2004

DUKE UNIVERSITY MEDIA FELLOWSHIPS PROGRAMM 2004

Vierwöchiges Besuchsprogramm an der Duke Universität in Durham, North Carolina, für Journalisten aus den USA und aller Welt.


TEILNEHMERBERICHTE

Reinhard Behm, Deutsche Welle-TV

Journalisten haben nach meiner Überzeugung einen der spannendsten und privilegiertesten Jobs, den die Arbeitswelt zu vergeben hat. Spannend, weil jedes Ereignis, jede neue Geschichte immer wieder auch neue Erkenntnisse und Einsichten vermitteln. Privilegiert, weil Journalisten Zugang zu vielen gesellschaftlichen Bereichen bekommen, die Außenstehenden meist verschlossen sind.

In diesem Sinne privilegiert ist für mich ohne Zweifel auch die Teilnahme am media fellowship des Terry Sanford Institute for Public Policy der renommierten Duke University. Vier Wochen lang eine Auszeit nehmen, mit drei Jahrzehnten Berufserfahrung erstmals wieder als Lernender eine Universität betreten — viele Erwartungen hatte ich daran geknüpft, keine wurde enttäuscht.

Das Konzept, ein paar Journalistinnen und Journalisten aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen für eine begrenzte Zeit zusammen zu bringen, funktionierte im Fall meiner Gruppe beispielhaft. Das mag nicht immer so sein, doch dass Kolleginnen und Kollegen aus Armenien, Vietnam und Südkorea, aus Mazedonien, den USA und Deutschland so gut miteinander harmonisierten, trug wesentlich zum erfolgreichen Verlauf dieses Mini-Sabbatical bei. Unsere regelmäßigen Treffen und Diskussionen im Terry Sanford Institute habe ich daher zuallererst in guter Erinnerung. So etwa die Sitzungen unter der Rubrik “Media Challenges Today“, in denen wir uns gegenseitig über Arbeitsbedingungen, Anforderungen, Erfahrungen sowie die Veränderungen unserer journalistischen Arbeit befragten und informierten.

Weitere spannende Themen auf der Agenda des Institutes waren:

— der Vortrag der TV Journalistin Robbie Gordon vom ABC Magazin Primetime über „Ethical Use of Hidden Cameras“. Besonders aufschlussreich: Privatsender in den USA stellen für gute investigative Geschichten, Sendelänge 12 bis 14 Minuten, Budgets von 150.000 Dollar bereit. Eine Summe, von der man als TV-Journalist in Europa nur träumen kann.

— das Referat des Zeitungsmachers Steve Riley über den sogenannten „Blackwater Case“. Eine schier unglaubliche Geschichte über private Sicherheitsunternehmen, die im Auftrag der U.S.-Regierung Aufgaben des Personen- und Objektschutzes im Irak wahrnehmen und dem amerikanischen Steuerzahler dafür horrende Tarife in Rechnung stellen.

— das Gespräch mit dem Vizepräsidenten der Duke University, John Burness, über seine Aufgabe als Duke-Sprecher, die Universität als Wirtschaftsfaktor des gesamten Umlandes sowie finanzielle Aspekte des Privatunternehmens Duke mit einem Jahresetat von 4 Milliarden Dollar.

Neben den gemeinsamen Veranstaltungen besuchte ich eine Reihe weiterer akademischer wie nicht akademischer, die während meines Aufenthaltes angeboten wurden:

  • über Bioethik und Stammzellenforschung, das umstrittenste Wissenschaftsthema des U.S.-Wahlkampfes
  • den Gastvortrag von Elizabeth Dole, Senatorin für North Carolina, auf der Duke Conference on Leadership
  • die Diskussionsrunde von Medienmanagern, darunter Kevin Klose, Direktor von National Public Radio, zum Thema „Re-establishing Trust in the Media“
  • ein Panel von Trainern und Sportmanagern über die Bedeutung richtigen Führens im Leistungssport
  • die Lesung des Schriftstellers und Satirikers David Sedaris aus seinen neuesten Arbeiten im ausverkauften Page Auditorium der Universität
  • zwei hinreißende Vorträge der chilenischen Schriftstellerin Isabel Allende, die auf Einladung der Public Library nach Durham gekommen war
  • den Vortrag des TV anchor Sam Donaldson an der University of North Carolina, der aus seiner Zeit als ABC White House correspondent aufschlussreiche und amüsante Hintergrundgeschichten erzählte.

Von zwei Einrichtungen der Duke University wurde ich eingeladen, eigene Beiträge zu leisten. So diskutierte ich im Career Center mit Studentinnen und Studenten über journalistische Ausbildung und Berufschancen im Journalismus. Im International House, das zu einem German lunch bat, war ich Teilnehmer einer Gesprächsrunde, in der es um Unterschiede von Verhaltensregeln und Kommunikationsformen in Deutschland und den A ging. Ausgerichtet war dieses Panel für Mitarbeiter der Universität, die sich um die Betreuung ausländischer Studenten kümmern.

Seminare und Vorlesungen nach eigener Wahl habe ich schon aus Mangel an Zeit nur wenige besucht. Die dafür umso intensiver.

So befasste ich mich besonders gründlich mit der Entstehungsgeschichte der amerikanischen Demokratie, von der Revolution bis zur Ratifizierung (1787) der U.S.-Verfassung, der fortschrittlichsten jener Epoche. Das Seminar „Jefferson and the American Democracy“ von Prof. Michael Hardt bot mir diese Möglichkeit. Immer wieder bemerkenswert: der Großteil der dreistündigen Veranstaltung war der Diskussion mit den Studenten vorbehalten, die auf sehr hohem Niveau und auf Basis umfangreicher Lektüre stattfand. Ohne Zweifel war dies für mich die arbeitsintensivste Veranstaltung an der Duke University. Wir befassten uns mit Schriften und Briefen von Thomas Jefferson sowie einer bis heute umstrittenen, gleichwohl aufschlussreichen Arbeit des Jahres 1913: „An Economic Interpretation of the Constitution of the United States“ von Charles A. Beard.

Da mein fellowship mit dem Wahlkampf in den USA und der Wahl des amerikanischen Präsidenten zusammenfiel, bot das Jefferson Seminar mir Einsicht auch in Themen, die bis heute in der amerikanischen Gesellschaft von Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund war es besonders aufschlussreich, wenige Tage vor der Wahl am Terry Sanford Institute die exzellente Präsentation von Prof. Steven Riley über das Wahlsystem und die repräsentative Demokratie in den USA zu erleben.

Zwischen der Duke University in Durham und der 20 Autominuten entfernten University of North Carolina (UNC) in Chapel Hill gibt es, trotz manch sportlicher und akademischer Rivalität, glücklicherweise auch einen regen Austausch von Studenten und Ideen. Ein Shuttle-Bus pendelt alle 30 Minuten von Campus zu Campus.

Ohne Zögern folgte ich einer Einladung von Prof. Robert L. Stevenson. Er lehrt an der Journalistenschule der UNC, einer der drei besten des Landes, „International Communication.“

Zweimal hatte ich Gelegenheit, an seinem Seminar für graduate students teilzunehmen. Hinter dem abstrakten Begriff „International Communication“ verbarg sich in diesem Fall die Rolle freier Medien und Journalisten beim Aufbau demokratischer Gesellschaften. Behandelt wurden auch Probleme, die durch die Diskriminierung ethnischer, rassischer und religiöser Minderheiten beim nation building entstehen können.

In Prof. Stevensons Seminar hatte ich auch Gelegenheit, über den Sender, für den ich arbeite, zu berichten: die Deutsche Welle und ihr europäisch ausgerichtetes Profil. Einen ähnlichen Vortrag hielt ich in seinem Seminar für undergraduate students.

Montags und mittwochs produzieren die Studenten der UNC Journalistenschule live die 30minütige TV Nachrichtensendung „Carolina Week“, die über Kabel in Chapel Hill zu empfangen ist. Die Einladung, mich über das hochmoderne Studio und die praxisnahe Ausbildung der Studenten zu informieren, nahm ich ebenfalls sehr gern an.

Als Erlebnis unvergesslich bleiben für mich die privaten Treffen der media fellows: so der Gruppenausflug zur State Fair von North Carolina, ein paar Restaurantbesuche oder die gemeinsam gestalteten Abendessen in unseren Appartments. Bei bester Stimmung und viel Wein aus Kalifornien, Chile und Argentinien konnten sich gute Gespräche entwickeln.

Ganz zum Schluss ein besonders großes Dankeschön an Laurie Bley, unsere Programm-Koordinatorin, die sich so engagiert für „ihre“ fellows einsetzte und uns den Aufenthalt so angenehm und abwechslungsreich machte.

Danken möchte ich auch der RIAS Berlin Kommission für die großzügige Unterstützung. Wenn ich abschließend doch noch etwas bedauern sollte, dann nur, mich nicht schon viel früher um ein solches fellowship beworben zu haben.

——————

Pia Castro, Deutsche Welle-TV

To be part of the RIAS Media Fellow Program at Duke University was one of the most interesting experiences I had in the last years. It doesn’t happen so often that journalists have the opportunity to take a break of almost 1 month to learn and experience another culture in such an intensive way. Duke University is known as the Harvard of the South, and although I don’t like comparisons very much it was great to know that we were able to take advantage of the best the U.S. can offer in a time where the whole world had its eyes on this country. We were there during the November presidential elections, the most controversial and exciting elections the U.S. has ever experienced. Believe me, we learned a lot, but that doesn’t mean we really understood what happened on November 2nd. Some of us left with more unanswered questions than at the beginning of our trip. But I don’t want to write about politics, I leave this field to those who think they are U.S. experts. My aim is to give a sense of how interesting this Fellowship Program was and to encourage you, dear reader, to think about taking time off to experience this unique opportunity.

One of the most interesting things about Duke University is the location. You are not in Boston, where you can see the British influence everywhere; you are in the South, in North Carolina, in an area where segregation and racial differences can still be felt. Also in the Bible belt area, where you can find all kinds of religions including the fundamental evangelicals, those who voted for Bush. It was very interesting to visit them after the elections to find out what kind of people they are. Here, you find the beginning of real America.

