USA-Redakteursprogramm 2017
SENIOR PROGRAMM IMMIGRATION & BORDER SECURITY
15. bis 21. Oktober 2017
Sechs deutsche Journalisten in Texas und New Mexico
Vladimir Balzer, Deutschlandradio, Berlin
Annette Betz, Bayerischer Rundfunk, München
Petra Gute, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin
Anja Heyde, Zweites Deutsches Fernsehen, Berlin
Alies Lindeboom, Freelance, Washington, DC
Ingo Zamperoni, ARD, Hamburg
Vladimir Balzer, Deutschlandradio, Berlin
Neue Einblicke
Mit fünf Kolleginnen und Kollegen auf Tour entlang einer empfindlichen Linie: Texas-Mexiko
Wer im Hubschrauber entlang des Rio Grande in Texas fliegt, sieht vor allem einen mäandernden Fluss durch karge Landschaft. Das Wasser grün-grau, die Flussufer vom Busch überwuchert, die Erde schlammig, immer wieder Sümpfe, die Gegend dünn besiedelt und, wenn überhaupt, einfache Landwirtschaft. Nein, der Rio Grande ist kein Fluss den man wegen seiner Naturschönheit besucht. Wir sind hier, um zu verstehen, was diese Grenze zwischen Texas und Mexiko in der Trump-Ära für Politik, Gesellschaft und den Alltag der Leute bedeutet.
Die RIAS-Kommission hat es möglich gemacht: wir fliegen hier also tatsächlich im Hubschrauber der Texanischen Sicherheitsbehörden über eine Hochsicherheits-Grenze, eine Grenze die im Wahlkampf von Donald Trump eine entscheidende Rolle gespielt hat, eine Grenze die eine Mauer bekommen soll. Eine Idee, von der der Präsident nicht abrückt, die aber hier „on the ground“, wie man immer so schön sagt, wenn man in den USA „ auf dem Boden der Tatsachen“ sagen will, also hier unten in McAllen, Texas, erstaunlicherweise keine größeren Regungen auslöst. Es ist eher so, dass man sie für unrealistisch hält. Zumal an einem so massiv mäandernden Fluss umgeben von Sümpfen.
Also konzentrieren sich Robert „Duke“ Bodisch – Amtschef der Homeland Security von Texas – und seine Leute auf die tägliche Arbeit: die Bekämpfung des Drogenschmuggels. Noch bevor die Hubschrauber abhoben, zeigten sie uns ganz offen die Details ihrer Arbeit, etwa Videos die die Gewaltbereitschaft der Drogengangs zeigen. „Sie sind zu allem fähig“, meint Bodisch später im Interview, „sie sind im Krieg.“ Und er sagt auch: von einer Mauer lassen die sich nicht aufhalten. Wenn überhaupt, dann sind es illegale Migranten für die Mauer ein echtes Hindernis werden könnte. Aber die sind im Vergleich zu den Drogenkartellen ein verschwindendes Problem.
Einer der Grenzpolizisten sagte mir später, als wir auf dem bewaffneten Speedboot den Rio Grande entlangrasten, den wir gerade noch von oben gesehen hatten: illegale Migranten suchen meistens nur ihr Glück: „Wir behandeln sie respektvoll“. Drogenbanden indes suchen das große Geld und bringen Menschen in Abhängigkeit, „die bekommen Probleme mit uns.“
Später auf der Reise, in El Paso, wird klar, wie stark die amerikanische und die mexikanische Seite entlang dieser Grenze voneinander abhängen, im Guten wie im Bösen. Umso länger ich hier bin, um so mehr bekomme ich den Eindruck: das Gute ist stärker. Stärker als viele, auch in Europa, glauben mögen. Dort, in El Paso, an der Grenze zur einst verrufenen mexikanischen Ciudad Juarez, treffen wir Menschen, die uns klar machen, dass wir die alten Klischees über die Grenze endgültig über Bord werfen sollten.
Gerade dort, in dieser Doppelstadt, wird klar, wie stark der Austausch zwischen der mexikanischen und der amerikanischen Seite ist. Nicht nur, dass beide Seiten wirtschaftlich voneinander profitieren, dass Juarez seine Kriminalitätrate massiv senken konnte. Täglich pendeln ausserdem tausende Menschen von hier nach da, zum studieren, zum arbeiten, um Freunde zu treffen, manchmal auch nur für eine gute Margherita.
Und wenn sie Glück haben, treffen sie Richterin Veronica Escobar, die Trumps Politik als Gefahr für ihre Kommune sieht, eine Politik von der sie denkt, dass sie jahrelange wirtschaftliche und politische Aufbauarbeit an der Grenze zunichte machen könnte.
Veronica Escobar versprüht eine Energie bei ihrer spontanen Rede, dass ich unwillkürlich denken muss: etwas von dieser politischen Power, von diesem Charisma, von dieser Kampfeslust stünde auch den deutschen Kompromisspolitikern gut. Bei den Midterm elections im November will sie jedenfalls als erste Latina aus Texas für die Demokraten ins Repräsentantenhaus einziehen. Wer weiß, wo wir den Namen Veronica Escobar in den nächsten Jahren noch hören werden.
