Studios, beim National Public Radio, Al Jazeera, Wall Street Journal, Facebook oder der New York Times ermöglichten Einblicke in den Wandel der Medienwelt und wie einzelne Medien damit umgehen beziehungsweise welche Strategien sie planen, um sich auf die neuen Zeiten einzustellen. Klar ist, dass die Zukunft nicht in Printprodukten liegt, aber wenn bei der New York Times trotz Krise noch immer 20 festangestellte Wissenschaftsjournalisten arbeiten, dann ist die Situation in den USA noch nicht so schlimm wie in anderen Ländern.

Die Wochenenden nutzen wir für ausgiebige Reisen. Wir fuhren an die Küste nach Wilmington oder in den Westen nach Asheville, um die „smoking mountains“ zu sehen, ebenso stand ein Besuch der Hauptstadt North Carolinas in Raleigh auf dem Programm. Dadurch konnten wir in den vier Wochen unseres Aufenthalts einen breiten Eindruck des Bundesstaates gewinnen. Das Full Frame Documentary Film Festival war ein weiteres Highlight. Die zahlreichen internationalen Dokumentarfilme machten einem erneut klar, wie privilegiert die meisten von uns Journalisten sind, die ein Leben in Freiheit und Frieden leben können.

In diesem Duke Media Fellow Programm habe ich viele neue Kollegen kennengelernt und auch einige neue Freunde gefunden. Zahlreiche Kontakte sind geknüpft und stellen hoffentlich erst den Anfang einer langen und intensiven Kooperation dar.

Ich danke Laurie Bley ganz herzlich für ihre Organisation, ihre Mühen und Hilfe. Ebenso danke ich der RIAS BERLIN KOMMISSION, die auch freien Journalisten ein solches Programm ermöglicht.

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Eva Schulz, SWR Baden-Baden, vydy TV München

Für mich bedeutete die Zusage zum Rias-Fellowship gleich doppeltes Glück: An der Duke University würde ich nicht nur meine journalistischen Interessen verfolgen können, sondern auch erste Einsichten gewinnen in das Feld der Globalisierungs- und Public Policy-Studien, in dem ich in den nächsten Jahren einen Master absolvieren möchte. Für beide Vorhaben — das journalistische wie das wissenschaftliche — hätte ich an keinem besseren Ort landen können als der Sanford School of Public Policy.

Was diese Schule von denen der anderen amerikanischen Spitzenuniversitäten unterscheidet, ist unter anderem das DeWitt Wallace Center for Media and Democracy, an das unser Programm angegliedert war. Eine Journalistenschule in einem Public Policy-Institut gibt es sonst nirgendwo — dabei ist das eine mehr als sinnvolle Kombination. Direktor Phil Bennett formulierte es uns gegenüber so: “journalism should reflect public policy, and policy makers should be aware of the role of the media as an important part of their framework.“ Ich war beeindruckt zu sehen, wie gut diese Verbindung funktioniert — zum Beispiel in Seminaren wie Michael Schoenfelds „Politics, Policy & Media“.

Die Duke University ist stark interdisziplinär geprägt. Von der engen Kooperation der Fakultäten, die noch dazu sehr offen für Neulinge und Neugierige sind, profitiert man gerade als Visiting Fellow, der nur drei Wochen vor Ort ist und in der kurzen Zeit möglichst viel sehen, lernen, mitbekommen möchte. So habe ich am einen Tag an einer Konferenz über israelische Start up- und Innovationskultur in der Business School teilgenommen und saß am anderen in einem Vortrag über religiöse Verfolgung und nationale Sicherheit in der Sanford School — einer Veranstaltung, die vom Duke Center for Christianity organisiert worden war… Ich habe daraus viele neue Erkenntnisse, aber auch viele neue Fragen mitgenommen. Besonders spannend war es, die amerikanische Perspektive auf einige globale Themen besser kennenzulernen.

Nicht nur in diesem Zusammenhang unterschieden sich die Amerikaner zum Teil unerwartet stark von mir als Deutscher und Europäerin. Spätestens nach unserer Ankunft in Durham hatte ich meine kleinen Kulturschockmomente. Zum Beispiel, wenn es um Distanzen ging: Die berühmten amerikanischen Weiten, die sich schon zwischen den Apartments, in denen wir Fellows untergebracht waren, und dem Campus oder dem nächsten Supermarkt erstreckten, waren tatsächlich nur mit einem Auto zu überwinden (zum Glück hatten wir eines). Zum Teil musste ich meine eigenen kulturellen Definitionen hinterfragen. Zum Beispiel, als ich mich gegenüber einer Studentin über die vielen Fast Food-Filialen auf dem Campus wunderte und sie entgegnete: „Aber wir haben doch auch Subway?!“

Mindestens ebenso spannend, überraschend und lehrreich war der interkulturelle Austausch unter den Media Fellows. Mit den Kollegen aus Südafrika, Tunesien, China, Südkorea und den USA trafen wir uns mehrfach zu sogenannten „Media Challenges“, um über die Herausforderungen zu diskutieren, die sich Medienmachern in den jeweiligen Ländern stellen. Diese Sessions haben mir eindrücklich vor Augen geführt, dass wir als Journalisten nicht nur über Globalisierung berichten, sondern ihren Auswirkungen auch selbst unterliegen. So stellte die Kollegin aus Johannesburg erstaunt fest, dass der Fernsehsender, für den sie arbeitet, größtenteils von Chinesen finanziert wird. Und musste im nächsten Moment der Revolutionsbloggerin aus Tunesien erklären, warum soziale Netzwerke in Südafrika noch nicht den gleichen Stellenwert haben wie im Nahen Osten. Ich hoffe sehr, dass die Freundschaften, die wir im Rahmen dieser Diskussionen, aber auch informellerer Anlässe wie unserer International Dinner Night geschlossen haben, noch lange bestehen bleiben.