On the other side, the university is a place where you can find really famous professors, experts, journalists and intellectuals that are ready to answer any question you have. Just to give you some examples: one of the most well known columnists of the NY Times was our teacher; you could also take classes with another famous journalist of the Washington Post. And my best discovery was to find out that THE most talented Turkish-English translator teaches here, so I could continue with my Turkish lessons. You could also visit a conference with CNN International CEO together with one of the most important Republican women in the U.S., Senator Elizabeth Dole. Many people say the next elections could be between Hillary Clinton and Elizabeth Dole, an utopic idea? Who knows… The thing is we met her, and believe me this was American politics at its best: Extremely entertaining and at the same time very intellectual although most of us were quite shocked about her ideas.

Another highlight was to see the writer David Sedaris on stage presenting his new book, and all this on a university campus, a few blocks from where you live. Not bad, right?

The best was about to come. A few days before the elections we went on a trip to Washington for some days to visit Think Tanks, radio stations like National Public Radio, an Islam Conference at Georgetown University, to meet John Zogby, CEO of one of the most influential pollsters you can find in the U.S. And we also had some meetings with European correspondents.

What you do during that time depends on you; the Fellow Program is a very individual program where you can choose your courses, you decide who you want to meet, and where you have a very nice group of people encouraging you and giving you all the support you need.

Last but not least, during the program you also meet very interesting journalists from all over the world that are also taking part in a similar program, so if you are lucky with the colleagues you can learn in depth about another country that was definitely not on your schedule.

These are very personal notes from my experiences at Duke, but I hope you can get an idea of what we experienced during this very exciting and rewarding month.

——————

Sofie Donges, Hessischer Rundfunk

Unsere Gruppe bestand aus zehn Fellows aus Deutschland, Österreich, Südafrika, Frankreich und den USA. Der erste offizielle Tag begann mit einem kleinen Campusrundgang mit unserer Betreuerin Laurie Bley. Wir haben unsere Email-Adressen erhalten, das Sanford Institut of Public Policy gesehen und die Mensa getestet.

Nun ging es los, das 4-Wochen-Programm: Jeder Tag begann mit einem Fußmarsch von Campus Arms durch ein riesiges Krankenhausgelände zum West Campus der Universität. Angekommen auf dem Campus der Duke University befand man sich in einer anderen Welt, der Kontrast zu Downtown Durham könnte nicht größer sein. Die Gebäude der Universität sind zwar nicht alt, aber trotzdem im gotischen Stil errichtet. Die Studenten kommen meistens aus gutem Hause, die Eltern zahlen für ein Jahr Duke über 35.000 Dollar, dafür sitzen die Studis in ihrer freien Zeit auch nicht auf dem Boden in einem dreckigen Uni-Gebäude, sondern auf Ledersofas und in Ohrensesseln. Im Vergleich mit Downtown Durham ist das ein Paradies. Diese Oase wird allerdings auch auf das strengste bewacht, wie wir später erfahren haben: Es gibt eine Campus Polizei, einen Security-Dienst, einen kostenlosen Taxiservice nach fünf Uhr abends … und trotzdem wurde während unseres Aufenthaltes eine Studentin auf dem Campus vergewaltigt. Die Universität scheint bemüht, Kontakt zwischen den Einwohnern von Durham und den Studenten herzustellen, trotzdem treffen hier zwei Welten aufeinander: Die wohlbehüteten Akademiker und die meist farbige, oft arme Allgemeinheit, die mit Gangs und einer höheren Kriminalitätsrate als New York City zu kämpfen hat.

Unsere erste Woche war relativ ruhig: In ein paar wenigen Sessions haben die Fellows ihre Arbeit vorgestellt. Wir haben verschiedene Alltagsprobleme von Journalisten in den unterschiedlichen Ländern diskutiert. Den Rest der Zeit haben wir genutzt, um uns zu orientieren und Informationen über laufende Veranstaltungen der Universität zu sammeln. Am ersten Wochenende unternahmen wir dann gleich einen Ausflug: Mit dem Auto zu den Outer Banks, Inseln an der Atlantikküste. Hier hat im letzten Jahr ein Hurrikan gewütet, Teile der Insel gleichen Wüstengebieten: Nur platter Sand, alles andere wurde weggeblasen. Trotzdem ist diese Region sehr zu empfehlen, wir haben wilde Delphine gesehen und bei einem Strandspaziergang trafen wir auf eine Robbe beim Sonnenbad.

In der zweiten Woche erlebten wir dann das erste Programm-Highlight, der erste clash of cultures zwischen den internationalen Journalisten und einem gestandenen U.S.-Amerikaner: Rick Kaplan, Vorsitzender von MSNBC, hielt einen Vortrag über die amerikanische Fernsehlandschaft, zwischendurch immer unterfüttert mit humoristischen Bemerkungen zum Beispiel über die Geburtenanzahl von Kindern 9 Monate nach einem Baseball-Sieg seiner Lieblingsmannschaft. Die Stimmung schwenkte sofort um, als das Gespräch auf einen Budweiser-Spot gelenkt wurde: Pferde, die über die blühenden Landschaften der USA galoppieren, bis sie zu Ground Zero kommen. Dort bleiben sie stehen und verbeugen sich. Kaplan verstummte, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sprach weiter. Eine merkwürdige Situation für uns, einen emotionalen Ausbruch dieser Art hatte wohl niemand während einer solch offiziellen Gesprächsrunde von einem Journalisten erwartet.

Einen Tag später folgte dann der spannendste Vortrag während unseres Aufenthaltes: Dominique Roche, selbst Media Fellow von Radio France und Korrespondentin in Jerusalem, berichtete von ihrem Alltag, geprägt von Gewalt und Einschränkungen, selbst in ihrer knappen Freizeit. Sie erzählte von Journalisten mit Nervenzusammenbrüchen, toten Kollegen und der Schwierigkeit, abschalten zu können. Ihre Arbeit wird eingeschränkt von der israelischen Regierung, die strenge Auflagen zur Berichterstattung macht. Sie selbst verbringt manchmal Stunden an Checkpoints, um überhaupt an den Ort des Geschehens vordringen zu können.

Es folgte das zweite Wochenende, unser Fieldtrip nach Washington: Dort trafen wir auf Donald Rumsfeld: Wir durften bei einer Pressekonferenz im Pentagon dabei sein. Ebenfalls sehr interessant war der Besuch im Holocaust Museum, was wirklich uneingeschränkt zu empfehlen ist. Washington als Stadt ist interessant, man braucht gute Schuhe und mindestens drei Tage Zeit. Spaß gemacht hat der Besuch im Spy-Museum; während des Rundganges bekommt jeder Besucher eine neue Identität und kann sich über die Geschichte des Spionierens informieren.

Zurück in Durham blieben uns noch zwei Wochen. Wir nutzten die Zeit und besuchten Seminare und schauten uns einige Filme beim Documentary Film Festival an — mit Besuch von Michael Moore.

Insgesamt waren die vier Wochen eine gelungene Zeit, um sich über die amerikanische Medienwelt zu informieren, ohne von Deadlines und dem üblichen Alltagsstress getrieben zu sein. Der Aufenthalt in Durham war ein Amerika-Aufenthalt der anderen Art: North Carolina ist alles andere als kosmopolitisch. Es ist vielmehr das platte Land, wo ein deutscher Personalausweis an der Supermarktkasse mit großen Augen gedreht und gewendet wird. Die Leute sind freundlich und haben Zeit, der Alltag ist nicht vergleichbar mit dem hektischen Leben in amerikanischen Großstädten. Die anderen Fellows haben trotzdem eine ordentliche Brise internationalen Flairs in die kleine Südstaaten-Stadt gebracht: Der Austausch über die Arbeit und die vielen langen netten Gespräche über unseren Alltag zu Hause waren ein weiterer Höhepunkt des ganzen Aufenthaltes!

——————

Ellis Fröder, Westdeutscher Rundfunk

Wiedersehen in Raleigh/Durham. Acht Jahre ist es her, seit ich zum ersten Mal an der Duke University in Raleigh/Durham war. Damals im Rahmen meines siebenwöchigen Stipendiums der RIAS Berlin Kommission. Inzwischen hat sich die Welt und vor allem unser Verhältnis zu den USA entscheidend verändert. Die Ereignisse des 9/11, der amerikanische Weg des „Kriegs gegen den Terror“, der Irak-Krieg, die veränderten deutsch-amerikanischen Beziehungen. Das alles schien an der Duke University vorbeigezogen zu sein, war mein erster Gedanke, als ich in den Campus Arms ankam. Unverändert der zubetonierte Hof, unverändert die Apartments, unverändert und ganz unamerikanisch der etwas gewöhnungsbedürftige Hygienestandard. Genauso der Weg von den Campus Arms durch das Labyrinth des Duke University Hospitals. Wie schon damals verliefen wir uns in der ersten Woche regelmäßig. Vertraut war alles und doch etwas fremd geworden. Das Sanford Institut sah zwar noch genauso aus wie vor acht Jahren, Ellen Mickiewicz ist noch immer die Chefin, zu jeder Diskussionsveranstaltung gab es wie damals Sandwichs und Salat…

Unsere Gruppe war international gemischt: zwei Südafrikaner, zwei Österreicherinnen, ein Engländer, eine Amerikanerin, eine Französin, ein Koreaner, eine Mazedonierin, und wir drei Deutsche. Diese Mischung macht natürlich einen großen Reiz aus. Wann hat man schon einmal Gelegenheit, ohne den täglichen Aktualitätsstress, ausgiebig mit Journalisten aus anderen Ländern zu diskutieren, gemeinsam Veranstaltungen zu besuchen und natürlich auch zu feiern. Ich habe es genossen, mir in Ruhe und Ausführlichkeit von den Lebens- und Arbeitsbedingungen meiner französischen Kollegin, die seit mehreren Jahren in Jerusalem arbeitet, erzählen zu lassen. Habe von der Aufbruchstimmung der Schwarzen in den südafrikanischen Medien gehört, habe einiges über die Schwierigkeiten beim Aufbau einer freien Presse in Mazedonien erfahren. Wie auch schon bei meinem ersten Stipendium habe ich hier Menschen kennengelernt, bei denen sich der Meinungsaustausch und auch private Freundschaften sicher nicht nur auf die Zeit des Stipendiums beschränken, sondern auch jetzt im Alltag fortgeführt werden.