Nur noch kurz rüber nach New Mexiko, den angrenzenden Bundesstaat. Dort will man sich angesichts des wirtschaftlich boomenden El Paso nicht geschlagen geben. Vor allem Jerry Pacheco will das nicht. Er managt in Las Cruces etwas sehr erfolgreich, was man in Deutschland vielleicht Gewerbegebiet nennen würde. Vorstellen muss man sich das aber als einen gigantischen, gut organisierten Industriecampus in der Wüste, der vor allem High-Tech-Unternehmen anzieht. Und der ganz bewusst an der mexikanischen Grenze gebaut wurde, um von den vielen Fabriken auf mexikanischer Seite zu profitieren, die die Endproduktion bewerkstelligen, den „Maquiladora“. Und von den Arbeitskräften, die täglich über die Grenze pendeln. Beide Seiten haben was davon, wie so oft in dieser Gegend.
Ich könnte jetzt noch über den Schreibtisch von George Bush aus dem Weißen Haus erzählen, an dem wir saßen und wunderbar alberne Fotos gemacht haben. Gut, es war nur der Nachbau seines Schreibtischs, aber immerhin. Oder ich erzähle von den riesigen Portionen in texanischen Restaurants, die sicher so groß waren, damit wir deutschen Journalisten nicht verhungern. Im Nachhinein denke ich: es war gut, dass wir so viel gegessen haben. Wir brauchten die Energie für aufregende, aufschlussreiche und sehr intensive sechs Tage auf einer Reise, die mir völlig neue Perspektiven eröffnet hat. Eine Reise mit einer tollen Truppe von sechs Journalistinnen und Journalisten. Und wunderbaren Menschen wie Hildegard Boucsein, Erik Kirschbaum und Ann Klaus. Ohne sie hätte ich beim Thema Grenze und Migration nur herumtheoritisert. Jetzt weiß ich worüber ich rede.
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Annette Betz, Bayerischer Rundfunk, München
Texas, 28 Grad, die Frisur sitzt schon lange nicht mehr …
wir donnern in einem Schnellboot der Marine Patrol auf dem Lower Rio Grande. Der Fluss bildet hier kurvenreich die Grenze zu Mexico. Deswegen ist das Schiff, ein „Phantom Jet Drive“, bewaffnet bis an die Zähne. Weniger zur Verteidigung, so hören wir, eher um ein Zeichen zu setzen, ein Signal in Richtung potentieller Drogenschmuggler und illegaler Grenzgänger.
Wir gehen an Land, machen uns mit Texas Rangers auf den Weg zur „trail observation“ im Hidalgo County. Die Truppe arbeitet sich schwitzend durchs Dickicht, keine besonderen Vorkommnisse heute, nur eine Kindersocke liegt im unwegsamen Gelände. Schlimme Vorstellung, dass sich Mütter mit Babies auf dem Arm hier durchkämpfen … wir haben schon mit uns selbst zu kämpfen!
Jose Rodriguez vom „Texas Department of Public Safety” begleitet uns an der Grenze, die hier im wahrsten Sinne des Wortes „fliessend“ verläuft. Wie sehen Felder, fruchtbares Land soweit das Auge reicht und einen Strom, der weite Bögen und Schleifen bildet. 2000 km schlängelt sich der Rio Grande durch ganz Texas bis zum Golf von Mexico. Hier soll eine überdimensionale Grenz-Mauer gebaut werden? Wie soll das funktionieren? Der Eingriff in die Natur und in die Rechte der Farmer wäre fatal.
Eindrücke wie diese blieben besonders hängen auf dieser intensiven Reise, angefüllt mit Flügen, Menschen und Terminen, die für einen Monat gereicht hätten … die wir aber in eine Woche packten!
Die Schlagzahl war enorm, der Schlafmangel wurde kompensiert mit Koffein und Themen, die den Puls hochjagten.
Wir sprachen mit Politikern und Professoren, mit Wissenschaftlern und Wirtschaftsexperten. Wir lernten Veronica Escobar kennen, eine Bezirks-Richterin, die jetzt für den Kongress kandidiert und sich enthusiastisch für ihren Wahlkampf verschuldet.
Fragen zu Grenzen, Flüchtlingen und Barrieren werden sowohl in Europa als auch im „Grenzland“ Texas kontrovers diskutiert. Wir haben liberale und weltoffene Menschen getroffen. Wir waren aber auch konfrontiert mit ultra-konservativen Ansichten, mit zornigen Aussagen und einer Waffenpolitik, die uns fassungslos machte.
Donald Trump ist „die Stimme dieses Zorns“, so hören wir. Der US-Präsident füttert seine Basis mit wirren tweets, er polarisiert, er spaltet das Land. „Trump makes noise we don´t need“, sagt Jerry Pacheco, der in New Mexico einen gigantischen Industrie-Park managt. Er fürchtet um den sozialen Frieden, vor allem aber um seine Geschäfte.
„The country stucks in neutral“ meint Jerry: nichts bewege sich, solange Trump das Freihandelsabkommen NAFTA attackiert. Ein Ausstieg würde den grenzüberschreitenden Handel zwischen den USA, Mexico und Canada ernsthaft bedrohen.