Das gleiche gilt für die Kontakte, die im Zuge unserer Field Trips nach New York und Washington geknüpft wurden. Die Woche in den beiden Städten war vollgepackt mit Redaktionsbesuchen: Wir nahmen an der Seite 1-Konferenz der New York Times teil und standen kurz darauf im hoch modernen Crossmedia-Newsroom des Wall Street Journal. Beim Radiosender NPR schauten wir der Producerin von „All Things Considered“ während einer Live-Sendung über die Schulter, und im Watergate-Gebäude trafen wir den Atlantic-Redakteur David Graham zu einem spannenden Gespräch über die Zukunft der amerikanischen Medienlandschaft. Die meisten unserer Gesprächspartner waren Duke-Alumni, die es ganz offenbar überall hin verschlagen kann, ohne dass sie die Verbindung zu ihrer Alma Mater verlieren.

Die Universität schafft es aber auch, die spannenden Leute zu sich ins beschauliche Durham zu holen. Drei Wochen lang hatten wir fast täglich mehrere E-Mails von der Programmkoordinatorin Laurie Bley im Postfach, in denen sie uns auf interessante Veranstaltungen aufmerksam machte. So habe ich Bill Adair über das Erfolgsgeheimnis seines Start-ups „Politifact“ sprechen gehört, den Sprecher des republikanischen Senators Ted Cruz über die Arbeit auf dem „Hill“ und den CNN-Kommentator und früheren Berater von vier (!) amerikanischen Präsidenten, David Gergen, über Obamas Stärken und Schwächen und Hillary Clintons Chancen bei den nächsten Wahlen.

Angesichts so zahlreicher spannender Termine und Gelegenheiten kann man von der Duke-Blase leicht verschluckt werden. Zumal das „Harvard des Südens“ eine wunderschöne Blase ist, mit zutraulichen Eichhörnchen in blühenden Gärten, gotisch anmutenden Ziegelsteingebäuden und Studierenden aus aller Welt, die stolz den blau-weißen Duke Devil auf der Brust tragen. Das Leben in dieser Blase hat aber seinen Preis: Ein Studienjahr kostet hier 61 404 Dollar. (Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen eines U.S.-Amerikaners liegt bei 48.872 Dollar.) Und der Anteil der Duke-Studenten, die keine Stipendien oder anderweitige finanzielle Unterstützung erhalten, beträgt 53 Prozent.

Deshalb war ich froh, dass uns das Full Frame Festival in unserer dritten Woche Gelegenheit bot, ein wenig mehr Zeit in Downtown Durham zu verbringen und mit den Einwohnern in Kontakt zu kommen. Das international renommierte Dokumentarfilmfestival hat mir nicht nur wegen seines hervorragend kuratierten Programms gefallen, sondern auch, weil die Atmosphäre rund um das Carolina Theatre so überraschend familiär war. Bei Spaziergängen durch das Tobacco und Warehouse District stellte ich fest, dass das auf die ganze Stadt zutrifft. Es stimmt, was man über den Süden der USA hört: Hier herrschen ein anderer Takt, eine andere Freundlichkeit.

Diese durfte ich auch im Anschluss an meine Stipendienzeit noch erfahren, weil ich die Gelegenheit genutzt habe, um einen mehrwöchigen Roadtrip durch die Südstaaten zu unternehmen.

All das wäre ohne die RIAS Berlin Kommission nicht möglich gewesen. Ich bin sehr dankbar für die vielen neuen Eindrücke, Lehren und Fragen, die ich aus meiner Zeit in den USA mitnehme, und glaube schon jetzt zu wissen, dass sie mich und meine berufliche Laufbahn nachhaltig geprägt haben. Von Herzen vielen Dank dafür!


TEILNEHMERBERICHTE

Wolfgang Schiller, Deutschlandradio, Köln

Rechts neben dem Eingang der Sanford School for Public Policy steht ein blauer Zeitungscontainer. Solche Container gibt es mehrere auf dem Campus. Mit dem Studentenausweis kann man hier jeden Tag kostenlos die New York Times, USA Today, die Lokalzeitung oder die Campuszeitung The Chronicle herausnehmen. Aber das tut keiner. Die Studierenden hier lesen keine Zeitung mehr. Politik-Studenten der elitären Duke University.