Die Veranstaltungen des Sanford Instituts waren wie immer gut organisiert und zum Teil von herausragender Qualität. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Diskussionsveranstaltung mit Rick Kaplan, Vice President of News, NBC, und Barry Zorthian. Beides Journalisten mit jahrzehntelanger Berufserfahrung in herausragenden Positionen. Abgebrüht und mit allen Wassern gewaschen, sollte man meinen. Doch als Rick Kaplan von einem Werbevideo für Budweiser Bier erzählte, in dem man mit einem harten Schnitt aus den Weiten des amerikanischen Westens plötzlich auf Ground Zero blickte, kamen den beiden Herren die Tränen in die Augen und sie konnten nur sehr beherrscht weiterreden. So direkt hatte ich die emotionale Wahrnehmung von 9/11 in den USA noch nie erfahren.

Bemerkenswert an dieser Veranstaltung war auch, dass sich diese beiden Journalisten, die ihr gesamtes Berufsleben lang nur im Kommerzfernsehen gearbeitet haben und sich nie einem öffentlich-rechtlichen Auftrag verpflichtet gefühlt haben, sehr vehement die Entwicklung des amerikanischen Fernsehens kritisierten. Kaum noch Information, kaum noch Berichte über die politische Entwicklung im Land, kaum Beiträge, die es dem Zuschauer ermöglichen Ereignisse einzuordnen und zu interpretieren. Sie sehnten sich geradezu nach Zeiten zurück, in denen das Fernsehen ihrer Meinung nach sehr viel besser und informativer war. Ein Fernsehen, das wir, als Deutsche, aber sicher auch noch als viel zu oberflächlich und sensationsheischend kritisiert hätten. Ganz abgesehen von den, für uns, unerträglichen Unterbrechungen durch die Werbung.

Eine große Rolle spielte natürlich auch die bevorstehende U.S.-Wahl. Vorträge über die einzelnen Kampagnen und über die mächtige Rolle der Meinungsforschungsinstitute haben einen guten Einblick in den uns oft so fremd anmutenden Wahlkampf gegeben. Spannend war natürlich zusätzlich, dass wir den beginnenden Wahlkampf und vereinzelt auch Diskussionen im amerikanischen Fernsehen beobachten konnten.

Das Terry Sanford Institut hat sich besonders der Entwicklung und Unterstützung einer freien Presse in Osteuropa verpflichtet. Aus diesem Grund fand im März auch ein Vorbereitungstreffen osteuropäischer Journalisten und Politiker an der Duke University statt. Zwei Tage lang ging es nur um die Perspektiven bzw. um die Schwierigkeiten osteuropäischer Kollegen, über Missstände in den verschiedenen Ländern zu berichten. Beeindruckend war die Internationalität der Veranstaltung, bedrückend allerdings die Bedingungen, unter denen die Kollegen teilweise arbeiten müssen.

Vier Wochen, das ist eine lange Zeit, wenn man zu Hause losfährt und sich ohne Alltagsdruck und Terminstress einfach nur informieren und austauschen kann.

Vier Wochen, das ist eine kurze Zeit, wenn sie ausgefüllt ist mit dem, was man zu Hause im Job nicht hat. Nämlich Zeit und Muße sich mit einer anderen Kultur und anderen Kollegen auseinanderzusetzen. Ich bin mit einem freien Kopf und neuen Ideen und Kontakten wieder nach Hause gekommen.

——————

Hardy H. Hausberg, Freelancer

„Wir sind nicht alle verrückt!“

Mit Vorurteilen ist es wie mit einem Schnupfen. Man fängt sie sich irgendwo ein und wird sie nur schwer wieder los. „Was macht ihr eigentlich hier?“, fragt mich der freundliche Fahrer, der uns vom Flughafen abholt. „Ihr seid doch in Europa im Moment nicht so gut auf uns zu sprechen.“ Das ist nur die halbe Wahrheit, denke ich. Es geht um die beiden Wörter „im“ und „Moment“. Denn viele sind nicht nur im Moment nicht so gut auf die USA zu sprechen.

Schon bevor dort der Bush brannte (ha!), wussten wir: der typische Amerikaner ist multikulinarisch, multikulturell, in jeder Hinsicht aktuell. Auch sexuell. Besonders gerne bildet er sich durch Reisen, die oft sogar über die Grenzen der eigenen Straße hinausgehen. Die USA gelten als Vorreiter im globalen Klimaschutz, insbesondere bei der Entwicklung energiesparender Autos. In den multilateralen Entscheidungsgremien der modernen Welt sucht die politische Elite des Landes stets den Konsens, stellt gerne eigene Interessen zurück und besinnt sich auf die Werte der Aufklärung. All das macht die USA nicht nur zum mächtigsten Staat der Welt, nein, auch zum beliebtesten. Sollte es irgendwann eine Wahl zum irdischen Botschafter auf dem Mars geben, die Welt würde geschlossen für einen Amerikaner stimmen.

Wenn man einen Schnupfen loswerden will, legt man sich ins Bett, Vorurteile wird man dagegen nur los, indem man die Menschen, um die es geht, besser kennen lernt. Also antworte ich dem Taxifahrer: „Darum bin ich ja hier. Ich will sehen, dass ihr doch nicht so schlimm seid, wie alle sagen.“ Ist es arrogant so zu denken? Ich fühle mich nicht gut in diesem Moment.

Bei unserem Trip nach Washington treffen wir den Ombudsmann von NPR (National Public Radio). Er beschwört uns zwei Mal: „Bitte sagt denen in Europa, dass wir nicht alle komplett verrückt sind!“ Hier sei es gesagt: Sie sind nicht alle verrückt! Ich habe in den vier Wochen niemanden getroffen, auf den die Vorurteile zutreffen. Ich habe intelligente Menschen getroffen, kontaktfreudige Menschen, Menschen, die freundlich sind. Und eben nicht oberflächlich! Einer von ihnen ist Professor Stevenson von der Journalistenschule in Chapel Hill. Er hat tatsächlich Kölsch besorgt, damit wir gemeinsam am 11.11. Karneval feiern können! Oder Bob, ein anderer Media Fellow, der bei der Washington Post arbeitet. Immer wieder reden wir darüber, warum sich das Amerika unter George Bush so aufführt, wie es sich aufführt. Woher kommt die Härte, die Paranoia, die Hysterie? Ich äußere den Verdacht, dass wir Europäer diese Angst vor einem neuen Terrorschlag vielleicht gar nicht nachempfinden können, die Angst vor einem Terrorschlag, der noch grausamer sein würde als die Anschläge am 11. September. Bob ist 61 Jahre alt. Er spricht sehr ruhig und recht leise. Er hat eine tiefe Stimme. Mit 9/11 sei es wie mit einer Vergewaltigung. „Wenn einem einer davon erzählt, dann sagt man: ´oh ja, das ist wirklich ganz grausam.´ Wirklich verstehen kann man es aber erst, wenn es die eigene Tochter ist.“ Ein Volk in Angst, das haben wir zumindest in Deutschland seit 60 Jahren nicht mehr erleben müssen.

Vorurteile bis Oberkante Unterlippe. So bin ich in die USA gereist, zum ersten Mal übrigens. Man darf solche Vorurteile eigentlich nicht haben. Man sollte auch keinen Schnupfen haben. Nur: wie soll man keine Vorurteile haben, wenn man 30 Jahre alt ist und noch nie in dem Land war? Mein Bild von den USA war geprägt von McDonalds, Rumgegackere um Clintons Zigarre, Nein zum Kyoto-Abkommen. Von weißen Polizisten, die schwarze Menschen verprügeln. Vom Irakkrieg und von Herbert Grönemeyer: „Amerika, wenn du gar nicht anders kannst, Amerika, dann prügel, wenn du dich prügeln musst, in deinem eignen Land.“

Kyoto, „Oral Office“, der Irakkrieg, das sind keine Vorurteile, das sind Tatsachen. Das Vorurteil besteht — wie so oft — in der Verallgemeinerung. Nicht alle Amerikaner sind so. Das habe ich in den vier Wochen in Durham erkannt. Zumindest nicht die Hälfte, die ich kennen lernen durfte. Dann kam die Wahl.

Und die andere Hälfte hat schon wieder George Bush gewählt. „Oops, they did it again“, hat eine deutsche Zeitung geschrieben. Oops, wie peinlich! Ja, es ist peinlich. Als Herausforderer John Kerry Bush zum Sieg gratuliert, bin ich im Sanford Institut, sehe seine Rede gemeinsam mit einigen Studenten auf der Großbildleinwand. Es ist sehr still, Schweigen. Die andere Hälfte hat gewonnen. Die Hälfte der Cowboyhüte, die Hälfte der Waffenbesitzer. Die schwulenfeindliche Hälfte, die Hälfte, die Abtreibung grundsätzlich als Mord bezeichnet. Ich höre, dass viele von ihnen in der Schule keine Evolution mehr lehren wollen, nur noch die Schöpfungsgeschichte. Es soll Schüler geben, die an der Uni die Bio-Aufnahmeprüfung nicht schaffen, weil sie nur gelernt haben: „Am ersten Tag schuf Gott …“ Wie peinlich. Wie peinlich für die andere Hälfte, die Hälfte, die ich kennen gelernt habe. Oft entschuldigen sich diese Menschen bei uns Europäern für all das. Dieser Impuls kommt mir sehr bekannt vor: Entschuldigen für eine ganze Gruppe aus dem eigenen Land, entschuldigen für etwas, an dem man keinen Anteil hat.

Diese Hälfte tut mir leid, die Hälfte, die den Machtwechsel regelrecht herbeigesehnt hat. Ich kenne niemanden, der seine Stimme George Bush gegeben hat. Ich kenne auch niemanden, der jemanden kennt, der George Bush seine Stimme gegeben hat.