Jerry, Jose und Veronica : nur drei von vielen Begegnungen, die mich beeinflussten, die meine Sinne für Amerika schärften. Ich habe aus diesen Begegnungen neue Impulse und Energie gezogen für meine journalistische Arbeit!
Möglich machte das ein grossartiges Orga-Team : many thanks to Hildegard and Ann! Besten Dank an Erik und natürlich auch an die RIAS home-base in Berlin : great job, Lisa and Isabell!
On top : eine gut geölte cluster-group aus RIAS fellows, die sich auf Anhieb grossartig verstanden hat: howdy guys, keep the fire burning!
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Petra Gute, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Berlin
Don´t mess with Texas….
Texas ist so grün. Hat Seen (wenn auch meistens künstliche) Felder, Wälder – das ist schon die erste Überraschung, kurz nach der Ankunft in Houston, auf dem Weg im Kleinbus, souverän von Ann gefahren, wie immer diese ganze Reise hindurch, auf dem Weg zu unserer ersten Station zur Texas A&M University in College Station. Es wird eine Reise, auf der viele weitere Überraschungen und viele wunderbare Begegnungen auf uns warten, viele Vorurteile widerlegt werden, wir in einer einzigen Woche so unendlich viel sehen, erleben, kennenlernen und lernen dürfen, daß es sich hinterher anfühlen wird wie mindestens ein Monat, den wir in dieser einen Woche erlebt haben.
Das erste mal nach 17 Jahren wieder als RIAS Fellow unterwegs in den USA.
Damals, im Herbst 2000, außer in Washington DC und in New York auch bei KEZI news in Eugene/Oregon und an der Brigham Young University in Provo/Utah. Damals bei einer Wahl dabei gewesen, der zwischen Bush und Al Gore, die über Wochen nicht enden wollte. So vieles hat sich seitdem verändert.
Damals standen noch die Türme des World Trade Centers in New York. Gab es weder Facebook noch Twitter. Damals, im Jahr 2000, tauchte Donald Trump in einer Folge der „Simpsons“ auf, als US-Präsident, der das Land in den wirtschaftlichen Ruin reitet. Damals gab Trump seine Ambitionen, Präsident der USA zu werden, relativ schnell auf.
Heute, 17 Jahre später, ist Donald Trump tatsächlich Präsident, plant eine Mauer zu Mexiko hochzuziehen und präsentiert kurz vor unserem Abflug in die USA öffentlich die Prototypen seiner Grenzmauer zu Mexiko, die auf exakt 3142 Kilometern die US-Grenze gegen illegale Einwanderer abschotten soll. Hier wird die amerikanische Identität verteidigt, hier suchen sie die Freiheit, hier sterben sie – aber hier wird auch jede Menge Handel, Wirtschaft, Austausch betrieben. 1 Million Menschen passieren täglich diese Grenze an 66 Grenzübergängen.
Diese Grenze, diese geplante Mauer und die damit einhergehenden Probleme, wirtschaftlichen Möglich- und Unmöglichkeiten, und die vielen menschlichen Schicksale, die mit ihr verknüpft sind, werden wir auf unserer Reise in vielen Facetten immer wieder sehen und kennenlernen – und immer mehr feststellen, dass es keine einfache Lösung, keine einfachen Antworten zu diesem Thema, zu dieser Problematik gibt.
Und das ist das so raffinierte und kluge an diesem RIAS-Programm, merke ich erneut, nach 17 Jahren: dass wir als Journalisten eben so unendlich viele unterschiedliche Perspektiven dazu kennenlernen dürfen – aus politischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, Grenzsicherungs- und ganz oft einfach auch „nur“ aus rein menschlicher Sicht.
Ich bin mit RIAS diesmal zum ersten mal in meinem Leben in Texas und New Mexiko, unsere Reise wird uns in dieser Woche durch ein Gebiet führen, das fast so groß ist wie halb Europa – und es wird eine Reise sein, die wir alle nie vergessen werden.
400 Worte reichen bei weitem nicht, all die Höhepunkte zu beschreiben – vielleicht daher nur einige wenige Punkte, die mich besonders beeindruckt haben:
- die Bedeutung des typisch texanischen Wortes „Howdy“ und die Diskussionen am ersten Tag an der Texas A&M University, bei der wir noch so gerne länger Fragen über Europa und die USA gehört und versucht hätten, sie zu beantworten, weil uns immer mehr klar wurde, wie ähnlich vieles ist – die gleichen Mechanismen, die zunehmende Polarisation durch die Medien, vor allem auch durch die sozialen Medien, das ständige Ringen, welcher Politiker, welches Thema die größtmögliche Aufmerksamkeit generieren kann, der zunehmende Hass, das Misstrauen der Menschen, der Wähler, der politischen „Elite“ und uns Journalisten gegenüber…Wir werden in dieser Woche auch weiter sehr viel unter uns als Gruppe über unseren Beruf, unsere Verunsicherungen und unsere Verantwortung als Journalisten reden. Überhaupt werden der Austausch und die Gespräche mit amerikanischen Journalisten (und oft auch ehemaligen RIAS Fellows) vor Ort immer wieder unendlich bereichernd sein.