Phil Bennet erzählt uns das, ein paar Tage nachdem wir hier angekommen sind. Wir die Media Fellows. Phil ist hier der Direktor des DeWitt Wallace Center for Media and Democracy. Das ist die Schule, an der unser Programm angesiedelt ist. Seine Studenten also — die seien schon noch ganz gut informiert. Aber sie fragten nicht mehr: woher kommt die Information? Was ist die Quelle? Kann man das wirklich glauben? Marken wie die New York Times, die Washington Post, CNN oder NPR — für heutige Studierende seien die irrelevant. Und manchmal hat man den Eindruck, dass das auch für Journalisten gilt, Vertreter dieser alten Marken. Erst recht, wenn sie aus dem Ausland kommen.

Vier Wochen sind wir hier zu Gast. Wir — das sind zwei Redakteure aus Deutschland und zwei aus Südafrika. Zu den Media Fellows zählen auch noch drei Chinesinnen und zwei Südkoreaner, die allerdings ein ganzes Jahr hier verbringen.

Phil Bennet ist kein Wissenschaftler. Er war einmal einer der einflussreichsten Journalisten des Landes. Managing Editor der Washington Post. Dann — beim Fernsehsender PBS — Managing Editor von Frontline, einer der wichtigsten investigativen Sendungen der USA. Jetzt ist er Professor an der Duke University. Die Universitäten sind reich. Sie hätten noch das Geld für besondere Projekte, das die Zeitungsverlage nicht mehr hätten, sagt er. Er verfolgt ein Computer Projekt, mit dem man große Mengen an Interviews für Oral History Projekte möglichst zeitsparend auswerten können soll.

Das Media Fellow Programm findet in diesem Jahr zwei Wochen früher statt als in vergangenen Jahren. Deshalb verpassen wir leider die midterm elections oder den Auftakt der Basketballsaison. Deshalb verpasse ich — und das ist besonders ärgerlich — einen Auftritt des Radiogenies Jad Abumrad in Durham um zwei Tage. Deshalb findet aber auch unser Field Trip nach New York und Washington an einem langen Wochenende zum sogenannten Fall Break statt. Das ist sinnvoll, weil an den vier Tagen an der Universität nichts läuft. Leider nutzen aber auch viele Kollegen in den Redaktionen von Washington und New York die Zeit für einen Kurzurlaub.

Vielleicht liegt es auch daran, dass unser Besuchsprogramm nicht so opulent ist, wie in vergangenen Programmen. Wir besuchen nicht das Pentagon oder das Weiße Haus. Wir besuchen keinen nationalen Fernsehsender, wir nehmen auch nicht an der Seite-1-Konferenz der New York Times oder irgendeiner anderen Redaktion teil. Wir erleben keine Fernseh- oder Radiosendung. Aber immerhin, wir sind bei der New York Times, wir sind beim New Republic, bei Facebook und bei einer Tagung der Journalistenschule der Columbia University. Da geht es dann einen Tag lang um Quellenschutz in Zeiten der totalen NSA-Überwachung. In Washington besuchen wir die Post, das National Public Radio und das Newseum. Ein Museum für Zeitungen und andere alte Medien.

Die Konferenz an der Journalistenschule der Columbia University ist vielleicht der bemerkenswerteste Termin des Ausflugs. Jahrelang waren Datenschutz, Verschlüsselung und sichere Kommunikation lästige Themen für Computernerds. Jetzt werden sie zu Überlebensfragen für Journalisten und ihre Quellen. Auf der Tagung schilderten mehrere Kolleginnen, wie Strafverfolgungsbehörden heute versuchen, Journalisten einzuschüchtern, oder sie zur Preisgabe ihrer Quellen zu zwingen. Sie erzählen, wie Email-Konten und Telefonanlagen überwacht werden, und dass sie regelrecht konspirativ vorgehen müssen, wenn sie Gesprächspartner selbst bei vergleichsweise harmlosen Geschichten kontaktieren wollen.

Die Frage, die die amerikanischen Journalisten aber vor allem umtreibt: Wie finde ich eigentlich noch Leser. Oder besser: Wie findet der Leser überhaupt noch meinen Text, meine Sendung, meine Inhalte. Nach einer aktuellen Studie beziehen 30 Prozent der U.S.-Amerikaner ihre Nachrichten inzwischen ausschließlich bei Facebook und anderen sozialen Netzwerken.

Es ist schon so: Was jahrzehntelang als sicher galt, gilt nicht mehr. Institutionen wie die Seite 1 lösen sich auf. Die Trennung zwischen Journalismus und PR verschwimmt. Soziale Medien verdrängen das Fernsehen und Homepages. Nicht nur kleine Zeitungen verlieren nach den Printanzeigen nun auch das Geschäft mit Online-Anzeigen. Und Journalisten, auch die besten, suchen neue Aufgaben. Auch weil es die alten für viele nicht mehr gibt. In der Woche vor unserem Besuch hat die New York Times weitere 100 Redakteure entlassen.

Welche Konsequenzen das hat, erklärt uns der Verbraucher- und Technikjournalist Bob Sullivan. Wir treffen ihn eine Woche nach unserem Fieldtrip. Bei Facebook, Twitter oder Google+ braucht man keinen Redakteur mehr, der gewichten würde, welche Meldung wichtiger ist als andere. „The great unbundling of journalism“ — So nennt das in diesen Tagen ein leitender Online-Redakteur der Washington Post. Bob Sullivan sagt: Es sind die Programmierer bei Facebook und Co, die künftig darüber entscheiden, ob ein Posting erfolgreich ist oder nicht. Sie bestimmten bald schon über Erfolg oder Misserfolg journalistischer Arbeit — von großen Medienhäusern genauso wie von kleinen Blogs.