„Dieses Land ist so groß. Es gibt so viele verschiedene Menschen. Bitte werft uns nicht alle in einen Topf,“ sagt Laurie Bley gleich bei unserem ersten Treffen. Laurie ist an der Duke University und für uns Media Fellows zuständig. Sie hat ein spannendes Programm zusammengestellt, ständig hört sie sich unsere Wünsche an, vermittelt weitere interessante Gesprächspartner.

Durch Laurie bekommen wir sogar noch Karten für die Lesung von David Sedaris, dem Autor des Bestsellers „Nackt“. Heute spricht ein Amerikaner mal über Deutschland, nicht umgekehrt. Heute, sagt Sedaris, wolle er mal keines seiner Bücher zum Kauf empfehlen, nein, er wolle den Leuten ans Herz legen, Deutschland zu kaufen. Er sei in „Nuremburg“ gewesen und habe dabei von folgender Diskussion („really true!“) gehört: In Deutschland fordern Interessengruppen angeblich zehn Minuten Pause pro Stunde für Menschen, die ständiger Beschallung durch Weihnachtsmusik ausgesetzt sind. Ein Land, in dem sich Menschen mit so was beschäftigen können, müsse man doch einfach kaufen! Allgemeines Gelächter im Auditorium. Das Vorurteil gefällt mir: die umstandskrämerischen Deutschen, man kennt sie ja… Ich lache mit. Nein, denke ich, dieses Problem haben die Amerikaner nicht. Ein Umstandskrämer ist George Bush sicherlich nicht.

Amerika hat gewählt, the winner is George W. Bush. Aber wir waren dabei!

——————

Claudia Höfling, ARD

Es war ein Ausbrechen aus dem beruflichen Alltag, ein internationaler medienpolitischer Austausch mit Chancen zum Kontaktaufbau, es gab Zeit zum „Luftholen“ und Umdenken, kurz: es waren wunderbare, bereichernde und kurzweilige vier Wochen des Media-Fellow-Programms an der Duke Universität in North Carolina.

Meine Reise begann am 12. September, und obwohl mir bewusst war, dass mein Ziel nur durch drei Flüge zu erreichen war, auf eine Reisedauer von nahezu 24 Stunden war ich nicht vorbereitet. Schuld daran u.a. die strengen Einreisekontrollen, durch die ich neben dem Gefühl, ein nicht willkommener Gast zu sein, auch prompt meinen Anschlussflug verpasste. Trotz des Jetlags standen die ersten Tage ganz im Zeichen der Freude und Aufregung. Auf den Stufen der Duke Chapel traf ich am ersten Tag meine Programmkollegen: Steve Riley, vom News and Observer, der sich als starker Tennispartner erwies, „Environmental Anne“, die stets gut gelaunte Frau von CNN, Chris Lee, ein anfänglich etwas distanzierter, später immer anregender Fellow von der Washington Post und meine zwei deutschen Kolleginnen, Birgit von der Deutschen Welle und Natascha vom HR. Mit Christo aus Mazedonien und weiteren Fellows aus Südkorea und Vietnam bildeten wir ein buntes Team vom Sportmoderator bis zum Zeitungsmanager und erkundeten in den ersten Stunden das teils gotisch anmutende Campusgelände mit seinen tollen Sportanlagen, Bibliotheken, dem farbenfrohen Duke-Garten…

Das Sanford Institut für Public Policy, das während der vier Wochen fast unser zweites Zuhause wurde, lud allein durch seine außergewöhnliche architektonische Bauweise zum Studieren, verwinkelte Ruheoasen mit Ledersofas zum Verweilen ein. In kleinen, lichtdurchfluteten Seminarräumen diskutierten wir in dieser Zeit mit Gästen wie Professor Stuart Pimm über die fast schon verheerende Situation der amerikanischen Umwelt; Jim Wilson, der Chef-Bild-Redakteur der New York Times ließ den 11. September aus der Sicht seiner Redaktion Revue passieren oder Schriftsteller Tracy Kidder erzählte uns, wie sein Pulitzer-Preis gekröntes Werk „Mountains beyond Mountains“ entstand.

Die Veranstaltungen während meiner Zeit an Duke ermöglichten zwar immer nur einen kleinen Einblick in die Themen, dafür war das Spektrum aber so breit gefächert, dass ich mich im Anschluss an die Wochen geistig bereichert fühlen konnte. Besonders intensiv und interessant gestalteten sich die gruppeninternen Runden, in denen jeder Vertreter aus seinem Land die sich am meisten verändernden Aspekte journalistischer Arbeit vorstellte. Natürlich nahmen nach den Vorträgen der amerikanischen Fellows Fragen zur baldigen Wahlberichterstattung einen großen Raum ein, so wie wir auch nach einem gemeinsamen Grillabend die erste Debatte zwischen den Kontrahenten Kerry und Bush zusammen anschauten und besprachen. Kleiner Einschub zurück in Deutschland: Ich habe während meiner sechs Wochen in den USA nur einen einzigen Mann getroffen, der sich vorstellen konnte, Bush wiederzuwählen. Gestern wurde die Amtzeit von George W. Bush um weitere vier Jahre verlängert…

Für mich gehörte sicherlich die Woche in Washington mit Besuchen beim National Public Radio, der Washington Post, dem briefing im International Press Center zu den Highlights dieses Aufenthaltes. Zurück an der Duke war es ganz nach Interesse möglich, von morgens bis abends Vorträge oder Seminare zu besuchen, oder die Zeit zudem zum Erholen und Umdenken zu nutzen. Da ich vor dieser Reise noch nie in den USA war, galt mein Interesse einfach auch der Möglichkeit, in eine fremde Mentalität einzutauchen. Meine Vorurteile zu überprüfen, Mechanismen zu verstehen, denen ich als Europäerin vorher ungläubig gegenüber stand. Die Woche in Washington und New York, Tage an der wunderschönen Küste und in einer „prototypischen“ Familie taten das ihrige dazu, mir eine unvergessliche Erfahrung zu bescheren. Herzlichen Dank dafür an die RIAS Kommission und Laurie Bley, die rückblickend für gut organisierte Veranstaltungen sorgte und für jede Frage und Sorge Ansprechpartnerin war. Nicht zuletzt durch zahlreiche Gespräche und Begegnungen mit Journalisten aus der ganzen Welt und der Möglichkeit, einen kurzen Einblick in einige amerikanische Medienunternehmen zu gewinnen, habe ich ein komplexeres Bild vom Land und den derzeitigen Diskussionsständen bekommen.

——————

Anja Kretschmer, Rundfunk Berlin-Brandenburg

Was macht die amerikanische Bevölkerung vor 28 verschiedenen Sorten geschreddertem Plastik-Tüten-Käse im „Super-Target“? Ich zumindest — getreu meiner nationalen Identität — gerate in Zweifel: wie soll man sich entscheiden? Doch besser zum Sprüh-Käse greifen? Und ist Käse überhaupt prinzipiell notwenig? Und so nehme ich die endlosen Regale voll geschreddertem Plastik-Tüten-Käse als ein weiteres Zeichen der Vielfalt und Größe Amerikas und stapfe kilometerweit durch den neu eröffneten Supermarkt wie durch museale Hallen der Überfülle.

Was für ein Geschenk: Ein Monat Alltagserkundungen in einem Land, dessen Mythos zu unserer Sozialisation gehört, jeden Tag einem Journalisten, Wissenschaftler, Juristen zu seinem spezifischen Fachgebiet Löcher in den Bauch fragen. Dazu das von der sowieso hervorragenden Organisatorin Laurie georderte Lunchpaket. Etwas gewöhnungsbedürftig: dem Vortragenden so entgegenzukauen. Nach ein paar Tagen stellt sich ein modifizierter Pawlowscher Reflex ein, sobald einer vorne Interessantes erzählt. Anschließend offene und uneitle Diskussionen mit Redebeiträgen, die eben nicht darauf abzielen, andere zu beeindrucken oder schwache Gedanken in kompliziertem Satzbau zu verbergen — und stattdessen zuweilen eine Ahnung vom gemeinsamen Weiterdenken vermittelten. Und dann die Ausflüge … ausschließlich dem folgend, was die oft halb verschüttete Triebkraft des Journalismus ist: Neugier, Erkenntnisinteresse, Anteilnahme.

Eintauchen in Bilderfluten — nehmen wir die Gedenkmeilen Washingtons. Diese antikisierten (dass man sich in den Epochen bedienen kann wie im Supermarkt der Stilrichtungen) Säulen, zwischen denen ein gigantischer Lincoln thront mit Blick auf diverse Memorials verschiedenster Kriege, ein weiterer Tempel am Wasser mit Jefferson als Über-Vater, noch weiter die ausufernden Hügel voller weißer Kreuze des Arlington War Cemetery. Der auf und ab marschierende Soldat, dessen immer gleiche Schritte die Gummimatte unter ihm geprägt haben, mit abgezirkelten automatenhaften Bewegungen das Gewehr am Ende der Marschroute immer gleich schulternd. Eine feierliche Zeremonie: Wie er sanft mit den Fingerspitzen den Gewehrlauf entlang streicht, den Ellbogen rechtwinklig abspreizt und mit einem Ruck den Kolben umfasst und wendet — das ist so theatralisch und lustig und heiligenmäßig und albern und alles zusammen, dass man stundenlang wie vor einer lebensgroßen schauerlichen Spieluhr stehen könnte. Diese Landschaft nationaler Gedenkstätten hat etwas entschieden ungemütliches für mich zivile Durchschnittsdeutsche, dieser ganze Geschichtspathos macht einen nervös.