- Der Humor des 41. Präsidenten der Vereinigten Staaten George Herbert Walker Bush Senior und seiner Frau Barbara, besonders zu spüren in der ihm so liebevoll huldigenden „George W. Bush Presidential Library“, in der wir noch so gerne länger geblieben wären.
- Das grandiose „Indian Butter chicken“ mit dem selbstgemachten Tandoori Masala und das selbstgebackene Naan, das unsere wunderbare „Cicerone“ Ann Klaus und ihr genauso wunderbarer Mann Adam uns an unserem ersten Abend in Texas in ihrem traumhaft schönen Haus am See für uns kochten, mit all den guten Gesprächen am Tisch, ein Abend, der uns sofort in Texas liebevoll Willkommen fühlen ließ.
- Natürlich unsere aufregenden Grenzpatrouillen mit Robert „Duke“ Bodisch, seinen Kollegen vom Texas Department of Public Safety, der Homeland Security und den Texas Rangers per Hubschrauber, MG-bewehrten Patrouillen-Boot und, am eindrücklichsten, zu Fuß entlang des Rio Grande auf den Schmugglerpfaden, auf denen Drogen geschmuggelt werden. Und Menschen.
Hitze, Moskitos, undurchdringliches Gebüsch.
Für uns bedeutet es nur ein, zwei gute Stunden am Vormittag ein großes Abenteuer. Für andere Menschen, die dafür ihr Leben aufs Spiel setzen, um über diesen Fluss und diese Grenze zu kommen, bedeutet es alles. Bis zu 9000 Dollar müssen die illegalen Einwanderer an die Schlepperkartelle zahlen. Ein einzelner, verlorener Kinderschuh, den wir auf dem Weg finden, setzt einen ganzen Film im Kopf frei. Wir, in unserer sicheren Existenz aus unseren sicheren, reichen Heimatländern, am helllichten Tag, mit ausreichend Wasser, so gut beschützt von unzähligen Uniformierten mit Maschinengewehren wie noch nie zuvor in unserem Leben. Und dieses Kind? Seine Eltern? Nachts, in Todesangst, über diese Wurzeln stolpernd? Alles riskierend für den „Amerikanischen Traum“? Haben sie es geschafft?
- Bis zu 2 Millionen illegale Flüchtlinge gibt es in Texas – bei einer Einwohnerzahl von 28 Millionen. Unser Hubschrauberpilot Jorge Rodriguez ist der erste „legale“ Amerikaner seiner ganzen Familie. Seine Mutter stammt aus Mexiko City. Drei mal versuchte sein Vater, illegal über die Grenze zu kommen, über den Fluss zu schwimmen. Seit 5 Jahren fliegt Jorge Rodriguez jetzt mit seinem Hubschrauber Grenzpatrouille, aus der Luft sieht er die Unfälle mit den mit Menschen vollgepackten Trucks. Menschen, die alles versuchen, über diese Grenze zu kommen, die einfach nur die Hoffnung haben, diesen amerikanischen Traum zu leben. Er sieht die vielen Toten, die vielen jungen Männer in seinem Alter, die sie selben Träume hatten, die er auch hat: auf ein Leben, eine Familie in Sicherheit. 239 Tote registrierten die Vereinten Nationen in den ersten Monaten dieses Jahres an der amerikanisch-texanischen Grenze, 7000 Menschen starben dort in den letzten 10 Jahren. Jetzt schützt Jorge Rodriguez diese Grenze zwischen Mexiko und den USA, die so schwierig zu überwachen ist. Entlang des mäandernden Rio Grande fliegend wissen wir erstmal oft nicht – wo ist jetzt hüben, wo drüben? Wir sehen aus der Luft Betonsockel, rostbraune Zäune, ein Drittel der Grenze ist schon durch diese Zäune gesichert, allerdings nicht durchgehend, jetzt will Trump die Lücken schließen, wir sehen unzählige Border Control Autos, Checkpoints, kamerabewehrte Heißluftballons, immer mehr setzen sie auf moderne Technologie, was das alles kosten muss… Und da will Trump jetzt eine Mauer bauen? Wo Land enteignet werden, Menschen umgesiedelt werden müssten?
Wir aus Berlin, die mit einer Mauer gelebt haben, wir in dieser RIAS Fellow-Gruppe, in der zwei außerordentlich nette Kollegen aus der ehemaligen DDR kommen, Journalisten-Kollegen, die wir vermutlich nie kennengelernt hätten, wenn diese Mauer nicht gefallen wäre, wir wissen nicht so recht umzugehen mit dieser Mauer, die Mexiko und die USA, aber auch Menschen und Familien teilen wird.