Wir haben Facebook in der New Yorker Niederlassung besucht. Ein Konferenzraum ist für uns old school Journalisten nicht frei. Tayler Clark, eine Duke Absolventin, führt uns durch das riesige Großraumbüro auf zwei Etagen mitten im chicen New Yorker East Village. Während wir am Tag vorher bei der New York Times an verwaisten Schreibtischen vorbeigegangen sind, die von den jüngsten Entlassungen erzählen, wartet bei Facebook noch eine halbe Etage auf viele junge Menschen, die demnächst eingestellt werden. Facebook hat in eineinhalb Jahren seine Mitarbeiterzahl verdoppelt. Es ist eine schöne neue Arbeitswelt, in der sie arbeiten werden: Viel Sperrholz, unverputzte Decken, Kabelschächte, Säulen. Tatsächlich hat man hier vor dem Einzug die vorhandene hochwertige Wand- und Deckenverkleidung herausgerissen. Stattdessen: Graffiti an den Wänden. Jeder Mitarbeiter darf sich hier kreativ austoben. Talyer zeigt uns auch den Probenraum für Musiker mit Verstärkern und Schlagzeug. An allen Ecken warten kleine Kaffeebars, Snacks, Getränke, Essen — oder auch Automaten mit Laptops, Tabletts oder Ladegeräten. Für Mitarbeiter umsonst. Keiner muss für diese Dinge mehr das Büro verlassen.

Tayler ist keine Journalistin. Sie verkauft Werbefläche an Procter and Gamble, einen der größten Kunden von Facebook. Und sie erzählt uns, warum sie dem Fernsehen zunehmend Werbebudgets abnimmt: Mit Facebook beschäftigen sich Internetnutzer länger als mit allen anderen Online-Angebote zusammen. Facebooks Geschäftsmodell ist eines der wenigen, das auch auf den Screens mobiler Geräte funktioniert. Und: Facebook weiß genauer als jede andere Firma, wer welche Anzeige sehen soll, wie viele die Anzeige gesehen haben, wer darauf geklickt hat, und auch — mit den entsprechenden Kreditkartendaten — wer nach der Werbeaktion das Produkt tatsächlich gekauft hat. Ein Traum für Werber und Verkäufer.

Bei der New York Times vertrauen Lydia Polgreen, Auslandsredakteurin, und Laura Chang, die das Datenjournalismusportal „The Upshot“ betreut, weiter auf die Qualität ihrer Zeitung. Auch die jungen Politikstudenten von Herrn Bennet würden noch Texte der Times lesen, selbst wenn sie die nicht mehr bewusst suchen würden. Die gedruckte Zeitung ist inzwischen nur noch ein Ausschnitt der Artikel, die online erscheinen. Exklusive Texte werden Tage vor dem Druck online gestellt. Die Paywall ist sehr durchlässig. Leserzahlen sind wichtiger. Und selbst die New York Times verkauft inzwischen redaktionellen Platz auf ihrer Online Seite als sogenanntes „native advertising“ — Artikel erscheinen im Layout der Zeitung, aber mit dem kleinen Hinweis im Autorenfeld, dass der Text von SAP oder Pfizer stammt. Wir zwei Deutschen schütteln ungläubig den Kopf, aber unsere Kollegin von der südafrikanischen Wochenzeitung meint, auch bei ihnen gehe es gar nicht mehr anders. Niemand lese mehr online Anzeigen.

Viele amerikanische Medienhäuser sind inzwischen zu Liebhaberobjekten von Menschen geworden, die ihr Geld im Silicon Valley oder an der Börse verdient haben. Zum Beispiel die Washington Post. Die leitende Auslandsredakteurin Karin Bruliard erzählt, wie sehr sich die Stimmung verändert hat, seit Amazon-Boss Jeff Bezos das Blatt gekauft hat. Viele neue junge Mitarbeiter seien eingestellt worden. Es herrsche Aufbruchsstimmung. Auf die Frage aber, wie kritisch die Post die jüngste Auseinandersetzung zwischen Verlagen und Amazon kommentieren könne, gibt sie nur eine ausweichende Antwort: Sie sei sicher, dass die Kollegen im Kulturressort sich professionell mit dem Thema auseinander setzen würden. Aber sie könne leider nicht für die Kollegen sprechen.

Bob Sullivan glaubt, die Zeit der Massenmedien ist vorbei. Er versucht es auch nicht mehr mit dem großen Sponsor, sondern mit vielen kleinen. Er hat in den 90er Jahren den Fernsehsender MSNBC mit aufgebaut. Vor ein paar Jahren hat er sich dann selbständig gemacht. Heute vertreibt er einen Newsletter, für den Leute bezahlen, er schreibt für ein paar zahlungskräftige Auftraggeber. Er schreibt Bücher. Seine Strategie: Suche nicht mehr die Masse, sondern baue eine Beziehung zu Deinen Nutzern auf. Bilde ein Netzwerk, das dich ganz persönlich unterstützt. Und finde die 1000 Menschen, die bereit sind, jedes Jahr 100 Dollar für Deine Arbeit zu bezahlen.