Es gab einen Lehrer der Duke University, genauer im Center of Documentary, der mir vor allem in Erinnerung bleiben wird. Er erklärte den Studenten anhand exzellenter amerikanischer Beispiele, wie sie ihre eigenen Filme machen sollten: kompromisslos, aufmerksam, flexibel. Er tat das wie ein schwarzer Prediger vehement und leidenschaftlich — eine Art Beschwörung. Go for it, tell your story. Kenntnisreich, witzig und voller Einfälle besprach er mit den Studenten deren Interviewmaterial über HipHop-Gangs, schwarze Küchenangestellte, Geisterseher, Truckfahrer… Ungewohnt war diese offene Begeisterung fürs Filme machen — aber völlig gerechtfertigt. Ich vergesse bloß manchmal vor lauter Sparbeschlüssen, leidenden Redakteuren und Existenzängsten, worauf es ankommt. Dieses Beseeltsein vom richtigen Augenblick, den die Kamera eingefangen hat, wenn sich die Wirklichkeit verdichtet; wenn Schnitte gelingen, wenn aus der Ton/Bild–Fusion sich ein neuer Bedeutungshorizont eröffnet; wenn das Ergebnis elektrischer Signale in fremden Herzen ankommt. Okay, hierzulande mag das übertrieben klingen. Die Hemmungslosigkeit, das Übermaß ist irritierend, ob es sich nun um 28 Sorten Plastik-Tüten-Käse, überlebensgroße Memorials handelt oder die Leidenschaft des Filmemachens. Bloß: was das Filmemachen angeht, würde ich gerne etwas von der amerikanischen Unbedingtheit behalten.

——————

Dominik Leßmeister, Saarländischer Rundfunk

Einreise in die USA: Fingerabdrücke abgeben, penible Kontrollen und viele Fragen? Im Vorfeld meines USA-Besuches machte ich mir schon meine Gedanken. Doch letztendlich war alles ganz einfach. Ein Stempel und ein paar lockere Fragen. Am 7. Februar komme ich mit den beiden anderen RIAS-Fellows Anja Kretschmer und Nils Rode in den USA an. Unsere Gruppe besteht außerdem aus zwei Kolleginnen vom ORF und einem Kollegen von der Washington Post. Den Sonntag nach der Ankunft hatten wir erstmal genutzt, um uns gründlich in der Gegend von Durham zu verfahren. Zu unserer Verteidigung: Eine kleine Karte und die vielen Straßen in der Gegend von Durham machten es nicht so einfach. Den empfohlenen “Foster’s Market” hatten wir an diesem Sonntag nicht gefunden. Dafür aber viele andere Dinge. Am ersten Tag wurde uns klar, dass Durham Downtown nicht wirklich ein Ort ist, an dem man lange Abende verbringen will. Im Gegensatz zu Durham ist Chapel Hill eine sehr schöne Alternative und mit dem Auto sehr schnell zu erreichen. Die Franklin Road bietet ein paar Kneipen und schöne Restaurants. Der Ort zum Relaxen — nach der Uni.

Die meiste Zeit des Duke Media Fellowship-Programms verbringt man, wie der Name schon sagt, an der Duke University: mit fast 30.000 Dollar Studiengebühren pro Semester eine der Elite-Unis der USA. Dafür gibt es kleine Klassen, eine hervorragende Bibliothek und gute Professoren. Man kann sie schnuppern an der Duke: die amerikanische Elite. Und vor dem Hintergrund unserer Elite-Uni-Diskussion in Deutschland ein gutes praktisches Beispiel: im Guten wie im Schlechten. Etwas Kontrastprogramm gab es an der staatlichen Universität von North Carolina in Chapel Hill. Hier sah alles doch etwas wie an einer deutschen Uni aus, mehr Studenten und mehr Vielfalt. Und die staatliche Uni kann sich mit ihrem Programm durchaus sehen lassen und das immerhin für 29.000 Dollar weniger pro Semester. An der Duke University hatten die Fellows fast jeden Tag mindestens einen festen Programmpunkt. Susan Tifft zum Beispiel berichtete uns gleich in einer der ersten Vorlesungen, dass ihre Journalistik-Studenten eigentlich gar keine Zeitungen lesen. Etwas, was uns doch alle sehr überrascht hat. Oder Carol Darr, die über die wachsende Bedeutung des Internets im Wahlkampf berichtete. Es zeigte sich, dass in Sachen Internet und Wahlkampf die USA doch ein gutes Stück weiter sind als die Deutschen. Zu erwähnen sind auch die Gespräche und Veranstaltungen mit John Dancy. Dancy ist eine Größe im U.S.-Fernsehjournalismus: Er war Korrespondent in Deutschland, Großbritannien und Russland sowie Anchor der NBC-News. Ich empfand Dancy als sehr angenehmen und interessanten Gesprächspartner.

Ein Höhepunkt im Programm: sicher die Vorlesung von George Soros. Der Spekulant, der das britische Pfund fast in den Bankrott getrieben hatte, stellte sich den Fragen von Journalisten, Studenten und Professoren. Im überfüllten Audimax der Uni warb er dann für seine Open Society. Soros, einer der intellektuellen Kritiker von George W. Bush, fand an der Duke sehr viel Zuspruch. Nicht umsonst, denn Duke ist für seine “demokratische” Aura bekannt. Mit sehr viel privatem Geld will der Milliardär Soros im Wahlkampf mitmischen und John Kerry unterstützen.

Die zweite Woche war geprägt vom Trip nach Washington. Ein interessantes Programm hatte unsere Koordinatorin Laurie Bley zusammengestellt. Es ging zum Beispiel zu NPR, dem einzigen “Public Radio” in den USA, oder zu einer Pressekonferenz im Außenministerium. Einen Blick auf die öffentliche Meinung in den USA gab uns ein Meinungsforscher der University of Maryland. Seine Erkenntnisse: Die amerikanische Öffentlichkeit war sehr unzureichend über den Irak-Krieg informiert und ist es noch. Auch Präsidentschaftskandidat Kerry kann sich noch nicht über einen Sieg im Herbst freuen. Langfristige Umfragedaten geben Amtsinhaber Bush noch gute Chancen, das Ruder herumzureißen. Bei der Washington Post gab es einen Einblick in die Redaktion. Post-Redakteur und Fellow Peter Kaufman erläuterte uns die Position der Post im und nach dem Irak-Krieg. Das Ergebnis: Die Kommentare werden kritischer gegenüber der U.S.-Administration. Und beim ZDF-Studio gab es die Sicht des Korrespondenten: Studiochef Eberhard Piltz stand uns Rede und Antwort zu seiner Arbeit in der U.S.-Hauptstadt. Und immer wieder ein Diskussionspunkt: Haben die Medien in den USA vor und während des Krieges wirklich umfassend berichtet? Oder gab es nur eine Sicht der Dinge? Spannende Fragen, bei denen die Diskussionspartner nicht immer der gleichen Meinung waren.

Nach Washington besuchte eine Delegation russischer Journalisten im Rahmen des Open World Programs der U.S.-Regierung die Duke University. Diese Woche war geprägt von vielen gemeinsamen Veranstaltungen und Diskussionen. Da muss man nun in die USA kommen, um russische Journalisten kennen zu lernen? Berichten kann ich von lebhaften Diskussionen über Russland, die USA und die Weltpolitik.

Ein persönliches Fazit: Die vier Wochen USA haben mir sehr viel gebracht. Man versteht nun um einiges besser die amerikanische Außenpolitik. Amerika ist für mich ein sehr spannendes Land, ein Land voller Unterschiede und Gegensätze. Eine Polarisierung, die man in Europa so nicht findet. Aber gerade diese Polarisierung macht die USA so spannend. Vielfach kritisiert man als Europäer die Amerikaner, und trotzdem ist man irgendwie immer wieder begeistert und fasziniert von diesem Land. Amerika, ich komme wieder.

——————

Damien McGuiness, BBC World Service Radio

One of the best things about being sent somewhere you wouldn’t ordinarily go to under your own steam, is that you are forced to confront your own prejudices head on. Before going to North Carolina, I barely knew where the state was, let alone what it would be like to spend a month there. My ignorance wasn’t helped by comments from friends who seemed to think that time spent away from a major city was tantamount to exile. “Can’t get anywhere / full of rednecks / no culture / everyone is fat” were a few of the enlightened remarks I heard from fellow Europeans before I left. So it was with a certain amount of trepidation (and a massive hangover from too many Manhattans in Manhattan) that I looked down from the tiny aeroplane, over the conifer forests spread out before me. An airport emerged out of nowhere and we landed in Raleigh International…the “International” putting pay to the first of my prejudices: Raleigh has daily transatlantic flights, which is more than any Berlin airport can offer right now. At the airport I quickly found my driver, and had my first experience of an American highway. In fact it took me a while to realise we were actually on a highway, as everyone was driving so slowly. Initially I thought we were on a slip-road about to join the highway itself and that then we would speed up. Until I noticed that we were about as sped up as it was going to get. A fact, incidentally, I was later thankful for on a 6 hour road-trip to the coast later in the month: driving long-distance in the States is a quite relaxing experience compared to the frenetic aggression of the German Autobahn. Along the way I laid another prejudice to rest by chatting to the driver and having the first of many stimulating and fascinating discussions about American society. At this rate it seemed that all my pre-conceptions of the States would be blown to smithereens in no time.

Within an hour of landing we had reached the accommodation, the Campus Arms. We each had our own spacious apartments in the same building. They were cleaned regularly, and although the decor was a bit cheesy, it was almost quite cool in a retro motel-chic sort of way. Over the course of the month, I actually grew rather fond of my flat with its brick wall interior and carpeted floor: it suited quite nicely all the brash American T.V. I had to watch for a BBC series I was working on. Within a couple of minutes of arriving there was a knock at the door and I met some of the other fellows. We chatted for a while and arranged to meet the next day for the first session.