-Verstärkt wird dieses mulmige Gefühl durch Norma Torrez Mendoza, eine junge Frau, die Anja und ich auf unserem Flug von Mc Allen nach Dallas in Reihe 7 kennenlernen. Als achtjährige wurde Norma von Menschenschmugglern über die Grenze von Mexiko nach Texas gebracht, gemeinsam mit ihrer Mutter, in einer Kiste versteckt auf einem Pick-up-Truck, eine sehr enge Kiste, in der es nur ein paar Löcher zum Atmen gab. Norma studierte in Harvard und arbeitet jetzt für eine Organisation, die „IDEA Public Schools“ heißt, sie organisiert Stipendien, damit Kinder mit einem mexiko-hispanischem Hintergrund, vor allem „illegale“ Kinder, aufs College und zur Uni gehen können. Viele dieser jungen Menschen, die, wie sie einst, illegal in die USA kamen und jetzt als sogenannte „Dreamer“ studieren, haben Angst, daß sie ab März 2018, wenn DACA ausläuft, in ihre Heimatländer deportiert werden. Norma lebt mittlerweile legal in den USA, aber nicht etwa, weil sie so gut in der Uni war, sich immer weitergebildet und es bis nach Harvard geschafft hat, sondern nur, weil sie einen Amerikaner geheiratet hat. Normas Mutter ist immer noch als illegal in Houston. Norma glaubt, dass Trump gewonnen hat, weil er den vielen weißen „middleclass“-Leuten, die sich abgehängt fühlten, die ihre Jobs verloren haben, das Gefühl gegeben hat, daß er sie versteht, daß er sich ihrer annimmt. Doch statt das Geld in die Bildung zu investieren, damit diese Leute, die ihre Jobs verloren haben, sich weiterbilden können, damit sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, will Trump das Geld lieber in diese Mauer stecken, bei der schon eine Meile 5 Millionen Dollar kosten soll. Norma sagt, diese Mauer wird nichts nützen. Menschen, die verzweifelt sind, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren, werden immer einen Weg finden, über die Grenze zu kommen. Norma ist auf dem Weg nach Washington DC um Lobbyarbeit zu machen, um mit Leuten aus dem Kongress zu reden, damit es eine Lösung geben könnte, wie es mit den „Dreamern“ weitergeht.
- El Paso. Schon wieder eine Stadt, die ich nur über Vorurteile und aus Filmen kenne, Grenzstadt zu Ciudad Juarez, einstige „Revolver-Hauptstadt“, größte Drogenhölle der Welt, in der sich die Kartelle blutigst bekämpfen, Spitzenplatz in der Verbrechensstatistik.
Und dann entpuppt sich El Paso als eine großartige Stadt, angeblich sogar eine der sichersten Städte der ganzen USA, mit einer wunderschönen, im exotisch-bhutanesischem Architektur-Stil erbauten Universität, mit Menschen, die tatsächlich über die breiten Bürgersteige zu Fuß laufen, was man in Amerika wirklich selten sieht, mit coolen Dachbars auf wunderbaren Art-Deco-Gebäuden und den besten Margaritas der Welt.
In El Paso treffen wir die mitreißende Politikerin Veronica Escobar, sie stammt bereits in dritter Generation aus El Paso und hat, der Name sagt es schon, wie so viele hier einen Hispano-Hintergrund. Veronica war lange Bezirksrichterin von El Paso, hat gegen die Korruption gekämpft und versucht, El Paso zu einer lebenswerten Stadt aufzubauen, jetzt bewirbt sie sich für die Demokraten um einen Sitz im Kongress – als erste Frau überhaupt aus El Paso. Eine so hochgradig authentische und überzeugende Politikerin, daß wir sofort, könnten wir es nur, für Veronica Escobar stimmen und in ihren Fanclub eintreten würden.
In El Paso bekommen wir einen Eindruck davon, wie eine absolut binationale Stadt aussieht: gemeinsam mit ihrer Schwesterstadt Ciudad Juarez, die als am schnellsten wachsende Stadt Mexikos gilt, bildet sie eine 3-Millionen-Metropole, in der die Menschen und die Wirtschaft eng verzahnt sind, in der man den Aufbruch förmlich spürt.
Mit Mario Porras verbringen wir den Abend in El Paso, laufen den Grenzzaun entlang, er zeigt uns die Stadt.
Ein paar Tage nach unserem Abflug wird wieder der binationale El-Paso-10 Kilometer-Lauf, statt finden, den Mario organisiert, ein Lauf über die Grenzbrücken und über die Grenze, ein Lauf, der symbolisch die USA und Mexiko verbindet. Es könnte so einfach sein, das Miteinander, in El Paso – wäre diese Grenze nicht.
- Einen tiefen Einblick in das Leben in der Grenzregion bekommen wir auch durch Jerry Pacheco, ein Industrie-Projektentwickler, der uns genauso überzeugend die Verzahnung der amerikanischer und mexikanischen Wirtschaft in Santa Teresa, New Mexiko beschreibt. So gut hat mir noch nie jemand Wirtschaft erklärt. Wie so viele hofft Pacheco, daß irgendjemand Trump unter Kontrolle bekommt oder daß Trump sich einem anderen Thema zuwendet als der von ihm geplanten amerikanisch-mexikanischen Mauer, damit er dort nicht so viel Unheil anrichten kann und sie in Santa Teresa weiter in Ruhe die Wirtschaft voranbringen können.
Es gibt so viele Menschen, so viele Begegnungen, die unsere Reise zu einer für uns unvergesslichen werden ließen.