Es ist eine Situation, mit der das nicht-kommerzielle Radio in den USA schon seit Jahren lebt. NPR erhält staatliche Mittel, die die Kosten des Programms bei weitem nicht decken. Also müssen die gut 900 regionalen und lokalen Mitgliedsstationen bei ihren Hörern um Spenden werben, damit sie den nationalen Dienst mit Nachrichten und Sendungen bezahlen können. Werbung ist ihnen nicht erlaubt. Das Modell scheint zu funktionieren. Gerade hat NPR ein chices neues Gebäude in Washington bezogen.

Eine Nische, die offenbar auch sehr gut funktioniert, ist regionales Nachrichtenfernsehen. WRAL in Raleigh produziert drei Nachrichtensendungen am Tag. Der Sender erreicht nur einen Teil von North Carolina. In diesem Markt aber ist er die Nummer 1. Tyler Dukes ist dort Datenjournalist und er zeigt uns, wie man allein aus dem Zusammentragen von staatlichen Daten Geschichten macht. Das ist auch deshalb möglich, weil in North Carolina so gut wie jedes Dokument, das irgendwie auf Kosten des Steuerzahlers entstanden ist, von jedem eingesehen werden kann. Ganz gleich ob Arbeitsvertrag eines Schuldirektors oder die Browser History eines Stadtratsabgeordneten.

In der letzten Woche unserer Zeit in Duke ist auch noch Andrew Phelbs zu Gast. Er hat den Innovation Report der New York Times mitverfasst. Ein Dokument, das die Schwächen der Times, mit der Online-Entwicklung Schritt zu halten, schonungslos offenlegt. Ursprünglich ein internes Dokument, das im Mai dieses Jahres geleakt wurde und inzwischen als eines der wegweisenden Dokumente in der Medienbranche gilt. Die wichtigste Erkenntnis: Der Leser kommt nicht mehr von sich. Man muss sein Publikum entwickeln. Das neue Schlagwort heißt: audience development. Die Times stellt dafür neue Redakteure ein, auch leitende. Sein Tipp für die anwesenden Studenten: Wer heute Journalist werden will, sollte am besten auch Computerscience studieren.

Die Duke University hat viele großartige Institute, aber vor allem eines hat mich besonders interessiert: Das Center for Documentary Studies. Viele erfolgreiche Produzenten, Filmemacher und Autoren unterrichten hier. Wegen des Fieldtrips und diverser anderer Pflichttermine komme ich leider erst in der dritten Woche dazu, den ersten Kurs am CDS zu besuchen. In der Einführungsveranstaltung Traditions in Documentary Studies bespricht Katherine Hyde das überwältigende Buch „Let Us Now Praise Famous Men“ von James Agee and Walker Evans. Eine detaillierte, engagierte Reportage über verarmte weiße Farmer in den amerikanischen Südstaaten währen der großen Depression in den 30er Jahren. Es gilt als wegweisend für die Entwicklung des späteren new journalism.

Der Direktor des Audio Programms am CDS, John Biewen, hat vor wenigen Jahren das Buch Reality Radio herausgegeben. Für mich eines der wichtigsten Radiobücher überhaupt. Das Gespräch mit ihm ist eines der interessantesten in meiner Zeit in Duke. Ich unterhalte mich mit ihm über aktuelle Trends und Produktionsbedingungen im amerikanischen documentary radio. Und lerne: Entweder man macht etwas so groß wie möglich oder man lässt es. Wenn Sendungen wie Radiolab oder This American Live so großartig sind, wie sie sind, dann liegt es auch daran, dass sie in der Lage sind, Mittel aufzutreiben, die erheblich über den Budgets liegen, mit denen deutsche Radioredaktionen im allgemeinen zurechtkommen müssen.

Ich habe viel Zeit mit den anderen Media-Fellows verbracht. Andrew und Mmanaledi aus Südafrika berichten von ökonomischen Schwierigkeiten, von dem Problem, mit den zwölf Landessprachen umzugehen, und von Versuchen der Politik, die Freiheit der Berichterstattung einzuschränken. Meng vom chinesischen Staatsfernsehen stellt einen privaten Literaturkritiker vor, der im Netz enorm erfolgreich ist, und jetzt jede Menge Geld mit Merchandising verdient. Und Soon Young vom südkoreanischen staatlichen Rundfunk berichtet von Trends im dortigen Jugendradio. Schade, dass diesmal keine amerikanischen Kollegen in der Gruppe waren.