Most days, there was some sort of session organised by Laurie. These included discussions and presentations from the fellows which aimed to give an idea of the various challenges which we faced in our jobs. I couldn’t help but feel slightly inadequate when hearing about the challenges faced by colleagues in Jerusalem or Bosnia. In addition sessions with various speakers, such as with the heads of American broadcasting organisations, were organised which gave us a real insight into the U.S. media. This left us with plenty of time to pursue our own interests. One of my main aims was to read everything in the New York Times every day, which made me feel like a walking encyclopaedia by the end of the month. We were also able to visit any of the lectures on offer at Duke and the University of North Carolina (UNC), a 20 minute drive away. I attended journalism theory classes at UNC, which has quite an extensive school of journalism. I also went to some creative writing classes at Duke and some of the public policy sessions at the Sanford Institute, which hosts the media fellows. I found attending the undergraduate classes useful in terms of seeing how classes are taught in the States, however from a content point of view I think the sessions with the other media fellows and those held by the visiting speakers were probably more informative. If nothing else the journalism courses at UNC increased my confidence by showing me how much I had already learnt in my work. What is important to know about the program is that fellows have complete freedom to do as much as they want. Laurie was great in letting us know that she would help us organise whatever we wanted. However the point of the program is not to provide a 9 — 5 schedule of events. So it is crucial to have some idea of what you would like to achieve in the time you’re there. One friend used it to improve her English, another wrote her first short story, whilst I spent a lot of time in the library swotting up on theoretical aspects of radio journalism.

Our stay coincided with the Full Frame Documentary Film Festival, which for me turned out to be one of the most enriching events of the month, both personally and professionally. The festival was set up by Nancy Buirski, who was actually once a media fellow at Duke herself. At the time she was working at the New York Times. Whilst at Duke she met her future husband and subsequently decided to move to North Carolina (on the proviso that she is able to get herself back to New York when country life gets too much for her). It was when she moved to North Carolina and got married that she decided to set up the film festival, which has now become one of the biggest documentary film festivals in the country. For about a week every year, the documentary film scene of New York descends on Durham, and in the course of a day the whole town seems to go from wearing plaid shirts to black outfits and Gucci sunglasses. Laurie organised press passes for us and I immediately went into the Berlinale-see-5-films-a-day mode. I was able to do some work for the BBC as well as see the most incredible films, some of which will remain indelibly imprinted on my memory. I found everyone incredibly helpful in helping to set up interviews, a fact not always the case when covering the Berlin film festival. The festival organisers even managed to organise a press conference with Michael Moore for a few of us. Laurie was also extremely helpful in finding me a radio studio on campus with an ISDN link which I could use to file material. Cabell Smith, who runs the studio, allowed me to use the facilities as often as I wanted, which meant I was able to organise a studio interview with our BBC presenter in London, as well as file pre-recorded material for a longer documentary piece I was working on.

During our month there, we also had a field trip to Washington, which was amazing. Laurie had booked us into a hotel right in the ultra-hip area near Dupont Circle. I had never been to Washington before, and was surprised to discover that it was no way the bastion of boring bureaucracy I had imagined. Laurie had organised just the right amount of appointments for us, which kept us busy but didn’t impinge too much on discovering the social side of the city. The highlights included being shown round the NPR headquarters, a press conference at the Pentagon with Donald Rumsfeld and a tour of the Washington Post. It was fascinating being in the power centre of the world’s most powerful country, and the people we met were welcoming and inspirational (with possibly the exception of the above mentioned Mr. Rumsfeld who, in his controlled jollity, I thought was quite scary).

I have always had a soft spot for the States. Admittedly the current administration’s politics might not always be in line with European sensibilities and the country’s rampant commercialism does seem a little out of control. But what I always enjoy when I am there is the open friendliness and warm-hearted helpfulness of the American people. This is a view which was further strengthened by my trip this time. What stands out in my mind is the extraordinary welcome and support we received from everyone at Duke, especially Laurie and the Center’s director Ellen Mickiewicz. Thanks to them, every day I came into contact with people and experiences which helped me to grow both personally and professionally. Am I a better journalist now? Maybe. But I am certainly a more tolerant, better informed and more open-minded individual. And if that’s not the first step to becoming a better journalist, I don’t know what is.

——————

Natascha Pflaumbaum, Hessischer Rundfunk

Lost in Transition

„Ich sehe immer nur Bäume, Bäume, die sich wie riesige Vorhänge an mir vorbeischieben, wenn ich im Auto sitze. Ich weiß nicht, wo ich bin. Ich brauche die Stadt, ich brauche Hanoi, ich brauche Häuser, um mich zu orientieren. Etwas, was ich wiedererkennen kann. Hier fühl ich mich verloren.“ Das waren die ersten Worte, mit denen mich Hu-Yen, Journalistin aus Vietnam, begrüßte. Und ich konnte sie sehr gut verstehen. Wer nach North Carolina kommt, nach Durham, wird von der Natur aufgesogen. Selten so viel Grün gesehen. Selten so viele Seen. Selten so viele zutrauliche graue Eichhörnchen. Man ist einfach da und glaubt, die grüne Üppigkeit, die horizontlose Weite könnten einen wegatmen … so viel Schönheit und Ruhe muss man erst mal aushalten können. Und dann hat sich da im Dickicht des Durham Forest etwas Außergewöhnliches eine Schneise geschlagen: die Duke-Universität. Ein Mini-Kosmos im neogotischen Stil, Häuser wie aus einer längst vergangenen Zeit, ein intellektuelles Idyll, wie eine Märchenburg. Das alles wirkt surreal auf den ersten Blick.

Ich bin ja nur knapp vier Wochen hier, und das reicht gerade mal für erste Blicke. Hu-Yen wird ein ganzes Jahr hier bleiben. Sie wird die Bäume lieben lernen: die duftenden Pinien, die riesigen amerikanischen Buchen, die Hickory-Nuts. In vier Wochen sieht man nur die Fassade, die Oberfläche, zumal ich gefangen bin vom Staunen einer Reisenden, die sich über ihren neuen Alltag wundert. Täglich verfolge ich im Fernsehen die Wahlkampagne Kerry/Bush, die ganze billige Schlammschlacht der Debatten, ich höre von den fast wöchentlichen Morden hier in der Umgebung, mich irritieren Papiertüten-Fast-Food und schockfrostende Klimaanlagen, auch standgasleerlaufende Automotoren, Live-TV-Po-Vergrösserungen, „blue corn chips“, rotes Fitness-Wasser: non-cholesterol and low-carb, und giftgrüne Wraps, deren Ausmaß jedes Kiefergelenk auskugeln wollen. Alles wirkt schrill, bunt, easy-going hier in der Provinz. Aber jeder Schock hat ja auch eine heilende Wirkung. Kulturschocks sowieso.

Mein Aufenthalt „an der Duke“ erscheint mir wie ein Urlaub auf einem fremden Planeten. Und wie die meisten fremden Planeten ist auch dieser kein Ort zum Sein, kein Ort, an dem man sich aufhält, es ist ein Durchgangsort, ein Passagenraum, an dem man ständig, fast jede Sekunde, auf Neues trifft — wenn man will … Place of Transition … Ich gehe alten Pfaden meines Philosophie-Studiums nach, neuen Pfaden meiner momentanen Arbeit. Ich suche in der Perkins-Library nach der aktuellen Literatur meiner amerikanischen Lieblingsphilosophen, suche nach neuen Ideen für meine Arbeit als Kulturjournalistin. Ich wandere die Bücherregale ab, setze mich in eines der grauen altertümlichen Holzkabuffs zum Schmökern oder einfach raus in den japanischen Garten gleich um die Ecke. Man hat ja alle Zeit der Welt. Trotzdem könnten die Tage länger sein.

Es ist leicht, an der Duke in seinen alten Studentenalltag zurückzufinden, selbst dann, wenn er schon eine ganze Zeit zurückliegt. Die Klassen sind klein, man ist jederzeit willkommen. CNN-Korrespondenten-Legende John Dancy begrüßt mich freundlich in seinem TV-und-Radio-Praxis-Seminar, zeigt kurz Interesse an meiner Arbeit und geht zur Tagesordnung über. Die Hausaufgaben werden diskutiert, die Studenten sind engagiert, gut vorbereitet, die Lernatmosphäre ist locker, auf gutem Niveau. Mir gefällt die ruhige, gelassene Art, miteinander zu reden.

Hu-Yen treffe ich mittags beim „brown bag lunch“ mit Pulitzer-Preisträger Tracy Kidder wieder. Wie auch die anderen: Ann, Hristo, Dong und Steve. 15 Journalisten aus den USA, Korea, Mazedonien, Deutschland und Vietnam sind in diesem bunten Puzzle dabei. Fast täglich sehen wir uns im Sanford Institute, tauschen uns über unsere Arbeit aus, treffen uns zu Vorträgen, zu Podiumsdiskussionen oder zu Parties. Meine Erinnerung daran gleicht einem Videoclip, effektvolle Short-Cuts wechseln mit Stills, lange Einstellungen gibt es nicht. Ich werde einige Zeit benötigen, um den vielen Close-Ups nachzuleben, um mir die Menschen, die ich getroffen habe, ihre Geschichten, noch einmal in Erinnerung zu rufen… die Journalisten aus dem Libanon, den arabischen Staaten, die Kollegen aus Russland.

Gerade in diesen Treffen macht sich der typische „Duke-Mood“ breit: die offene, lockere, von großer Gelassenheit, Interesse und Neugier geprägte Atmosphäre, die sich vor allem in den Gesprächen mit den Kollegen zeigt. Die große Sache dieses Media-Programms liegt in einem einfachen Geheimnis: hier werden stets aufs Neue Menschen zusammengebracht, die sich so nie getroffen hätten, die in diesem intellektuellen „Schonraum“ eine freundschaftliche, fast vertraute Atmosphäre finden, um sich auszutauschen. Eine großartige Erfindung sind die „brown bag lunches“: lockere Mittagstreffen mit Pulitzerpreisträgern, wie etwa Sara Rymer von der New York Times. Jedes Treffen, jeder Tag ist anders, anders anregend. Man könnte die „Duke“, man könnte Durham auf den ersten Blick leicht als Kulisse missverstehen, ruhige Idyllen sind dazu prädestiniert. Es ist aber viel mehr: es ist der wahrhafte place of transition.

Mein größter Dank geht an Rainer Hasters, an das RIAS-Team sowie an die RIAS Kommission, Laurie Bley und Lynn Furges, die vieles möglich gemacht haben, indem sie mir mit diesem Aufenthalt eine Reihe wertvoller Erfahrungen geschenkt haben. Danke!