So vielen Menschen haben wir zu danken, allen voran Ann Klaus und Hildegard Boucsein für die großartige, kluge, bis ins letzte Detail stimmige Zusammenstellung und Organisation unseres Programms und Erik Kirschbaum, der auch für die genauso kluge Zusammenstellung unserer Gruppe zuständig war.
Fast jede RIAS Gruppe denkt ja, sie sei etwas Besonderes, das habe ich in meinen mittlerweile 17 Jahren als RIAS-Fellow und auf vielen RIAS-Fellow-Treffen erfahren – aber in unserem Fall, die immer noch oft per WhatsApp in Kontakt und in ständigem Austausch ist und das gemeinsame Erleben dieses Programms und die gemeinsamen, intensiven Diskussionen über das Erlebte aus vollem Herzen genossen hat, stimmt das gewiss.
Vor 17 Jahren, nach meiner ersten Reise als RIAS-Fellow durch die USA, schrieb ich in meinem Abschlussbericht zum Schluss begeistert, daß es mindestens „drei amerikanische Kategorien der Beurteilung von Journalistenfragen gibt: -this is a good question -this is a very good question sowie, äußerstes Lob, -this is an excellent question Daß diese Wochen des RIAS-Berlin-Commissions-Programms zu einer der bereicherndsten Zeiten meines bisherigen Lebens, und nicht nur meines Journalisten-Lebens gehören – das steht allerdings außer Frage“.
Auch bei meinem zweiten RIAS-Berlin-Commission-Programm kann ich jetzt, 17 Jahre später, wieder nur sagen „I´ve had the time of my life“. Thank you RIAS Berlin Commission and „don´t mess with Texas!“
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Anja Heyde, Zweites Deutsches Fernsehen, Berlin
How are you, America?
Gibt es eigentlich einen Unterschied? Ein Vorher und ein Nachher? Merkt man, wenn man amerikanischen Boden betritt, ob und wenn ja, wie sich dieses Land verändert hat?
Es gibt Tage, da denke ich darüber nach, was ein Präsident wie Donald Trump mit einer Gesellschaft macht. Wenn nämlich die Lüge zur Normalität wird und das eigene Ego und die eigenen Interessen zum Maßstab. Kann man das ignorieren? Die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass man sich an vieles gewöhnen kann. Das ist eine Erkenntnis, die beim Nachdenken wenig bis gar nicht hilft. Sie beunruhigt nur ungemein.
Die Reise nach Texas, eine der amerikanischsten Ecken Amerikas, wenn man so will, begann also mit unendlich vielen Fragen und noch mehr Bedenken.
Ann Klaus holt uns RIAS-Fellows am Flughafen in Houston ab. Zusammen mit Hildegard Boucsein. Die beiden sind unser „Steuermann“ – Ann im eigentlichen Sinn und Hildegard im übertragenen. Noch im Van, auf dem Weg nach College Station, verliert sich der Blick zwischen den schrägen Holzhütten und Campern am Straßenrand. Amerika fühlt sich anders an für einen Europäer. Wie ein viel zu großer Sandkasten. Man findet die verlorenen Teile so schwer wieder. Aber es gibt unendlich viele freundliche Leute, die einem beim Suchen helfen, obwohl man sie vorher noch nie gesehen hat.
In Amerika ist eben einfach alles groß und weit: die Landschaft um einen herum, die Autos und die offenen Arme, mit denen einem Menschen begegnen. Und so sitzen wir schon am ersten Abend in der Küche von Ann, zusammen mit Professoren der A&M University und reden – natürlich – über die Lage im Land, über Donald Trump und über die Wut und woher sie kommt. Warum die Leute ihm glauben? Glaubt man am Ende nicht das, was man hören und sehen will?
Wir, Europäer und Amerikaner, sind uns nah – in unserer Ratlosigkeit über Zustände, auf die wir nur bedingt Einfluss haben. Draußen geht die Sonne unter, und auf dem See wächst ein Teppich voller vierblättrigem Klee.
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Während des Frühstücks am nächsten Morgen im Restaurant des Hotels läuft Fox News. Es ist eine Abfolge von Über- und Unfällen und dramatischen Ereignissen mit furchtbarem Ende. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich davon ausgehen, dass ich im Vorhof der Hölle gelandet bin: „Herzlich Willkommen in Amerika, hier wohnt das Grauen“.
Das TV-Programm erklärt viel über eine Weltsicht, die nicht meine ist und es hoffentlich nie werden wird. Aber es ist eben die Sicht der Anderen. Also derjenigen, die ich für mich persönlich als „die Anderen“ ausgemacht habe. Und dazwischen ist der Graben. Es ist die Sicht, die Amerika irgendwo in den 50er und 60er Jahren verortet – früher also, als alles besser war, aus IHRER Sicht.