Lohnenswert ist unser Wochenendausflug auf die Outer Banks, wo die Gebrüder Wright in Kill Devil Hills ihre berühmten Flugversuche unternommen haben. Außerdem der Tagesausflug nach Chappel Hill auf den Campus der benachbarten staatlichen University of North Carolina. Ein Spektakel ist auch die State Fair — ein Oktoberfest mit zentraler Landwirtschaftsausstellung: Wir bestaunen prämierte Zuchtrinder und Riesenkürbisse. Es gibt gegrillte Truthahnkeulen und frittierte Gummibären. Das ist aber zum Glück nicht repräsentativ für die Küche in North Carolina. Im Gegenteil: Man kann hier hervorragend essen. Nicht nur Burger. Aber die auch. Jeder zweite Laden setzt auf „local“ und „organic“. Und dazu gibt es würziges Craftbier von der Brauerei um die Ecke. Hörenswert sind die Chorvespern und das Orchesterkonzert in der „Chapel“ genannten Hauptkirche auf dem West Campus. Erholsam sind die Nachmittage im riesigen botanischen Garten.

Die Apartments in „The Forrest“ sind düster und ein bisschen abgewohnt. Das Türschloss ist so ausgeleiert, dass man kaum noch zusperren kann. Wir lassen es austauschen. Geputzt ist nur oberflächlich. Unter dem Bett finde ich ein Hustenbonbon und eine halbleere Wasserflasche. Die Südafrikaner nebenan haben weniger Glück. Die Kollegin findet unter ihrem Bett halbleere Keksschachteln und sonstigen Unrat. Das Internet ist mal für zwei Tage komplett weg. Ungünstig, wenn man für den nächsten Tag eine Präsentation vorbereiten soll. Die Kabelgesellschaft hat das Übertragungsverfahren umgestellt, ohne die neue Technik dafür rechtzeitig zu installieren.

Die Apartments liegen im Wald. Geschäfte oder Cafés gibt es nicht in der Nähe. Ohne Auto kommt man hier nicht weg. Wir teilen uns in der ersten Woche zu viert ein Auto. In der zweiten bekommen wir noch eines dazu. Auf dem Campus gibt es ein paar Fahrräder. Die sind ok, um auf an der Uni mal schnell von A nach B zu kommen. Für die lange und hügelige Strecke zum Apartment taugen sie nichts: Sie haben kein Licht, kein Schutzblech, und ihre Rahmen sind für einen großen Mann wie mich zu klein.

Die vier Wochen in North Carolina sind viel zu schnell vergangen. Danken möchte ich Laurie Bley und Dan Thomas für die engagierte Planung und Betreuung in der Zeit. Es war meine erste Reise in die USA. Es ist ein sehr facettenreiches Bild dabei entstanden.

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Rainer Traube, Deutsche Welle TV, Berlin

Ein amerikanischer Herbst — Notizen zu einem Media Fellowship an der Duke

1. Prolog mit Hund

Lorelei schnuppert an meinem Ohr und presst ihre Schnauze leicht gegen meine Schulter. Verstehe: Einladung zum Streicheln. Die Schäferhündin, ist meine erster Kontakt auf dem Campus. Ein Dutzend Therapiehunde hat sich an diesem warmen Herbstmorgen auf dem Rasen vor der Chapel versammelt und erwartet mit professioneller Geduld Getätschel und Umarmungen tierlieber Passanten. Dog Lovers. Mit dem Hundepicknick sammeln Studenten Geld für ein Duke-Projekt zur Begleitung von Krebspatienten. Die Mediziner studieren gleich nebenan, ihre Fakultät mit dem riesigen Krankenhauskomplex hat Weltruf. Völlig zu Recht, finde ich, dankbar für das nette Warming up.

2. A Field Trip

„Wir alle sind auf dieser langwierigen Reise ins Unbekannte.“ Philip Bennett, der Direktor des DeWitt Wallace Centers for Media and Democracy an der Duke kommt bei der Begrüßung der Media Fellows gleich auf den Punkt: eine Branche ist auf der Suche nach ihrer Zukunft, oder sagen wir es ganz deutlich, nach Überlebensmodellen. Bennett war lange einer der führenden Köpfe der Washington Post und weiß, dass sich alles an der Frage entscheidet, “wo kriegen wir das Geld wieder rein, das wir gerade verlieren?“ WIR, damit meint er vor allem die großen alten Institutionen des Journalismus. Wenn wir Antworten finden wollen, müssen wir also nach Washington und New York.

Dreihundert Meter hoch erhebt sich der New York Times Tower über die Stadt, eine transparente Säule aus Glas und Stahl, Keramik und Aluminium. In einer der Redaktionsetagen, auf halbem Weg zwischen Midtown Manhattan und dem Himmel, hat die Zeitung ihren zahlreichen Pulitzer-Preisträgern eine Ehrenwand eingerichtet, gerahmte Erinnerung an ein Jahrhundert konstanter journalistischer Spitzenleistung. Aber die digitale Medienwelt lässt sich nicht mehr einrahmen. “Wir brauchen viel mehr online-User, um den Verlust der Printleser zu kompensieren,“ sagt Lydia Polgreen, stellvertretende Chefin des International Desk der NYT. Es klingt wie ein Echo auf Philip Bennett. Lydia erzählt, wie sie als Afrika- und Asienkorrespondentin die Bedeutung der sozialen Medien entdeckte. Zu einer Zeit, als man im Mutterhaus in New York beim Thema Twitter noch abwinkte. „Wir Journalisten müssen uns in Zukunft unser eigene Leserbasis aufbauen, anders geht es nicht.“ Inzwischen spielt die NYT eine Vorreiterrolle beim Digital Turn der Printmedien, der inoffizielle „Innovation Report“ wurde in der Branche zum Weckruf für alle, die sich von den Wahrheiten der alten Medienwelt noch nicht verabschiedet haben.