——————

Birgit Przygodda, Deutsche Welle-TV

Ankunft und Unterkunft

Die Feuchtigkeit ist sofort auf der Haut zu spüren und kriecht in die Atemwege — ein bekanntes Gefühl. Erinnerungen an heiße Sommer in Köln werden wach. Ich weiß gleich — North Carolina gefällt mir. Eric, mein Fahrer wartet schon vor dem Flughafengebäude. Mit 55 Meilen geht es vorbei an grüner Landschaft — auf nach Durham. Die vergangenen 18 Stunden im Flugzeug und auf diversen Flughäfen sind schnell vergessen, denn sofort sind Eric und ich in ein intensives Gespräch über die bevorstehenden U.S.-Wahlen vertieft. Campus Arms — für die nächsten vier Wochen mein Zuhause — lässt die hinter mir liegende Reise schnell wieder in mein Bewusstsein zurückkehren. Plötzlich bin ich nur noch müde. Schwere, dunkle Holzmöbel mit 70er Bezügen erwarten mich — na ja, praktisch sind sie ja. Ein riesiger Kühlschrank und ein eben solcher Herd gehören auch zur Ausstattung.

Der nächste Morgen, ein Sonntag, empfängt mich mit strahlendem Sonnenschein. Mein Appartement erscheint mir weniger dunkel, doch der riesige Kühlschrank ist nach wie vor leer. Ein nahe gelegenes Hotel bietet Frühstück an und ich folge der Einladung. Danach suche ich einen Supermarkt und erkunde dabei die nähere Umgebung. Ich passiere Einfamilienhäuser in mal mehr gutem oder mal mehr schlechtem Zustand. Doch eines haben sie gemeinsam: jeder Besitzer bekundet durch nicht zu übersehende Schilder seine politische Präferenz. Hier ist die Mehrheit für Kerry. Und Stars und Stripes fehlen auch nicht.

DUKE UNIVERSITY

Am Montagmorgen beginnt unser Programm. Laurie erwartet uns auf den Stufen vor der Duke Chapel, heißt uns Media Fellows willkommen. Wir bekommen unseren Campus-Ausweis sowie einen Computer-Account und auf geht’s. Das riesige Campusgelände wartet darauf erkundet zu werden. Die Gebäude sind im neugotischen Stil gehalten. Ein Nachbau, wie wir erfahren, sie wurden in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erbaut. Dennoch, hier kann man sich wohl fühlen. Wir Media Fellows haben zu allen Gebäuden Zutritt und dürfen auch nach vorheriger Absprache mit den Professoren an deren Seminaren teilnehmen.

Besonders gespannt bin ich auf die Bibliothek. Auf dem Weg dorthin sehe ich überall Studenten mit Büchern und Unterlagen in der warmen Septembersonne sitzen. Ein anheimelndes Bild voller Ruhe und Entspannung. Wie ich später erfahre, trügt der schöne Schein. Das Lernpensum ist sehr straff, viele der Studenten schlafen nachts gerade mal drei Stunden.

Laurie hat für uns Media Fellows (drei Amerikaner, drei Südkoreaner, drei Deutsche, eine Vietnamesin und ein Mazedonier) ein interessantes Programm zusammengestellt. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir dabei die Vorträge von Professor Ellen Mickiewicz, Professor Stuard Pimm und Pulitzer-Prize-Träger Jim Wilson.

„Media and Democracy“ in Russland ist das Spezialgebiet von Professor Mickiewicz. Sie berichtet derart anschaulich von ihren Untersuchungen, die sie in dem Land zu diesem Thema durchgeführt hat, dass wir gar nicht merken, wie die Zeit vergeht. Ehe wir uns versehen, erscheint Professor Stuard Pimm im Raum und wir müssen abbrechen. Ellen erklärt sich jedoch bereit uns ihre neuesten Erkenntnisse per e-mail zuzuschicken.

Professor Pimm hat uns mit Hilfe der modernen Technik erklärt, welche Auswirkungen „The Global Warmth“ auf Flora, Fauna und Homo Sapiens hat. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Amerikaner gesehen habe, der sich derart vehement für den Umweltschutz ausgesprochen hat.

Jim Wilson erzählt uns von seinem Einsatz als Chief Picture Editor in New York am 11.09.2001. Noch drei Jahre nach dem Ereignis sind seine Erinnerungen so lebendig, dass er mich gleich in seinen Bann zieht. Photos und bewegte Bilder aus jener Zeit kennt jeder. Doch es ist etwas Besonderes, Photos zu betrachten und dabei deren Entstehungsgeschichte aus dem Munde des Photographen zu hören.

Trotz der Seminare bleibt noch genügend Zeit in Seminare z.B. zur „American Foreign Policy“ hinein zu schnuppern. Schön, dass es auch andere Ansichten zur amerikanischen Politik gibt, als die, die übers TV verbreitet werden.

Und zwischen den ganzen Terminen haben wir Media Fellows uns gegenseitig über unsere Sender und Arbeit informiert. Tief berührt haben mich die Schilderungen meiner Kollegen aus Süd-Korea und Mazedonien. Repressalien erdulden zu müssen, weil ich unbequeme Wahrheiten schreibe, oder gar bedroht zu werden, — diese Erfahrungen sind mir bisher, zum Glück, erspart geblieben.

Sehr gefreut habe ich mich über die Einladung von Professor Edward A. Tiryakian in sein Seminar zu kommen und seinen Studenten etwas über Europa, Deutschland und die Grünen erzählen zu dürfen. Erschreckend jedoch, wie wenig amerikanische Studenten von den Dingen außerhalb der USA wissen.

Umgebung und Washington

Die nähere Umgebung, Raleigh und Chappel Hill, ist schnell erkundet. Als nächstes steht Washington auf dem Programm. Laurie hat uns ein informatives Programm zusammengestellt, auf das ich sehr gespannt war. Zunächst das „Foreign Press Center“, unserem Bundespresseamt ähnlich, jedoch nur für ausländische Journalisten zuständig. Wir sehen den Raum, in dem Donald Rumsfeld den Gegnern des Irakkrieges den Begriff „Altes Europa“ entgegenschleuderte. Per Video sind wir einer Pressekonferenz von Colin Powell zugeschaltet. Zu Pressekonferenzen ins Weiße Haus oder Pentagon kommen wir nicht. Es sind keine angesetzt.

Der Besuch beim National Public Radio entpuppt sich als wahre Informationsreise. Alan Stone nimmt sich sehr viel Zeit für uns, beantwortet geduldig jede unserer Fragen. Und wir schauen bei der Produktion einer Sendung zu. Ich staune über die große Besetzung in der Technik und noch mehr, als Alan Stone erklärt, dass Selbstfahrerstudios „old fashion“ sind.

Die Redaktion der Washington Post ist genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe: ein riesiges Großraumbüro. Unser Guide, Tiffany Harness, gibt uns das Gefühl, als sei sie nur für uns ins Büro gekommen. Im Holocaust Memorial Museum warten Eintrittskarten, aber auch die Smithonian Museums haben ihren Reiz genauso wie das gerade erst eröffnete Indianermuseum.

Die Tage in Washington gehen viel zu schnell vorbei. Immerhin reicht die Zeit, die nicht touristischen Seiten der Stadt zu erkunden. Am Samstag gibt es noch eine Gartenparty bei Freunden außerhalb der Stadt, mit vielen Kollegen und vielen Gesprächen über die bevorstehende U.S.-Wahl.

Freizeit

Die Gespräche mit meinen internationalen Kollegen zwischen den Seminaren, beim Barbecue, Bowling oder auch in diversen Restaurants waren eine unglaubliche Bereicherung. Nie vergessen werde ich den Abend bei Steve zu Hause. Er hatte unsere ganze Gruppe eingeladen die erste Fernsehdebatte von Bush und Kerry anzusehen.

Zum Schluss

Ein riesengroßes Dankeschön an Laurie Bley und auch an die RIAS BERLIN KOMMISSION. Da ich im Rollstuhl sitze, erfordern meine Reisen leider ein Mehr an Planung. Danke Laurie, dass Du einen Mietwagen mit „Hand Control“ und eine behindertengerechte Unterkunft organisiert hast. So konnte ich mich in den vier Wochen tatsächlich barrierefrei bewegen. Danke, dass Du mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden hast, als der Rahmen meines Rollstuhls gleich am dritten Tag brach (leider muss man mit so etwas immer rechnen) und ich Ersatz besorgen musste. Danke an die RIAS BERLIN KOMMISSION für die wunderschönen vier Wochen in North Carolina.

——————

Nils Rode, Westdeutscher Rundfunk

Auf der Spur

Pat Stith ist ein Beißer. Neben ihm liegt ein Stapel Akten und Mappen. Immer wieder trommelt er darauf, um seine Worte zu unterstützen. „Lasst Euch nicht unterkriegen. Gebt nicht gleich beim ersten Problem auf. Recherchiert weiter!“ Pat Stith arbeitet als investigativer Reporter für die Tageszeitung „The News & Observer“ in Raleigh, North Carolina. Er ist als Gast in das Seminar “News and Policy” von John Dancy an der Duke Universität gekommen. Dancy, ehemaliger Nachrichtenmoderator und Auslandskorrespondent von NBC, hat den Zeitungsmann eingeladen, damit er von seinen monatelangen Recherchen über die dunklen Geschäfte und Umweltvergehen der Schweinegroßzüchter in North Carolina berichtet. „Es ist nicht entscheidend, was in irgendwelchen Pressemappen oder Unternehmensmitteilungen steht, wichtig ist nur das, was ihr wisst und was ihr ganz persönlich noch zusätzlich herausfindet“, sagt der Mittvierziger. Für seine Story erhielt der Reporter den Pulitzer Preis. Drei Studentinnen sind gekommen, um zu lauschen. Aufmerksam, brav, ja ein wenig schüchtern. Sie machen sich gelegentlich Notizen, vor ihnen die typisch amerikanischen Kaffee- und Sodapappbecher. Fragen haben sie keine.