Der Graben tut sich für mich erneut auf, als wir an der A&M University in unseren Seminaren über die Mauer sprechen. „Sie funktioniert, das habe ich in den 70er Jahren in Berlin gesehen“, erklärt uns ein ehemaliger US Army-Soldat, der damals dort stationiert war und jetzt an der A&M lehrt – ja stimmt, denke ich, wenn man bereit ist, die Konsequenz zu tragen. Und die bedeutet, man ist bereit, auf Menschen zu schießen, die die Grenze zu den USA überwinden. Aber wenn er in Berlin war, weiß er das auch. Nur dass die Leute hier rein wollen und damals raus.
Meine ostdeutsche Geschichte macht es mir schwer, den Mann vor mir zu verstehen. Ich will nicht hinnehmen, dass da einer sitzt, der Mauern für ein adäquates Mittel der Grenzsicherung hält. Schon gar nicht, in einem Land wie den USA, für das Einwanderung kein neues Phänomen ist. Und ich bin froh, dass eine Stunde vorher eine junge Professorin ein flammendes Plädoyer für Flüchtende und für die Einwanderung gehalten hat. Die A&M kennt den Graben also auch. Er verläuft zwischen Professoren und Professoren, zwischen Professoren und Studenten und zwischen Studenten und Studenten. Und wie die Charts zeigen, die einer unserer Profs an die Wand in unserem Studienzimmer wirft, wird er gerade nicht kleiner. Die Peaks eskalieren in beide Richtungen. Als kenne die Gesellschaft nur noch schwarz und weiß, denke ich. Schwarz und weiß – das hatte man hier schon mal. Oder war es nie weg?
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Als wir einen Tag später mit den Texas-Rangers im Helikopter über den Rio Grande fliegen, frage ich den Piloten, ob die Mauer – ein Teil steht ja schon – aus seiner Sicht funktioniert. „Nein“, sagt er. „Wer will, findet einen Weg. Aber sie macht es schwerer. Und das wiederum macht es uns ein bisschen leichter.“
Der Vater eines unserer Hubschrauberpiloten hat dreimal versucht, von Mexiko in die USA zu fliehen, über den Rio Grande zu schwimmen. Wenn er es letzten Endes nicht geschafft hätte, würde Jorge Rodriguez heute nicht in McAllen an der US-Grenze zu Mexiko patrouillieren, um sie zu schützen. Unter anderem vor illegalen Grenzübertritten. Seit Donald Trump da ist, gibt es endlich mehr Geld für den Grenzschutz, sagen sie hier. Geld für Drohnen, Geld für eine Mauer, Geld für Waffen – es hilft, die Drogen-Kartelle zu beunruhigen und die großen und kleinen Fische zu fangen, die das Grenzgebiet unsicher machen.
Praktisch gesehen ist die Mauer also ein Hindernis mehr auf dem Weg, den Menschen bereit sind zu gehen, weil sie dort, wo sie aufbrechen, keine Perspektive mehr sehen. Aber auch für diejenigen, die täglich ihren schmutzigen Geschäften nachgehen.
Man trennt bei den Texas-Rangers offenbar zwischen dem Menschen und dem Präsidenten Trump. In Washington wird theoretische Politik gemacht. In McAllen versucht man ganz praktisch mit den Auswirkungen klarzukommen. In den Obama-Jahren sind die illegalen Grenzübertritte gestiegen. Jetzt gehen sie zurück. Das ist eine Tatsache, mit der man hier an der Grenze arbeiten kann.
Und während der Hubschrauber noch den Schlangenlinien des Rio Grande folgt, ertappe ich mich bei dem Gedanken: „Tja – irgendwie hilft die Mauer hier ja doch. Warum also nicht.“ Und erschrecke vor mir selbst.
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„Trump ist ein Idiot und hat keine Ahnung von Wirtschaft“, sagt Jerry Pacheco. Der Industrie- und Projektentwickler erklärt uns den Handel an der Grenze zwischen Mexiko und New Mexico. In Santa Teresa, wo wir ihn treffen, brummt die Wirtschaft. Noch. Weil das Nafta-Abkommen ganz gut funktioniert. Ja, man könnte da einiges verbessern. Aber um Gottes Willen nicht das ganze Abkommen kündigen – es würde die amerikanische Wirtschaft ins Mark treffen. Vor allem den Teil der Wirtschaft, der immer noch für wenig Geld in den Maquiladoras im Norden Mexikos produzieren lässt. Aber noch mehr würde es die treffen, die billige Handys oder andere Produkte kaufen wollen, die in genau diesen Maquiladoras zusammengebaut werden – und das sind diejenigen, die aufs Geld schauen müssen. Ein großer Teil von ihnen hat Donald Trump gewählt. Arme, weiße Arbeiter. Weiß Trump das nicht? „Wenn nicht, dann sollte man es ihm jetzt mal sagen.“ Pacheco lacht. Andererseits, wenn es die Trump-Wähler erstmal im Geldbeutel merken, dann ist es schon zu spät.
Jerry Pacheco lacht viel, und er lacht laut. Und sein Lachen ist ansteckend. Für ihn ist der Mensch Trump schwer zu trennen vom Präsident Trump. Aber vor allem ist er schwer zu ertragen. Dann bricht der Optimist wieder durch: Was immer dieser Präsident tun wird, man wird einfach weitermachen. Es läuft ja doch irgendwie, mit oder ohne Nafta. In Santa Teresa wird man einen Weg finden.