Ein paar Blocks weiter südlich zerbricht sich auch Greg Veis den Kopf darüber, wie er ein Traditionsblatt ins 21. Jahrhundert rettet: The New Republican ist ein Politik- und Kulturmagazin, linksliberal, meinungsstark, investigativ, Sprungbrett für viele U.S.-.-Journalistenkarrieren. Das kleine Redaktionsteam des Republican ist deutlich jünger als seine Leser und weiß, dass die Zukunft vom digitalen Auftritt abhängen wird. „Es muss uns gelingen, da einen eigenen Ton, eine eigene Stimmung zu finden. Wie ein DJ, der eine gute Party bespielt.“

Unser Field Trip erweist sich als Reise durch eine Landschaft im Umbruch. Die alten Institutionen sind erschüttert, ihre einst traditionssatte Selbstgewissheit wird abgelöst von der jetzt-sind-wir-dran-Chuzpe der „digital natives“ wie BuzzFeed, die nur Zukunft kennen. Ausgerechnet das Vermögen, das Jeff Bezos im digitalen Markt mit Amazon gemacht hat, soll jetzt die große alte Washington Post nach Jahren des Niedergangs retten. Hundert neue Mitarbeiter finanziert der Tycoon aus Kalifornien der Post. Karin Brulliard vom International Desk bestätigt uns, dass die Mannschaft endlich wieder nach vorn blickt. Aber auch ihr ist klar, dass das klassische Anzeigengeschäft wegbricht, die Verluste wachsen und keiner dafür eine Lösung hat.

Über dreissig Prozent der Erwachsenen in den USA finden ihre Nachrichten inzwischen über Facebook. Im New Yorker Büro der Plattform zeigt man uns diese Wand, die alle Mitarbeiter gemeinsam gestalten (Write Something!). Eine schöne Metapher: Der Einzelne verschmilzt im Gekritzel des großen gemeinsamen Graffitis. Es ist der exakte Gegenentwurf zu den einsamen Pulitzer-Helden in ihren Rahmen hoch oben im Tower der Times.

3. Foodie Town

»Das ist ungerecht, und es stimmt einfach nicht«. Laurie Bley lässt meine pauschal hingeworfenen Bemerkungen über amerikanischen Essgewohnheiten (Fast Food, Fleisch, Fritteusen) so nicht stehen. Als Programmleiterin des Duke Media Fellowships versteht sie nicht nur etwas von Journalismus und Politik, sie ist auch absolut stilsicher, wenn es um Lebensart geht. Und Recht hat sie — die Wahrheit ist viel bunter als meine Vorurteile.

Das Magazin Southern Living hat Durham 2013 zur „Tastiest Town“ des amerikanischen Südens gekürt, selbst die New York Times hat über das kleine kulinarische Wunder in der einstigen Tabakstadt berichtet. Das fängt schon auf dem Duke-Campus mit seinen sechs Restaurants an, darunter ein fabelhafter chinesischer Imbiss. Die Honigshrimps mit gerösteten Walnüssen haben das Zeug zum Lieblingsgericht: Szechuan trifft Südstaaten. Im Supermarkt am Rand der Stadt entdecken wir korbweise wunderliche Wurzelgemüse aus der Latino-Küche, im Wholefood-Market an der Broad Street Vitrinen mit Biokäse von Herstellern aus der Region. Zweimal in der Woche bringen die ihre Produkte direkt zum Farmers Market. Gemüse und Fleisch aus der Region sind gefragt — und Zeichen eines Strukturwandels: Auf jahrelang brachliegenden Tabakfeldern wachsen heute Fenchel, Artischocken und Salat, auch nachhaltige Viehzucht hat ihren Nischenplatz. Unter dem Motto „Farm to Fork“ verpflichten sich Restaurants, mindestens 20 Prozent ihrer Produkte von regionalen Anbietern zu beziehen. Slow Food in North Carolina.

Nach der Arbeit trifft sich Durham zwischen den renovierten Ziegelbauten der legendären American Tobacco Company. Das Quartier im Schatten des hundertjährigen Wasserturms mit dem markanten Lucky Strike-Logo wurde mit privatem Geld wiederbelebt. Zigaretten glimmen heute nirgends mehr, dafür fließt in Tylers Taproom reichlich Brown Ale und Stout. Mikrobrauereien sind angesagt und die Fans ziehen dann noch gern ein paar Strassen weiter zur Bull City Brewery, um den Abend mit einem leichten Bryant Bridge Gateway Golden Ale zu beenden, oder bei einem Fullsteam im Geer Street Garden, unserem Lieblingsrestaurant.

Schon klar: wir befinden uns auf hier in Foodie Town, auf einer Insel akademischen Wohlstands und studentischer Boheme. Zusammen mit der Kapitale Raleigh und der entspannten Universitätsstadt Chapel Hill bildet Durham das Forschungs-„Triangle“, bevorzugter Standort für Forschung und Bildung. Erst, wer das Dreieck wieder verlässt, kehrt schnell zurück ins architektonische Einerlei aus Malls und Parkplätzen, wo eine Armada von Logos ihre Verheißungen anpreist: Taco! Fried Chicken! Burger!