„Viele Studenten kommen zu uns an die Uni und lesen hier ihre erste Tageszeitung.“ Worte, die kaum zu glauben sind. Schließlich ist die Duke Universität nicht nur für ihre hervorragenden Basketballmannschaften bekannt, sondern auch eine der teuersten Eliteuniversitäten der USA. Doch die Worte kommen von Susan Tifft. Sie muss es wissen, schließlich ist die New Yorkerin Dozentin an der Uni. Sie unterrichtet wie John Dancy am Sandford Institute of Public Policy.

Dank der Uni die ersten Kontakte mit anspruchsvollem Journalismus. Denn dieser findet in den USA bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich in den Printmedien statt. „Babys, Geld und Nachbarschaft. Das ist das, was für die meisten Amerikaner zählt. An ausländischen Themen hat kaum jemand Interesse“, sagt John Dancy, der ehemalige Auslandskorrespondent. So ist das halt und natürlich haben sich die Massenmedien darauf eingestellt. America´s first — und dann lange nichts.

Aber trotzdem, alle Medienexperten, auf die wir treffen, sind stolz auf das amerikanische System und besonders auf die Tageszeitungen. „Nachricht und Meinung, das ist immer absolut getrennt. In einzelne Artikel mischt sich niemand ein. Kein Verleger, kein Gönner, kein Besitzer. Wir sind unabhängig, das ist das oberste Gebot“, erklärt Bill Hawkins, Executive Editor vom „Herald Sun“ aus Durham. Sätze wie diesen hören wir oft. Amerika — das heißt eben aus Sicht der Amerikaner auch das beste Mediensystem, die besten Zeitungen, die unabhängigsten Journalisten. Bill Hawkins leitet die 83 Journalisten der in Privatbesitz befindlichen Tageszeitung. Bill gewährt umfassenden Einblick: 40.000 Leser, am Sonntag auch mal 60.000. Eigene Druckerei. Ausgelagerter Vertrieb. Kündigt ein Leser sein Abo, sinkt das Einkommen des zuständigen Zustellers. Korrespondenten gibt es keine, investigative Reporter auch nicht. Dafür übernimmt das Provinzblatt Geschichten der New York Times oder der Washington Post. Denn diese bieten ihre Geschichten jeweils wie eine Agentur an. Zwei Dinge weiß aber angeblich auch Bill nicht: die Höhe des jährlichen Gewinns der Zeitung und die politische Gesinnung der Besitzerfamilie. Und das in diesem doch so stark zwischen Demokraten und Republikanern gespaltenen Land. Die Pressefreiheit verkauft er optimal und glaubwürdig.

Wer weltweit und umfassend informiert sein will, der muss die New York Times oder die Washington Post lesen. Nur sie unterhalten weltweit Korrespondentenbüros. Nur sie liefern Hintergrundgeschichten und Aktuelles aus dem In- und Ausland. Zigfach ausgezeichneter Topjournalismus, doch für wen? Immerhin gibt es diese beiden Zeitungen, zumindest in gut sortierten Kiosken, fast überall im Land für einen Dollar zu kaufen. „So 1,7 Millionen Exemplare dürfte die Times und auch die Post pro Tag verkaufen“ meint Peter Applebome, Deputy Editor der New York Times. Bei 280 Millionen Einwohnern klingt das nicht viel. „Stimmt“, bestätigt Susan Tifft, „das sind wahrlich nicht viele, aber es sind die wichtigen Leute, die diese beiden Zeitungen lesen!“ Da ist sie wieder, diese absolute und typisch amerikanische Überzeugung, dass alles, was man tut, richtig, gut und wahrscheinlich auch das beste überhaupt ist.

Vielleicht doch nicht alles. Denn da ist ja noch Steven Kull, Direktor von PIPA, einem Meinungsforschungsinstitut in Washinton D.C.: „70% der Amerikaner fühlen sich schlecht informiert. Schuld daran ist das amerikanische Mediensystem. Das sind unsere neusten Ergebnisse.“

——————

Mathias Werth, Westdeutscher Rundfunk

Eigentlich wollte ich schon im Frühjahr 2003 wieder an die Duke University. Meine Bewerbung für das Media Fellows Programm war angenommen worden, der Flug gebucht, die Koffer gepackt. Einen Tag vor Abflug musste ich alles absagen. Denn kurz vor Reisebeginn wurde klar: Was viele bis dahin nur befürchtet hatten, würde nun tatsächlich geschehen. Der Angriff der USA auf den Irak stand unmittelbar bevor. Ich sollte in dieser Zeit nicht wochenlang im Sender fehlen, wo wir eine Sonderredaktion für die Berichterstattung in der ARD und im WDR-Fernsehen über den bevorstehenden Irak-Krieg gebildet hatten. Ziemlich genau ein Jahr später ging es dann im März los: Das gleiche Programm zwar, doch der Krieg hatte inzwischen das Verhältnis zwischen Deutschland und Amerika völlig verändert.

Zwar war ich nach dem offiziellen Kriegsende bereits für wenige Tage in den USA gewesen, doch da blieb viel zu wenig Zeit, um diese Veränderung in Ruhe erkunden zu können. So machte ich mich voller Neugier auf die Reise, vier ganze Wochen zurück an die Duke University, an der ich schon einmal, 1996 während meines ersten RIAS-Stipendiums, drei Wochen lang gewesen war, und die mir deshalb noch immer vertraut schien. Gerade diese Vertrautheit bot die Chance, so hoffte ich, Veränderungen nach dem Irak-Krieg deutlicher wahrzunehmen als anderswo.

In den vielen Gesprächen, sowohl innerhalb unserer Stipendiatengruppe als auch mit Referenten und Uni-Mitarbeitern, waren der Irak-Krieg und dessen Folgen das am häufigsten diskutierte Thema. Zwar bemühten wir uns spürbar, einander die unterschiedlichen Sichtweisen in vielen zumeist sachlichen Gesprächen und Diskussionen darzulegen. Dennoch: So recht gelang es uns Europäern nicht, die Sicht der Kolleginnen und Kollegen aus den USA nachzuvollziehen. Verständnis für das Trauma 9-11 und volle Solidarität von allen auf der einen Seite — Unverständnis andererseits für die Reaktion der USA und klare Distanz dazu, so lauten ein wenig verkürzt die unterschiedlichen Positionen.

Mitten in meinen Aufenthalt fielen die öffentlich diskutierten Zweifel an der Antiterrorpolitik der USA: Die Veröffentlichungen des früheren Präsidentenberaters Richard Clarke sorgten genauso für erbitterte Diskussionen wie das Eingeständnis des State Departements und der CIA, angebliche Beweise für die Existenz irakischer Massenvernichtungswaffen zumindest geschönt zu haben. Diese Zweifel vermochten aber die Überzeugungen der meisten Amerikaner damals noch nicht zu erschüttern.

Bemerkenswert deutlich zeigte dies die wohl interessanteste Diskussion an der Duke University, und zwar mit Rick Kaplan, dem früheren CNN-Chef und heutigen Vice President of News NBC. Kaplan schimpfte einerseits über das seiner Meinung nach klägliche Versagen der U.S.-Medien, deren unkritische Haltung und, wie er es nannte, schlampige Recherchen. Andererseits blieb er überzeugt, dass kein Regierungsmitglied und erst recht nicht der Präsident die Öffentlichkeit getäuscht habe. „Kein Präsident würde jemals das amerikanische Volk belügen. Wenn es unwahre Dinge gab, dann hatte der Präsident schlechte Berater,“ sagte Rick Kaplan. Es fiel ein wenig schwer herauszuhören, ob das tatsächlich von Überzeugung gespeist war oder eher nur von Hoffnung.

Noch etwas wurde klar: Der Irak-Krieg und der Kampf gegen den Terror würden zentrale Streitthemen im Wahlkampf werden. Die Medienberichterstattung gab einen Vorgeschmack darauf. Es war ungeheuer spannend, vier Wochen lang kontinuierlich Sendungen im U.S.-Fernsehen zu verfolgen. Das vermittelte einen ganz anderen Eindruck als die nur selektive Wahrnehmung amerikanischer Berichterstattung, die wir daheim in Deutschland üblicherweise haben. Die Emotionen standen bei allen Sendern auch bei den News-Sendungen deutlich im Vordergrund, sobald es um den Irak-Krieg oder die Terrorabwehr in den USA ging. Eher ungewöhnlich war das für uns, bei denen es (bislang jedenfalls noch) als Journalistensünde gilt, wenn man in Nachrichtensendungen Emotionen schürt. Vielleicht mag man darin die Ursache dafür finden, dass laut Umfragen trotz aller Aufklärung die Mehrheit der U.S.-Bevölkerung nach wie vor an eine Kumpanei zwischen Saddam Hussein und Osama bin Laden glaubt. Und man mag darin ebenso die Ursache für so merkwürdiges Verhalten sehen, wie es uns bei einem Museumsbesuch widerfuhr, wo der Wärter freien Eintritt in Aussicht stellte, hätten wir seine strenge Frage: „Do you support our troops?“ begeistert bejaht.

Gut, dass im Programm auch Vorträge über die Meinungsforschung und deren gewaltigen Einfluss auf die U.S.-Wahlen vorgesehen waren, und gut auch die Diskussion mit einem Fachmann für politische PR. Schade allerdings, dass es nicht möglich war, direkt an ein oder zwei Wahlkampfveranstaltungen teilzunehmen, das hätte mein Bild sicher vervollständigt.

In Erinnerung blieb mir auch das wirklich grandiose Dokumentarfilm-Festival in Durham. Unvergessen vor allem zwei wunderbare Filme: Einer über die Geschichte der beiden Führungsfiguren von Tupperware und ein anderer über ein Frauen-Golfturnier in Palm Springs, das schon in frühen Jahren zu einer Art Mekka für Lesben wurde. Hohe Film- und Erzählkunst durften wir erleben.

So unterschiedlich die Eindrücke des Programms auch gewesen sein mögen — der Grundgedanke des Networking zwischen deutschen und amerikanischen Journalisten hat wieder bestens funktioniert. Die persönlichen Kontakte und auch Freundschaften, die hier entstanden, sind wertvoll und unersetzlich, denn sie bleiben bestehen — unabhängig von dem mal guten und mal problematischen politischen Verhältnis zwischen beiden Ländern.