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Drei Millionen Menschen leben in El Paso und Ciudad Juarez zusammen. Mario Porras hat uns auf einen Hügel gebracht, von dem aus uns die beiden Städte zu Füßen liegen. Aus dieser Perspektive sind sie eine einzige amorphe Masse. Fährt man in die City, steht man allerdings plötzlich vor einem fünf Meter hohen Zaun. Da trifft einen das „Berlin-Gefühl“ von 1961 wie ein Schlag ins Gesicht.
Der Zaun ist da und doch auch nicht. In El Paso und Ciudad Juarez macht er den 16.000 Pendlern das Leben schwer. Sie wechseln täglich die Seiten, ganz offiziell – für den Job. Die einen nach Mexiko, die anderen in die USA.
Veronica Escobar, die lange Bezirksrichterin von El Paso war und schon in dritter Generation in der Stadt lebt, will dieses lästige Hindernis am liebsten weghaben. „Früher“, sagt sie, „als ich noch klein war, da sind wir einfach von einer Stadt in die andere gewechselt.“ Früher war Ciudad Juarez allerdings auch die Hauptstadt der Kriminalität und die Ausläufer der Drogenkartelle hatten auch El Paso im Griff. Davon ist die Doppelstadt heute weit entfernt, glaubt man ihr und auch unserem Guide Mario Porras. Aber nicht die Mauer sei dafür verantwortlich, sondern eine rigidere Sicherheitspolitik.
Die Demokratin Escobar kandidiert derzeit für den US-Kongress. Wenn sie spricht, fließt, wo es passt – oder eben auch nicht – ein Schimpfwort in ihre Rede. Es sprudelt nur so aus ihr heraus – leidenschaftlich, authentisch: „Wenn Menschen ihre Heimat und ihre Liebsten, ihre Familie verlassen, dann muss verdammt viel passiert sein. Dann müssen sie extrem verzweifelt sein. Niemand geht einfach so weg in ein anderes Land!“ Warum, schießt es mir durch den Kopf, kann diese Frau nicht Präsidentin sein? Besser als diese großartige Latina könnte man eine Einwanderungsgesellschaft wie die USA nicht repräsentieren. Aber sie ist nun mal „nur“ Veronica Escobar und Präsident ist ein weißer, alter Mann, dessen Leidenschaft sich darauf beschränkt, wirres Zeug zu twittern.
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Auf dem Flug von El Paso nach Houston ist mein Kopf voll von den vielen Begegnungen, den Eindrücken und den Geschichten. Diese eine Woche fühlt sich an wie ein Jahr. Den letzten Abend verbringen wir in einem Ur-Texanischen Saloon zusammen mit RIAS Fellows aus den USA, alle Journalisten wie wir. An der Wand hängen Cowboyhüte und Waffen. Es ist ein letztes Mal die Chance zu fragen: „Und hat sich Amerika aus Eurer Sicht verändert?“ Ja, hat es. Da ist dieser Graben in der Gesellschaft. Und da ist Donald Trump, der Präsident, der sich keine Mühe gibt, diesen Graben zuzuschütten. Er schüttet eher einen Wall auf, eine Verteidigungsmauer zwischen denen, die bereit sind, notwendige Veränderungen durch die Globalisierung nicht nur zu akzeptieren, sondern auch Wege zu finden, wie man damit umgeht und denen, die die Welt gern anhalten und am liebsten die Zeit zurückdrehen würden.
Amerika ist damit allerdings nicht allein. Es ist nur, wie so oft, Trendsetter. Es hat den ersten Präsidenten, der all das verkörpert. Eine Bewegung, die den westlichen Teil der Hemisphäre erfasst hat. Die Demokratien, wenn man so will. Man kann zuschauen, wie dieser Präsident sein Land spaltet.
Einige meiner Befürchtungen haben sich bestätigt. Aber vieles andere, was als Vorurteil in meinem Kopf spukte, musste ich revidieren. Aber vor allem: Es gibt seit dieser Reise nicht mehr schwarz und weiß. Es gibt ganz viel grau. Der Pragmatismus der Texas-Ranger in McAllen bezüglich der Mauer, der sich in meinem Kopf vermischt mit dem Einwanderungsplädoyer von Veronica Escobar in El Paso.
Dann werde ich von meinem amerikanischen Gegenüber bei einem mexikanischen Bier gefragt, was ich denn von dieser Reise durch Texas jetzt mit nach Hause nach Deutschland nehme. Wie soll man diese Frage beantworten, wenn doch schon am nächsten Mittag der Flieger geht? Wie fasst man Tausende von Kilometern in wenigen Sätzen zusammen? Panik steigt auf, dann lächle ich: „Ich nehme mit, was für ein großartiges Land Ihr habt, voller toller Menschen. Und ich bin fester denn je der Überzeugung, dass Eure Demokratie diesen Präsidenten auch übersteht – irgendwie.“ Und das „irgendwie“ ist Hoffnung und Sorge zugleich. Aber das verschweige ich vornehm.
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Alies Lindeboom, Freelance, Washington, DC
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Ingo Zamperoni, ARD, Hamburg