4. Wonderland

Duke? North Carolina? Durham? Klingt alles exotisch in den Ohren deutscher Kollegen. Princeton und Harvard natürlich, Yale, die Ivy-League. Dann Columbia, Stanford, kennt man. Nur Duke irgendwie nicht. Eine Leerstelle bei deutschen Journalisten. Dabei liegt die Universität im nationalen U.S.-Ranking gleich nach den genannten auf Platz 8, in der Weltrangliste unter den ersten zwanzig. Was unterscheidet Duke? Was ist der Spirit dieser Universität, vier Busstunden von Washington entfernt, im Norden des amerikanischen Südens, auf halbem Weg zwischen den endlosen Sandstränden der Outer Banks und den waldreichen Bergen der Appalachen?

Wer nach der Duke-Kultur sucht, muss erwähnen, dass die rund 15.000 Studenten mehrheitlich weisse Amerikaner sind, viele aus wohlhabenden Familien (für die die Studiengebühren von bis zu 60.000 Dollar kein Hindernis sind), viele aus dem amerikanischen Süden. Eine traditionell weisse Eliteschmiede — auch wenn sich das allmählich ändert. Und auch das gehört ins Bild: Jedem zweiten Studenten hier ermöglicht ein Stipendium die prestigeträchtige Ausbildung.

Es genügt jedenfalls nicht, Tom Wolfe zu lesen. In seinem Roman „I Am Charlotte Simmons,“ zeichnet der Starautor ein sarkastisches Bild von Studenten an U.S.-Elitecolleges (nicht nur Duke hat Pate gestanden). Eine Welt höherer Söhne und Töchter, die nach Status, Geld, Sport und schnellem Sex gieren, von Geistesbildung ist kaum die Rede. In einer aktuellen Ausgabe des Chronicle, der von Studenten gemachten Campus-Tageszeitung, widerspricht Duke-Studentin Katie Becker dem ewigen Gerede über die angebliche ausufernde „hookup culture“ und verweist auf eine Studie, nach der sich 76 Prozent der Duke-Studenten eine romantische Beziehung wünschen. Die von den Medien ausgeschlachtete „Unmoral“ habe schlicht und einfach nichts mit der Studentenwirklichkeit gemein.

Reden wir lieber von handfesten Tatsachen: Sport! Dass der für die Duke Kultstatus hat, ist unübersehbar. Die „Blue Devils“ der Duke mischen seit langem vorne mit in den nationalen College-Wettbewerben, vor allem beim Basketball. Was an U.S.-Universitäten als klassisches Ideal zur Förderung des Gemeinschaftsgeists begann, ist heute ein Milliardengeschäft — mit riesigem Fanpotenzial. Die „Blue Devils“ der Duke sind Stars, Imageträger und ganzer Stolz der Institution. Wer richtig dazugehören will, sollte hier mitreden können. Ich habe immerhin guten Willen gezeigt und im Fanshop T-Shirt, Bleistifte und Schlüsselanhänger mit Devils-Motiv gekauft. Aber das qualifiziert vermutlich nicht für den Inner Circle.

Sport. Dann der erwähnte Medizincampus mit seinen 2000 Mitarbeitern. Und ein Dutzend sehr renommierter Fachinstitute wie die Sanford School of Public Policy — eine Definition für die Duke-Kultur ist das freilich nicht, bestenfalls Einzelstücke eines Puzzles.

Zusammengehalten werden alle diese Teile vom Ort selbst: dieser grandiosen akademischen Idealstadt — „Gothic Wonderland“ — zwischen gepflegten Wäldern, Parks und Golfplätzen. Klösterlich-romantisches Mittelalter mit Erkern, Zinnen und Giebeln prägt den Haupt-Campus, strenger Klassizismus das Ostareal. Die Hommage an die großen englischen Vorbilder Oxford und Cambridge funktioniert. Am überzeugendsten gelingt sie in der eleganten Chapel, einem Meisterstück amerikanischer Baukunst der 30er Jahre. Hier, so haben es seine Erbauer wohl geplant, sollte das Herz der Duke schlagen. Und gaben der Universität das passende Motto: „Eruditio et Religio,“ Wissen und Glauben. Wer also etwas vom Geist der Duke spüren will, muss seinen Spaziergang über den Campus im Schatten des Turms beginnen.

5. Epilog mit Zeitung

Eine der vielen Annehmlichkeiten, die wir einen Monat lang mit den Studenten der Duke teilen durften, ist das tägliche Freiexemplar der New York Times. Jeden Morgen habe ich mir sie aus einer blauen Box geholt und zum Frühstück oder Lunch gelesen. Irgendwann fiel mir beim Kampf mit dem für Europäer ungewohnten länglichen Format auf, dass ich stets weit und breit der einzige mit einer gedruckten Zeitung war; ALLE Studenten starrten auf ihre MacBooks, Tablets oder Smartphones. Nie habe ich mich älter gefühlt als in diesen Momenten. Der letzte Print-Leser, Last Man Standing.